Türken im Wohnzimmer

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Dankrede für den Toleranzpreis des österreichischen Buchhandels

Sehr geehrte Damen und Herren, dass ich heute den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln entgegennehmen darf, ehrt und freut mich ungemein. Bezieht sich dieser Preis doch explizit auf eine Einstellung den Menschen und ihren Verhältnissen gegenüber, zu der ich mich gerne bekenne. Ich weiß nicht, ob man diese Einstellung noch immer Toleranz nennen soll, ein Begriff, der mir zu sehr von der Haltung des Duldens - also passiv - geprägt erscheint, aber darüber haben meines Wissens an dieser Stelle schon Berufenere gesprochen.

Ich möchte bloß erklären, was ich unter dieser Einstellung verstehe, nämlich ein ständiges und beständiges Nachdenken darüber, warum es in menschlichen Gesellschaften, vor allem in der, in der ich lebe, immer wieder zu Intoleranz, zu massiver Unduldsamkeit - und die ist keineswegs passiv geprägt - kommt. Ein Nachdenken, das sich auch in meinen Büchern ausdrückt. Ist doch Schreiben immer auch ein Kommentar zur Welt, etwas, das sich in der einen oder anderen Weise auf die Welt bezieht, obgleich die Form, in der dies geschieht, die Sprache der Literatur, eine eigene Welt erzeugt und mit der Welt als solcher nicht verwechselt werden sollte.

Intoleranz kenntlich machen

Dieses Nachdenken über die Intoleranz ist unter anderem Gegenstand mehrerer wissenschaftlicher Disziplinen, in denen es darum geht, das Allgemeine dieses Phänomens herauszuarbeiten, sei es mit Hilfe von statistischen, soziologischen, historischen oder philosophischen Methoden.

In der Literatur findet dieses Nachdenken eher anhand von einzelnen Fällen, von besonderen Darstellungsweisen und von gewählten Sprachebenen statt und wird dabei in gewissem Sinne leiblich nachvollziehbar. Ob das nun als experimentelle Dichtung geschieht - gerade das Lautgedicht hat einiges zur Kenntlichmachung von Intoleranz beigetragen -, oder sich in erzählender Prosa, dramatischen Entwürfen oder vielschichtigen Romanen darstellt.

Intoleranz kann sich auf ein bestimmtes Verhalten beziehen, freie Sexualität zum Beispiel, die in vielen Gesellschaften auch heute noch verpönt ist, freie Religionsausübung, für die dasselbe gilt, überhaupt gegen andere Regelwerke als die allseits anerkannten. Wohingegen die Literaturen aller Zeiten und Kulturen nicht müde wurden, sich der nicht tolerierten Liebesgeschichten, des verbotenen Wünschens und Denkens und aller möglichen Tabubrüche anzunehmen, sie in Einzelschicksale aufzulösen, durch die das Nachdenken über Intoleranz konkreter wurde und dadurch in den Nahbereich der eigenen Lebenswirklichkeit rückte.

Es ließe sich eine lange Liste dessen aufstellen, was Gesellschaften und Religionsgemeinschaften im Laufe der Zeiten zu tolerieren nicht willens waren, ob es sich nun um so Minimales wie eine bestimmte Haartracht oder so Gravierendes wie den Selbstmord handelt, der bis über den Tod hinaus durch bloßes Verscharren anstelle eines rituellen Begräbnisses geahndet wurde, Intoleranz hat zu allen Zeiten, ob gesetzlich legitimiert oder nicht, eine Rolle gespielt.

Rassismus klammheimlich

Ihre grausigste Form - weil die auswegloseste - aber hat die Intoleranz im Rassismus erfahren, dem auch durch Wohlverhalten nicht zu entkommen war. Eingesperrt in unseren Körper, wie wir alle sind, war das Verdikt des Rassismus endgültig. Es bedeutete in jedem Fall lebenslänglich.

Wie wir wissen, hat auch der Rassismus eine lange Geschichte. Es hat vieler gedanklicher Vorarbeit bedurft, bis die Menschen ihm so rückhaltlos verfallen konnten wie in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Und er ist in viele Bereiche unseres Lebens eingesickert, klammheimlich, möchte ich sagen, denn oft sind wir uns dessen noch immer nicht oder immer wieder nicht bewusst und erstaunen dann selbst über unsere Reaktion.

Theoretisch gesehen, ist das nichts Neues. Im großen und ganzen haben wir unsere Lektion ja auch gelernt und sind einigermaßen sensibilisiert, was die unmittelbare Vergangenheit anlangt. Wir achten auf unsere Worte, und wenn einem Politiker doch etwas entfährt oder er gar damit zu provozieren sucht, wird ihm zumindest mit Worten aufs Maul geschlagen.

Neue alte Vorurteile

Dennoch kommt es immer wieder zu Unverträglichkeitsausbrüchen anderen Menschen, vor allem Menschen anderer Herkunft gegenüber, die weit über das Maß rationaler Interessenskonflikte, die es zweifellos gibt, hinausgehen. Unverträglichkeitsausbrüche der nichtrationalen Art, die zu rationalisieren wir uns manchmal - unbewusst - weigern. Sich ihrer deutlicher bewusst zu werden, ist keine Sache von heute auf morgen, so wie wir die über Generationen hinweg verinnerlichten Strukturen des nazistischen Rassismus auch nicht von heute auf morgen losgeworden sind. Will sagen, ein Teil dieser Denkstrukturen ist noch da und dient einer neuen Intoleranz ganz nebenher als Schiene, auf der die - historisch gesehen - neuen Vorurteile wie geschmiert an Tempo zulegen.

Ich rede jetzt gar nicht von dem unangenehmen Gefühl, das Menschen befällt, wenn sie mit anderen Lebensgewohnheiten konfrontiert werden, eher von der schleichenden Pauschalisierung und der daraus resultierenden pauschalen Ablehnung.

Wie Tschuschen entstanden

Ich erinnere mich noch gut an die späten fünfziger und die sechziger Jahre in Graz, als es dort eine größere Anzahl türkischer, persischer und arabischer Studenten gab, die meisten von ihnen aus gutem Haus mit entsprechendem Taschengeld, die belächelt, aber auch ein wenig bewundert wurden - das Exotische fasziniert allemal -, und die man geradezu liebevoll Kameltreiber nannte.

Später dann, als die ersten Gastarbeiter kamen, die nicht aus gutem Haus waren, sondern meist aus den ärmsten und vernachlässigtsten Gebieten ihrer Länder zuwanderten - zum Teil sogar Analphabeten waren -, wurden aus Kameltreibern Tschuschen. Und heute, da es in Österreich an die 300.000 Türken, Iraner und Araber, beziehungsweise Türkisch-, Iranisch- und Arabischstämmige gibt - viele von ihnen sind ja bereits eingebürgert -, sagt man nicht mehr Kameltreiber oder Tschuschen, sondern man spricht von Moslems. Moslems und nicht Muslime, wie das richtige deutsche Wort lauten würde. Moslems, nach internationaler Diktion - als Beginn der Abstraktion, der Verdinglichung? Bei dem Wort Moslems klingen unterschwellig die bosnischen Moslems mit, als Anspielung auf bürgerkriegsähnliche Zustände, während das Wort Muslime uns eher daran erinnern würde, dass das k. u. k. Österreich bereits 1912, nach der Annexion von Bosnien-Herzegowina, den Islam als Religionsgemeinschaft anerkannt hat, was heute noch das Miteinander in Österreich ein wenig erleichtert.

Moslems als Feinde

Mit dem Wort Moslems scheint sozusagen der Feind ausgemacht. Aber bitte, missverstehen Sie mich nicht: ich finde muslimischen Fanatismus genauso erbärmlich und abscheulich wie jeden anderen Fanatismus, ob religiöser, politischer oder ideologischer Prägung, der seine Frustration in Menschenrechtsverletzung und Mord auslebt. Ich stelle nur anhand der Veränderung verächtlichmachender Bezeichnungen eine Veränderung der Verhältnisse fest. Diese Veränderung hat nachweislich mit Misstrauen und Angst zu tun. Misstrauen gegen andere Formen der Sozialisation, gegen Dresscodes, religiöse Observanzen und Angst vor physischer Verdrängung, Identitätsverlust und Gewalt, vor allem terroristischer.

Angst und Misstrauen sind Gefühle, die uns von der Natur zu unserem eigenen Schutz mitgegeben wurden. Sie dienen zur Warnung vor etwas, das uns Schaden zufügen könnte, insofern tun wir gut daran, sie nicht außer acht zu lassen. Dennoch sollten wir uns, bevor wir ihnen weiter nachgeben, fragen, inwieweit sie im jeweiligen Fall gerechtfertigt sind. Und selbst wenn sie gerechtfertigt sind, wie gehandelt werden muss, um ihnen den Nährboden zu entziehen.

Multikulturale Welt

Da wir nun einmal in einer multikulturalen Welt leben, nicht nur in Österreich, sondern auch in weiten Teilen Europas, ja der Welt, müssen wir, ob es uns passt oder nicht, uns den Kopf darüber zerbrechen, was das für uns und unser tägliches Leben bedeutet, ohne dass wir immer gleich eine Debatte über Schuld und Sühne vom Zaun brechen.

Der Kolonialismus und seine Folgen weltweit, Kriegshetze und Völkermord weltweit, all das geschieht, all das widerfährt und ist Millionen von Menschen widerfahren, ebenfalls weltweit. Das haben wir zur Kenntnis zu nehmen. Mit dem Wissen darum werden wir Konflikte früher und besser als solche erkennen können.

Aber es gibt auch so etwas wie eine konkrete, gegenwärtige Lebenssituation, die bewältigt werden muss, und es wird nicht bei jeder Auseinandersetzung im nachbarschaftlichen Bereich die Schuld des Westens gegen die Schuld des Ostens verhandelt werden müssen. Wir alle, die wir in den Städten Europas Tür an Tür leben, haben diesen Alltag zu meistern, und das gelingt nur, wenn wir uns von gleich zu gleich zueinander verhalten.

Neues Zusammenleben

Es darf auch nicht vergessen werden, dass diese neue Multikulturalität sich nicht von selbst und einfach so entwickelt hat, sie ist aus wirtschaftlichen Gründen bewusst erzeugt worden, indem man Arbeitskräfte, die man dringend zu brauchen glaubte, anwarb. Sie ist aber auch durch Krieg und Verfolgung zustandegekommen, an denen die Versorgung unserer schönen neuen Welt mit den nötigen Rohstoffen nicht unbeteiligt war.

Diese neue Multikulturalität ist nicht wie die alte im k. u. k. Österreich eine gewachsene, sondern eine innerhalb von ein paar Jahrzehnten durch Migration zustandegebrachte. Das bedeutet letztlich, dass wir noch Anfänger sind im Miteinander-leben. Umso mehr wäre darauf zu achten, die alten Mechanismen des Einander-verächtlich-Machens nicht wieder zum Vorschein kommen zu lassen, die für den Fall von ausbrechenden Konflikten das ganze Repertoire an Vorurteilen und Klischees bereithalten.

In mancher Hinsicht ist unser aller Rassismus, von dem auch die Zuwanderer nicht frei sind, raffinierter geworden, komplexer in seinen Zuordnungen, und er bezieht sich nicht mehr nur auf die ethnischen Merkmale, sondern viel mehr auf ein Konglomerat aus Herkunft, religiöser Prägung und gesellschaftlichem Status, das wir in ruhigen Zeiten zu tolerieren imstande sind, im Konfliktfall aber argumentieren wir sogleich wieder pauschal und führen alles, was uns an den "anderen" beunruhigt, darauf zurück, dass die eben so sind. Das ist der Punkt. Wenn die eben so sind, dann ist das genauso unveränderbar, wie die berüchtigten Rassemerkmale.

Was nun zwischen der Türkei und Österreich, den Türken und den Österreichern abläuft, hat benennbare politische Gründe und Hintergründe, hat recherchierbare Voraussetzungen und vermut- und berechenbare Folgen. Besprechen wir sie, streiten wir darüber, es muss nicht immer in Schönbrunner-Deutsch sein, vielleicht können wir über einige davon sogar lachen, wenn nicht jetzt, so in ein paar Jahren.

Neugierig auf Zuwanderer?

Aber hüten wir uns vor bewusster und zielgerichteter Diskriminierung, wie zum Beispiel der Drohung, Kinder, die in der Schule durchfallen, nicht einzubürgern. Auch unsere Kinder fallen durch. Warum erleichtern wir diesen Kindern nicht den Sprach- und Wissenserwerb durch obligatorische Kindergarten- oder Vorschuljahre? Mit parallelem Deutsch- und muttersprachlichem Unterricht?

Natürlich muss man sich fragen, wieviel an Integrationsbereitschaft von Zuwanderern verlangt werden kann und soll, schließlich gibt es auch so etwas wie eine Bringschuld derer, die hier leben und arbeiten wollen. Aber vielleicht fragen wir uns auch selber, wie groß unser Interesse an dem, was die Zuwanderer an Kultur und Lebensart mitbringen, sein könnte und sollte. Doch nach Möglichkeit nicht so, wie eine von mir ansonsten geschätzte Journalistin es in einer Glosse im Standard mit dem Titel "Die Türkei lesen" getan hat. Hat sie es doch tatsächlich geschafft, das wunderbare Buch "Schnee" von Orhan Pamuk gegen einen möglichen Beitritt der Türkei zur eu auszuspielen, indem sie die kunstvolle und zugleich sehr realistische Auseinandersetzung eines Autors mit seinem Land zu einem "so sind die eben" geschrumpft hat.

Wenn die anderen Europäer mit der Literatur von Bernhard, Jelinek, Roth usw., alles Autoren, die sich ebenfalls in aller Schärfe mit ihrem Land auseinander gesetzt haben, ähnliches insinuiert hätten, wäre Österreich heute noch nicht in der eu.

Erklären wir auch nicht, wie der Grazer Bürgermeister, den Türken in der Türkei, dass wir zwar nichts gegen sie persönlich hätten, sie aber nicht in unseren Wohnzimmern sitzen haben wollten, als könnte man je anders als persönlich in einem Wohnzimmer sitzen.

Namen aussprechen lernen

Das alles ist kontraproduktiv. Helfen wir lieber den Zugewanderten, aber auch denen, die in ihren Ländern geblieben sind, sich und uns vor Terroristen zu schützen, indem wir jene unterstützen, die an einer gemeinsamen Zukunft interessiert sind, sich demokratische Verhältnisse wünschen und die Korruption dort wie hier bekämpfen wollen. Davon gibt es gar nicht so wenige. Machen wir sie sichtbar, lassen wir sie mitreden, mitarbeiten und mitbestimmen, mit der Betonung auf mit. Und behalten wir Bezeichnungen wie Kameltreiber, Tschuschen und Moslems den Witzen vor, dort sind sie entsprechend aufgehoben. Stattdessen könnten wir Aysel, Mansur, Alev, Riza, Fatma, Ibrahim, Celal, Muhittin usw. sagen. Es wird Zeit, dass wir lernen, ihre Namen richtig auszusprechen.

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