Globus Koordinaten - © Foto: Pixabay

Links oder rechts: Haben sich die Koordinaten verschoben?

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Die „Mitte“ reklamieren viele für sich. Doch wo ist sie zu finden? Und: Haben sich die Wahrnehmungen dessen, was als „links“ oder „rechts“ gilt, im öffentlichen Diskurs verändert? Eine Mail-Kontroverse zwischen dem ehemaligen FURCHE-Chefredakteur Rudolf Mitlöhner und der Pastoraltheologin Regina Polak.

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Die „Mitte“ reklamieren viele für sich. Doch wo ist sie zu finden? Und: Haben sich die Wahrnehmungen dessen, was als „links“ oder „rechts“ gilt, im öffentlichen Diskurs verändert? Eine Mail-Kontroverse zwischen dem ehemaligen FURCHE-Chefredakteur Rudolf Mitlöhner und der Pastoraltheologin Regina Polak.

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Rudolf Mitlöhner: Ja, die Koordinaten haben sich einigermaßen verschoben. Was einst als bürgerliche Mitte galt, sieht sich heute unter Rechtsverdacht gestellt. Während die Linke nicht unerfolgreich versucht hat, den Platz der bürgerlichen Mitte zu usurpieren. Das könnte man nun auf einzelne Themen herunterbrechen – besonders augenfällig wird es bei der Debatte über „Hass (im Netz)“, „Hetze“, „Fake News“ & Co.

Regina Polak: Ja, auch die österreichische Wertestudie 2017 belegt im Vergleichszeitraum von 30 Jahren eine Verschiebung im Verhältnis zwischen „Links“ und „Rechts“. Allerdings bestätigt der empirische Befund nicht Ihre machttheoretische Deutung, sondern zeigt eine deutliche Polarisierung von linken und rechten Parteisympathisanten. Der Abstand zwischen beiden ist deutlich größer geworden. Und die ÖVP- Sympathisanten sind seit 1990 im Selbstverständnis sogar nach links gerutscht. Überdies vertritt eine Mehrheit der Österreicher rechte Einstellungen, was sich ja auch im Wahlverhalten und der Mehrheit der ÖVP spiegelt. Worauf beruht Ihre Deutung?

Regina Polak und Rudolf Mitlöhner im Video

Auf geschichten.furche.at finden Sie diese Debatte multimedial aufbereitet!

Mitlöhner: In Österreich hat es immer – mit Ausnahme der Jahre 1971 bis 1983 – rechte Mehrheiten gegeben, die nur aus unterschiedlichen Gründen politisch meistens nicht realisiert wurden. Dass die ÖVP-Sympathisanten nach links gerutscht seien, kann ich mir nicht wirklich vorstellen, ist doch den Wahlerfolgen der ÖVP seit den 1990er Jahren zweimal ein „Rechtsruck“ vorausgegangen – zuerst unter Schüssel, dann unter Kurz. Im krassen Gegensatz zu dieser strukturellen, ich nenne sie jetzt einmal liberal-konservativen Mehrheit steht jedoch ein link(sliberal)er Mainstream des öffentlichen Diskurses.

Woran ich das festmache? Gleich einmal an der von Ihnen genannten Polarisierung: Diejenigen, die sie beklagen und zu ihrer Überwindung auffordern, meinen meistens nämlich nichts anderes, als dass die hoffnungslos Reaktionären doch bitte endlich aus ihren Löchern hervor- kommen und sich dem hell-aufgeklärten Licht des Zeitgeists stellen mögen. (Okay, das war jetzt ein bisschen polemisch, aber die Chefredakteurin hat ja gesagt, es soll nicht fad sein…)

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Polak: Angriffe statt Argumente: Das ist Polarisierung. Aber die Zeiten haben sich tatsächlich geändert, nicht nur der Geist. Man weiß heute, dass Ablehnung soziokultureller Vielfalt, Autoritarismus und soziale Dominanzvorstellungen ein soziales Gefüge beschädigen. Einstellungen, die bei „rechten“, älteren und ruralen Personen empirisch häufiger anzutreffen sind. Als unübersehbar wurde, dass Österreich eine Migrationsgesellschaft ist, wurden sie von der FPÖ aktiviert, dann von der ÖVP übernommen – verkauft als „Mitte“, daher als Linksruck erlebt.

Faktisch war der Rechtsruck die Folge, geschuldet einer migrationsfeindlichen Politik. Ist das Jammern über den linken Mainstream Ausdruck des Rückzugsgefechts eines Milieus, das seinen Hegemonieverlust in einer pluralen Gesellschaft nicht erträgt?

Ist das Jammern über den linken Mainstream Ausdruck des Rückzugsgefechts eines Milieus, das seinen Hegemonieverlust in einer pluralen Gesellschaft nicht erträgt?

Regina Polak
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Regina Polak

Regina Polak ist Vorständin des Instituts für Praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien sowie Gastkommentatorin der FURCHE.

Regina Polak ist Vorständin des Instituts für Praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien sowie Gastkommentatorin der FURCHE.

Mitlöhner: Angriffe statt Argumente finde ich auch ganz schlecht. Ich habe nur den Verdacht, dass Argumente, die von „rechts“ kommen, sehr schnell als „Angriffe“ abqualifiziert werden, während umgekehrt Invektiven der Linken als Ausweis kritischen Denkens gelten. Anders gesagt: Die Begründungspflicht ist zur Rechten deutlich höher, die Maßstäbe, welche an die Argumentation angelegt werden, sind hier um einiges strenger.

Um es an einem simplen Beispiel zu verdeutlichen: Wenn einer sagt, die Armen werden immer ärmer, die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf, hat er kaum Erklärungsbedarf und wird als kritischer Geist beklatscht. Wer dagegenhalten will, muss schon ziemlich sattelfest sein, um in der öffentlichen Diskurs- oder besser Empörungsarena halbwegs bestehen zu können. Das gilt natürlich gleichermaßen für das von Ihnen angesprochene Migrationsthema wie für alle anderen kontrovers diskutierten Zeitfragen. Auf den Hegemonieverlust komme ich dann später gerne noch zu sprechen.

Polak: Naja, Sattelfestigkeit beim Argumentieren schadet ja nicht. Im Ernst: Den Empörungshabitus halte auch ich schlecht aus. Aber dem moralischen Zeigefinger entspricht auf der anderen Seite das Ressentiment. Und die kulturellen Höherwertigkeitsvorstellungen, die Migranten im Rekurs auf „unsere christlichen Werte“ entgegenschallen, sind ja auch nicht ganz frei von Empörung, oder? Vor allem: Beklatscht werden für den Einsatz gegen Armut mag wohltuend sein, aber angesichts einer rechten Mehrheit hat das dann ja kaum politische Konsequenzen, vor allem in internationaler Hinsicht, zum Beispiel im Kampf gegen Fluchtursachen.

Dabei stimmen gerade mit Blick auf die Armutsfrage beide Positionen. Vor Corona war der Kampf gegen die weltweite Armut durchaus erfolgreich, ein globaler Mittelstand ist entstanden. Aber zugleich wächst auch die Gruppe der Verlierer. Über diese Paradoxien und die damit verbundenen Verteilungsfragen sollten wir viel mehr nachdenken – auch das hängt mit dem Kampf um Hegemonie zusammen.

Regina Polak und Rudolf Mitlöhner im FURCHE Podcast

Mitlöhner: Der moralische Zeigefinger als das Ressentiment der Linken – das gefällt mir eigentlich ganz gut! Von kulturellen Höherwertigkeitsvorstellungen ist keine Rede, ich glaube nur, dass Europa keine Zukunft haben kann und wird, wenn es sich nicht auf das besinnt, wodurch es wurde, was es ist: ohne falsches Pathos, ohne nostalgische Verklärung, im Bewusstsein aller Brüche – aber eben doch stolz und selbstbewusst. Und dazu gehört auch ein Bekenntnis zur kultur-christlichen Prägung unserer Geschichte (ich weiß, dass für Ihresgleichen „kulturchristlich“ ganz pfui ist…).

Ich freue mich, dass Sie einräumen, dass durch wirtschaftliche Dynamik ein globaler Mittelstand entstanden ist. Die Relativierung, es sei dabei auch die Gruppe der Verlierer gewachsen, geht indes meines Erachtens ins Leere. Es gibt keine positive Entwicklung ohne Verlierer. Hätte es keine Verlierer gegeben bzw. geben dürfen, wäre auch kein globaler Mittelstand entstanden. Wenn es keine Verlierer geben darf, verlieren letztlich immer alle. Deswegen funktioniert der Sozialismus nicht.

Ich habe nur den Verdacht, dass Argumente, die von „rechts“ kommen, sehr schnell als „Angriffe“ abqualifiziert werden, während umgekehrt Invektiven der Linken als Ausweis kritischen Denkens gelten.

Rudolf Mitlöhner
Mitlöhner  - © Foto Mittlöhner: KURIER/Gerhard Deutsch

Rudolf Mitlöhner

Rudolf Mitlöhner war von 2001 bis 2008 sowie von 2013 bis 2019 Chefredakteur der FURCHE. Seit September 2019 ist er stellvertretender Innenpolitik-Leiter des Kurier.

Rudolf Mitlöhner war von 2001 bis 2008 sowie von 2013 bis 2019 Chefredakteur der FURCHE. Seit September 2019 ist er stellvertretender Innenpolitik-Leiter des Kurier.

Polak: Natürlich gehören die wertvollen Beiträge der christlichen Kirchen zur Zukunft Europas. Was also soll das despektierliche „Ihresgleichen“? Ich denke nicht im Kollektiv. „Bekenntnisse“ gehören in die Glaubenssphäre – und ich glaube an Gott, nicht an die Geschichte. Diese versuche ich, differenziert zu beurteilen, nicht mit „Stolz“. Ich bin dankbar über das positive Erbe, und verpflichtet, aus dem negativen zu lernen. So verdankt sich Europa auch der selbstkritischen Auseinandersetzung mit dem Zivilisationsabgrund zweier Weltkriege und der Schoa.

Dem Kulturchristentum bin ich durchaus gewogen: Religion gibt es nur inkulturiert, und die Möglichkeit zu verschiedenen Intensitäten der Zugehörigkeit halte ich für menschen- und freiheitsliebend. Wenn eine kulturchristliche Identität allerdings – empirisch belegbar – dazu dient, andere Kulturen oder Religionen pauschal abzuwerten, ist die Grenze des „Christlichen“ überschritten. Jede sich christlich nennende Kultur ist verpflichtet, sich aus dem Geist des Evangeliums zu läutern.

Ihre „Gewinner-Verlierer“-Theorie schließt indes vom Sein aufs Sollen und ist eine zynische Ideologie der Sieger, die auf einem agonalen Weltbild beruht (das auch der Marxismus teilt). Sie legitimiert die Neigung zu Rivalität und Ausschluss und behauptet eine Art „Naturgesetz“. Mit einer christlichen Sicht auf die Geschichte ist das inkompatibel. Eine solche ringt darum, diese Neigung durch Recht und Gerechtigkeit – nicht zuletzt für die Verlierer – zu zähmen. Besteht die Koordinatenverschiebung vielleicht darin, dass jene Stimmen Oberhand gewinnen, die keine Lust mehr haben, sich differenziert mit Leid und Selbstkritik zu konfrontieren und ungestört von Verlierern ihren „Sieg“ auskosten wollen?

Mitlöhner: Fein, diesmal machen Sie mir’s leicht: Gut der ersten Hälfte Ihres Statements kann ich cum grano salis zustimmen – das ist nicht nichts, zumal in Zeiten wie diesen, wie die Chefredakteurin sagen würde. Das „Ihresgleichen“ war nicht despektierlich gemeint – aber wie hätte ich sonst zum Ausdruck bringen sollen, dass ich Leute meine, von denen ich annehme, dass sie in vielerlei Hinsicht ähnlich „ticken“ wie Sie? Ich denke auch nicht in Kollektiven, aber wir können auch nicht nur von Individuen, Einzelfällen etc. sprechen – denn dann führt sich jedwede Kommunikation ad absurdum.

Auch diesbezüglich habe ich übrigens den Verdacht, dass unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden, je nachdem, ob Kritik an etwas als politisch korrekt gilt oder nicht. Falls nicht, dann heißt es, man dürfe doch nicht verallgemeinern, müsse differenzieren, genau hinsehen. „Den Islam“ etwa – nur ein Beispiel, wir wollen hier keine Islamdebatte führen – gibt es demnach natürlich nicht. Das stimmt freilich – und stimmt auch wieder nicht. Genauso wie es „den Sozialismus“, „den Buddhismus“, „den Baum“ oder „das Haus“ nicht gibt. Das sind immer Abstraktionen – allerdings notwendige (s. o. „denn dann führt sich …“).

Geht es indes darum, vor den Feinden des Guten und des Fortschritts zu warnen (also vor meinesgleichen ), merke ich meistens recht wenig Skrupel, diese als Kollektiv („Rechte“, „Erzkatholische/-konservative“ und dergleichen mehr) zu benennen. Und da bin dann auch ich wieder bei der Koordinatenverschiebung – nein, von „Sieg“ kann da keine Rede sein …

"Das ist eine Vorurteilsstruktur!"

Polak: Aber Sie wissen doch gar nicht, wie ich „ticke“, oder? Dazu müssen Sie mich als einzigartige Person verstehen lernen wollen. Umgekehrt kann auch ich aufgrund Ihrer öffentlichen Äußerungen zwar ahnen, aber nicht wissen, wie Sie im Detail „ticken“. Um das herauszufinden, braucht es Gespräch und Respekt. Letzteren erkennt man an Stil und Sprache. Und die verrohen im öffentlichen Raum zusehends. Sie aber haben aufgrund meiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe auf mein Denken geschlossen – und das ist eine Vorurteilstruktur.

Nun wissen wir seit Gadamer, dass wir ohne Vor-Urteile nicht leben und kommunizieren können. Wir brauchen zur Orientierung, wie Sie richtig sagen, allgemeine Überbegriffe. Aber diese müssen in einer konkreten Situation immer wieder geprüft werden. Ja, mühsam, aber sonst werden Vor-Urteile zu Waffen der Abwertung und Selbstbestätigung. Diesbezüglich sehe ich zwischen links und rechts wenig Unterschied.

Ihr Verdacht des Ungleichgewichts irritiert mich, zumal rechte Positionen derzeit ohnedies mehrheitsfähiger sind. Ich wünsche mir, dass wir unsere Dispute nicht wie im Dschungel oder Krieg im Modus von Sieg und Niederlage führen, sondern gemeinsam um das je beste Argument ringen. Und dabei, wie die Jesuiten sagen, „das Argument des Feindes“ zu retten versuchen, das heißt versuchen, die Perspektive des anderen zu verstehen, ohne diese teilen zu müssen. Und dann nicht mit Zugehörigkeits- und Identitätsschablonen, sondern mit Argumenten um Zustimmung werben. Ganz altmodisch.

Mitlöhner: Mein Gott, ja – was soll ich sagen? Ein bissl ist das für mich Haarspalterei, andererseits sagen Sie ja selber „Nun wissen wir seit Gadamer …“ – eben. Also alles in allem finde ich in Ihren Zeilen wenig Anlass zum Widerspruch. Den „Modus von Sieg und Niederlage“ habe allerdings nicht ich eingebracht, sondern Sie hatten zuvor von Leuten gesprochen, die „ungestört von Verlierern ihren ‚Sieg‘ auskosten wollen“. Aber auch das ist nicht so wichtig.

Wir müssen zum Punkt kommen (für dieses Mal zumindest ) – und da bin ich Ihnen noch eine Antwort zur Frage des Hegemonieverlusts schuldig, die mir Gelegenheit gibt, einen abschließenden Bogen zum Anfang dieses Gesprächs zu schlagen: Natürlich markiert „1968“ einen Kulturbruch, den man auch als Hegemonieverlust der Konservativen verstehen kann. Aber in vielem ist das Pendel längst wieder zurückgeschlagen, konservative Werte haben eine Renaissance erlebt; vom Bereich der Ökonomie gar nicht zu reden, wo die Linke überhaupt krachend gescheitert ist.

Man könnte also durchaus von einem Verlust linker Deutungshoheit, beginnend mit Mitte der achtziger Jahre, sprechen. Den versucht die Linke im Verbund mit befreundeten Medien (also den meisten Medien – öffentlich-rechtliche Sender, jedenfalls in A und D, an der Spitze) zu kaschieren, indem sie für sich die Position der Mitte reklamiert, womit automatisch die eigentliche bürgerliche Mitte ins rechte Eck abgedrängt wird. Der öffentliche Diskurs spiegelt das wider, liegt damit aber einigermaßen weit entfernt von tatsächlichen Stimmungslagen – was nicht zuletzt zu einer existenzgefährdenden Vertrauenskrise für klassische Medien geführt hat.

Polak: Mutige Theorie, fast schon verschwörungstheoretisch. Historiker beschreiben das etwas anders. 1968 war eine Auseinandersetzung mit Faschismus und Nationalsozialismus. Neben einzelnen gewalttätigen Ausschreitungen sind in der kritischen Auseinandersetzung mit den Anliegen dieser Generation aber vor allem die europäischen Werte entstanden, auf die wir so stolz sind: u. a. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte, insbesondere von Minderheiten. 1989 ist nicht die Linke, sondern der Kommunismus gescheitert. Danach kam es zum Triumphzug eines globalisierten Kapitalismus, dessen v. a. ökologische Schäden auch diesen heute in die Krise bringen.

Die neoliberale „Mont Pèlerin Society“ hatte ihre Ideologie vom freien Markt, dem die Staaten zu dienen haben, strategisch erfolgreich, v. a. unter den Konservativen, verbreitet (zuerst Reagan, Thatcher). Das hat tatsächlich zu enormen Werteverschiebungen geführt, allem voran zum Primat ökonomischer über soziale, kulturelle und politische Werte. Auch die europäische Linke ist hier mit ihrem „Dritten Weg“ aufgesprungen und hat anstelle forcierten Einsatzes für Verteilungsgerechtigkeit mit Blick auf ein neu entstehendes Prekariat auf Identitätspolitik und Meritokratie gesetzt. Es kam zum Aufstieg des Rechtspopulismus, der die dabei „Vergessenen“ zu bedienen behauptet, und zur Übernahme von dessen „Werten“ von konservativer Seite. So hat sich die „Mitte“, die es als solche nie gibt, verschoben. Was jetzt für Sie vielleicht wieder „Haarspalterei“ ist, nenne ich Differenzierung und Präzision in der Begrifflichkeit. Auf der Strecke blieben konservative und linke Werte.

Sollte es tatsächlich zu einer Renaissance konservativer Werte kommen, freue ich mich sehr: Skepsis gegenüber großen politischen Versprechen und Vereinheitlichungstendenzen, Geduld gegenüber gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, Anstand und Großzügigkeit im Umgang mit anderen, die Wertschätzung von Recht, das Wissen um die Notwendigkeiten von Eliten im Dienst der Gesellschaft, Mut zur Distanz und der bedachtsame Umgang mit dem politischen Klima. Das wäre doch etwas für uns beide, Herr Mitlöhner, oder?

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