Küchentisch - © Foto: Pixabay

Elfriede Jelinek: Faible fürs Alltägliche

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Ein Porträt der Schriftstellerin Elfriede Jelinek, geschrieben von Karlheinz Roschitz.

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Vor kurzem erschien bei Rowohlt Elfriede Jelineks aufsehenerregender Roman „Wir sind Lockvögel, Baby“. Er ist ein Plädoyer für die Trivialliteratur geworden, für das literarische Moment im Comic-Text, für die künstlerische Gestaltung „unliterarischen“ Materials, das zu formen die junge Autorin seit Jahren fasziniert. Schon seit ihrem ersten, noch nicht veröffentlichten Hörroman „Bukolit“, den sie mit neunzehn schrieb und als „Nachfolgearbeit der Wiener Gruppe, als Versuch eines „Schundromans“ mit aller typischen Phrasendrescherei und Mordsschweinigelei“ charakterisiert.

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Immerhin bewerben sich bereits mehrere prominente Verlage um diesen Text, den man gemeinsam mit Illustrationen von Robert Zeppel-Sperl herausbringen will. Und für den Melzer-Verlag hat sie eben einen Essay über Trivialmythen geschrieben, der gemeinsam mit Studien von Brinkmann, Chotjewitz und anderen Avantgardeautoren demnächst erscheint. Entdeckt wurde Elfriede Jelinek vom bekannten Wiener Publizisten, Kunstbuchautor und Kritiker, Dr. Otto Breicha, der 1968 der „Anfängerin in Sachen Literatur“ erste Gedichte für seine „Protokolle“ abnahm. 1969 erhielt sie die Preise für Lyrik und Prosa (und zwar für ihre Einreichung des Romans „Wir sind Lockvögel, Baby“) bei den Jugendkulturwochen in Innsbruck. Seither ist sie sozusagen „im Geschäft“. Was sie freilich ein wenig irritiert. Um aber auf Grund der ersten Arbeiten nicht gleich „in einer Richtung abgestempelt zu werden, gibt’s nur einen Weg: keine Jelinek-Masche zu kreieren...“

Geboren wurde „die Jelinek“, wie sie in Wiens Avantgardecafés längst genannt wird, am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag. In Wien studierte sie Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. 1971 steht ihr die Reifeprüfung in den Fächern Orgel und Klavier an der Musikakademie bevor. Das hat alles ein wenig seinen Niederschlag in ihren Arbeiten gefunden. Musikalische Prinzipien, im Formalen wir im Klanglichen, lassen sich nachweisen, sie schwört geradezu auf „eine zeitgemäße Musikalität der Sprache“. In ihren Texten verwendet sie durchwegs – Kleinschreibungen: „Nicht etwa aus modischen Gründen... Ich will damit nur die Gleichberechtigung aller Wörter ausdrücken; außerdem versuche ich immer wieder syntaktische Probleme neu zu gestalten, neue Beziehungen aufzudecken. Das setzt gleichwertige Wörter voraus. Schließlich sollte man die Sprache entmythologisieren...“

Elfriede Jelinek - © Foto: G. Huengsberg

Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek lebt in Wien und München. Im Jahr 2004 erhielt sie den Literaturnobelpreis für „den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen“.

Elfriede Jelinek lebt in Wien und München. Im Jahr 2004 erhielt sie den Literaturnobelpreis für „den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen“.

Konventionelle Handlungsabläufe werden nicht durchgehalten, weil freies, sinnvolles Handeln mir nicht mehr möglich scheint. Wir sind zu sehr von Störfaktoren abhängig.

Elfriede Jelinek

Sujet und Technik des Schreibens hängen für sie untrennbar zusammen. Am liebsten experimentiert sie mit „unliterarischen Texten“, die sie teils nach kritischen Gesichtspunkten auswählt und formt, teils als Störfaktoren ungeformt einblendet. Ziel: „Eine Montage, die den Charakter der Trivialliteratur verständlich macht.“ Sprachlich bedeutet dies ein Aufeinanderprallen von verschiedenen Ebenen und Strukturen, die dennoch zusammenhängen, von Individualsprache und Parolensprache.

Im Roman „Wir sind alle Lockvögel, Baby“ werden diese zwei Ebenen immer wieder einander gegenübergestellt, miteinander verknüpft. Leitmotivische Ansätze garantieren sprachliche Materialzusammenhänge, das Gesamtbild wirkt kaleidoskopisch aufgelockert, erscheint formal offen, wiewohl das Material eigentlich in immer neuen Mutationsformen auftritt.

„Konventionelle Handlungsabläufe werden nicht durchgehalten, weil freies, sinnvolles Handeln mir nicht mehr möglich scheint. Wir sind zu sehr von Störfaktoren abhängig. Das System menschlicher Beeinflussung ist streng geschlossen, wir haben viel zuwenig freie Entscheidungen offen. Charakterisierungen einer Person weiche ich daher grundsätzlich aus. Es sind moderne Gummiwesen.“ Ähnliche Ideen hat Elfriede Jelinek übrigens auch in ihrem Aktionsstück „Aramis und Elfriede: Rotwäsche“ vertreten, das in einem Stuttgarter Underground-Keller uraufgeführt werden soll: „Eine aggressive, blutige Szene, mit Stacheldrahtverhau rund um die Bühne und Saalgarde mit Stahlhelmen. Thema: die Unfreiheit des Handelns.“

Tragendes Bild in Jelineks Arbeiten ist immer wieder „die Gesellschaft von Comic-Glückspilzen... Gerade diese gesellschaftlichen Führungsstrukturen möchte ich aufdecken, die dem Leser illusionistisches Glück vermitteln, ohne daß er gegen sie aufkommt.“ Die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz, nach dem „Für wen schreiben“, liegt da natürlich nahe. „Für Konsumenten der Trivialliteratur sind meine Versuche nicht brauchbar. Es ist das traurige Kapitel, daß alle Versuche dieser Art auf den elitären Kreis der Literaturkenner und -konsumenten, der Intellektuellen, Künstler, Studenten, beschränkt bleiben, kurz: auf all die, die genügend Sensibilität für Zusammenhänge und Strukturen mitbringen.“

Auch die Frage nach „einem revolutionären Auftrag der Literatur“ hat die Jelinek immer wieder beschäftigt (übrigens nicht von ungefähr: ihr Großvater war mit Adler und Bauer engst befreundet). Doch: „Literatur kann nur wenig verändern“, ist ihr Standpunkt. „Lediglich Flugblätter können beeinflussen.“ Also druckt sie auch Flugblätter, „um Diskussionen anzuzünden. Es wird ja in Österreich viel zuwenig diskutiert. Deshalb habe ich zum Beispiel meine Literaturlesung in der 'Arena 70' im Museum des 20. Jahrhunderts in ein Gespräch mit dem Publikum umzufunktionieren versucht. Nur so kann man Standpunkte verständlich machen... Etwa dem Arbeiter begreiflich machen, daß Kunst kein Feind ist.“

Vorerst gibt sie übrigens die Beschäftigung mit der Trivialliteratur auf. Zusammenhänge zwischen Literatur und dem literarischen Produktionsprozeß interessieren sie mehr. Mit dem Fernsehen steht sie in Verhandlungen wegen eines Films und ein Hörspielauftrag liegt schon seit einiger Zeit in der Lade und wartet auf die Fertigstellung. Und außerdem: „Man darf die Trivialliteratur nicht ununterbrochen ausschlachten. Das verliert an Reiz. Und führt bestenfalls in die Routine.“

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