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Nach welchen Kriterien kann Kunst beurteilt werden? Wie wirkt die Kritik auf Publikum und Künstler? Persönliche Stellungnahmen unserer ständigen Kritiker geben Auskunft.

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Nach welchen Kriterien kann Kunst beurteilt werden? Wie wirkt die Kritik auf Publikum und Künstler? Persönliche Stellungnahmen unserer ständigen Kritiker geben Auskunft.

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Hellmut Butterweck:

Ort der Ahnungen

Meine Kriterien (laut Lexikon: Merkmale, Kennzeichen) als Kritiker sind dieselben, an denen ich mich als zoon politikon im Leben, in der Welt, orientiere. Theater ist für mich ein Ort, wo sich Ahnungen in Handlungen verdichten, wo dem weiten Land dessen, wovon man noch nicht sprechen und nicht mehr schweigen will, Terrain abgewonnen wird, wo es möglich sein sollte, Mechanismen der kollektiven Verdrängung, der Selbstzensur, zu unterlaufen, kurz: wo etwas zu erfahren ist.

Ich bin froh, wenn mich Theater begeistert oder empört. Empörung und Begeisterung bedeuten klare Verhältnisse. Meine Begeisterung und Empörung hat immer mit Menschlichkeit und Unmenschlichkeit, Wahrheit bzw. Ehrlichkeit und Lüge zu tun.

Man kann das Inhaltliche nie vom Ästhetischen trennen, doch gibt es für mich keine „reine", unpolitische Ästhetik. Darum mißtraue ich der Instanz namens Geschmack. Nur schön ist zu wenig, ist gar nichts. Ich suche zu verstehen, in welche Richtung ein noch so kleiner Impuls wirkt.

Ein paar Leute fühlen sich bestätigt, ein paar provoziert, man-1 che lassen mich wissen, daß sie meine Ansichten teilen. Da ich nicht einmal die Wirkung jener Dichter überprüfen kann, die ich am meisten schätze - und ich schätze vor allem solche, die etwas verändern woll(t)en —, kann ich die Wirkung des Kritikers, gar die eigene, kaum erahnen. Sie ist ja auch nur im Kontext unseres ganzen „geistigen Lebens", des großen Geschehens, wirklich interessant und erwähnenswert:

eine Stimme die gehört werden will, „von der großen Menschheit ein Stück".

Gabriele Kala:

Bekenntnis zur Spontaneität

Die Sprache des Kunstkritikers leitet sich sehr oft von Tendenzen der bildenden Kunst ab; so kann er zum Romantiker, zum Symbolisten, Surrealisten, zum Vertreter der Neuen Sachlichkeit, zum lyrischen Realisten, zum zartfühlenden Impressionisten, zum Expressionisten, zum barocken Schwelger und Fabulierer oder auch zum ganz spontanen Tachi-sten werden.

Gut tut der Kritiker immer daran, wenn er die Beschreibung des Kunstwerkes so exakt wie möglich abfaßt, denn in ihr liegt bereits Aussage und oft auch Urteil.

Die einzige, mir möglich erscheinende Art der Beurteilung dürfte wohl die subjektive sein. Vorausgesetzt, der Betrachter kann das neue Bild durch einen Speicher von Fachwissen wie durch seine private riesige Sammlung und die Kenntnis historischer Vorläufer und Verflechtungen laufen lassen, so kann im glücklichen Fall doch ein weitgehend gültiges Urteil entstehen. Oscar Wilde stellt den Kritiker über den Künstler, müsse dieser doch über den Schöpfungsprozeß, in dem der Künstler ja ein Getriebener sei, hinauswachsen, um das Produkt deuten zu wissen.

Wichtiger als die Auslegung ist mit Bestimmtheit das Nahebringen, das Ans-Herz-Legen modernen Kunstwollens gegenüber einem möglichst breiten und vielschichtigen Publikum.

Enttäuschend ist die äußerst geringe Rückkoppelung vom Leser zum Schreiber; kommt es überhaupt zu einer solchen, dann nur von Seiten des direkt Betrof-

fenen, also des Künstlers, Galeristen oder Buchautors, wenn er sein Werk zu unrecht schlecht oder falsch beurteilt glaubt.

Die Enttäuschung liegt dann aber sicherlich sowohl beim Künstler wie auch beim Kritiker. Da möchte man es dann gerne mit Swan, Marcel Prousts Protagonisten halten, der seine Kennerschaft nur zum elitären Genuß nutzte.

Edwin Hartl:

Für den Leser

Nur für Leser: so nannte Friedrich Sieburg einen seiner besten Auswahlbände. In der Tat: Das Tun des Rezensenten geht vom Autor aus und richtet sich nur an den Leser, will ihn anregen nach-zu-denken, was der Kritiker über ein Buch dachte, überhaupt nachdenklich zu lesen und es — allenfalls — selber mit dem besprochenen Buch zu versuchen, wenn es einer guten Nachrede wert war.

Fachsimpeln mag ins Fachorgan passen, es paßt nicht in die Zeitung. Die Lektüre einer Kritik soll ein geistiges Vergnügen sein und einladen, sich auf das geistige Vergnügen des Bücherlesens einzulassen. Dazu gehört freilich der Hinweis auf die Schwierigkeit oder Leichtigkeit eines Werkes: Hineinlegen darf man das Publikum nicht; der Persilschein bleibt verpönt, wer Freunderlwirtschaft betrieb, hat abgewirtschaftet bei den Lesern.

Echo? Es besteht nicht aus zahlreichen Briefen (die ja meistens nur aus Empörung Zustandekommen), es ist quasi lautlos und kommt überraschend. Zum Beispiel vor Veranstaltungen; da spricht einen der oder jener an, der sich vom Kritiker angesprochen fühlte: „Sie sind doch der..." Das gilt auch für Autoren. Proteste sind Ausnahmen und immer ein Unglück. Kein anständiger Kritiker will verletzen; freilich sind Künstler verletzlich,

zum Glück jedoch selten wehleidig.

Sonderbar: Gerade rücksichtslose Schriftsteller, deren apodiktischer Richterspruch Gott und die Welt verdammt, verdammen strikt jeden kritischen Widerspruch. Ihnen ist nicht zu helfen; allerdings ist das weder Aufgabe noch Absicht des Literaturkritikers.

Karlheinz Roschitz:

Nicht um der Pointe willen

„Das ist der und der... Ein Musikkritiker!" Wie ein Reizwort hört sich das für mich manchmal an, wenn einander Konzert- oder Opernbesucher zuflüstern, daß sie einen „erkannt" haben und dann an des Kritikers Mienenspiel abzulesen versuchen, wie denn das geschriebene Urteil ausfallen könnte. Voll des Lobs, „fad" oder als saftiger Verriß?

Die einen versuchen mit verstohlenen Seitenblicken sich schon während d^er Veranstaltung zu ersten Mitwissern zu machen, andere kommen und fragen ungeniert, erwarten prompt ein erschöpfendes Urteil, eine bissige Sottise, eine brillante Pointe, die als Zündstoff von Pausengespräch zu Pausengespräch weitergereicht werden können. Und die dem Leser am nächsten Tag das überlegene Gefühl geben, ohnedies längst alles gewußt zu haben ...

Als Kritiker fühle ich mich in solchen Momenten als Zauberlehrling, der seinen Lesern etwas vorzaubern soll, dessen Ausgang er noch gar nicht kennt und entsprechend gern drücke ich mich um die Stehkonvente diskutierender Kunstfreunde herum, in denen die verschiedensten Urteile gleichsam im Diskussionsquirl aufbereitet werden. Denn ich finde, ein Kritiker sollte in seiner Meinung vor allem „redlich" sich,

und seiner Ästhetik treu sein -so redlich, all die Wenn und Aber, die Überlegungen, die für oder gegen die Leistung eines bestimmten Dirigenten, Instrumen-talisten, Sängers, Tänzers sprechen, genau abzuwägen.

Ich möchte nicht das schreckliche Wort „objektiv" gebrauchen — was ist schon objektiv, wenn man seine eigenen Gedanken, Eindrücke, Überlegungen und Erfahrungen formuliert! - aber ich möchte „redlich" sagen: redlich und angemessen gegenüber einer Künstlerpersönlichkeit und ihrer Eigenart, gegenüber einer Leistung, die in einem bestimmten kulturpolitischen und gesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen ist. Und es freut mich, wenn Leser mir diese Redlichkeit bestätigen.

Kritiker, die Leser zur Kunst hinführen, die aufmerksam machen, die auch für ein neues Kunstwerk ihre ganze Liebe in die Waagschale werfen, scheinen mir da allemal interessanter als die „Henker", die um eines brillanten Wortspiels und um einer tolldreisten Titelschlagzeile willen den Künstler zum Delinquenten an der Kunst abstempeln.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich gerade in der Musikkritik manches geändert. Als ich zu schreiben begann, schätzte man noch die gewaltigen kritischen 500-Zeüer. Sie werden heute immer seltener. Die kritische Kurzinformation — bündig, messerscharf extrem polarisiert — entspricht mehr dem „Auf einen Blick"-Informationsbedürfnis der Leser. Das scheint mir aber zu einem nicht unwesentlichen Problem des Kulturkritikers geworden zu sein, zwischen der Skylla des schöngeistigen Feuilletons von einst und der Charyb-dis bloßer Punktebewertung in Sachen Kunst, seilzutanzen.

Josef Schweikhardt:

Ringen um Objektivität

Was ich bin: Filmliebhaber, Filmkenner. Ins Kino gehen heißt daher immer eine Vermittlung zwischen der Rolle des Cinephi-len (in seiner Unmittelbarkeit) und des Cineasten (in seiner Distanz) anzustreben, heißt auch die Spannung zwischen Genuß und Kritik zu kultivieren.

Film ist bekanntlich nicht nur Kunst, zudem unterliegt auch er sehr persönlichen Geschmacksurteilen. Einen Film zu werten heißt für mich daher, zwischen dem persönlichen Erlebnis und dem objektiven Stellenwert des Streifens zu unterscheiden, ohne schizoid zu trennen.

Ich selbst bin kein Vertreter des Meinungsjournalismüs. Ich exhi-biere nicht meinen Subjektivismus. Ich bevorzuge die faire Beurteilung — und die heißt, den Film über die eigenen Geschmacksgrenzen hinweg einzuordnen.

Als oberste Tugend sehe ich „Information", die freilich persönlich eingefärbt sein mag. Populistische Gottesurteile sind nicht meine Sache. Stellungnahme heißt für mich auch nicht Zeigefingerpolitik, sondern Betonung einer Perspektive.

Leserbriefe oder Reaktionen auf Filmkritiken? Im Theaterland Österreich? Nie. Doch die Zahl der Filmfreunde steigt. Und die Filmpublizistik trachtet aus dem Getto der Kolumnen auszusteigen. Die neue Medienseite in der FURCHE setzt hier mit Themenschwerpunkten einen Akzent.

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