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Kritik über die Theaterkritik

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Am Schluß einer Rezension über „Robert der Teufel“ von Meyerbeer schreibt Franz Grillparzer: „Ich kenne keine Rücksicht auf Personen. Die Gunst der einzelnen und das Ganze ist mir gleichgültig, so wie das Wohl oder Übelwollen der ganzen Welt, wenn es sich um das Gute und Rechte handelt.“ In diesen Worten liegt der ethische Wert der Kritik und die moralische Einstellung des Kritikers zu seiner verantwortungsvollen Aufgabe.

Die „Kunstbetrachtung“, die das Propagandaministerium diktierte;- konnte nicht als Ersatz für Theaterkritik angesehen werden. Auf allen Gebieten des Lebens verlangte der Nationalsozialismus unbedingten Gehorsam, jede kritische Äußerung war verboten. Jahrelang mußte der Kritiker schweigen. Heute darf der Kritiker wieder seine Stimme erheben, Beifall und Mißfallen, Anregungen und Verbesserungsvorschläge zum Ausdruck bringen, ohne Gefahr zu laufen, von einem Gestapomann verhaftet zu werden. Nicht nur der Kritiker ist für diese wiedergewonnene Freiheit dankbar, auch der Künstler weiß ehrliche Kritik zu schätzen.

Gewiß birgt diese Freiheit der Kritik auch Gefahren in sich. Wir müssen auf fünf Fragen die rechte Antwort haben: Was heißt Theaterkritik, welches ist ihr Zweck, wie soll der Stil der Theaterkritik sein, wo sollen Theaterkritiken erscheinen und schließlich, wie muß die Persönlichkeit des TheaterkritikerS beschaffen sein?

Kritik — vom griechischen Wort K r i n e i n, „scheiden“ — ist Scheidekunst des Irrtums von der Wahrheit. Theaterkritik sonach Scheidekunst des Irrtums von der Wahrheit betreffend die Dramatisierung und die theatralische Darstellung. Dieses „und“ betont schon Lessing, denn er setzt die Zweiheit zur Notwendigkeit. Seine „Dramaturgie“, schreibt er, „sollte jeden Schritt begleiten, den die Kunst sowohl des. Dichters, als des Schauspielers, hier tun würde“.

Der Kreis, der an Theaterkritiken interessiert ist, ist sehr weit gespännt. Vom Zeitungsleser, der in seinem Blatt den Leitartikel genau so „studiert“ wie den Anzeigenteil, bis zum Künstler, der an dem dramatischen Kunstwerk beteiligt war, spannt sich der Bogen. Und diese Vielfalt von Lesern, den innerlich Unbeteiligten,1 der den Verlauf eines Theaterabends als Neuigkeit ansieht, den Kunstliebhaber, den Theaterfachmann, den Künstler soll die Theaterkritik gleich ansprechen. Daraus ergibt sich, daß der Zweck der Theaterkritik ein zweifacher ist: das breite Publikum will einen Bericht über den Inhalt des Stückes und über die Aufführung erhalten: welche Schauspieler haben gespielt, was hat besonderes Aufsehen oder Mißfallen erregt und wie hat sich das Theaterpublikum verhalten, gab es Beifall oder Skandal. Der Prozentsatz der Menschen, die sich ihr Urteil aus der Zeitung holen, ist groß. Ihre Meinung über dieses oder jenes Stück ist fertig, wenn sie die Kritik gelesen haben. War, die Kritik „gut“, dann werden sie sich das Stück vielleicht im Theater ansehen, -war sie „schlecht“ haben sie das Interesse an der Aufführung verloren.

Die Künstler: der Dichter, die Schauspieler und der Regisseur, wollen kritisiert sein. Ihnen liegt an der Anschauung des Kritikers über die Idee des Stückes, die Rollenauffassung, die Inszenierung. Für sie muß die Krhik Hinweise über Änderungsvorschläge, die Rollenerfassung oder Bemerkungen über seelische und körperliche Spielnuancen bringen, von denen sich der ebrliche Kritiker einen Wandel im Kunstwerk verspricht und mit denen er der Kunst überhaupt dienen will.

Die Gefahr liegt nahe, daß der Kritiker sich von dem schmeichlerischen Gefühl, zu einem großen Publikum zu sprechen, hinreißen läßt und sein Urteil im Ton eleganter, pikanter auch boshafter Plaudereien serviert, das zwar vom theaterfremden Leser mit behaglichem Schmunzeln aufgenommen wird, in Wahrheit aber, da es nur selbstgefälligen Motiven entsprungen ist, keine ernstzunehmende Anregung geben kann.

Der Kritiker ist gezwungen, ein Konglomerat von Neuigkeitsbericht und sachlicher Abhandlung zu bringen. Nur wenige, die . für literarisch hochwertige Zeitschriften schreiben, dürfen es sich leisten, ihr Urteil rein vom künstlerischen und ' kritischen Empfinden leiten zu lassen.

Uber den Stil der Theaterkritik hat Friedrich Schlegel einmal gesagt: „Über Dichtwerke ist es nur erlaubt zu dichten.“ Es wird freilich nur wenige Kritiker geben, die dichterisch, das heißt in “eigener Sprache, lyrisch geformtem Seelenausdruck, reden und dabei die klare Linie der „Seheidekunst des Irrtums von der Wahrheit“ einhalten können. Sollen also nur Dichter die Dichtwerke und ihre Versinnbildlichung kritisieren? Hat Grillparzer recht mit seinem Ausspruch: „Das kritische Talent ist ein Ausfluß des Hervorbringenden“? Lessing, Grillparzer, Kleist waren in ihrer Beurteilung schöpferische Geister, ihre Sprache von vollendetem Ausdruck, und man kann von ihnen als den „Klassikern der Theaterkritik“ sprechen. Doch haben ihre festen, persönlichen Lebensideen sich gelegentlich in leidenschaftlich-subiektiven Urteilen geäußert, die ein Einfühlen in die Ideenwelt der anderen vermissen lassen. Wenn wir vom Standpunkt der Stilfrage ausgehen, wäre es allerdings ideil, nur Dichter als Theaterkritiker zu Wort kommen zu lassen, um so mehr, ..als mehr Genie dazu gehört, ein mittelmäßiges Kunstwerk zu würdigen, als ein vortreffliches“ (Kleist) und der Welt ja so wenige vortreffliche Kunstwerke geschenkt werden. Wir müssen uns heute begnügen, wenn Ehrlichkeit und Durchschlagskraft der inneren Überzeugung, gepaart mit Sprachkunst und allgemein verständlichem Stil uns , in der Theaterkritik ansprechen. Um eines brillierenden Einfalls oder geistreichen Witzes willen darf der Eindruck des Urteils nicht getrübt und die Leistung des Künstlers nicht geschmälert werden. Zusammenfassend kann man wohl den Satz aus Schopenhauers „Über Schriftstellerei und Stil“ auch auf den Stil der Theaterkritik anwenden: „Die Wahrheit ist nackt am schönsten und der Eindruck, den sie macht, um so tiefer, als ihr Ausdruck einfacher war. Deshalb nun hat man, wie in der Baukunst vor der Uberladung mit Zieraten, in den redenden Künsten sich vor allem nicht notwendigen rhetorischen Schmuck, allen unnützen Amplifikationen und überhaupt vor allem Überfluß im Ausdruck zu hüten, also sich eines keuschen Stiles zu befleißigen.“

Welches ist der Ort, wo die Theaterkritik erscheinen soll? In . der Zeitung natürlich, werden die meisten antworten. Gewiß, es besteht die Notwendigkeit, in der Tagespresse neben die aktuellen Ereignisse die Beurteilung von Kunstwerken zu stellen. Kann aber eine wirkliche Kritik in der Hetze vom Theater zur Redaktion und einer geradezu wütenden Arbeitsschnelligkeit geboren werden? Das Uberraschende, das Kantige und oft nicht ganz Eindeutige, das neu Gesehenes und neu Gehörtes an sich haben, kann für die meisten Menschen nur durch Überlegung und zeitlichen Abstand beseitigt oder geklärt werden. So fände die Kritik eigentlich ihren richtigen Platz in der ernsten Kunstzeitschrift. Hier könnte der Kritiker seine Eindrucke in Ruhe abwägen, in Zusammenhang bringen und aufbauen. Und die Leserschaft — ein zweiter Vorteil — wäre gewählter und wählerischer als die Millionen Zeitungs-abonnenten. Es waren bis 1933 in Deutschland schon verschieden- Ansätze hiefür vorhanden. Auch jetzt sind verschiedene Zeitschriften sich ihrer wichtigen Kultur-a.ufgabe bewußt, indem sie hervorragende künstlerische Ereignisse ausführlicher besprechen und würdigen. Es scheint daß sie sich ihrer Verpflichtung, in der Forderung nach Sauberkeit unserer künstlerischen Produktion unerbittlich zu sein, mit dem nötigen Ernst hingeben.

Wie aber soll die Persönlichkeit des Theaterkritikers beschaffen sein? Das tiefe Eindringen in den Gegenstand ist nur einer starken Persönlichkeit möglich. Die Erkenntnisse des Kritikers, die sich in seinen Beurteilungen widerspiegeln, dürfen nicht durch oberflächliche Beobachtungen entstehen Und in sogenannten psychologischen Analysen und Beschreibungen zerf'attern. Die Forderung nach Wahrheit in der Kritik wird nur durch Auseinandersetzung der eigenen Ideenwelt mit der fremden — vorausgesetzt, daß der Wille zur Erkenntnis rein und die geistigen Fähigkeiten dazu vorhanden sind — erfüllt werden können. Nicht Empfindungen, die auf die Äußerlichkeiten eines Bühnenwerkes und seine Darsteller reagieren, dürfen den Kritiker leiten. Wie nahe liegt die Gefahr, daß persönlich-menschliche, allzu menschliche Eindrücke sein Urteil trüben und er über das Äußerliche und Zufällige nicht hinwegzusehen vermag. Das „Machen“ von Schauspielern durch übertrieben lobende Kritik ist ebenso zu verwerfen, wie das Abwürgen eines Künstlers, der dem Kritiker aus irgend welchen persönlichen Gründen oder politischer Gegensätzlichkeit unsympathisch ist. Wenn sein Blick in die Tiefe des geistigen Gehaltes gerichtet ist, er die Empfindungen des Darstellers mitempfindet und bemüht ist, das Wesen des Schauspielers zu erkennen, indem er seine Wirkungsmittel studiert, dann wird er nicht an der 'äußeren Gestalt hängen bleiben. Er muß das Wertvoll-Künstlerische im Darsteller oder Dramatiker fördern, weil hierin die Saar zum Wachstum liegt. Ganz besonders müssen die jungen Talente behütet und gehegt werden. Man kann sie manchmal nicht gleich vom Unraut unterscheiden, das viel üppiger sprießt und unerbittlich ausgerottet werden muß: Es ist eine heikle Aufgabe jedes Kritikers, aufblühende Begabungn zu beobachten und in die richtigen Bahnen zu lenken.

Im Augenblick macht sich noch ein fühlbarer Mangel an Kritikerpersönlichkeiten von Format bemerkbar, die die österreichische Tradition der feuilletonisti-schen Linie, verbunden mit kritischem Einfühlungsvermögen in die Probleme der Gegenwart und des zeitgenössischen Theaters weiter fortsetzen Auf jeden Fall müssen wir in unserm neuen Staat von dem Menschen, der sich dazu berufen fühlt und sich mit der verantwortungsvollen Aufgabe befaßt,

öffentlich Kritik zu üben, zwei Eigenschaften verlangen: Sachkenntnis, Lauterkeit und Unbestechlichkeit. Die Kritik muß streng sein, oft bis zur Unerbittlichkeit in dem Urteil über den Gehalt. Sie kann manchmal milde sein gegenüber der

äußeren Form, denn wir bedürfen heute nicht so sehr einer Steigerung der Form in der Kunst, als einer Vertiefung und einer Verlebendigung unseres geistigen Gutes, das wir aufs neue erwerben müssen, um es zu besitzen.

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