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Plaufus in Sepfima

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Jedermann weiß von der großartigen Hochblüte der Theaterkultur im Barockzeitalter, deren bedeutender Bestandteil das Schultheater der Jesuiten war. Die Patres der Gesellschaft Jesu kannten als kluge Schulmänner sehr wohl die pädagogische neben der propagandistischen Seite solcher Schüleraufführungen. So dienten diese Spiele in erster Linie der besseren Ausbildung der Zöglinge in der lateinischen Sprache, mit der auf solche Weise eine festliche Verherrlichung der Religion Hand in Hand ging. Die Wurzeln des abendländischen Schulspiels reichen jedoch noch weiter zurück. Mit dem Wiedererwachen der Antike kommen gegen Ende des 15. Jahrhunderts auch Rezitationen und szenische Darstellungen antiker Autoren durch die Lateinschüler auf. Noch früher — im 10. Jahrhundert — hatte die Nonne Hrotswith im Kanonissenstift zu Gandersheim ihre Terenz-Bearbeitungen zuvörderst als Lesedramen für ihre Schülerinnen geschrieben.

Die große Tradition der Schulspiele ist bis auf den heutigen Tag nicht abgerissen. Wohl waren die dramatischen Uebungen um die letzte Jahrhundertwende stark zurückgegangen, doch ist gerade in unseren Tagen ein starker Aufschwung und ein vermehrtes Interesse am Theaterspielen in den Schulen zu beobachten.

Die Motive, aus denen heraus die Schuljugend zum Spielen geführt wurde oder selbst fand, waren im Lauf der Jahrhunderte gewiß nicht immer die gleichen. Eines jedoch war zweifellos von Anfang an vorhanden: dem eingeborenen Spiel- und Darstellungstrieb im Jugendlichen zur Gestaltung zu verhelfen. Dieser Grund allein wäre ausreichend, Theateraufführungen von Schülern vor engstirnigen Lehrern und Eltern zu rechtfertigen, die in ihnen vielleicht nur unnütze Spielerei und Befriedigung des jugendlichen Geltungstriebes erblicken.

Sehen wir nach den erzieherischen Werten einer solchen Spielbetätigung im Jugendalter: Neben der primären pädagogischen Aufgabe, die dem Spielleiter dadurch erwächst, daß er den natürlichen Spieltrieb im Schüler entwickelt, ihn einerseits zu bändigen, anderseits aus Hemmungen zu lösen versucht, ergeben sich einige wichtige psychologische Momente: das Selbstvertrauen des Jugendlichen wird gehoben, eine gewisse Sicherheit im Auftreten wird erreicht; in der Verkleidung, mit der Hülle des fremden Gewandes und des entliehenen Namens angetan, kann der junge Mensch, ohne sein Inkognito preisgeben zu müssen, der sein, der er gerne sein möchte. Es zeigt sich aber auch, daß das Schultheater eine nicht zu unterschätzende Charakterschule darstellt. Bei den Proben lernt der Spieler, sich dem Ganzen unterzuordnen (deshalb ist auch die Anonymität des einzelnen auf dem Programmzettel wichtig), und so der Kunst zu dienen in manchmal harter Pflichttreue und unter Verzicht auf Freizeit und Lustbarkeit. Da er im Dialog auf den anderen hinhören, mit seiner Leistung sich in die Gruppe eingliedern muß, lernt er, sein eigenes Ich vor der höheren Gemeinschaftsaufgabe zurückzustellen. Dazu kommt schließlich noch, daß beim Spiel mit größter Selbstverständlichkeit und weit besserem Erfolg als im Klassenzimmer die oft so vernachlässigte Spracherziehung betrieben werden kann, daß der sprecherische Ausdruck in der zwanglosen Verbindung mit dem Mienen-und Gebärdenspiel an Modulations- und Nuancenreichtum gewinnt, ganz abgesehen von der — im wörtlichen Sinne — spielend erreichten Stärkung des Gedächtnisses und der Konzentrationsfähigkeit: lauter Dinge, aus denen der Unterricht selbst nur Nutzen ziehen kann. Daß das Schulspiel den Schüler vom Lernen abhalte und seine Leistungen im Unterricht beeinträchtigt, ist — wie durch Untersuchungen nachgewiesen wurde — ein unbegründeter Vorwurf. Es hat sich im Gegenteil oft ergeben, daß Schüler auf dem Umweg über die Mitwirkung bei einer Theaterauführung und die damit verbundene Hebung des Selbstvertrauens sich auch mit größerer Freude, mehr Schwung und Gelöstheit am Unterricht beteiligten als vorher.

Jeder Lehrer, der seine erzieherische Aufgabe kennt, wird daher dem Schulspiel aufgeschlossen gegenüberstehen, weiß er docri, welch eminente Stärkung der Persönlichkeit des Schülers, welch vortreffliche soziale und Charakterschule von einer in harter und anstrengender Probenarbeit zustande gekommenen Aufführung ausgehen können.

Für die Mittelschule aber hat das Theaterspielen noch eine spezielle Bedeutung: der Literaturunterricht kann von ihm zehren und wird in fast allen Fällen belebt werden. Das ist wohl auch der Grund, warum die Klassiker (neben manchem Vereinsbühnenkitsch, der auch an Mittelschulen noch immer nicht ganz ausgerottet ist) bei der Stückwahl auf Schüler und Professoren eine so starke Anziehungskraft ausüben. Der Wunsch, ein „Literaturstück“ — womit nicht unbedingt nur ein klassisches Werk gemeint ist — in der Schule aufzuführen, ist naheliegend und durchaus verständlich. Die beste Ergänzung des Literaturunterrichtes stellt scheinbar die Erprobung eines in der Klasse gelesenen Werkes auf der Bühne dar.

Die Verwirklichung dieses Gedankenganges ist nicht ganz ungefährlich. Denn die meisten der in der Schule behandelten Standardwerke der dramatischen Dichtung stellen sich mit nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten einer Darstellung durch Schüler entgegen, wenn man Sprache und Charakterzeichnung bedenkt. Um ein Drama aus der großen Literatur aufzuführen, genügen nicht guter Wille und viel Begeisterung, es müssen in erster Linie schauspiele-rifches Talent und vor allem handwerkliche

Kenntnisse dazukommen. Mag jenes auch in Einzelfällen vorhanden sein, so kann man diese jedoch in der allgemeinbildenden Mittelschule normalerweise nicht erlernen. Das Ergebnis solcher theatralischer Taten ist dann zumeist die peinliche Unzulänglichkeit eines unguten und gar nicht jugendgemäßen Dilettantismus in Spiel und Sprache, den höchstens die gerührten Angehörigen unter den Zusehern nicht bemerken oder wohlwollend übersehen — sehr zum Schaden der jungen Darsteller. Es ist klar, daß bei diesem Beginnen nur zu oft der Gedanke Pate steht, das Berufstheater, dem die Begeisterung gehört, ein wenig zu imitieren. Der Einwand, es gehe bei derlei Aufführungen ja darum, ein im Leseplan des Deutschunterrichts gesprochenes Werk in den Proben näher kennenzulernen, ist zu wenig stichhältig, denn bei einem solchen Versuch kann sich nicht nur der Zuseher, sondern viel mehr noch der jugendliche Akteur den Magen am Kunstwerk gründlich verderben. Ganz abgesehen davon, daß in Fällen, wo etwa eine Mädchenklasse die „Minna“ oder den „Alpenkönig“ spielt — wobei auch die männlichen Partien von den Schülerinnen gegeben werden — der Peinlichkeiten kein Ende mehr ist, genau so wie dort, wo Buben in klassischen Mädchenrollen auftreten. Das hieße letztlich, zur Geschmacklosigkeit und zu übelstem Dilettantismus zu erziehen. Auch der Einwand, Klassikeraufführungen durch Schüler dienten der Einführung und Vorbereitung zu einem Drama, das man sich früher oder später im Theater ansehen möchte, ist leicht zu entkräften. Wem würde es wohl einfallen, eine Bruckner-Symphonie oder eine Wagner-Oper, nur weil man sie vor der Aufführung studieren will, deswegen gleich vom Schülerorchester und dem Schulchor aufführen zu lassen?

Soll das nun heißen, daß der Literaturunterricht und damit die Mittelschule auf die szenische Darstellung von literarischen Werken durch Schüler ganz verzichten soll? Keineswegs. Aber es kommt bei der Stückfindung vor allem darauf an, dasjenige Werk auszuwählen, das ohne Schaden für den Autor und die Darsteller unter Wahrung des guten Geschmacks und unter Berücksichtigung der vorhandenen Möglichkeiten gegeben werden kann. So sind also von vornherein alle jene Werke auszuscheiden, die dem jugendlichen Empfinden und Gefühlsleben nicht adäquate Themen und Probleme behandeln. Alles zu sehr Nuancierte, alles Raffinierte und Subtile kommt nicht in Betracht. Daraus ergibt sich von selbst, daß Werke aus Epochen geistiger Verfeinerungen, die oft mit einer gewissen Dekadenz Hand in Hand geht, wegfallen müssen. (Deshalb erscheint auch Hofmannsthals oft und gern gespielter „Tor und der Tod“ als wenig geeignet.) Damit ist durchaus nicht gesagt, daß Jugendliche solchen Werken nichts abzugewinnen vermöchten; ganz im Gegenteil, aber sie sind dafür wohl eindrucksfähig, jedoch zu wenig ausdrucksbegabt. Man wird sich also vielmehr an alles Typisierte, groß und kräftig Gezeichnete — in Charakteren wie in dramatischen Situationen — halten. Solches findet sich in den Werken der Antike — an welche allerdings bei der notwendigen Statik in der Darstellung nur sprachlich besonders geschulte Klassen sich wagen sollten — oder etwa im Barocktheater, besonders aber in der Einfachheit alter und neuer Mysterienspiele. Dem Komischen ist vor dem Tragischen unbedingt der Vorzug zu geben, denn letzteres verführt leicht zu falschem Pathos und Schwulst, während das Unbeschwert-Heitere, ja Groteske dem Jugendlichen viel eher liegt. Dabei aber ist wiederum zu beachten, daß feiner nuancierte Wortkomik meist ungeeignet, kräftige, ja derbe Situationskomik dagegen viel gemäßer ist. Eine ausgesprochene Aufgabe aber erwächst der Spielpflege in der Erarbeitung von Jugendwerken anerkannter Autoren. Ganz abgesehen von der Bedeutung für die Kenntnis einer Dichterpersönlichkeit oder einer literarischen Epoche hat dies den Vorteil, daß das Gärende und Drängende, das Leidenschaftlich-Ungestüme des jungen Dichters dem jugendlichen Spieler liegt, weil er sich ihm verwandt fühlt. (Das ist sicher auch der Grund für die immer wiederkehrenden und oft höchst problematischen Aufführungen der „Räuber“ durch Schulklassen.) Außerdem wäre es eine wichtige und dankbare literaturhistorische Aufgabe — zumal die österreichischen Hochschulstudios ihre Tätigkeit eingestellt haben —, solchen vergessenen oder auf den Berufsbühnen aus verschiedenartigen Gründen nicht spielbaren Werken zu einer Aufführung zu verhelfen. Natürlich wird man sein Augenmerk bei der Suche nach geeigneten Dramen auch auf eine möglichst unkomplizierte Szenerie legen müssen oder doch solche Stücke auswählen, bei denen es ohne Schaden für das Kunstwerk möglich ist, eine Vereinfachung des komplizierten Szenariums durchzuführen.

Es ist hier nicht der Raum, eine auch nur annähernd lückenlose Aufzählung der in Frage kommenden Werke zu geben. Auf einige jedoch sei andeutungsweise hingewiesen. Es ist klar,daß sich ein Teil der im folgenden genannten Dramen nur von reifen und jahrelang geschulten Gruppen wird spielen lassen. Es kommen also etwa in Betracht: Sophokles (besonders „Anti-gone“), Plautus, einige weniger bekannte Farcen Molieres, manches von den Entremeses des Cervantes, Calderons „Großes Welttheater“ und Hofmannsthals Neuschöpfung, der eine oder andere Lope de Vega, manche Szenen aus Lustspielen Shakespeares, Gryphius („Absurda comica“), Goldoni und sein österreichisches Pendant Philipp Hafner, Holberg, auch Büchner, weiters dramatische Fragmente der Klassiker, allenfalls auch der „Urfaust“. Von den neueren Mysterienspielen seien genannt: der „Jedermann“, Mells „Schutzengelspiel“ und „Apostelspiel“ und das „Wächterspiel“ von Henz. Ein besonderes und interessantes Gebiet eröffnet sich mit den Einaktern und Dreiminutenspielen Thornton Wilders, Claudels „Verkündigung“ braucht indessen schon sehr geübte Spieler. Eine schöne Aufgabe für einen theatererfahrenen Deutsch- oder Englischprofessor wäre es, die zwei Spiele von Christopher Fry „Der Knabe mit dem Karren“ und das großartige und köstliche „Thor mit Engeln“ zu erarbeiten.

Zum Schluß dieser Ueberlegungen möge ein Vorschlag stehen, der einem bereits erprobten Entwicklungsgange folgt. In der 1. Klasse wäre-mit einfachsten Stegreifspielen im Klassenzimmer zu beginnen, dann schreite man weiter zur Dramatisierung gelesener Prosa (Sagen, Märchen, Hebbel-Anekdoten) und beginne in der 2. Klasse mit einem einfachen, aber unbedingt künstlerisch wertvollen Laienspiel — etwa in Verbindung mit einer Weihnachtsfeier —; in der 3. Klasse versuche man (in Knabenanstalten) die Spielfreude an einem turbulenten und guten Bubenspiel sich maßvoll austoben zu lassen, nehme sich in der 4. oder 5. Klasse ein zeitbezogenes Laienspiel vor und wage sich nach solcher Vorbereitung und Lockerung der Spieler an Werke aus der „Literatur“. Daß aus der Zusammenarbeit von Deutsch- und Musikprofessor ' heraus sich reiche Möglichkeiten für die Aufführung von Kinderopern (Hindemith, Werdin, Britten, Bresgen) ergeben, braucht nicht betont zu werden.

Das Theaterspiel an den Schulen ist also unzweifelhaft eines der vornehmsten Erziehungsmittel, doch muß vorerst auch zum Theaterspielen erzogen werden. In dieser Heranführung des Schülers an immer größere Aufgaben erwächst dem Lehrer (und nicht nur dem Deutschlehrer!) eine hervorragende und verantwortungsvolle Autgabe.

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