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Musik und Volkskultur

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Auch in Zeiten materieller Not ist es wichtig, dem Ausbau des kulturellen Volkslebens sorgfältige Beachtung zu schenken, zumal in einem Staate wie Österreich, das sein Ansehen in der Welt zum Großteil dieser seiner Kultur verdankt. Die junge Wissenschaft der Volkskunde mit ihren regsamen Forschungszentren an den Universitäten Graz und Innsbruck weist dabei wertvolle Wege zu den Urquellen unserer so reichen Volkskultur, die es — als Vorbedingung jeder „Hochkultur“ — aus ihrer Verschüttung freizulegen und neu zu beleben gilt: Brauchtum, Laienspiel, Heimattanz, Volkslied und Hausmusik seien nur als die bekanntesten davon genannt.

Erst in diesem großen Rahmen erhält auch jene moderne musikerzieherische Planung, die derzeit unsere Fachleute beschäftigt, Sinn und Bedeutung *. Sollen doch davon allmählich alle so verschiedenartigen Siedlungsgebiete des Landes, allle Standes- und Bildungsschichten des Volkes, ja alle seine Altersstufen in der ihnen entsprechenden Form erfaßt werden, um so den gehaltreichen Mutterboden einer natürlichen Begabung unseres Menschenschlages in einer ganzen Breite zu bearbeiten, woraus dann zuzeiten — nicht zufällig, sondern durchaus organisch — als besonders wohlgeratene Frucht das überragende Talent, ja das einmalige Genie erwächst.

Um nun wirklich eine“ Musikerziehung des' ganzen Volkes zu erreichen, bedürfen die kleineren Siedlungsformen wie Dorf, Markt, Industriegemeinde und Kleinstadt, besonderer Pflege, da sie gegenüber den kulturellen Möglichkeiten der großen Stadt im Nachteil sind. Hier erhebt sich aber sofort die entscheidende Frage: Soll die musikalische Betreuung der kleinen Gemeinden wie bisher dem Zufall überlassen bleiben, wollen wir uns weiterhin mit einem oft zweifelhaften Dilettantismus zufriedengeben oder könnte und sollte das „Musikland Österreich“ auf diesem Gebiete beispielgebend neue Wege gehen? Konkret gefaßt: Wer soll die treibende Kraft, der Träger einer breit angelegten Musikerziehung der Gemeinde sein? Offenbar eine künstlerisch besonders begabte, musikpädagogisch und volkskundlich geschulte, in der Liebe zu Volk und Heimat zutiefst begründete Erzieherpersönlichkeit in hauptberuflicher, öffentlicher Stellung. Gerade heute erscheint es doch so wichtig, das verpflichtende Gefühl der Zusammengehörigkeit und Schicksalsgemeinschaft, insbesondere bei der Jugend, aber auch bei nicht wenigen Erwachsenen vom inneren Leben des Volkes her zu unterbauen und krisenfest zu gestalten. Ohne besondere Belastung des Staatsbudgets und ohne schwerfälligen Verwaltungsapparat ließe sich etwa die bestehende1 Planstelle des Musikerziehers an Hauptschulen — bei gleichzeitiger Entlastung von anderen Aufgaben — allmählich zu dem so wichtigen Amt eines Kulturpflegers für seinen Schulort und dessen ländliche Umgebung ausbauen. Schon aus der Wahl der Bezeichnung „Kulturpfleger“ als weiterer Begriff geht hervor, daß das Wirken dieser Persönlichkeit über das Gebiet der Musikerziehung hinaus in das der allgemeinen Kulturpflege eingreifen soll. Man denke an die erwähnten Zweige der Volkskultur sowie an Heimatforschung und zeitgemäße vaterländische Feiergestaltung in der Gemeinde, um die Ausweitungsmöglichkeiten dieses interessanten Berufes zu spüren. Es erscheint also wohl gerechtfertigt, neben der Sorge für die Seele (Pfarrer) und den Leib (Arzt) auch die fachmännische Betreuung des geistigen (kulturellen) Lebens der Gemeinde zu fordern. Könnte nicht gerade dadurch — bei voller demokratischer Freiheit im einzelnen — die so dringliche, allen gemeinsame österreichische Grundlinie unserer neuen Geistigkeit gewährleistet werden?

Greifen wir nun aus der Fülle der Einzelaufgaben unseres Kulturpflegers nur die wichtigsten auf musikalischem Gebiete heraus, so steht — zumall es sich um Arbeit auf weite Sicht handelt — die musikalische Erziehung der Schuljugend auf moderner musik-pädagogischer Grundlage an erster Stelle: also klassen-, besser gruppenweiser methodischer Gesangunterricht samt Stimmbildung, das ganze Gebiet der elementaren Musiklehre, deren Kenntnis Singen und Musizieren erst zur wahren Freude werden läßt, dann für die höchsten Klassen eine kurze Einführung in die Harmonielehre und kunstvollere Mehrstimmigkeit sowie ein lebendig gestalteter Abriß der Musikgeschichte. Daß dazu alle modernen Hilfsmittel, wie Rundfunk und Schallplatte, voll auszunützen sind, ist klar. Ein solches musikalisches Mindest-wissen sollte jedem jungen Österreicher so selbstverständlich sein wie das Einmaleins.

Den Jahreszeiten und damit dem Brauchtum der Heimat angepaßte Veranstaltungen der Schulen, Bezirksmusiktage der Jugend mit diorischen und instrumentalen Wettbewerben, regelmäßige Gruppenbesuche von Konzerten und geeigneten Opern im nächsten Bezirkstheater würden auch nach außen von dieser Musikerziehung Zeugnis geben. Auf* die besondere Bedeutung frühzeitigen „Musikhörens“ weist der rührige Vorkämpfer moderner Musikerziehung in Baden bei Wien, Professor Franz Pandion, mit Nachdruck hin.

Die sdiulentlassene Jugend findet sich heute immer häufiger in geschlossenen „Singkreisen“ zusammen, wie sie zum Beispiel auch in den einzelnen Pfarrgruppen der „Katholischen Jugend“ in Schwung kommen **. Auch hier wartet allenthalben ein interessantes Arbeitsgebiet auf den geschulten „Singleiter“.

Besonders wichtig erscheint bei dem derzeitigen Aufbau unseres Kulturlebens auf dem Lande die sachgemäße Lenkung und Leitung des örtlidien öffentlichen Singwesens. Hier werden wir heute aus mehreren Gründen neue Wege einschlagen müssen. Der „Gesangverein“ in seiner hergebrachten Form hat sich doch vielfach überlebt. Statt Zentrum und Kraftquell echten bodenständigen Volkstums zu sein, bildeten diese „deutschen“ Männergfsangvereine — zusammen mit dem Deutschen Turnerbund — auf dem Lande nicht selten Vorposten jener unseligen politischen Entwicklung, an deren Ergebnis wir jetzt zu tragen haben.

Da gerade das Band der Kunst imstande wäre, alle aufrechten Österreicher über politische Meinungsverschiedenheiten hinweg in der Liebe zur Heimat zu vereinen, ist e an der Zeit, auch mit der unglücklichen Scheidung in Männergesangverein „Sangeslust“ und Arbeitergesangverein „Freiheit“ aufzuräumen und lieber in einer neuen .“.Einigkeit“ das köstliche Liedgut alter und neuer Art gemeinsam zu pflegen. Auch vom rein musikalischen Standpunkt können sich besonders kleinere Orte zwei Chöre gar nicht leisten. Erwähnt sei noch, daß dem Männerchor der natürliche gemischte Satz von Männer- und Frauenstimmen musikalisch vorzuziehen ist. Es sollten daher unsere meist so sangesfreudigen Frauen mehr als bisher in das Chorsingen einbezogen werden. Ob sich übrigens nicht auch daraus schon eine gewisse Reinigung der oft so üblen „Biersumpfatmosphäre“ mancher Singabende ergäbe?

Auch die künstlerische Betreuung der lokalen Orchestervereine, Blaskapellen, Volksmusikgruppen usw. gehört zum musikalischen Aufgabenkreis des Kulturpflegers. Gewandtheit in der Orchesterführung und Beherrschung möglichst vieler Instrumente sind da unerläßliche Voraussetzung. Daß gerade auf dem Gebiete des instrumentalen Musizierens aus Mangel an fachgemäßer Führung vieles im argen liegt, wird jeder Kenner der Verhältnisse bestätigen.

In diesen Zusammenhang stellen wir bewußt auch die Notwendigkeit liebevoller Pflege der ältesten und verdienstvollsten Stätte musikalischer Volkserziehung, des Kirchenchores. Gegenüber einer „liberalen“ Ära meldet hier allerdings die heutige Zeit eine besondere Forderung an: künstlerische Qualitäten allein genügen noch nicht zur Leitung eines Kirchenchores. Hier geht es um mehr. Die Alten drückten dies mit den Worten St. Benedikts aus: „Ut mens con-cordet voci“ (daß innere Haltung und äußeres Tun im Einklang stehen müßten!). Heute gilt mehr denn je die Bedingung aktiver Gläubigkeit, des inneren Mitgehens mit dem liturgischen Geschehen„ des persönlichen Gottes-^Dknes“„ woraus allein jmjb wahre Kirchenmusik — als Wesensbestandteil der feierlichen Liturgie — erwachsen kann. Glücklich die Gemeinde, deren Musikerzieher' aus solcher Haltung heraus auch die Musik der Kirche zu gestalten vermag. Höchste Harmonie von Kultus und Kultur wäre damit erreicht. Im Wirken einer solchen Persönlichkeit wird nie dem Gottesdienst die Kunst und nie der Kunst die Weihe mangeln.

Die altbewährte österreichische Lehrerbildungsanstalt, aus der schon so viele ausgezeichnete Volksbildner hervorgegangen sind, wird uns auch diesen zeitgemäßen Erziehertyp zu schenken wissen. Praktische Versuche an der Anstalt in Wiener Neustadt sind verheißungsvolle Ansätze dazu. Das volkskundliche Spezialwissen kann in Sonderkursen vermittelt werden, wie sie der führende steirische Volksbildner Hofrat Josef Steinberger seit Jahren pflegt. Darüber hinaus sollten auch die Absolventen von Instituten nach Art der „Abteilung für Kirchen- und Schulmusik“, zum Beispiel an der Musikhochschule Wien, zu dieser Tätigkeit herangezogen werden. Daß diese hochstehenden Institute in der Vergangenheit trotz bester Lehrkräfte nur geringe Schülerzahlen aufwiesen, ist begreiflich, da ihre Absolventen nur geringe Existenzmöglichkeiten hatten.

Gewiß soll man in Dingen der Kultur nicht allzuviel „Organisation“ betreiben. Eine kluge Lenkung — und sei es auch nur durch gleichmäßige Schulung und Verteilung der führenden Fachkräfte im Lande — wird jedoch von schönem Erfolg begleitet sein. Kitsch und allzu krasser Dilettantismus werden schwinden und bei Wahrung aller Urständigkeit gediegenem Kulturwerten Platz machen. Unser Volksleben aber wird dadurch zugleich von verderblichen Tendenzen befreit, die wir zum Beispiel aus so manchen Sonnwendfeiern, Julfesten und Liedertafelabenden „privater“ Veranstalter noch in Erinnerung haben. Der musikalische Sektor dieser planmäßigen Volkskulturarbeit jedech kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dem Ehrentitel Österreichs als „dem ersten Musikland der Welt“ immer neuen Glanz zu verleihen.

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