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Um Liebe zur Musik kämpfen

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Der Persönlichkeit des Musiklehrers und der Art seiner Vermittlung kommen große Bedeutung zu - Bevormundung unerwünscht.

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Der Persönlichkeit des Musiklehrers und der Art seiner Vermittlung kommen große Bedeutung zu - Bevormundung unerwünscht.

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Es gibt die Musik und die Musikerziehung. Musik ist das, was die deutsche Sprache mit einem Wort, die japanische aber mit mehr als 40 belegt. Musik ist alles von Hip-Hop bis Beethoven, vom Männerchor zu Techno, von Oper bis Kinderlied, von Rap bis Symphonie. Viele dieser Genres haben Musik gar nicht im Namen: beispielsweise Rock'n Roll.

Musikerziehung ist das Schulfach, das das Publikum von morgen und den musikalisch gebildeten Staatsbürger hervorbringen soll. Musik ist das, was laut einer Gallup-Umfrage 91 Prozent der Österreicher lieben, auch wenn nur 16 Prozent der Musikerziehung einen wichtigen Stellenwert zumessen. Was hat Musik mit Erziehung zu tun?

Der Rektor der Wiener Musikhochschule, Michael Frischenschlager, vergleicht Musikerzieher mit einem Häuflein Don Quijotes, die „um mehr Liebe für gute Musik bei unserer Jugend kämpfen”. Folgen wir dem Bild, muß es ja auch die Windmühlen geben, gegen die es zu kämpfen gilt. Oder Spiegel, vor deren eigenem Bild Don Quijote zurückschrecken muß, weil die Mängel der Schüler nur die Mängel ihrer Lehrer widerspiegeln?

Kurt Pahlen sieht den Anfang der Krise im Ende des Singens. Die vielen Laienmusikvereine, die Dilettantenorchester, die Bands und Folk-Gruppen aller Art seien eine Widerstandsbewegung zur Schule.

Wenn es eine Widerstandsbewegung gegen Musikerziehung gibt, muß es auch ein Programm geben, gegen das sie sich richtet. Tatsächlich gab es Zeiten und Kulturen, in denen der Musikerziehung eine nicht nur gesellschaftspolitisch zentrale, sondern auch staatstragende Rolle zukam. 1870 wollte der Staat in seiner Schulordnung „den Tonsinn wecken, die ästhetische und Gemütsbildung der Kinder fördern und das patriotische Gefühl beleben”.

Raus aus dem Museum

Zu den Bildungszielen nach dem Schulunterrichtsgesetz gehört bis heute die „Entwicklung der Anlagen zum Guten, Wahren und Schönen”. „Von allen politischen Idealen”, würde Karl Popper vielleicht antworten, „ist der Wunsch, die Menschen glücklich zu machen, vielleicht der gefährlichste.” Und es klingt wie eine Warnung für Musikerzieher: „Ein solcher Wunsch führt unvermeidlich zu dem Versuch, anderen Menschen unsere Ordnung höherer Werte aufzuzwingen; also gleichsam zu dem Versuch, ihre Seelen zu retten.”

Heute sei Bevormundung unerwünscht. „In einer Zeit, in der der Staat nicht mehr Richtlinien sagen kann oder will, kommt der Persönlichkeit des Lehrers, seiner Lust am Fragen viel Bedeutung zu”, sagt Michael Wimmer, als Leiter des Österreichischen Kultur-Service Verwalter der neuen Pragmatik. „Der Lehrer kann zeigen, daß eine den Schülern neue Musik etwas mit ihrem Leben zu tun hat.”

Der Kultur-Service, eine Einrichtung des Unterrichtsministeriums, ist eine Brücke zwischen Schule und Kultur. Der Kultur-Service initiiert Projekte - wie die Illustration des Staaatsopern-„Troubadour” durch Kinder - er nimmt Ideen der Lehrer oder der Künstler auf und schafft die Infrastruktur der Vermittlung. „Kulturvermitteln heißt Sinnstiften, Zusammenhänge darlegen”, sagt Wimmer. Da genügt nicht, den Kindern Gänge durch ein Erwachsenen-Museum zu bahnen und sie gegen Angriffe der Aufseher zu verteidigen. („Ihr dürft's nicht am Boden sitzen und Euch nicht auf die Glasplatten stützen.”) Teilnehmen, ausprobieren, mitreden, nachempfinden und in Frage stellen.

„Wie die Großen” ist das Motto des Projekts „Klangnetze”: Schüler schauen, wie's ein berühmter Komponist gemacht hat und probieren es auf ähnliche Weise noch einmal. Kunst soll wieder betroffen machen. „Die Kunst wieder näherrücken zu den Kindern” - denn was einst noch respektvoll entfernt war, ist heute außerhalb des Horizonts. Die Kinder wieder betroffen machen, das könnte eine Aufgabe des Musiklehrers sein.

Lehrer überfordert

Schließlich kann die musikalische Kulturvermittlung auch jene 50 Prozent der österreichischen Schüler erreichen, die derzeit ganz ohne Musikunterricht auskommen müssen: Handelsakademiker, Handelsschüler, Lehrlinge, Schüler aus berufsbildenden Schulen. Wimmer sieht auch den Nachteil seines kulturellen Angebotes: die Projekte reflektieren mehr als sie zum Musikmachen animieren. Die Frage „Wie schaff ich's, mit den Kindern einen Kanon zu singen” bleibt den Musiklehrern und —lehrerinnen unbeantwortet.

Dem Musiklehrer fällt in einer Zeit der Verfügbarkeit verschiedenster Musikstile die Bolle einer Orientierung stiftenden Autorität vor. Eine Kulturtechnik, sagt Alfred Lit-schauer, Didaktik-Professor für Musikpädagogik an der Musikhochschule, soll Ziele und Wege zur Kultur vermitteln. Daß der Kulturbegriff unklarer geworden ist und es derzeit an einer Philosophie der Kultur mangelt, macht die Aufgabe für Lehrer musischer Fächer nicht leichter. Orientierung, aber wonach? „Nach neuen Werten, die der Liberalität der Kunst neue Grenzen setzen”, sagt die Landtagsabgeordnete Gertrude Brinek - oder nach „Leistung und Denken”, wie es die Industriellenvereinigung vorschlägt. „Leistung soll sein”, stimmt auch Wimmer zu, „auch die musischsinnliche Erfahrung muß in Ergebnisse münden.”

„Jugendmusik in ihrer Vielfalt überfordert den Musiklehrer”, fand ein Symposium Jugendkultur-Lebenswelten. Eine Vielzahl von Stilen, importiert und modifiziert aus angloamerikanischen Kulturen, bildet kurzzeitig Heimat für eine Gruppe der Jungen. Immer vielfältiger und ohne eine eindeutige musikalische Ausrichtung, immer neu und anders als die Musiken der Erwachsenen.

Die Bildungspolitiker lassen die Musikpädagogen allein: weder gibt es Mindestanforderungen, noch bindende Richtlinien, noch Limits für die Offenheit. Über bleibt der Geschmack und die Vorlieben des einzelnen, im Rahmen des Lehrplans natürlich, der an Unüberprüfbarkei-ten einiges wie „Völkerverständigung” und „Sensibilität” bereit hat.

Markt als Gradmesser

Für Gottfried Kinsky-Weinfurter, Assistent an der Abteilung Musikpädagogik in Wien, kann die Orientierung des Unterrichts nur der Zugang zum Markt sein. Kulturunterricht soll ein Angebot sein, sich in einem riesigen Tonträgermarkt und einem auffächernden Radio-Angebot zurechtzufinden. Der Markt, oder besser die Märkte, seien letztlich ein Gradmesser des Geschmackes und der Akzeptanz.

„Aber gerade die Musikerziehung”, sagt Alfred Litschauer, „könnte Paradigma für einen den zeitgemäßen Anforderungen entsprechenden Unterricht sein.” Musikunterricht kann vormachen, wie es sein könnte und Modelle geglückten Lernens entwickeln. Und so wird er weit über seinen unmittelbaren Bereich hinaus wirksam und zukunftsweisend sein. Don Quijote verwirklicht seinen Traum von einer singenden Welt.

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