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DER FILM UND DIE SCHULE

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Aus Lehrerkreisen haben wir mit Interesse gehört, daß die Erziehung der Jugend zum guten Film in der letzten Zeit durch verschiedene Maßnahmen der österreichischen Schulbehörden einen erfreulichen Aufschwung nimmt. Könnten Sie uns darüber Näheres mitteilen?

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Aus Lehrerkreisen haben wir mit Interesse gehört, daß die Erziehung der Jugend zum guten Film in der letzten Zeit durch verschiedene Maßnahmen der österreichischen Schulbehörden einen erfreulichen Aufschwung nimmt. Könnten Sie uns darüber Näheres mitteilen?

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Filmpädagogische Arbeit in weitestem Sinne, also nicht nur in der Schule, wird in Österreich natürlich schon lange und sehr verdienstlich geleistet; ich erwähne neben der Jugendkommission der Filmbegutachtungsstelle beim Bundesministerium für Unterricht die Aktion „Der gute Film“, die Filmabonnements, Filmdiskussionen und Publikationen der Landesjugendreferate, die Filmarbeit der verschiedenen Jugendorganisationen und vor allem auth der kirchlichen Stellen (Katholische Filmkommission für Österreich und Katholische Filmgilde, Evangelische Filmgilde). In allen diesen Institutionen waren und sind vor allem Lehrer tätig, die selbstverständlich jede Möglichkeit einer filmerzieherischen Einwirkung stets auch in ihrer Schule wahrgenommen haben. Was die Schulbehörden betrifft, so haben zwei Ministerialerlasse aus den Jahren 1946 und 1957 erstmalig offiziell einen gemeinsamen Klassenbesuch ausgewählter Filme (bis zu vier im Schuljahr) auf freiwilliger Basis genehmigt, beziehungsweise empfohlen. Ähnlich steht es im wesentlichen auch heute noch bei unseren deutschsprachigen Nachbarn, der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, wo es allerdings keine zentrale Unterrichtsbehörde in unserem Sinne gibt; immerhin haben einige Schweizer Kantone die Filmerziehung bereits in ihren Lehrplänen für Deutsch und Lebenskunde bis zu einem gewissen Grade verankert.

Kann also aus Ihren letzten Bemerkungen geschlossen werden, daß wir in Österreich inzwischen einen wesentlichen Schritt weitergekommen sind?

In den Vorbesprechungen zu den neuen Lehrplänen auf Grund der Schulgesetzgebung und vor allem seit der Tagung der österreichischen Landesschulinspektoren aller Schulgattungen im April 1964, die vom Bundesministerium für Unterricht in Zusammenarbeit mit der Aktion „Der gute Film“ auf dem Semmering durchgeführt wurde, hat sich die Erkenntnis der Notwendigkeit einer Befassung der Schule mit den Problemen der modernen Massenmedien, insbesondere des Films Und des Fernsehens, immer mehr durchgesetzt. Abgesehen von Paragraph zwei des neuen Schulorganisationsgesetzes, welcher der österreichischen Schule die Aufgabe zuweist, „an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen“ mitzuwirken, und im zweiten Absatz davon spricht, daß die jungen Menschen „zu selbständigem Urteil geführt“ werden sollen — womit zweifellos doch auch der Kampf gegen filmischen Schmutz, Schund und Kitsch sowie positiv die Förderung des guten Films mitgemeint 1st —, heißt es etwa in den „Didaktischen Grundsätzen“ der allgemeinbildenden Pflichtschulen u. a.: „Der Zerstreuung durch einen ungeregelten Konsum der Massenmedien (Bildzeitschrift, Film, Funk, Fernsehen) soll eine pädagogische Führung auf diesem Gebiet entgegenwirken. Die Schulerziehung soll jede Oberflächlichkeit bekämpfen, den Schüler in angemessener Weise an die Wertwelt heranführen und ihm helfen, ein persönliches Wertzentrum, seine Lebensmitte, zu finden.“ Bei den kaufmännischen Lehranstalten finden wir die Verpflichtung, auch „Theater, Film, Rundfunk und Fernsehen als Kulturträger nahezubringen“. In der Bildungsanstalt für Erzieher gibt es ein eigenes obligates Film- und Fernsehseminar mit den Themen „Einblick in die Technik der Herstellung von Filmen und Fernsehsendungen, richtige Auswahl von Film- und Fernsehprogrammen und deren erzieherische Auswertung im Heimleben, Übungen im Leiten von Filmdiskussionen".

Wie steht es mit den anderen Schulgattungen, deren Lehrpläne unseres Wissens nun ebenfalls bereits vorliegen?

Bisher sind lediglich die Lehrpläne für die Unterstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen (bisher „Mittelschulen“) und jene für die ersten drei Klassen der musisch-pädagogischen Realgymnasien, das sind die Nachfolger der bisherigen Lehrerbildungsanstalten bzw. die Zubringerschulen für die geplanten Pädagogischen Akademien — fertigigestellt. Auch hier können wir mit Befriedigung feststellen, daß vor allem beim Deutschunterricht der Altersstufe entsprechend die Filmerziehung einbezogen ist und die „Urteilsfähigkeit gegenüber den Massenmedien“ ausgebildet werden soll. Im musisch-pädagogischen Realgymnasium finden wir bei den „Gesprächen über aktuelles Kulturgeschehen“ auch Film und Fernsehen, „Einführung in das Verständnis der filmischen Ausdrucksmittel, ihrer Besonderheiten und Möglichkeiten“, in der dritten Klasse „Interpretation und Analyse geeigneter Filme nach Gehalt und Gestalt, Hinführen zum Symbolverständnis, Erarbeitung von Kriterien für die ästhetische und ethische Bewertung, Ausweitung der Filmkunde auf das Fernsehen“, sowie den Vergleich gelesener Werke mit Hörspielen und Filmen.

Es kann demgemäß erwartet werden, daß auch die derzeit in Ausarbeitung stehenden Lehrpläne der übrigen Klassen der allgemeinbildenden höheren Schulen sowie der Pädagogischen Akademien eine entsprechende Berücksichtigung der Filmerziehung und geeignete methodische Hinweise aufweisen werden. Es ist selbstverständlich angestrebt, auch bei der Ausbildung der zukünftigen Lehrer für die höheren Schulen stärker und systematischer als bisher eine sachliche und methodische Schulung auf unserem Gebiet sicherzustellen.

Kann man über die praktische Durchführung der Filmerziehung in den Schulen schon etwas erfahren bzw. wie stellt sich die Lehrerschaft zu den neuen Aufgaben?

Es wird wohl eine gewisse Anlaufzeit notwendig sein, in der die bisherigen Pioniere der Filmerziehung ihre Lehrerkollegen anregen, beraten, mit entsprechendem Material versorgen und vielleicht manche Abwartende noch davon überzeugen müssen, daß die neue Schule, die nicht allein Kenntnisse und Wissen vermitteln, sondern eine wirkliche Lebensstätte der Jugend werden und ihr Hilfe für die spätere Lebensbewährung und Daseinserfüllung geben soll, heute eben auch zum Leben mit den Massenmedien, also auch mit

dem Film, dem sie bekanntermaßen einen ansehnlichen Teil ihrer Erfahrungen verdankt, vorbereiten muß. Allerdings gibt es unter den Lehrern noch manche, die, zumal sie das große Interesse ihrer Schüler für den Film kennen und immer wieder erfahren, daß diese auch von ihnen Interesse und Stellungnahme erwarten, die erziehliche Seite der Beschäftigung mit dem Film, also die notwendige Gegenwirkung gegen die sich leider in so vielen Filmen dokumentierende zweifelhafte einzelmenschliche oder sozialethische Haltung wohl einsehen, aber aus verständlicher Verärgerung über das durchschnittliche Kinoprogramm in ungerechter Verallgemeinerung dem Film (und dem Fernsehen) keine Gleichberechtigung mit der traditionellen Behandlung des Wortkunstwerkes vor allem im Deutschunterricht zugestehen wollen; hier müssen sich die (leider so seltenen) großen Filmkunstwerke selbst durchsetzen.

Die notwendigerweise mehr allgemein gehaltene Verankerung der Filmerziehung in den Lehrplänen hat übrigens durch einen inzwischen im Juni 1964 veröffentlichten Erlaß des Bundesministeriums für Unterricht betreffend Film-, Fernseh- und Hörfunkerziehung in den Schulen in der Weise eine praktische Ergänzung gefunden. Der auf Grund der eingangs erwähnten Erlässe aus den Jahren 1946 und 1957

empfohlene gemeinsame Filmbesuch auf freiwilliger Basis ist für die 13- bis 17jährigen, das ist die 7. bis 11. Schulstufe aller Schulgattungen, bei den wenig gegliederten ländlichen Volksschuloberstufen mit Abteilungsunterricht aus organisatorischen Gründen vorerst versuchsweise für das laufende Schuljahr — mit vier Vorführungen von Spielfilmen, Fernsehoder Hörfunkproduktionen nach beliebiger Aufteilung einschließlich einer entsprechenden Vorbereitung und pädagogischen Auswertung durch die Lehrer nunmehr obligat geworden.

Das Bundesministerium für Unterricht hofft, durch alle diese neuen Maßnahmen nicht nur der heranwachsenden Jugend sowohl bildungs- als auch erziehungsmäßig wertvolle Hilfen für ihre spätere Lebensbewährung und Lebenserfüllung als selbständig urteilende und freiwählende Persönlichkeit zu geben, sondern auch durch diese Einwirkung auf das Publikum von morgen den guten Film, den Film als Kunst zu fördern. Die Schule richtet aber auch die Bitte an die seriöse Zeitung und Zeitschrift, die Arbeit der Lehrerschaft vor allem durch eine objektive Filmvorschau in Form einer schonungslos offenen Kritik der Premierenfilme zu unterstützen. Letzten Endes erwarten dies auch die Eltern, die ihre Kinder beim Kinobesuch beraten und vor manchmal nicht wieder gutzumachenden seelischen Schäden bewahren wollen; ich hoffe, das Verständnis gerade der „Furche“ dafür zu finden, daß der Schulbehörde diese erziehliche Aufgabe noch höher als die für das erwachsene Publikum ebenfalls wesentliche ästhetische Betrachtungsweise stehen muß.

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