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Die Gesamtschule haben wir ja schon

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„Die Integrierte Gesamtschule wird keinen neuen Stil kreieren. Eher wird sie, so wie in Amerika, Ergänzungslehrgänge an Universitäten empfehlenswert machen, wo unter dem klangvollen Titel,Basic communication1 Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet wird. Strebsame Eltern werden ihre Kinder - wie in England - unter großen finanziellen Opfern in teure Privatschulen schicken.“ Das hat Josef Maderner, Kärntner SPÖ-Abgeordneter im Nationalrat und Bildungsobmann des Kärntner ÖGB, in seinem 1978 erschienenen Buch „Bildungspolitik jenseits der Standesinter- essen“ befürchtet. Aus der aktuellen Diskussion hat sich Maderner einstweilen herausgehalten. Hannes Schopf führte deshalb mit ihm das folgende Gespräch.

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„Die Integrierte Gesamtschule wird keinen neuen Stil kreieren. Eher wird sie, so wie in Amerika, Ergänzungslehrgänge an Universitäten empfehlenswert machen, wo unter dem klangvollen Titel,Basic communication1 Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet wird. Strebsame Eltern werden ihre Kinder - wie in England - unter großen finanziellen Opfern in teure Privatschulen schicken.“ Das hat Josef Maderner, Kärntner SPÖ-Abgeordneter im Nationalrat und Bildungsobmann des Kärntner ÖGB, in seinem 1978 erschienenen Buch „Bildungspolitik jenseits der Standesinter- essen“ befürchtet. Aus der aktuellen Diskussion hat sich Maderner einstweilen herausgehalten. Hannes Schopf führte deshalb mit ihm das folgende Gespräch.

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FURCHE: Anfang 1978 haben Sie, Herr Abgeordneter, mit ihren bildungspolitischen Aussagen Schlagzeilen. gemacht. Sie waren sozusagen die Speerspitze der Gesamtschulgegner in der SPÖ. In die nunmehrige Schuldiskussion haben Sie sich aber nicht eingeschaltet. Fürchten Sie wieder negative Reaktionen aus den eigenen Reihen?

MADERNER: Mein Buch „Bildungspolitik jenseits der Standesin- teressen“, auf das Sie anspielen, wurde während der Programmdiskussion der SPÖ publiziert. Es war als Diskussionsbeitrag gedacht und hat diese Funktion wohl auch erfüllt Nachdem aber das Programm einmal beschlossen ist, geht es darum, Zielvorstellungen in wirksame Reformen umzusetzen.

FURCHE: Bedeutet das, daß die massiven Angriffe, denen Sie seitens des Sozialistischen Lehrervereins und der Sozialistischen Jugend ausgesetzt waren, ihre Wirkung nicht verfehlt und Sie klein beigegeben haben? Sie haben sich doch damals eminent gegen die Gesamtschule ausgesprochen? Schweigen Sie nun aus Furcht oder aus Disziplin?

MADERNER: Von Furcht kann überhaupt keine Rede sein. Anderseits: Parteidisziplin ist an und für sich eine Selbstverständlichkeit. Wo käme - oder wo kommt - eine Partei hin, wenn sich die Mandatare weigern, für ein beschlossenes Programm einzutreten…

FURCHE: Moderner steckt also doch zurück?

MADERNER: Moment: es stimmt nicht, daß ich mich eminent gegen die Gesamtschule ausgesprochen habe. Ich lehnte die Bezeichnung ab, weil sie kollektivistisch klingt und nicht zur pluralistischen Gesellschaft paßt. Ich empfahl die Verwendung der Ausdrücke „Mittelschule“ und „Untergymnasium“. Innerhalb meiner Partei spricht man nun von der „Neuen Mittelschule“ - das kommt meinen Vorschlägen nahe.

FURCHE: Das ist eine Frage der Wortwahl. Aber wie ist das inhaltlich?

MADERNER: Ich leugnete die Vorzüge der integrierten und differenzierten Gesamtschulen - die ich nur anders genannt haben wollte - im Vergleich zur Hauptschule mit ihrem A- und B-Zug keineswegs. Hier zeichnet sich jetzt sogar eine gewisse Konsensbereitschaft der großen Parteien ab. Meine Warnung richtete sich vor allem gegen die Überschätzung der organisatorischen Fragen vor den inhaltlichen. Das gilt auch noch heute, weil immer wieder vorwiegend um Organisationsfragen gerungen wird. Deshalb sehe ich keinen Grund, mich besonders zu engagieren.

FURCHE: Wefin also Organisationsfragen fyr Sie mehr oder minder unwichtig sind, was halten Sie für besonders wichtig?

MADERNER: Die Inhalte und Methoden. Das muß meiner Meinung nach zuerst ausdiskutiert werden, dann erst können sich Konsequenzen für die Organisationsformen ergeben, nicht umgekehrt. Man baut kein Haus, dessen Funktion man nicht kennt.

FURCHE: Dann läuft die derzeitige Schuldiskussion falsch. Was müßte sich da ändern? Müßte sich viel ändern?

MADERNER: Sehr viel! Das Scherzwort „Geht es Ihnen gut oder haben Sie Kinder in der Schule?“ hätte nicht so populär werden können, wenn trotz der gigantischen Anstrengungen in quantitativer Hinsicht, den großen finanziellen Opfern, die Gemeinden, Land und Bund für den Schulbau brachten, und der sprunghaften Erweiterung des Lehrerpersonalstandes der Schulalltag nicht nur mühselig, sondern sogar frustrierend geblieben wäre. Selbst die Modernisierung der Unterrichtstechnologie konnte nur wenig helfen. Das liegt an der Lehrplanhochstapelei und an der sinnwidrigen Zergliederung des Lehrstoffes in ein Dutzend und mehr Unterrichtsfächer.

FURCHE: Nur um kein Mißverständnis zu lassen: Sie nennen die Unterrichtsfächerung nicht nur sinnlos, sondern sogar sinnwidrig?

MADERNER: Ja, sie ist sinnwidrig, weil sie sowohl der Natur des Kindes als auch dem Wesen des Lehrstoffes widerspricht.

FURCHE: Ein konkretes Beispiel.

MADERNER: Zehnjährige Kinder werden sowohl im Untergymnasium als auch in der Hauptschule täglich mit vier, fünf, ja sechs Lehrern konfrontiert. Menschliche Beziehungen können sich da kaum entwickeln. Manche Lehrer, besonders die der Zweistundenfächer, kennen ihre Schüler oft semesterlang nicht einmal dem Namen nach. Und dennoch wird ein erzieherischer Einfluß erwartet. Das überfordert beide, Lehrer und Schüler. Dazu kommt noch die Zersplitterung des Lehrgutes, das behandelt wird, als bestünde es aus Forschungsdisziplinen. Diese Pseudowissenschaftlichkeit provoziert Desinteresse und Ablehnung. Ausnahmen bestätigen - wie immer - die Regel.

FURCHE: Also viel Aufwand für wenig Erziehung.

MADERNER: Hart formulierend, könnte man sagen, noch nie ist für die Schule materiell und personell so viel aufgewendet worden, und doch ist nur wenig dabei herausgekommen, wenn man Können, Wissen und Interessen der Schulabgänger - einschließlich der Maturanten - kritisch unter die Lupe nimmt. Freilich bin ich mir dessen bewußt, daß auch noch anderes mitspielt: nämlich das sogenannte dritte Milieu, die Wirkung der weltweit erfolgreichen Verdummungsindustrie. So wie die Schulen jetzt operieren, können sie dieser bestenfalls in den letzten Jahr gängen der höheren Schulen begegnen.

FURCHE: Dort also doch?

MADERNER: In diesem Alter hat der junge Mensch eine Reife erreicht, die ihn zu wissenschaftlichem Denken befähigt. Deshalb trifft die Schulmisere die Familien bei Volks- schülem und Maturajahrgängen am wenigsten. In der Volksschule hat es das Kind meistens nur mit einem Lehrer zu tun. Die beiden treten in menschliche Beziehungen zueinander. Diese menschlichen Beziehungen werden mit dem Übertritt in die Hauptschule oder das Untergymnasium - auch für die „Neue Mittelschule“ wurde dieses Problem noch nicht durchdacht - evident, es beginnt die Entpersönlichung. Für Lehrer und Schüler wird plötzlich nur noch der Stoff wichtig. Beide leiden darunter.

FURCHE: Sie sehen also die Fachzersplitterung als Übel an?

MADERNER: Die Fachzersplitterung ist ein Übel, das man nach sorgfältiger Planung und langfristigen Umstellphasen abschaffen könnte.

FURCHE: Wie würde ein Unterrichtsminister Moderner dieses Problem zu lösen versuchen?

MADERNER: Die Volksschule scheint mir am besten konzipiert. Hier würde ich alles, was nicht altersgemäß ist, eliminieren und dafür mehr Wert auf Lesen, Schreiben und Rechnen legen, auch auf musische Bildung und Leibeserziehung. In der Schulender Zehn- bis Vierzehnjährigen würde ich eine genetische Lehr methode versuchen. Ich würde das auf das Wesentliche reduzierte Schulwissen an Hand der Fragestellungen und Herausforderungen, dem es sein Entstehen verdankt, vermitteln. Also: Stets zuerst fragen, selbst denken lassen und sich bemühen, die Antworten gemeinsam zu finden, um auf diese Weise die schöpferischen Kräfte anzuregen.

FURCHE: Die Schüler würden also letztlich weniger wissen?

MADERNER: Das mag sein, aber sie werden mehr Selbstvertrauen zu ihrem Denkvermögen haben. Außerdem würden in „meiner“ Schule die Zehn- bis Vierzehnjährigen nur wenige Lehrer haben. Ein oder zwei universell ausgebildete Lehrer, ähnlich den Volksschullehrem, doch mit einem fundierten wissenschaftlichen Hintergrund, und Lehrer für die Kommunikationsfächer und die Fertigkeiten.

FURCHE: Wäre Ihre „Mittelschule“ dann eine Gesamtschule - oder nicht?

MADERNER: Das ist sie ja schon, denn die Lehrpläne und Lehrbücher der Untergymnasien und Hauptschulen sind so gut wie identisch. Das ist mit ein Grund, warum mir der gegenwärtige Streit so wenig zielführend erscheint. Die Gesamtschule haben wir, nur die Namen unterscheiden sich. Was fehlt, ist die adäquate Lehrerausbildung. Darauf käme es mir besonders an - eine Lehrerbildung, der keine Miniwissenschaftler als Ziel vorschwebt, sondern Pädagogen.

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