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Unnötiger Formalismus macht die Lehrer zu Verwaltungsbeamten

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Das Schulunterrichtsgesetz, 1974 mit den Stimmen der Großparteien beschlossen, wurde bereits nach zwei Jahren novelliert. Spannungen, die es seit langem unterschwellig im Schulbereich gab, scheinen durch dieses Gesetz an die Oberfläche getreten zu sein. Die Lehrer fühlen sich angegriffen, die Eltern sind ohne Interesse und die Schüler uuinfor- miert. Der nachhaltigste Eindruck aus einer Reihe von Gesprächen mit Lehrern, Obmännern des Eltemvereins und Schulsprechern war Unbehagen.

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Das Schulunterrichtsgesetz, 1974 mit den Stimmen der Großparteien beschlossen, wurde bereits nach zwei Jahren novelliert. Spannungen, die es seit langem unterschwellig im Schulbereich gab, scheinen durch dieses Gesetz an die Oberfläche getreten zu sein. Die Lehrer fühlen sich angegriffen, die Eltern sind ohne Interesse und die Schüler uuinfor- miert. Der nachhaltigste Eindruck aus einer Reihe von Gesprächen mit Lehrern, Obmännern des Eltemvereins und Schulsprechern war Unbehagen.

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Durch das Schulunterrichtsgesetz scheint die Gefahr, daß Lehrer zu reinen Verwaltungsbeamten werden, noch größer zu sein. Es hat ihnen eine Flut von Schreibarbeiten gebracht, die auch durch die Novelle nicht wesentlich verringert wird.

Von allen, die mit dem Gesetz zu tun haben, wird der ungeheure Formalismus beklagt, der in Form von zahlreichen, oft nicht einmal eindeutig formulierten Vorschriften als „kosmetische Operation wohl eine echte Schulreform ersetzen sollte“. Eine Verbesserung der pädagogischen und psychologischen Schulsituation hat das Gesetz nicht erbracht, es hat im Gegenteil die menschliche Sphäre zwischen Lehrern und Schülern eingeengt In Schulen, wo die Atmosphäre gut ist, „war das Gesetz nicht notwendig“, in anderen hat es „die Fronten zum Teil verschärft“.

Worum geht es in diesem Gesetz, das die Gemüter allgemein so erregt? Es wurden erstmals die Rechte und Pflichten aller am Schulbetrieb Beteiligten in Paragraphen festgehalten. Lehrer beispielsweise müssen Prüfungen „zwei Tage vorher ankündigen“, dürfen Schularbeiten nur an bestimmten Tagen abhalten, dürfen bei Prüfungen am Jahresende eine vorgeschriebene Minutenzahl nicht überschreiten. Eltemvereine sind gesetzlich vorgeschrieben, ebenso die Schülervertretung, Eltern und Schüler müssen jetzt „gehört werden“. Also echte Ansätze zu einer Demokratisierung.

Mißtrauensantrag?

Es bestreitet niemand, daß das Gesetz notwendig war und eine Orientierung für alle darstellt, nur - es ist im Formalen erstickt.. „Die Schule ist eben nicht nur juristisch in den Griff zu bekommen.“ Meist fehlen bei allen Beteiligten die Voraussetzungen für ein demokratisches Miteinander. Das letzte Wort hat in jedem Fall die Schule, viele Lehrer sind nach wie vor autoritär, wollen „von ihrer Macht nichts hergeben“, die Eltern halten sich heraus, aus Desinteresse, weil sie „die Kinder an der Front haben“, in Einzelfallen aus Vertrauen in die Schule.

Und die Schüler klagen darüber, daß die „Eltern sowieso auf der Seite der Lehrer stehen“, zeigen aber selbst auch wenig Interesse und sind über das Gesetz kaum informiert. Wie sollte auch ein Laie diese Fülle an Juristendeutsch bewältigen? Es ist sicher kein Zufall, daß viele Obmänner der Elternvereine Juristen sind - und Beamte, wie. die, Lehrer. , r

Wie stellen sich nun Lehrer, Obmänner und Schulsprecher im einzelnen zum Schulunterrichtsgesetz?

Viele Lehrer sind über das Gesetz verbittert, betrachten es als Mißtrauensantrag. Was sie als ihre menschliche Pflicht ansehen, versucht ihnen das Gesetz nun aufzuzwingen. Selbst von Schülern werden die Lehrer als die Gruppe angesehen, die als einzige „belastet ist“, die durch die Vorschriften eingeschränkt wurde, wenn sie auch „manchmal etwas überempfindlich ist“.

Lehrer, die einen guten Kontakt mit den Schülern haben, versuchen, sich nicht buchstabengemäß an das Gesetz zu halten, da es zum Teil sogar Härten gebracht hat. Warum etwa sollte ein Lehrer eine Prüfung nicht schon eine Woche vorher ansagen, obwohl das Gesetz nur zwei Tage vorschreibt? Und stellt die Einhaltung Von 15 Minuten Prüfungszeit für einen gefährdeten Schüler am Schluß des Jahres nicht oft einen psychischen Druck dar? Willkürliche und autoritäre Lehrer, gegen die das Gesetz wohl in erster Linie gerichtet war, können durch eine formale Erfüllung „im Rahmen des Gesetzes die Schüler weiter schikanieren“. Schüler haben die Erfahrung gemacht, daß es klüger ist, sich nicht auf das Gesetz zu berufen. Dadurch wird die menschliche Atmosphäre sicherlich nicht verbessert.

Die schwächste Stellung im Schulbereich nehmen die Eltern ein. Engagierte Eltern sind selten, ein Obmann (auch in Mädchenschulen haben das Amt Männer übernommen!) wird seine Funktion nicht mehr so leicht los, wenn er sie einmal hat. Was muß ein Obmann aber auch alles an Voraussetzungen mitbringen, damit er vom Direktor anerkannt wird? Er soll repräsentativ sein, in einer guten beruflichen Position stehen, mit dem Direktor ein gutes Einvernehmen pflegen, und seine Kinder sollen in der Schule möglichst problemlos sein.

In Schulen, wo der Eltemverein schon funktioniert hat und das ist äußerst »eiten - tufeer dies weiter. In anderen wird er zwar recht mühsam vorschriftsmäßig konstituiert, das ist aber in den meisten Fällen schon alles. Es stimmt, entscheidende Rechte haben die Eltern durch das Gesetz nicht bekommen. Sie dürfen Stellungnahmen abgeben zu Unterrichtsmaterialien, „von denen sie sowieso nichts verstehen“, zur Wahl des Skikurses, „der bereits ein Jahr vorher festgelegt werden muß“, zum Wandertag, „der in erster Linie ein organisatorisches Problem ist“. Die letzte Entscheidung liegt nach wie vor beim Direktor.

Einmannvereine

Im allgemeinen ist der Elternverein ein „Einmannbetrieb“. Manche Obmänner vertreten sogar den Standpunkt, daß die Eltern gar keine Rechte haben sollten, weil sie „sowieso keine Ahnung haben“. Das führt dann so weit, daß ein Eltemverein schriftlich auf seine Stellungnahme verzichtet! Oder seine Funktion in erster Linie darin sieht, finanzielle Lücken zu füllen. Und auf jeden Fall „soll er in Erziehungsfragen auf der Seite der Lehrer stehen“.

Der Einfluß des Elternvereins auf die Schulatmosphäre wird von allen anerkannt. Er beschränkt sich im allgemeinen darauf, den Dingen ihren Lauf zu lassen, die Kinder an der Kandare zu halten und möglichst nicht aufzufallen. Vereinzelt gibt es positive Beispiele für Eltemvereine, die durch Eigeninitiative sehr wohl imstande sind, gegen das starre Schulsystem und die Bequemlichkeit von Direktor und Lehrer einiges durchzusetzen. Ein aktiver Eltemverein muß nämlich nicht nur „gehört“, er kann auch nicht „überhört werden“.

Das Desinteresse der Eltern findet seinen naturgemäßen Niederschlag bei den Schülern. Die Schulsprecher arbeiten, wie die Obmänner, zumeist im Alleingang. Die Schüler schimpfen zwar, daß nichts geschieht, nützen jedoch die wenigen Möglichkeiten, die ihnen das Gesetz gegeben hat, nicht aus. Außer Erleichterungen in Detail- fragen hat ihnen das Gesetz allerdings kaum etwas gebracht Im allgemeinen versucht der Schulsprecher, die Interessen der Schüler in einem guten Einvernehmen mit Direktor und Lehrer durchzusetzen, aber das war in Schulen, wo Gespräche zwischen Lehrern und Schülern stattfinden, immer möglich.

Das Recht des Schülers, seine Entschuldigung beim Fernbleiben selbst zu unterzeichnen, erwies sich als Fehlschlag; ein Elternteil mußte zusätzlich gegenzeichnen. Auf Grund der Novelle soll eine einmalige Bestätigung der Eltern zu Jahresbeginn genügen,’ dann können Schüler der Oberstufe tatsächlich Entschuldigungen allein unterschreiben. Die Bestätigung kann jedoch von den Eltern jederzeit widerrufen werden.

Es stimmt auch nicht, daß Schüler mit einem Nichtgenügend automatisch am Ende des Jahres aufsteigen können, eine Lehrerkonferenz muß ihre Zustimmung geben. Die Praxis hat gezeigt, daß vermieden wird, es überhaupt dazu kommen zu lassen.

Als größter Erfolg im Schulunterrichtsgesetz wird der Schulgemeinschaftsausschuß (SGA) angesehen, dem alle positiv gegenüberstehen. Aber auch hier herrscht die Ansicht vor, daß der Ansatz gut ist, das Ganze aber viel zu formal abläuft, als daß wirklich etwas daraus resultieren könnte. Die Lehrer achten darauf, „daß ihnen die Eltern und Schüler nicht in Bereiche dreinreden, von denen sie’nichts verstehen“, die Eltern stehen - von Belanglosigkeiten abgesehen - „prinzipiell auf Seiten der Lehrer“, und die Schüler sind entweder nicht imstande, zu inhaltlichen Veränderungen Anstöße zu geben, oder sie resignieren in der Erkenntnis ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit mit drei Schülern gegenüber sechs Erwachsenen.

Der SGA kann allerdings nur Stellung nehmen, Empfehlungen geben, er kann nichts wirklich entscheiden. Obwohl hier drei gewählte Lehrer vertreten sind, müssen die Beschlüsse des SGA durch eine Schulkonferenz bestätigt werden, und bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgewiesen.

Sieht man sich die Erfolge an, auf die Schulgemeinschaftsausschüsse in den letzten drei Jahren zurückblicken können, so mutet manches wie eine Farce an: eine Wurstsemmelaktion mit Hilfe des Schulwartes; die Aufstellung eines Coca-Cola-Automaten; das Sammeln von Geld durch die Schüler für den Ankauf von Klosettpapier, das vom Ministerium nicht zur Verfügung gestellt wird und für das sich Eltern nicht zuständig erklärten; die Aufhebung der Vorschrift, daß Schüler im Schulgebäude Hausschuhe tragen müssen.

Bei der von einem Obmann des Eltemvereins, einem Juristen, verfaßten Hausordnung, die angeblich wie ein Gesetzestext formuliert werden muß, konnten die Schüler ihre Vorschläge, statt „die Schüler haben sich… zu verhalten“, „Bemüht euch…“ zu schreiben, nicht durchsetzen. Die Anwesenheit des Schulsprechers bei einer Disziplinarkonferenz kam in der Praxis noch nicht zum Tragen. Für viele Eltern „ist die Schule ein Dienstleistungsbetrieb, wo sie ihre Kinder abgeben und gebildet zurückbekommen wollen“.

Die Schulsprecher geben den Eltern die Schuld an der mangelnden Fähigkeit der Schüler zu selbständigem Denken und Handeln, zu Mitbestimmung, zum Ausnützen ihrer demokratischen Möglichkeiten. Wie die Lehrer, vertreten sie die Ansicht, daß auch eine gute Schulatmosphäre nur auf Voraussetzungen aufbauen kann, die das Elternhaus schon vor dem Eintritt in die Schule und auch weiterhin vermittelt.

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