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Chancengleichheit -einmal andersherum

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Daß der Lehrer von der Kritik nicht ausgenommen bleiben darf, ist selbstverständlich. Aber wahr ist auch: Mit dem Vorwurf, der Lehrer sei an allen Mißständen der Schule schuld, sind viele nur allzu rasch zur Stelle. Deshalb erteilen wir heute einer Lehrerin aus Aigen im Mühlkreis das Wort, die mit überspitzten Formulierungen sehr ernsthaft zum Nachdenken anregt.

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Daß der Lehrer von der Kritik nicht ausgenommen bleiben darf, ist selbstverständlich. Aber wahr ist auch: Mit dem Vorwurf, der Lehrer sei an allen Mißständen der Schule schuld, sind viele nur allzu rasch zur Stelle. Deshalb erteilen wir heute einer Lehrerin aus Aigen im Mühlkreis das Wort, die mit überspitzten Formulierungen sehr ernsthaft zum Nachdenken anregt.

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Im Schulunterrichtsgesetz sind die Pflichten des Lehrers festgelegt. Zu den alten Pflichten traten neue hinzu. Dagegen erhielt der Schüler mehr Rechte, die im Schulgemeinschafts-ausschuß zur Wirkung gebracht werden sollen. Die Schülervertreter stellen selbst wieder neue Forderungen, die durch keine Selbstkontrolle gefiltert werden und in ihrer unbekümmerten Rücksichtslosigkeit ein beredtes Zeugnis dafür ablegen, daß die Erziehung zu Selbstbewußtsein und Durchsetzungsvermögen vollauf gelungen ist. Daß die meisten dieser Forderungen eine Ironie auf die Schulwirklichkeit darstellen, wird vielen nicht bewußt.

Um das Paradoxe dieser Situation aufzuzeigen, seien hier den Forderungen der Schüler und ihrer Vertreter Forderungen der Lehrer gegenübergestellt, die sich entweder als logische Weiterführung ergeben oder schlicht aus der Tatsache, daß man dem Lehrer die Gleichberechtigung mit seinen Schülern nicht versagen kann:

• Da dem Schüler gestattet ist, Schwerpunkte in der Stoffauswahl zu setzen und besondere Interessengebiete im Unterricht zu bevorzugen, möge er sich durch eingehendes Studium der Literatur einen mindestens ebenso großen Uberblick schaffen, wie ihn der Lehrer besitzt, der sein Wissen durch eine Reihe von Prüfungen beweisen mußte.

.• Da der Schüler an der Unterrichtsgestaltung mitwirken soll und das auch massiv versucht, um sich die Rosinen herauszuholen, der Lehrer aber einen Lehrplan zu berücksichtigen hat und dem Schüler eine echte Arbeitshaltung vermitteln soll, so soll der Schüler vorerst Methodik und Didaktik studieren, damit er nicht durch sein Gefühl und seine vordergründigen Wünsche irregeleitet werde.

• Da der Lehrer durch das Studium von Psychologie und Pädagogik weiß, wie sehr Anerkennung und positive Bestätigung den Schüler aufmuntern und motivieren, so sollen die Schüler ebenfalls Pädagogik und Psychologie studieren, auf daß die Lehrer nicht wegen falscher Behandlung durch die Schüler ihre Lust an der Arbeit verlieren und in ihrer Weiterentwicklung gehemmt werden.

• Da der Lehrer dem Schüler höflich begegnet und beleidigende Äußerungen gesetzlich verboten sind, wäre es im Sinne der Gleichberechtigung dringend notwendig, auch dem Schüler Beleidigungen, Frechheiten und rüdes Benehmen dem Lehrer gegenüber gesetzlich zu verbieten und bei Zuwiderhandlung Sanktionen zu verhängen.

• Da es den Schülern in Ausübung ihrer demokratischen Rechte widerspruchslos gestattet ist, Hetzschriften über Schule und Lehrer zu verbreiten, müßten auch die Lehrer dasselbe tun. Auf diese Weise kann man genügend Konflikte schaffen, die den so notwendigen gesellschaftsverän-dernden Haß erzeugen.

• Da die Schüler angehalten werden, das Fehlverhalten von „konservativen“ Lehrern ständig anzuprangern und an geeigneter Stelle zu melden, damit die Öffentlichkeit von dem schlechten Betragen dieser Lehrer Kenntnis erhalte, gewärtigen sie, daß auch die Lehrer im Zuge der Gleichberechtigung das Fehlverhalten der Schüler veröffentlichen und so die zukünftigen Arbeitgeber vor mancherlei Enttäuschungen bewahren.

• Da man davon spricht, daß die Lehrerinteressen den Schülerinteressen kontrovers gegenüberstünden (was den Lehrern in ihrer Harmlosigkeit bis jetzt verborgen geblieben ist); und diese Interessengegensätze zu institutionalisieren wären, so möge man, um mehr Lebensnähe zu erreichen, jedem einzelnen Schüler einen Lehrer gegenüberstellen, nicht 30 Schüler gegen einen Lehrer. Bei der Konfliktaustragung muß hier wie überall Chancengleichheit herrschen.

• Wenn die Schülervertreter Anspruch auf das Recht anmelden, einen Lehrer zu wählen oder abzulehnen, so müssen auch die Lehrer das Recht bekommen, einen Schüler abzulehnen oder sich ihre Klasse selbst zu wählen.

• Wenn die Schülervertreter Anspruch auf das Recht der Teilnahme an allen Konferenzen mit Sitz und Stimme anmelden, so wollen wir ihnen mehr geben: Sie sollen sich ihre Noten selber festlegen, selber ihre Zeugnisse schreiben und ihre eigene Unterschrift darunter setzen.

• Wenn die Schüler sosehr nach Einflußnahme auf das Unterrichtsgeschehen streben, so wollen wir ihnen mehr geben: Sie sollen in Zukunft den Unterricht selber bestreiten, die Lehrer hingegen hören zu und passen vorbildlich auf.

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