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Die Eltern zum Bildungsberidit

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In weiten Kreisen unserer Bevölkerung ist die Irrige Meinung vertreten, wir hätten die Schulreform bereits hinter uns. Das Schulgesetzwerk 1962 hat jedoch nur die äußere Organisation des österreichischen Schulwesens betroffen. Die gesetzliche Regelung für den inneren Schulbetrieb steht noch bevor. Der Bildungsbericht des Unterrichtsmini- steniums kündigt sich für 1966 an; das „Schulunterrichtsigesetz“ wird noch warten lassen. Es soll die Aufnahme und das Ausscheiden der Schüler, das Aufsteigen und den Übertritt regeln, aber auch Fragen

der Unterrichtsführung, der Schülerbeurteilung, der Lehrbücher und der Zeugnisse behandeln. Schließlich wird es noch Bestimmungen über die Schulordnung, die Eltern- und Schülervertretung beinhalten.

Bei der Dachversammlung aller österreichischer Elternvereine an den Pflichtschulen — sie fand am 16. April 1966 in Salzburg statt — ergriffen die Elternvertreter die Gelegenheit, zu den Fragen der Lehrbücher, sowie der sogenannten Eltern- und Schülervertretung Stellung zu nehmen, ehe es zu spät ist.

Die Eltern begrüßten selbstver

ständlich alles, was ihr Mitsprache- recht in schulischen Dingen sichert. Wenn aber in diesem Zusammenhang an die Einführung der Elternschaft an den Schulen gedacht wird, dann müßte sie in einer solchen Form erfolgen, die nicht den schon bestehenden Elternvereinen den Ast absägt.

Weniger Volks-, mehr Hauptschulen

Der Bildungsbericht streift nicht nur die Fragen des bevorstehenden Schulunterrichtsgesetzes, sondern wirft noch andere bedeutsame Dinge dazu auf. Wir ersehen aus den

Zahlen, die er uns liefert, den Rückgang der Zahl der Volksschulen. Allein durch den Wegfall der Volksschuloberstufen ist der Zustrom zu den Hauptschulen im Steigen: 1937: 4580 Volksschulen mit durchschnittlicher Klassenschülerzahl 44,7, 1964: 4374 Volksschulen mit durchschnittlicher Klassenschülerzahl 32, demgegenüber 1937: 646 Hauptschulen, 3895 Klassen mit 36,6 Schülern, 1964: 866 Hauptschulen, 6256 Klassen mit 29,8 Schülern. Soweit sich mit diesen Zahlen die steigende Bildung feststellen läßt, können sie mit Befriedigung zur Kenntnis genommen werden.

Was aber wird die Zukunft bringen? Sicher wird das Netz der Hauptschulen noch dichter gelegt werden, die Stillegung von Klein- und Kleinstschulen wird weiter fortschreiten müssen. Die gewählten Funktionäre der Elternvereine kommen dadurch bisweilen in eine unangenehme Situation. Aber selbst auf die Gefahr hin, Wähler zu verlieren, werden sie dem besseren Bildungsweg den Vorrang geben müssen. Wenn auch die Lehrer der ein- und zweiklassigen Volksschulen auf dem Lande ausgezeichnete Pädagogen gewesen sind, die das Beste aus ihren Kindern herausholten, so bleibt es doch eine unleugbare Tatsache, daß bei einer solchen Schulorganisation viel Unterrichtszeit verloren geht. Außerdem scheint es, daß der Landlehrer, der mit viel Liebe im kleinen Dorf einen geistigen Mittelpunkt bildete und das Bildungsgut vermittelte, einer vergangenen Generation angehört. Wer wird heute noch Lehrer? Und wer geht noch ins Dorf?

Kommende Engpässe

Der Lehrermangel wird bei weitem noch spürbarer werden als der Raummangel. Hier von einem bloßen Engpaß zu sprechen, heißt ein Optimist sein: von 1965 bis 1975 wird der Bedarf an Lehrern in den Pflichtschulen um rund 50 Prozent steigen, im gleichen Ausmaß der Lehrerbedarf an den höheren Schulen. Bei den berufsbildenden Schulen steigt der Bedarf an Lehrern immerhin um mehr als ein Drittel. Den Mehrbedarf an Hauptschullehrern kann man sich mit rund 4000 Personen errechnen.

Eine Folge ist unter anderem die zunehmende Überlastung der vorhandenen Lehrer, die zunehmende Nervosität und Unfähigkeit, wirklich mit ruhiger Hand die Jugend zu führen. Schließlich droht überhaupt die Gefahr, daß alles Bildungsbemühen scheitern könnte. Die Schule wird als Bildungsfaktor immer schwächer — das Elternhaus ist ihr darin schon vorangegangen — der Einfluß des dritten Milieus wird immer mehr und mehr wachsen.

Die Quantitäten erdrücken die Qualitäten des Unterrichtes. An solchen Quantitäten fehlt es nicht: Jeder Jugendliche wird in Zukunft mehr Jahre die Schulbank drücken müssen, Staat und Wirtschaft verlangen mehr Maturanten und Absolventen der Hauptschulen. Woher dieses geforderte Plus an Bildung kommen soll, bleibt eine offene Frage. Sie wird nicht gelöst, wenn die Unterrichtsstunden pro Woche erhöht werden.

Die Nachwuchsfrage

Der Bildungsbericht kann auf eine Reihe geeigneter Maßnahmen hinweisen, die den Zustrom zum Lehrberuf steigern helfen. Die von den Landesschulräten errichteten Maturantenlehrgänge waren beispielsweise eine solche brauchbare Maßnahme. Erfreulich 1st es, wenn die Geldsumme für die Stipendien an künftige Lehrer im Zeitraum von 1960 bis 1965 aufs zehnfache erhöht werden konnte: von 800.000 Schilling jährlich auf 8 Millionen. Und doch fehlt es noch an kräftigen Anreizen für junge Männer, den Lehrberuf zu ergreifen. Es nützt nichts, wenn man erst für das Jahr 1971 bessere Lehrergehälter in Aussicht stellt, denn das wird sich erst 1981 auswirken.

Es wäre aber auch falsch, die Nachwuchsfrage nur vom Standpunkt der Besoldung her zu sehen. Schließlich wird mitunter mit dem Lehrer so umgesprungen, wie man es sich mit keinem Hilfsarbeiter getraut. Es sei nur an die in den Zeitungen erwähnten Rückstände von Überstundenentlohnungen erinnert. Auch besitzt der Lehrer noch immer nicht das Recht, sich seine Standes- vertreter wählen zu dürfen. Schließlich ist er von einer Zeiterscheinung am ärgsten betroffen: von jenem Schwund an Autorität, der immer in einem Schwund der Kultur endet.

Was wünschen die Eltern?

Die Mehrzahl der Eltern hat die zunehmende Verschulung nicht begrüßt; sie wird sie überhaupt ablehnen, wenn die Schule weniger zu bieten hat, wenn sie in der Qualität verflacht und zum bloßen Sitzen auf der Schulbank wird. Die Generation der heutigen Eltern hat hart arbeiten müssen, um sich ihre Existenz aufzubauen. Sie weiß, daß nur mit Arbeitsgeist und Arbeitswillen

unsere Jugend die Zukunft meistern wird. Es wird nicht darauf ankommen, um wieviel tausend Maturanten alljährlich mehr mit Zeugnissen ausgestattet werden, es kommt darauf an, daß diese Jugend im richtigen Geiste zu Ehrlichkeit, Arbeitsliebe und österreichischer Gesinnung erzogen wird. In diesem Sinne verwahrten sich die Vertreter der Elternschaft auch gegen die Verwässerung der polytechnischen Lehrgänge.

Denn dies wünscht heute die Mehrheit der Eltern:

Sie will nicht die Quantitäten im Bildungsweg erhöht sehen, sondern die Qualitäten. Die Eltern, die ihre Kinder lieber verhätscheln, sind auch heute — wie zu allen Zeiten — eine Minderheit, der sich die Mehrheit nicht beugen darf. Im Namen eben dieser Mehrheit der Eltern wird eine gute Ausbildung der Kinder gefordert. Gefordert werden gute, gut ausgebildete und gut bezahlte Lehrer. Das Wort vom Vorrang der Bildung darf kein Schlagwort bleiben; es muß zur Tat werden.

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