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Die innere Reform kam bisher zu kurz

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1969 berief Unterrichtsminister Alois Mock eine ständige Schulreformkommission ein. In ihr sollten neben Politikern und Experten auch Vertreter der direkt an der Schule Beteiligten - der Eltern, der Lehrer und der Jugend - Impulse für die Weiterentwicklung der österreichischen Schule geben. Die Kommission wurde von Mocks Nachfolgern im Amt, Leopold Gratz und Fred Sinowatz, übernommen und begeht im September 1979 das Jubiläum ihres zehnjährigen Bestandes. Grund genug, einmal Bilanz zu ziehen.

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1969 berief Unterrichtsminister Alois Mock eine ständige Schulreformkommission ein. In ihr sollten neben Politikern und Experten auch Vertreter der direkt an der Schule Beteiligten - der Eltern, der Lehrer und der Jugend - Impulse für die Weiterentwicklung der österreichischen Schule geben. Die Kommission wurde von Mocks Nachfolgern im Amt, Leopold Gratz und Fred Sinowatz, übernommen und begeht im September 1979 das Jubiläum ihres zehnjährigen Bestandes. Grund genug, einmal Bilanz zu ziehen.

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Der in dieser Reformära eingeleitete Schulversuch „Vorschulklasse” - eine Fördermaßnahme für schulpflichtige, aber noch nicht schulreife Kinder - hat sich bewährt und könnte bald ins Regelschulsystem übergeführt werden. Benachteiligungen des ländlichen Raumes mit seinen niedrigeren Kinderzahlen in einem Gebiet müssen jedoch vermieden werden, ebenso wie eine Entwicklung zur pflichtigen Vorschule und damit zu einer weiteren Verschulung.

Der Schulversuch „Fremdsprachliche Vorschulung in der Grundschule” ist im Laufe der Jahre so ausgeweitet worden, daiß er mittlerweile fast zur Regel wurde. Eine für die Schulreformkommission erstellte Untersuchung der tatsächlichen Erfolge stimmt allerdings etwas kritisch. Noch ist eine Reihe offener Fragen zu klären. Ein echter politischer Zankapfel liegt allerdings nicht vor.

Kaum umstritten ist auch die pädagogische Anreicherung des einst scharf kritisierten Polytechnischen Lehrganges, der sich insbesondere im ländlichen Raum als Schultyp fest etabliert hat. Die in der bisherigen Reformphase erprobten Maßnahmen zur Leistungsdifferenzierung und Individualisierung des Angebotes haben sich bewährt.

Längst eingeführt ist die dreijährige Ausbüdung der Hauptschullehrer.

Sachlich ist bisher auch die Diskussion um die Oberstufe der „all- gemeinbildenen höheren Schule” (AHS) verlaufen. Diese war einst auslösender Moment für das Schul-

Volksbegehren und die Einsetzung der Schulreformkommission; es ging hierbei um das 9. Gymnasialjahr. Zur Zeit werden drei Reformmodelle erprobt. Alle rechnen mit einer vieljährigen Oberstufe und sehen eine allgemeine Hochschulberechtigung wie bisher vor.

Die weitere Entwicklung könnte münden in einen Abbau der Typenvielfalt und eine Individualisierung durch „Wahlpflichtfächer”, wobei der Schüler aus einem Angebot von Ein- oder Mehljahreskursen ein bestimmtes Kontingent auswählt, das für ihn dann Pflichtgegenstand ist. Als positive Ergebnisse der Reform können hier noch die neu entwickelten Bildungsziele, Lehrpläne und didaktischen Grundsätze festgehalten werden, die auf einem weitgehenden politischen Konsens beruhen.

Konfliktträchtig ist allerdings ein anderer Aspekt. Obwohl der Gesetzgeber auch Schulversuche zur achtjährigen Form der AHS, zur Langform, vorschreibt und obwohl auch Konzepte dafür vorgelegt wurden, ist nur die gymnasische Oberstufe Inhalt von Versuchen. Die Unterstufe soll offenbar still sterben und das Lieblingskind sozialistischer Schulpolitik - die Gesamtschule - nicht konkurrenzieren.

Obwohl der Gesetzgeber weiters vorschreibt, die Versuche zur AHS- Oberstufe sowohl an Langformen als auch an reinen Oberstufenformen zu erproben, finden sämtliche Versuche an Schulen statt, die als achtjährige Langform geführt werden. Dabei wäre es doch interessant zu vergleichen, was die bessere Grundlage für eine AHS-Oberstufe ist - die Unterstufe der AHS oder eine Gesamtschule. Hat man hier etwa direkte Vergleiche gescheut?

Damit ist zum größten Zankapfel der Schulreform übergeleitet, zur „Integrierten Gesamtschule” aller Zehn- bis Vierzehnjährigen, die nach dem Willen der SPÖ die Hauptschule und die AHS-Unterstufe ersetzen solL Die ÖVP dagegen tritt ein für die Beibehaltung des mehrgliedrigen Systems bei gleichzeitiger Weiterentwicklung von Hauptschule und AHS.

Seit Beginn der Schulversuche haben sich hier die Fronten eher geklärt und versteift. Kein Wunder, verstehen doch die einen „Versuch” als Experiment im wissenschaftlichen Sinn, die anderen aber als Entwicklungsprojekt mit bereits vorgegebenem Ziel.

Außer Streit dürften bei diesen Versuchen die von Lehrern und Ver- suchsbetreuem erbrachten Leistungen sowie viele interessante Einzelerfahrungen, darunter auch Förderwirkungen, stehen. Uber das Gesamtergebnis gehen die Meinungen auseinander. Offizielle Aussagen sind natürlich oft Erfolgsmeldungen. Die Befürworter der Gesamtschule wissen, welche Teilergebnisse aus den Kontrolluntersuchungen - aus dem Zusammenhang gelöst und verabsolutiert - sie zitieren müssen, um eine Überlegenheit ihres Modells zu belegen. Nur zu oft werden hier Äpfel mit Birnen verglichen. Die Vielschichtigkeit bei der Bewertung von Schulversuchen und deren natürliche Grenzen machen eine sachbezogene öffentliche Diskussion schwierig. Von einer Überlegenheit der Gesamtschule kann jedenfalls nicht gesprochen werden. (Außerdem wäre einmal ein Preis auszusetzen für den ersten prominenten Gesamtschul- Befürworter, der seine eigenen Kinder dorthin schickt.)

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Anregungen, die in der jüngsten Untersuchung zu den Gesamtschul-Versuchen gemacht werden. Empfohlen werden da - 1979! - neue Sozialformen des Lernens, wo schwächere und leistungsfähigere Schüler Zusammenarbeiten sollen. Für Versuche zur AHS-Unterstufe wurde das bereits 1972 vorgeschlagen, aber bis heute nicht verwirklicht. Die erwähnte Untersuchung spricht sich auch für eine verbesserte, neue Didaktik mit besonderer Betonung des aneignenden (nicht bloß aufnehmenden) Lernens aus. Durchaus mit Recht - nur ist diese Forderung schon viel älter und reicht weiter zurück, als auf neun Jahre Ge- samtschul-Versuche.

Politisch umstritten sirid auch die zwei Modelle zur ganztägigen Betreuung von Schülern. Die SPÖ tritt für die Ganztagsschule (GTS) ein, bei welcher der Pflichtunterricht über Vor- und Nachmittag verteilt wird und Lernen sowie Freizeitbeschäftigung in den Tagesablauf integriert sind. Die ÖVP propagiert die Tagesheimschule (THS), die den Unterricht wie bisher auf den Vormittag konzentriert und in der das Kind je nach Eltemwunsch am Nachmittag zu Hause ist oder zur Lern- und Freizeitbetreuung in der Schule bleibt.

Freilich betonen auch die Verfechter der Ganztagsschule die Freiwilligkeit des Besuches und verweisen auf das intensivere Famüienleben am Wochenende. Auch die Jugendorganisationen und Sportvereine könnten sich am Wochenende entfalten, heißt es. Was dann für „Ganztagsschüler” alles noch am Wochenende stattfinden soll - Familienleben, Sportveranstaltungen, Kultur, Jung- schar/Rote Falken -, bleibt allerdings unbeantwortet.

Abgesehen von noch lange nicht ausdiskutierten gesellschaftspolitischen Fragen, wird sich eine gleiche Abgeltung für die Lehrer in den beiden Modellen Tagesheim- und Ganztagsschule als notwendig erweisen, wall man sich nicht dem Vorwurf einer Bevorzugung der Ganztagsschule aussetzen. Das „pädagogische” Argument, die Tätigkeiten seien nicht gleichwertig, kann nicht aufrechterhalten werden.

Die Schülversuche haben - bedingt durch Vielfalt und Umfang der Vorhaben - eine Eigengesetzlichkeit entwickelt, die einen großen, zweifellos hochqualifizierten, hauptamtlich tätigen Apparat notwendig gemacht hat. Das hat die Schulreformkom- mission gegenüber dem Unterrichtsministerium in eine schwächere Stellung gebracht als ursprünglich konzipiert war. Die Impulse von „außen” her, wenn man will: von der Basis, sollten nicht nachlassen und nicht vernachlässigt werden. Eine Entwicklung der Schulreformkommission in Richtung Alibiforum oder Akklamations- orgän wäre zu bedauern.

Die Schulreform hat sich oft zu stark auf Fragen der Schulorganisation fixiert. Sicherlich haben auch organisatorische Überlegungen die Diskussion um Inhalte befruchtet. Es scheint aber, als seien Lehrplanreform, Didaktik, Lehrerbildung zu kurz gekommen.

Eine stärkere Besinnung auf diese grundlegenden und umfassenden Fragen täte not, ebenso wie die für alle Beteiligten - Eltern, Lehrer, Schüler -, für alle Schultypen und für alle regionalen Bereiche so notwendige Senkung der Klassenschülerzahlen.

Ein weißer Fleck auf der Landkarte der Schulreform ist die Belebung der einzelnen Schulgemeinschaften, verbunden mit der überfälligen Entkrampfung des Verhältnisses zwischen Eltern, Lehrern und Schülern. Auch das alarmierende Ansteigen von Verhaltensstörungen und von Drogenabhängigkeit Jugendlicher sollte uns beschäftigen. Schließlich: Wäre nicht auch die Wiedergewinnung des Erzieherischen ein Thema für die Schulreformkommission?

(Der Autor ist Professor am Kollegium Kalksburg und Bildungsreferent des ÖAAB)

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