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Ein Plädoyer für das Gymnasium

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Gymnasiums kamen erst gar nirgends zur Anwendung. Auch die Reifeprüfung erhielt eine Änderung, die ernsthaft keine Versuchsphase durchlaufen konnte.

Hier soll aber auf einen ganz inoffiziellen und unspektakulären Schulversuch am Gymnasium hingewiesen werden, der sich neben der Schul- und Gesellschaftspolitik unbeabsichtigt, aber deshalb nicht weniger beeindruckend abgespielt hat, - nämlich der Versuch, das Gymnasium systemhaft von unten her durch die Hauptschule und oben durch viele Maturaformen an berufsbildenden Schulen einzuschränken. Die Parole von der „Maturantenschwemme” sollte die inflationäre Situation gymnasialer Bildung zum Ausdruck bringen.

Die Hauptschule erhielt wortgleiche Lehrpläne wie die Unterstufe von Gymnasien (insbesondere des Realgymnasiums), dazu eine Struktur von Leistungsgruppen, die die Probleme von schlechten Noten, Wiederholungsprüfungen und Wiederholen von Schulstufen weitestgehend beseitigen. Die erwartete Reaktion der Gesellschaft, der Eltern, deshalb ihre Kinder nun vermehrt in die aufgewertete Hauptschule zu schicken, trat nicht ein. Im Gegenteil: Die Zahl der Hauptschüler in Ballungsräumen ging drastisch zurück!

Da wurden Vorwürfe von gesellschaftlichem Hochmut der Eltern laut. Und die Gymnasien, die vordem dem Vorwurf zu großer Strenge, zu vieler Repetenten, mangelnder Feinfühligkeit gegenüber neu eintretenden Schülern, pädagogisch schlecht ausgebildeter Lehrer, des Nachhilfeunwesens und dergleichen ausgesetzt waren, wurden nun verdächtigt, daß sie ihre Schüler insgeheim anwerben, zu geringe Anforderungen stellen und Prüfungen zugunsten von Schülerzahlen manipulieren, - kurzum, daß sie die Gesamtschule realisieren. Statt den Eltern und dem Gymnasium Vorwürfe zu machen, wäre es vermutlich längst fällig gewesen, ernsthaft darüber nachzudenken und nachzufragen, ob Gründe für diese Entwicklung gefunden werden können und welche das sein könnten:

• Ob die Eltern nicht etwa eine anerkennenswerte Bereitschaft zur sorgsamen Begleitung ihrer Kinder durch die Schulwelt aufweisen -und sei es auch finanziell im Fall von notwendiger Nachhilfe - ,

• ob sie nicht am Gymnasium auf eine bessere Vorbereitung für weiterführende Schulen hoffen,

• ob sie etwa die Herausforderungen zu mehr Anstrengung für die spätere Arbeitshaltung ihrer Kinder für günstig halten,

• ob sie vielleicht im Gymnasium ein günstigeres soziales Umfeld für das Lernen sehen und so weiter.

Das alles ist nicht erwiesen, aber eben auch nicht erhoben. Vor allem trifft die Lehrer an den Hauptschulen nicht die Schuld an ihrer Schulstruktur. Es könnte ja auch sein, daß Politik und Wirtschaft das Ansehen der händischen Arbeit nicht ausreichend mit Worten und mit Mitteln gefördert haben. Nicht das Gymnasium wurde verbilligt, sondern die Eltern haben sich für das Teurere entschieden.

Dabei weiß man aus den Erfahrungen an Oberstufenrealgymnasien, die ja als mögliche Schullaufbahn von Hauptschülern geschaffen wurden, daß Hauptschulen in vielen Bereichen durchaus brauchbare Grundlagen schaffen, wenn die Schüler von in ihren Fächern geprüften Lehrern unterrichtet wurden; dies ist aber dienstrechtlich nicht durchgehend gewährleistet.

Maturantenschwemme ?

Nun zum anderen „Ende” des Gymnasiums: Die Wirtschaft beklagt in ihren Medien mit Beharrlichkeit die Maturantenschwemme. Dazu ist zweierlei zu sagen:

Im Durchschnitt wandern zum Beispiel in Tirol fast die Hälfte der Gymnasiasten nach der Unterstufe an eine berufsbildende mittlere oder höhere Schule ab - und zwar beileibe nicht nur jene, die im Gymnasium überfordert sind. Es sind vielmehr sehr viele mit einem ausgeprägten Berufsziel und mit offenkundiger Eignung dafür. Die Gymnasien tun gut daran, sich über diesen Erfolg, diesen Dienst an Jugend und Eltern, an solider Vorbildung und Hilfe bei des Berufswahl, zu freuen, selbst wenn gar nicht wenige „Abgänge” zunächst bedauert werden.

Andererseits bleibt vielfach unberücksichtigt, daß j a nicht die Zahl der Gymnasialmaturanten an sich die Maturantenschwemme erzeugt hat. Vielmehr hat sich die Zahl der höheren Abteilungen an berufsbildenden Schulen vermehrt: die zu Akademien oder Auf baulehrgängen aufgestockten Handelsschulen, die Fachabteilungen der technischen Schulen, die reformierten wirtschaftsberuflichen Schulen und die Lehranstalten für Kindergartenpädagogik. Bald ist vielleicht mit einem Maturaabschluß bei der Krankenpflegeausbildung zu rechnen. Diese Entwicklung ist allgemein und im Sinn der betroffenen Schüler zu begrüßen.

Allerdings wurde die dazu parallele Entwicklung an Gymnasien mit berufspraktischer Ausbildung wegen der damit angestrebten Berufsberechtigungen eher restriktiv behandelt. Die erst jetzt verstärkt vom Hochschulressort betriebene Gründung eines postsekundären Bildungsangebotes wurde wegen vieler Widerstände nur schleppend betrieben. Wo jedoch die Palette der Berufsberechtigungen an berufsbildenden Schulen eingeschränkt werden soll, dort wird sofort um die Attraktivität der Schulen gefürchtet.

Wer die „Ma-turanten-schwemme” an der Zahl der Neuinskribenten an den Universitäten mißt, unterscheidet natürlich nicht, woher diese Maturanten kommen. Ob alle neben ihrer Spe-zialqualifikation auch das nötige Maß an Allgemeinbildung mitbringen, wäre einmal vorurteilsfrei zu untersuchen, bevor uneingeschränkt von der mangelnden „Studierfähigkeit” gesprochen wird.

Die Maturanten des Gymnasiums sollten nicht vorgehalten bekommen, daß sie sich auf den Weg zur Vergrößerung des „akademischen Proletariats” begeben haben. Denn die Zahl dieser Maturanten, die gleich in einen Beruf, zum Beispiel die Verwaltung, eintreten, war immer schon vergleichsweise gering. Das darf aber nicht verwundern, weil das Gymnasium als eigentliches Bil-Gymnasien sind natürlich Schulen wie andere. Sie sind immer auch noch verbesserungswürdig. Daß diese „alte” Schulform trotz eines gleichgewerteten einfacheren Angebotes beim Eintritt und eines vervielfältigten Angebotes am Abschluß so erstaunlich von der Gesellschaft angenommen wurde, kommt geradezu dem Gelingen eines langjährigen Schulversuchs gleich.

Dieser Effekt würde rechtfertigen, den erst spät eingeführten umständlichen Namen „AHS” (allgemeinbildende höhere Schulen) auf die schlichte und unmißverständliche Bezeichnung „Gymnasien” zurückzuführen. Dazu könnten dieBe-mühungen der Ostblock-Nachfolgestaaten mit ihrem bisher fast nur berufsorientierten höheren Schulwesen ermutigen.

Der Autor ist Landesschulinspektor in Ruhe.

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