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MEHR SACHLICHKEIT, WENIGER EMOTION

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Was zeigt ein Blick auf die als Vorbild angesehenen Fachhochschulen in Deutschland? Welche Fragen wirft der Gesetzentwurf für Osterreich auf?

Österreich besitzt wie kein anderes Land ein breitgefächertes Bildungsangebot im Bereiche der Sechs- bis 19jährigen. Vor allem im Sekundar-bereich haben die jungen Menschen die Möglichkeit, die Hauptschule oder die AHS-Langform, in der Sekundarstufe II (9. bis 13. Schulstufe der 14-bis 19jährigen), zusätzlich zur AHS (allgemeinbildende höhere Schule), eine BHS (berufsbildende höhere Schule)odereine berufsbildende mittlere Schule zu besuchen. Dazu besteht auch noch die Möglichkeit, den dualen Berufsbildungsweg mit Lehre und Berufsschule zu beschreiten.

Im sogenannten postsekundären Bereich, nach der Matura, ist jedoch das Angebot gering. In diesem Sektor ist ein Teil der Lehrerbildung angesiedelt, ebenso die Kollegs an BHS, um vor allem AHS-Maturanten Zusatzqualifikationen zu vermitteln. Das geringe Angebot in diesem Bereich, aber auch das bisher geringe Interesse ist sicherlich auch auf den sehr liberal gehaltenen Zugang zu Österreichs Universitäten zurückzuführen.

Die Bundesregierung hat sich in ihrem Regierungsprogramm die Schaffung zusätzlicher postsekundärer Bildungseinrichtungen zum Ziel gesetzt. Eines der Motive war die sogenannte EG-Konformität. Im Regierungsprogramm kam zunächst der Begriff Fachhochschule nicht vor. In der laufenden Diskussion wird jedoch ausschließlich der in der Bundesrepublik Deutschland übliche Begriff Fachhochschule (FH) verwendet. Auch inhaltlich wird hauptsächlich die deutsche Fachhochschule zum Vorbild genommen.

Wenn schon derzeit nur die deutsche FH als Modell dient, so sollte man sich die nicht gerade problemlose Schaffung dieser Einrichtungen in Deutschland, aber auch ihre derzeitige Situation vor Augen führen.

In Deutschland hatte man zur Zeit des „Sputnikschocks" im internationalen Vergleich einen sehr niedrigen Prozentsatz an Universitätsabgängern vor allem im naturwissenschaftlichtechnischen Bereich. Die Kapazität der Universitäten war damals auch sehr begrenzt. Es entstand auch durch die bildungspolitischen Trends der siebziger Jahre die Idee zur Schaffung von Gesamthochschulen. Dieses Modell sollte im Universitätsbereich einen Stufenbau, beginnend mit einer berufsanwendungsbezogenen Stufe bis zum Forschungsbereich, vorsehen. Diese Idee blieb in ihrer Verwirklichung in den Ansätzen stecken. Geblieben sind jedoch die Fachhochschulen als berufsanwendungsbezo-gene Ausbildungsstätten außerhalb der Universitäten.

Sie sollten im Gegensatz zur Universität rasch einen höheren Abschluß vermitteln. Der große Zuspruch, den die Fachhochschulen in Deutschland fanden, ist unter anderem auf die begrenzte Kapazität der Universitäten sowie auf das weitestgehende Fehlen von Alternativen zur AHS zurückzuführen. In Deutschland sind HTL (Höhere technische Lehranstalt), HAK (Handelsakademie) und Höhere Lehranstalten für wirtschaftliche Berufe nicht eingerichtete Bildungsmöglichkeiten. Den Zugang zur FH eröffnete man auch Absolventen des dualen Systems. Sehr bald waren aber viele Fachhochschulen, deren Organisationsstruktur und Qualität von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ist, überlaufen, sodaß ein Numerus clausus mit einem sehr hohen Notenschnitt eingeführt wurde.

Ungelöst ist jedoch in Deutschland das Problem der Anerkennung der FH-Abschlüsse an den Universitäten. Daher wird seitens der FH das Promotionsrecht beziehungsweise die Umwandlung in Universitäten angestrebt, wogegen sich die Universitäten bisher erfolgreich gewehrt haben.

In Österreich wurde einige Zeit die Errichtung von Fachhochschulen auch mit dem Argument der Umstrukturierung der BHS, und hier vor allem der HTL mit ihrer Ingenieurausbildung, begründet.

Zu diesem Zeitpunkt lag jedoch nur die erste allgemeine Richtlinie der EG zur Anerkennung von Universi-täts- und Hochschuldiplomen vor. Nach dieser Richtlinie wäre ein BHS-Abschluß bloß als Sekundarstufenabschluß anerkannt worden. Daher wurde auch ein Umbau der BHS diskutiert, da der jetzige HTL-Abschluß sicher nicht mit einem Universitätsdiplom in Konkurrenz treten kann und soll.

Seit Juni dieses Jahres, dem Vorliegen der zweiten allgemeinen Richtlinie der EG zur Anerkennung von Berufsberechtigungen, ist dieses Argument vom Tisch. Diese Richtlinie anerkennt, daß in manchen Ländern Berufsqualifikationen bereits in der Sekundarstufe II (HTL) erworben werden, die in anderen Ländern erst im postsekundären Bereich erreicht werden können. Diese Richtlinie ermöglicht daher eine volle Anerkennung des HTL-Abschlusses auf dem Niveau II, das heißt auf postsekundärer Ebene.

Es bleibt aber das sicher sehr starke Argument der Entlastung der Universitäten. Damit diese neuen Bildungseinrichtungen jedoch tatsächlich von den jungen Menschen angenommen werden, müßten sie wirklich praxisorientiert und anwendungsbezogen strukturiert werden. Das Studium müßte weit kürzer als das an einer Universität sein, was eine sehr straffe Studienführung voraussetzt. Weiters sollte der Weg in eine Fachhochschule auch den Absolventen der Berufslehre, also des dualen Systems, offenstehen. Diese Forderung erheben völlig zu Recht vor allem der ÖGB, die Arbeiterkammer, aber auch Interessenvertretungen der Wirtschaft. Dies wird nicht sehr einfach zu verwirklichen sein, da sich in Deutschland in der Praxis gezeigt hat, daß die ursprünglich tatsächlich sehr kurzen Studiengänge länger geworden sind und der Anteil der Absolventen des dualen Weges abgenommen hat.

Die Diskussion in Österreich wird vor allem durch das Vorliegen eines ersten Gesetzesentwurfes zur Einrichtung von Fachhochschullehrgängen geführt. Die Kritik an diesem Entwurf, der nur einen Teilbereich der gesamten Materie erfaßt, ist sehr groß.

Es wird kritisiert, daß ein von der Österreichischen Bundesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten der

OECD nicht abgewartet wurde. Für dieses Gutachten haben die Experten der OECD noch im Oktober Erhebungen und Überprüfungen in Österreich vorgenommen. Das Gutachten ist also erst in Ausarbeitung, und konkrete Ergebnisse liegen derzeit noch nicht vor. Weiters fehlen derzeit Vorstellungen über die zukünftige Organisationsstruktur österreichischer Fachhochschulen sowie ein Fachhochschulentwicklungsprogramm. Dies sollte sinnvollerweise unter anderem die Standortfrage künftiger Fachhochschulen unter Beachtung der Ergebnisse der OECD-Studie regeln.

Ein besonderer Diskussionspunkt ist neben der Standortfrage, bei der es zum Teil geradezu rührend naive Vorstellungen und „Bewerbungen" von Gemeinden gibt, die Finanzierungsfrage. Diese ist vollkommen offen, und der vorliegende Gesetzesentwurf stellt es jedem frei, eine Fachhochschule zu betreiben, der den Kriterien des Fachhochschulbeirates entspricht. Der tatsächliche Finanzbedarf nicht nur für die Errichtung, sondern auch für die Betreibung eines Fachhochschulsystems in Österreich wird vielfach unterschätzt. Wenn man auch hier deutsche Maßstäbe ansetzt, so ist es mit einigen Subventionsmillionen der öffentlichen Hand nicht getan, der Bedarf wird sich in Milliardendimensionen bewegen.

Um eine sinnvolle Alternative zur

Universität anzubieten, ist neben den bereits genannten Kriterien, wie Studiendauer und Praxisbezug, vor allem sicherzustellen, daß es zu einer engen Kooperation mit der Wirtschaft kommt. Die Vorstellung, daß die Wirtschaft, das heißt Unternehmungen, auch die Finanzierung übernehmen können, ist in den Bereich des Wunschdenkens einzureihen. Die Idee, relativ hohe Studiengebühren abzuverlangen, ist im derzeitigen österreichischen Bildungssystem nicht nur problematisch, sondern ein hochgradiges Politikum. Studiengebühren würden von vorneherein den Fachhochschulen einen Startnachteil bringen, wenn sie in Konkurrenz zu den Universitäten ohne Studiengebühren treten müßten. Eine bisher kaum diskutierte Möglichkeit für neue Fachhochschulen bietet sich jedoch vor allem im Bereiche der berufsbegleitenden Aus- und Fortbildung an. In England nennt man dies das „Sandwichessystem", das heißt man unterbricht, oft mittels Sponsoring durch Unternehmungen, die Berufstätigkeit, um einige Semester an eine Fachhochschule zu gehen und dort entweder eine Höherqualifikation zu erlangen oder Innovationsschüben gerecht zu werden. Dies führt von den bisher üblichen Bildungsrhythmen - Schule oder Lehre, dann Arbeitstätigkeit und anschließende Pension - weg zu einer mehrmals durch Studien unterbrochenen Berufstätigkeit. In diesem Bereich eröffnen sich für zukünftige Fachhochschulen neue Dimensionen.

Da man es leider verabsäumt hat, auf diesem Gebiet entsprechende Modellversuche durchzuführen (man hat sich auf anderen Gebieten schul-versuchsmäßig verzettelt), sollte man nunmehr an diese Jahrhundertentscheidung sachlich, mit möglichst wenig Emotion herangehen. So sehr die Haltung mancher Politiker aus ihrer Sicht verständlich ist, möglichst bald als „Gründungsväter" zu fungieren, so wenig kann man jene verstehen, die in der Errichtung neuer Fachhochschulen die Möglichkeit einer bloßen Nachgraduierung sehen.

Die neue Einrichtung von Fachhochschulen kann nur dann eine echte bildungspolitische Alternative sein, wenn sie sich sowohl von der Universität als auch von der BHS klar abgrenzt. Wobei jedoch sinnvollerweise diskutiert wird, wie weit bestimmte Studienabschnitte des berufsbezogenen Bereiches auch an berufsbildenden höheren Schulen absolviert werden können. Dies könnte zu echten Kosteneinsparungen führen. Ebenso legitim ist die Forderung, bereits erworbene Qualifikationen im dualen Bereich oder an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen an einer FH angerechnet zu bekommen.

Den Finanzierungsaspekt sollte man bei der derzeitigen und wahrscheinlich auch künftigen Budgetlage nicht großzügig beiseite schieben. Er birgt auch einen grundsätzlich gesellschaftspolitischen Sprengstoff. Sollte es - überspitzt formuliert - zum amerikanischen System der Bildungsfinanzierung kommen, mit hervorragenden Privatschulen und Privatuniversitäten, die jedoch horrende Studiengebühren verlangen, so wäre dies bildungspolitisch in Österreich ein völlig neuer Weg. Unterprivilegierte - und dazu gehören dann auch sicherlich Mehrkindfamilien - müßten sich mit schlechten und desolaten öffentlichen Schulen begnügen. Es stellt sich daher in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob Bildung in Österreich in der Zukunft ein marktwirtschaftlich orientiertes „Geschäft" werden soll oder obsie weiterhin ein Anliegen der res publica bleibt.

Unser Land hat Vergleiche mit derzeitigen EG-Ländern auf dem Bildungssektor nicht zu scheuen. Wir brauchen weder Bildungsimporte noch Entwicklungshilfe. Wir brauchen aber auch in diesem Bereich keine „Hausaufgaben" zu machen, wie dies von manchen gefordert wird. Eine Fachhochschule eigenständiger Prägung und österreichischen Zuschnittes als „Fleißaufgabe" könnte aber zu einer bildungspolitischen Bereicherung werden.

Prof. Dkfm. Mag. Helmut Skala ist Vorsitzender der Bundessektion 14 (Lehrer an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen) in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst.

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