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Ist die Studierfähigkeit der Studenten zurückgegangen?

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Seit geraumer Zeit verstärkt sich unter den österreichischen Hochschullehrern der Eindruck, daß die durchschnittliche Qualifikation der Studienanfänger zurückgehe. Es lag daher nahe, daß der Rektor der Wiener Universität in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der österreichischen Rektorenkonferenz der Sorge um die „Studierfähigkeit“ der nachrückenden Studenten Ausdruck verlieh. Nun gibt es zwar keine exakten Beweise für einen Rückgang der Studierfähigkeit in Form empirischer Untersuchungen (die für ganz Österreich repräsentativ sein und sich auf mehrere Jahre erstrecken müßten). Was vorliegt, sind die aus der Lehrtätigkeit unmittelbar gewonnenen Eindrücke der Hochschullehrer. Hinzu kommen einige objektive Nachweise sinkender Prüfungsleistungen in einzelnen Studienfächern während der Anfangsemester. Im übrigen werden die Klagen über eine nachlassende Leistungsfähigkeit der Studienanfänger nicht in allen Studienrichtungen in gleicher Weise laut - ein Tatbestand, der darauf schließen läßt, daß die anzutreffenden Unterschiede des Urteils ihren Grund in den Studenten selbst haben. Klagen fehlen etwa weitgehend in den technischen Disziplinen, was man wohl auch auf den Umstand zurückführen kann, daß der Prozentsatz stark leistungsmotivierter und aufstiegsorientierter Studenten in diesen Fächern überdurchschnittlich hoch zu sein scheint.

Jedenfalls sollte man die an unseren Hochschulen alltäglich gewordenen Klagen über einen Abfall der Studierfähigkeit ernst nehmen. Es dürfte schwerfallen, hiefür nicht die Wirklichkeit, sondern eine verzerrend-ver-klärende Sicht der Vergangenheit verantwortlich zu machen. Unerklärlich wäre ein solcher Leistungsrückgang in

Anbetracht der in den letzten zwei Jahrzehnten erfolgten Veränderungen im höheren Schulwesen unseres Landes nicht.

Die Schülerzahlen vor allem in den Gymnasien und Realgymnasien stiegen beträchtlich, und mit dem anwachsenden Schülerstrom kamen -wie gewollt und erwartet - in erhöhtem Umfang auch Kinder aus den unteren sozialen Schichten an die höheren Schulen, unter ihnen Schüler, die schon aus milieubedingten Gründen eine geringere Begabung und zum Teil wohl auch ein geringeres Interesse für die spezifischen Inhalte einer höheren Allgemeinbildung aufweisen. Da das Anforderungsniveau sich erfahrungsgemäß in einem gewissen Maße auch am Leistungsdurchschnitt der Schüler orientiert, würde eine Reduktion der Erwartungen und in der Folge ein Abfall der Leistungen nicht überraschen. In gleicher Richtung wirkte wohl der durch die Expansion der höheren Schulen verursachte Lehrermangel. Er hatte zur Folge, daß in den letzten Jahren eine beträchtliche Anzahl ungeprüfter, also nicht voll ausgebildeter Lehrer eingestellt wurde.

Ob der Nachweis eines Absinkens der Studierfähigkeit in zweifelsfreier Weise erbracht werden kann oder nicht, die österreichischen Universitäten müssen in jedem Fall an einer An-

hebung des gegenwärtigen Leistungsniveaus der Absolventen unserer höheren Schulen interessiert sein, da befähigtere Studenten helfen könnten, ihre allein schon durch den Anstieg der Studentenzahlen schwieriger gewordenen Ausbildungsaufgaben zu bewältigen. Diesem Ziel können recht unterschiedliche Maßnahmen dienen!

• Reduzieren wir möglichst rasch die Zahl der ungeprüften Lehrer und trachten wir vor allem, so bald als möglich wieder nur voll ausgebildete (vor ihrem selbständigen Einsatz also auch unterrichtspraktisch geschulte) Lehrer einzustellen;

• intensivieren wir die Fortbildung der Lehrer und

• modernisieren wir die Lehrpläne, damit die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung ehebaldigst Eingang in den Unterricht finden;

• verstärken wir die Beratung und Beaufsichtigung gerade der jüngeren Lehrer;

• setzen wir für diese Aufgabe ihrer pädagogisch-didaktischen Betreuung, der die Direktoren der groß gewordenen Schulen nicht mehr nachkommen können, eigene Subdirektoren ein;

• stellen wir den Unterricht in den siebenten und achten Klassen auf Kursunterricht um; in ihm werden die Schüler stärker aktiviert und höher motiviert, sie werden durch vermehrte Selbsttätigkeit an die seminaristische Arbeitsweise der Universität herangeführt.

Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen die mit dem Kursunterricht verbundenen organisatorischen Schwierigkeiten. Sie berechtigen aber auch zu Hoffnungen, soferne man den Ertrag des Unterrichts auf der Oberstufe der höheren Schule nicht so sehr in einem weitgestreuten Detailwissen, sondern in der Aneignung grundlegender Einsichten und im Kennen-Lernen der Methoden kritisch-wissenschaftlicher Erkenntnis sieht.

Geht es um die Leistungsfähigkeit der höheren Schulen, dann dürfen sich die Universitäten nicht darauf beschränken, ihren Sorgen Ausdruck zu geben und Vorschläge zu unterbreiten. Als Stätten der Lehrerbildung sind sie selbst in der Lage, einen Beitrag zu leisten; indem sie das wissenschaftliche Niveau der künftigen Lehrer absichern und indem sie deren pädagogisch-didaktische Ausbildung verbessern. Eine gesetzliche Regelung für die Neuordnung der pädagogischen Ausbildung der Gymnasiallehrer hegt (enthalten im Studiengesetz für die ehemaligen philosophischen Fakultäten) seit einigen Jahren vor. Es waren Einsprüche der Studenten und der Lehrerschaft, die die Verwirklichung

dieser neuen Ausbildungsordnung bisher verhindert haben, einer Ausbildungsordnung, die durch ein Schulpraktikum während des Studiums wesentliche Verbesserungen ermöglicht. Die Universitäten bedürfen nun der Hilfe der Bildungspolitiker; denn diese müßten die aufgetretenen Hindernisse beseitigen.

Daß enge Verflechtungen zwischen den Schulen und den Hochschulen bestehen, ist unverkennbar. Die Universitäten müssen daher nicht nur zum gegenwärtigen Stand des Schulwesens Stellung nehmen, sie müssen auch mögüche zukünftige Entwicklungen abschätzen und beurteilen. So werden sie festzustellen haben, ob auf längere Sicht in der Tat eine Verschlechterung der Studierfähigkeit zu konstatieren ist. Sollte dies eintreten, dann müßten die Universitäten auf Gegenmaßnahmen drängen: auf die Einführung von (in anderen Ländern praktizierten) Aufnahmeprüfungen für die Universitäten oder auch auf die Einführung zweiter Reifeprüfungen, von denen nur eine die Hochschulberechtigung verleiht

Eine solche Aufspaltung der Matura könnte zu einem späteren Zeitpunkt auch noch in einem anderen Zusammenhang diskutiert werden: Sollte einmal noch eine wesentlich größere Zahl junger Menschen allgemeinbildende höhere Schulen absolvieren, dann könnte es noch weniger als heute gerechtfertigt erscheinen, alle Formen höherer Allgemeinbildung auf die Studierfähigkeit und die Studierberechtigung auszurichten. Ohne Zweifel hätten Maßnahmen wie die erwähnten auch ihre bedenklichen Konsequenzen. So sollten verbindliche Aufnahmeprüfungen für die Universitäten als ein letztes Auskunftsmittel gelten, jedenfalls solange wir nicht über ein Testinstrumentarium verfügen, dem ein hoher Voraussagewert bezüglich des Studienerfolges zugeschrieben werden kann. i •

Weitgreifende und für die Hochschulen folgenschwere Änderungen im Schulwesen könnte die Einführung der Gesamtschule mit sich bringen. Die Universitäten müßten prüfen, ob sie den Gesamtschulen vielfach zugeschriebene geringere Förderung der Höherbegabten, ob der gefürchtete und sicherlich nicht auf jeden Fall auszuschließende Nivellierungseffekt tatsächlich zu erwarten ist. Die Universitäten müßten auch zu jenen Änderungen in der Lehrerausbildung Stellung nehmen, die nach internationalen Erfahrungen mit der Etablierung von Gesamtschulen zumeist Hand in Hand gehen; zur Einführung von „Stufenlehrern“, zur Konzentration der Ausbildung aller Lehrer (also auch der Pflichtschullehrer) an den Universitäten oder aber einer teilweisen Auslagerung der Ausbildung der Lehrer für die

Sekundarstufe I in außeruniversitäre Einrichtungen.

Zustand und Reformen unseres Bildungswesens dürfen zweifellos nicht ausschließlich von der Warte der Hochschulen aus beurteilt werden. Daß die Universitäten zum gegenwärtigen Stand, den Entwicklungstendenzen und den beabsichtigten Reformen Stellung beziehen müssen, sollte jedoch ebenso außer Zweifel stehen. Hiebei handelt es sich für die Hochschulen und ihre Organe um eine neuartige und daher ungewohnte, zugleich aber auch um eine außerordentlich wichtige Aufgabe. Denn nur wenn die Vertreter der Hochschulen als Advokaten in eigener Sache auftreten, werden sie die wirksame Erfüllung der universitären Bildungs- und Ausbildungsaufgaben sicherzustellen hoffen können.

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