6770484-1968_51_08.jpg
Digital In Arbeit

„Studenten müssen erzogen werden“

Werbung
Werbung
Werbung

In der Nr. 5/6 der Studentenzeit- Schrift „bilanz“ erschien eine Art Verfassungsentwurf der österreichischen Hochschülerschaft für die gewünschte neue Hochschulorganisation, der noch ergänzt wird durch Äußerungen bei Diskussionen innerhalb der Verbindungen. Man muß bei der Durchsicht dieser Gedankengänge leider feststellen, daß sich die sogenannte akademische Linke hier in einem beunruhigenden Ausmaß durchgesetzt hat, allem Anschein nach aus Gründen der agitatorischen Lizitation. Es lohnt sich kaum, auf diesen Entwurf in allen Einzelheiten einzugehen. Nur auf das wichtigste und auffallendste kann 'hingewiesen werden. Schon, wenn in Artikel 4 von einem „'gesellschaftspolitischen Auftrag“ der Universität gesprochen wird, verläßt man den Boden der Tatsachen. Denn ein solcher Auftrag wurde zwar ein einziges Mal in der mitteleuropäischen Geschichte, 1848 — -gewissermaßen usurpiert, besteht aber tatsächlich nicht. Ebenso kann nicht behauptet werden, die Universität müsse „die Gesellschaft durch ständiges Infragestellen ihrer Situation und ihrer Aufgaben zu einem ständigen, sich in Freiheit vollziehenden Fortschritt führen“, denn der Inhalt dieses Satzes kann weit kürzer so ausgedrückt werden: „Die Aufgabe des Akademikers ist die Revolution in Permanenz.“ Glaubt -der Verfasser dieses Entwurfes, daß die Gesellschaft es sich gefallen ließe, „ständig in Frage gestellt zu werden“ und auch noch dafür Stauergelder opfern zu müssen?

Was die konkreten Reformivor- schläge betrifft, so ist die Forderung nach Beteiligung -der Studenten an allen akademischen Gremien einfach undurchführbar, da der größte Teil der jungen Leute nicht in der Lage ist, derartige Stellungen auszufüllen. Ebenso ausgeschlossen ist es, ihnen Einfluß auf die Berufung von Professoren zuzugestahen und akademische Lehrer nur auf Zeit zu verpflichten. Das bedeutete nichts anderes, .als ein kaltes Abschießen jener Professoren, die sich dem allgemeinen Linikstrend, wie er den Wortführern der „Reform“ vorschwebt, nicht fügen oder gar Prüflinge durchfalllen lassen.

Die Neugliederung der Universität in Abteilungen -auf fachlicher Grundlage ist wenigstens -diskutabel, der Zweck der Änderung — engerer Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden —, läßt sich- aber weit einf acher erreichen.

Rein rechtlich- wird eine so erhebliche Erweiterung der Autonomie der Universitäten angestrebt, daß die berechtigten Interessen des Staates einfach zu kurz kommen. Die Tatsache, daß Hochschulen nicht nur Pflegestätten der Wissenschaft, sondern seit länger als zwei Jahrhunderten auch Vorbereitungsschulen für alle Arten des öffentlichen Dienstes sind, wird zwar in dem Entwurf dm allgemeinen anerkannt, praktisch aber nahezu ignoriert.

Heute stehen wir, abgesehen von allen revolutionären Plänen und Hoffnungen, vor der Frage, ob die gegenwärtige Form angesichts des massenhaften Andranges zu den Hochschulen noch ausreicht — ja ob der akademische Bürger nicht mehr Freiheit genießt, als für seinen Lernerfolg und nicht zuletzt auch für seine politische Stellung gut ist. Dazu treten die konkreten Beschwerden, also Überfüllung und schlechte Ausrüstung der Lehreinrichtungen, Mangel an Kontakt zwischen Professoren und Studenten, gedrückte Lage und schlechte Entlohnung der Assistenten und, vom Standpunkt der akademischen Lehrer gesehen, Überlastung mit Verwaltungsaufgaben,

die den Vorlesungsbetrieb ebenso erschweren, wie die Forschung.

Wir — also der Staat und die gegenwärtigen und früheren Mitglieder unserer Hochschulen — haben also die Aufgabe, diese Schwierigkeiten zu beseitigen. Das kann auf eine zurückhaltende, gewissermaßen konservative oder auf eine radikale Art geschehen. Es würde zweifellos schon sehr viel bedeuten, wenn die Organisationsforim der Universitäten so bliebe, wie sie jetzt ist und nur ihre materielle Notlage wirklich wirksam behoben würde. Man müßte also den Bedarf an Personen und Material feststellen und dann systematisch für Raum und Lehrmittel sorgen und vor allem die Anzahl der Lehrkanzeln ausgiebig vermehren, so daß jene geistigen Massenabfütterungen etwa durch die Vorlesungen für Lehramtskandidaten, womöglich ganz vermieden werden. Die Wiedereinführung des Baccalau- reats für jene Absolventen, die sich nicht der Wissenschaft widmen, wurde bereits 1966 von Manfred Leeb und Walter Vogt in einer Denkschrift vargeschlagen und sollte ebenso verwirklicht werden, wie ein anderer Antrag der selben Autoren, Institute zur Bearbeitung von Grenzgebieten verschiedener Fakultäten einzurichten. Um den, meiner Überzeugung nach größtenteils unbegründeten, gegenwärtig aufgetauch- ten Beschwerden über das Prüfungswesen abzuhelfen, sollten alle Prüfungen, auch die Kolloquien, vor Kommissionen stattfinden. Alle Gehälter wären zu erhöhen, um die Tätigkeit an der Universität reizvoller zu gestalten.

Wie man sieht, würde diese Reform den Staat zwar ein schönes Stück Geld kosten, aber keine Umwälzung bedeuten. Die Vorteile der bestehenden Form, vor allem die im wesentlichen freie Lehrtätigkeit der meisten Professoren, blieben erhalten — freilich auch die leidige Tatsache, daß eine erhebliche Anzahl von Inskribierten sich zwar den Besuch der Vorlesung bestätigen läßt, in Wirklichkeit aber nur sehr selten erscheint, und zwar keineswegs nur wegen Uberfüllung des Hörsaalles, wie gern entschuldigend behauptet wird. Die linken Reformer hören es nicht gerne, aber es bleibt dabei, daß auch Studenten noch erzogen und zum Arbeiten angehalten werden müssen, was gegenwärtig nur in Seminaren und Instituten wirklich geschieht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung