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Die Reform der Reform

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Wenn die neuen „Volksanwälte“ im ersten Monat ihres Amtes 785 Fälle ratsuchender Staatsbürger verzeichnen konnten, so ist dies zu begrüßen - dazu wurde die Volksanwaltschaft eingeführt. Wenn die „U OG-Kommis- sion“ im Wissenschaftsministerium in dem einen Jahr ihrer Tätigkeit rund 900 Anfragen beantworten mußte, so ist dies weniger erfreulich, denn es zeigt, daß gerade das große Reformgesetz, das die österreichischen Universitäten auf ein neues Fundament stellen sollte, so manches ungeklärt gelassen hat. Mehr, als bei einem so umfangreichen Vorhaben noch zu vertreten gewesen wäre.

So sehr während der fast zehnjährigen Diskussion - wenn man bis auf Piffls Rat für Hochschulfragen und seine Vorarbeiten zurückgreift - die Meinungen aufeinanderprallten und auch in der Endphase nicht alle Differenzen ausgeräumt werden konnten, so sehr übten die mit der Durchführung beauftragten akademischen Funktionäre und Behörden Disziplin, als das Gesetz als Auftrag vor ihnen lag. Mag sich auch die eine oder andere Befürchtung nicht bewahrheitet haben - die Funktionstüchtigkeit des Gesetzes wurde trotzdem nicht bewiesen. Mag Erhard Busek überpointieren, wenn er meint, das UOG sei „in weiten Bereichen nicht zur Durchführung bestimmt“ - in der Forderung, es von Grund auf zu novellieren, nicht nur kosmetische Änderungen vorzunehmen, trifft er sich mit allen Beteiligten.

Das Universitäts-Organisationsgesetz präsentiert sich heute als ein Musterbeispiel, wie von Autonomie geredet und in Wahrheit der zentralistische Zugriff des Staates verschärft wird, wie in der Hoffnung auf Verwirklichung ideologischer Illusionen bewährte Strukturen zerschlagen und unbrauchbare neue Systeme oktroyiert werden. Wie unter dem System der Mensch zugrunde geht.

Man bejubelte als eine Stärkung der Hochschulautonomie, daß die Universitäten nun selbst ihre Wünsche an das Budget melden könnten. Die mühevoll kalkulierten Bedarfsanforderungen aber beeindrucken weder den zuständigen Budgetreferenten im Wissenschafts- noch den Wissenschaftsreferenten im Finanzministerium. Die Universitäten bekommen, was ihnen der Finanzminister zu geben gedenkt. Wie gehabt.

Die Universitäten sind laut Gesetz verpflichtet, selbst für die Vollständigkeit des Lehrangebotes zu sorgen. Sie können selbst über die Verteilung der Assistenten bestimmen - wenn das Ministerium zustimmt. Mag sein, daß die Vergabe von Lehraufträgen in den vergangenen Jahren stellenweise unproportioniert war - mit dem Auftrag, 20 Prozent einzusparen, wird man kaum der Forderung gerecht werden können, 90.000 Studenten, vielleicht im nächsten Jah; schon 100.000, lehrermäßig zu versorgen. Und die Neuanstellung eines Assistenten - auf einem gerade freigewordenen, stellenplanmäßig abgesicherten Posten - ist absolut keine Formsache. Im Ministerium greift man gerne zum Rotstift.

Der Streit um die Frage, ob der Minister verhalten ist, sich bei Berufungsverhandlungen an den Vorschlag der Fakultät zu halten, ist auch in früheren Epochen fallweise aufgetaucht. Er steht konstant auf der Ta- gesordung, seit Minister Firnberg auf ihr Recht pocht, nach eigenem Gutdünken zu entscheiden. So könnte sie auch bei der Endfassung des Gesetzes im Nationalrat gerne nachgeben und jenen Passus fallenlassen, der die alphabetische Reihung der Vorgeschlagenen vorsah. An der Berufungspraxis hat sich nichts geändert. Nicht nur im Streifall entscheidet das Ministerium.

Ein Phantom, das sich in der Praxis sehr rasch als fadenscheinig erwiesen hat, ist die paritätische Mitbestimmung-egal, ob diese nun drittel-, viertel- oder sonstwie „paritätisch“ kalkuliert ist. Das positive Ergebnis der langen Diskussion war, daß heute kaum mehr ein Professor sich in seiner Ehre getroffen fühlt, wenn er die anfallenden Probleme mit seinen Assistenten und den an der (jeweiligen) Frage interessierten Studenten durchberät (atieh das hat es bei guten Lehrern immer schon gegeben). Das vom UOG oktroyierte System aber ersetzt den Sinn durch die Zahl, den Menschen durch das Kollektiv, die Vernunft durch die Ideologie.

Das beginnt schon damit, daß man - um dem Schlagwort der „Drittelparität“ gerecht zu werden - alle „sonstigen Universitätslehrer“ in eine gemeinsame Gruppe preßt, die nicht mehr gemeinsam hat, als daß ihre Mitglieder (noch) nicht Professor und nicht mehr Student sind. Ebenso schwer, wie sie alle auf einen Nenner zu bringen, scheint es, die Studenten zu finden, die bereit sind, überall dort in Kommissionen und Mitbestimmungsgremien mitzuarbeiten, wo es „das Gesetz befahl“, ohne daß sie selbst ein unmittelbares Interesse fühlen.

Der Grundsatz der Mitbestimmung wird heute durchwegs bejaht-die Methoden aber müssen sich nach den Kriterien richten, die von der Funktionalität der Universität bestimmt werden, nicht von den Vorstellungen der Ideologen. Auch hier wird letzten Endes nur ein Vorgehen nach den Prinzipien der Subsidiarität aus dem Dilemma heraus führen.

Als vor 15 Jahren die ersten Parteiengespräche zur Neuformung der Studiengesetze anliefen und die Sozialisten darauf bestanden, alle Studieninhalte und Prüfungsvorschriften in ein Mammutgesetz aufzunehmen, um es nicht der Verordungsgewalt des damals „schwarzen“ Unterrichtsministeriums zu überlassen, wurde der damalige Wissenschaftssprecher der SPÖ darauf aufmerksam gemacht, daß man dann jedes Jahr mit Novellierungen rechnen müsse, und er meinte, dann werde man eben jedes Jahr novellieren.

In der Endfassung des Allgemeinen Hochschulstudiengesetzes konnte dann das Schlimmste vermieden werden. Trotzdem - nicht zuletzt wegen des zu umständlichen Instanzenlaufs - fehlen elf Jahre nach der Verabschiedung noch die letzten Durchführungen. Die erste gründliche Überarbeitung des AHStG ist bereits im Laufen.

Beim UOG hat es keine zehn Jahre gedauert, bis man daraufkam, daß es so nicht geht. Ein halbes Dutzend Erlässe konnten die Unklarheiten nicht beseitigen, ja die Erlässe mußten zum Teil zurechtrücken, was das Gesetz unvollziehbar dekretiert hatte. Sicherlich - „systemimmanente“ Retuschen sind besser als nichts, wenn man gezwungen ist, dieses Gesetz zu exekutieren. Durchgreifend Abhilfe schaffen aber wird nur eine „Reform der Reform“, ein Abgehen von Formen, die einst aus politischen Überlegungen durchgedrückt wurden, aber inzwischen ihre Unhaltbarkeit gezeigt haben, auch wenn sie noch als tabu erscheinen.

Die „Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft“ hat schon im Vorjahr in einer kritischen Analyse erste Anregungen für die „Reform der Reform“ gegeben. Die Rektorenkonferenz hat aus der Erfahrung des ersten Jahres ihre Vorschläge vorgelegt. Immer wiederkehrendes Stichwort ist die Forderung nach mehr Flexibilitätgenau das läge im Prinzip der Subsidiarität. Gebt jenen die Freiheit, aus ihrem Sachverstand zu entscheiden, die unmittelbar mit einem Problem befaßt sind (egal, welcher „Gruppe“ sie angehören und wie viele „Gruppenvertreter“ dann an der Entscheidung beteiligt sind). Das technische Institut hat andere Probleme als das sprachwissenschaftliche, die kleine Hochschule andere als die Mammutuniversität, das Orchideenfach andere als das Massenfach. Laßt die Kontrolle jeweils dem übergeordneten Gremium, die letzte dem Ministerium. Dann wird sich manches Problem von selbst lösen, das heute noch Kopfzerbrechen verursacht.

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