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Warten auf die Wählergunst

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„Nationalratswahlen im Herbst 1974!.., Wahlen zu Beginn 1975!… Nein, Wahlen vor dem Sommer 1975!“ So konnte man es vor kurzem nicht nur in den Gazetten, die das Gras wachsen hören, lesen, sondern vernahm es auch von maßgeblicher Oppositionsseite.

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„Nationalratswahlen im Herbst 1974!.., Wahlen zu Beginn 1975!… Nein, Wahlen vor dem Sommer 1975!“ So konnte man es vor kurzem nicht nur in den Gazetten, die das Gras wachsen hören, lesen, sondern vernahm es auch von maßgeblicher Oppositionsseite.

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Da wurden Kombinationen angestellt, warum und weshalb sich der Bundeskanzler in seiner Eigensdiaft als Obmann der SPÖ bereits sidier entschlossen hätte, den verfassungsmäßigen Wahltermin vom Oktober 1975 nicht abzuwarten, sondern diesen zu einem anderen, für die SPÖ angeblich günstigeren, Zeitpunkt anzusetzen. Diese Formulierung ist allerdings verfassungsrechtlich unrichtig, weil der Bundeskanz:ler gar nicht über den Wahltermin entscheiden kann; hiezu ist entweder ein Antrag der Bundesregierung an den Bundespräsidenten zu stellen, dem allein in einem solchen Fall die Entscheidung zusteht, oder es ist ein Auflösungsbeschluß des Nationalrates erforderlich. Es gab auch andere Stimmen, denen man zwar keinen Glauben schenkte, die aber offensichtlich Recht behalten haben. Sie wiesen darauf hin, daß das der So-’ zialistiscben Partei eigene, sehr aus- geprägte Verhältnis zur Macht es nicht zulassen würde, eine ihr auf demokratischem Weg zugefallene Macht eher aus der Hand zu geben als es die Verfassung vorschreibt- Ein solcher Standpunkt ist für jede Partei legitim, denn es ist ja die Aufgabe einer demokratischen Partei, ihre politischen Vorstellungen so weit als möglich zu realisieren. Das aber kann nur geschehen, wenn man über entspreshende Mehrheiten oder Koalitionen in den Parlamenten verfügt. Es gibt auch viel häufiger sozialistische Minderheitsregierungen als konservative, weil die konservative Seite in den meisten europäischen Staaten vielfach in mehrere Parteien aufgesplittert ist. Warum also, so muß man sich fragen, sollte die SPÖ früher als verfassungsrechtlich notwendig, das heißt am ersten Sonntag im Oktober 1975, ihre Macht aus der Hand geben? Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wäre die Überlegung, daß ein vorverlegter Wahltermin für die Regierungspartei ein günstigeres Ergebnis erwarten ließe als eine Wahl zum Verfassungstermin. Für eine solche Annahme fehlt aber der SPÖ unter Berücksichtigung der gegenwärtigen innerpolitischen Situation die Grundlage.

Alle seit den letzten Nationalratswahlen stattgefundenen Landtagsoder Gemeinderatswahlen haben der SPÖ Verluste gebracht,’ mit Ausnahme der Landtags- und Gemeinderatswahlen von Wien und der Bundespräsidentenwahl. Hinsichtlich der Wiener Ergebnisse ist zu sagen, daß der Erfolg der SPÖ durch dis Rückkehr der seinerzeitigen Olah- Stimmen erzielt wurde, wobei ja auch die ÖVP in Wien den Gewinn von einem Mandat verzeichnen konnte. Die Bundespräsidentenwahl aber kann nicht zum Vergleich herangezogen werden, weil bei ihr das parteipolitische Moment gegenüber dem Persönlichkeitscharakter einer solchen Wahl stark in den Vordergrund tritt. Ohne Zweifel ging Rudolf Kirchschläger deshalb als Sieger hervor, weil er in den östlichen Bundesländern, die die Mehrzahl der Wähler stellen, wesentlich bekannter war als Alois Lugger. Es gibt Meinungen, die besagen, daß das Wahlergebnis für Lugger günstiger ausgefallen wäre, hätte man in der Wahlpropaganda für ihn das parteipolitische Element mehr herausgestellt, als es geschehen ist. Das Ergebnis der niederösterreichischen Lantagswahl stützt diese Meinung; ln diesem Bundesland konnte die ÖVP 14 Tage vorher bei den Landtagswahlen mit einem Mandatsverhältnis von 31:25 einen hervorragenden Wahlsieg verzeichnen, während bei der Bundespräsidentenwahl die gleichen Wähler mehrheitlich für Dr. Kirchschläger stimmten.

Auch die allgemeine politische Stimmung läßt es der SPÖ ratsam erscheinen, keine • vorzeitigen Na- tionalratswahlan zu veranlassen. Da ist zunächst die wirtschaftliche Situation, .gekennzeichnet durch einen Inflationsfaktor von über zehn Prozent, womit er bereits nicht unwesentlich über dem Durchschnitt anderer für die österreichische Wirtschaft maßgeblicher Länder liegt. In der Schweiz und in den skandinavischen Staaten liegt der Inflationsfaktor unter zehn Prozent und in der Deutschen Bundesrepublik ist er sogar auf 6,7 Prozent zurückgegangen. Es ist klar, daß eine das österreichische Ausmaß der Inflation erreichende, ständige Verteuerung der Lebenshaltungskosten den Unwillen der Wähler erregen muß. Dies um so mehr, wenn die Vorschläge der Opposition, der Inflation vor allem durch Sparsamkeit im Staatshaushalt zu steuern, auf taube Ohren stoßen. Gewiß erzeugt die Weltwirtschaft von heute ständige Wechselwirkungen, und das Wort von der „importierten Inflation“ hat bis zu einem gewissen Grad seine Berechtigung. Erhöhte Importpreise kann man keiner Regierung zum Vorwurf machen, wohl aber die ständige Aufblähung des Budgets mit immer neuen und zusätzlichen Erfordernissen, die zwar, im einzelnen gesehen, propagandistisch wirkungsvoll sein mögen, aber gegenüber der Gesamt- entwicklung der Volkswirtschaft unter den gegebenen Verhältnissen als nicht unbedingt notwendig bezeichnet werden müssen. Als ein Beispiel von vielen sei etwa auf die Gratis- Sdiulbüdier-Aktion verwiesen, die volkswirtschaftlich gesehen nicht nur unnotwendig ist, sondern infolge der damit verbundeiven Wegwerfpraxis gebrauchter, aber keinescyegs unbrauchbarer Schulbücher nicht verantwortet werden kann.

Auch über die Entwicklung auf dem Bausektor macht sich die Bevölkerung in zunehmendem Maße Gedanken. Die gleichzeitige Inangriffnahme zahlreicher, höchst kostspieliger Bauvorhaben, wie etwa das UNIDO-Projekt, die zweite Donauinsel, der gleidizeitige Beginn großer Autobahnprojekte, deren Durchfi- nanzierung völlig im dunkeln liegt, und anderes mehr, stellen auch den auf diesem Gebiet nicht bewanderten Laien vor die Frage, woher in naher Zukunft die hiefür erforderlichen enormen finanziellen Mittel kommen sollen. Der Wähler von heute weiß genau, daß er mit der Abgabe seines Stimmzettels darüber entscheidet, wie tief er demnächst für all diese

Erfordernisse in seine eigene Tasche greifen muß.

Diese Situation hat aber noch eine andere, recht interessante Folge. Eine inflationäre Wirtschaftsentwicklung wirkt sich erfahrungsgemäß auf das ökonomische Denken der Menschen und auf die davon beeinflußte parteipolitische Meinung zunächst nur wenig aus, zumindest so lange, als die steigenden Lebenshaltungskosten durch eine sich immer rascher drehende Lohnspirale abgefangen werden. Einmal aber kommt der Zeitpunkt, in dem auch der sogenannte kleine Mann zu überlegen beginnt, „daß es so nicht weitergehen könne“. •Mag auch zunächst noch eine meist parteipolitisch gefärbte Propaganda, daß alles Unheil von den steigenden Preisen komme, Erfolg haben, so setzt sich bald die allgemeine Erkenntnis durch, daß die steigenden Preise — von den schon erwähnten Importkosten abgesehen — auf die steigenden Lohnikosten zurückzuführen sind. Dieser Augenblick ist in Österreich gekommen und die Einsicht hat allgemein Platz gewonnen, daß dieser Lohn-Preis-Bewegung endlich Einhalt geboten werden soll. Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, daß solche Überlegungen nur auf Seite der Selbständigen vorherrschen. Auch dem Lohnempfänger ist dies inzwischen bewußt geworden und er verlangt von Regierung und Regierungspartei, daß diese unheilvolle Entwicklung nun endlich gestoppt werde. Die jüngsten Äußerungen des Gewerkschaftsbundpräsidenten lassen allerdings kaum hören, daß man dieser Einsicht Rechnung tragen werde. In der Diskussion über die Verlängerung der sogenannten Marktordnungsgesetze hat Präsident Benya unmißverständlich angekündigt, daß, soferne diese nicht verlängert und auf der Preisseite nicht noch verschärft würden, neue und häufigere Lohnbewegungen zu erwarten seien.

Hier stehen wir nun vor einer geradezu beängstigenden sozialistischen Auffassung, daß man die Inflation im wesentlichen nur von der Preisseite her stoppen könne. Alle nationalökonomischen Wahrheiten und alle Erfahrungen, die wir daraus schon gezogen haben, beweisen aber, daß dies ein unlösbares Unterfangen ist. Jedermann, vom Großindustriellen bis zum kleinsten Lohnempfänger, weiß heute, wie scharf Unternehmer und Kaufleute kalkulieren müssen, um überhaupt konkurrenzfähig zu bleiben. Wirklich überhöhte Preise gibt es nur in seltenen Ausnahmefällen. Die meisten Industrien und der gesamte Handel müssen heute mit außerordentlich geringen Ertragsspannen kalkulieren, weil sie sonst ihre Ware nicht mehr an den Mann bringen, denn der Käufer wird in einer Inflations phase — auch das bestätigt eine langjährige Erfahrung — sehr preisbewußt! Die heute schon bedeutenden Konzentrationen mit ihren relativ niedrigen Preisen tun ein übriges dazu. Da außerdem der technische Fortschritt in allen Produktionszweigen zu immer neuen Investitionen zwingt, müssen die Industrien aus ihren Erträgnissen bedeutende Summen für deren Realisierung zurücklegen. Aber auch der Handel ist zu ständigen technischen Verbesserungen in der Form des Warenangebots gezwungen. Was dann noch übrig bleibt, ist vor allem in mittleren und kleinen Industrie- oder Handelsbetrieben häufig ein mehr als bescheidenes Einkommen, das vor allem im Kleingewerbe durch eine tägliche 12- bis 14-stündige Arbeitszeit erwirtschaftet werden muß. Daß solche Entwicklungen auch parteipolitische Auswirkungen haben, liegt auf der Hand.

Ein weiterer, die Wahlentscheidun- gen der Bürger beeinflussender Umstand liegt auf dem Steuersektor. Niemand zahlt gerne Steuern, auch wenn sie gering sind. Wenn die Steuerbelastung aber ein Ausmaß erreicht hat, das, wie es bereits vielfach in Österreich der Fall ist, geeignet ist, die Leistungsfreude zu beeinträchtigen, muß daraus eine entsprechende Mißstimmung entstehen. Der österreichische Fremdenverkehr, eine der wichtigsten Säulen unserer Wirtschaft, hat ernste Sorgen. Gewiß liegen die Ursachen hiefür zunächst in einer weltweiten Regression des Fremdenverkehrs, die vor allem in der bedeutend geminderten

Reiselust oder Reisemöglichkeit der Amerikaner ihre Ursache hat. Die Abwertung des Dollars um mehr als ‘/4 seines ursprünglichen Wertes innerhalb der letzten vier Jahre hatte eine Dezimierung des amerikanischen Reisepublikums in der ganzen Welt zur Folge. Dafür wird sicherlich kein vernünftiger Mensch seine Regierung verantwortlich machen können. Aber daß der Fremdenverkehr zusätzlich durch die neue Mehrwertsteuer und die zahllosen Verbrauchssteuern schwersten Belastungen ausgesetzt ist, treibt die Hoteliers und die Gastwirte ebenso wie die Gäste mit Recht auf die Palme. Wie sollte es auch anders sein, wenn man weiß, daß der Preis für jedes Viertel Wein mit 46 bis 51 Prozent durch Steuern und Abgaiben (einschließlich Bedienungszuschlag) belastet ist. S.0 ist Österreich, einst das billigste Fremdenverkehrsland Europas, heute zu einem der teuersten geworden, und die allgemeine Stimmung darüber ist nicht gerade rosig.

Abgesehen von den wirtschaftlichen Problemen macht sich ein Um- deniksi der Österreicher in ihren parteipolitischen Entscheidungen auch auf ganz anderen Gebieten be-

merkbar. In alten Geschiditsbüdiern können wir nachlesen, daß Österreich einmal ein „katholischer Staat“ gewesen sei, was immer man sich darunter auch vorgestellt haben mag. Jedenfalls erinnern sich die Älteren unter uns noch der unerfreulichen Kulturkampfparolen der Zwischenkriegszeit. Heute, im Zeitalter einer fast vollständigen Trennung von Kirche und Staat, die nicht nur von den sozialdemokratischen Parteien angestrebt, sondern auch von der Kirche selbst gefördert wird, spielen weltanschauliche Probleme im parteipolitischen Geschehen keine große Rolle mehr. Deshalb war es auch er-

staunlich, welche Kluft zwischen den weltanschaulichen Gruppen plötzlich durch die sogenannte Fristenlösung aufgerissen wurde. Nun ist es in der pluralistischen Zeit von heute, Gott sei Dank, jedermanns Privatsache, wie er sich zur Religion stellt. Trotzdem wurde mit der Fristenlösung der Bogen weit überspannt. Es wäre töricht anzunehmen, daß dadurch nicht auch die parteipolitischen Ent- scheidimgen vieler Wähler maßgeblich beeinflußt werden.

Es gibt auch noch andere Beispiele, weitab jeder wirtschaftspolitischen Sphäre; so hat das neue Rundfunkgesetz ebenfalls deutlich die Geister geschieden. Wer ein wenig ins Volk hört, konnte feststellen, daß dieses Gesetz auch in sozialistischen Kreisen Mißbehagen verursacht. Immerhin findet auch In den Reihen eifrigster SPÖ-Funktionäre der Mut vor Königsthronen, den der vielgelästerte Generalindendant bewiesen hat, Anerkennung.

Faßt man all diese nur beispielsweise angeführten Überlegungen zusammen, so wird man verstehen, daß die Annahme, die Regierungsseite trete für vorzeitige Wahlen ein, irrig war.

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