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Warum ich gegen die große Koalition bin

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Durch Erklärungen prominenter sozialistischer Spitzenpolitiker ist in jüngster Zeit eine Diskussion zur Koalitionsfrage entfacht worden. Bekanntlich haben sich der sozialistische Zentralsekretär Probst und ÖGB-Präsident Benya über eine Koalition der beiden Großparteien in der Weise geäußert, als ob diese zu dem jetzigen Regierungssystem die bessere Alternative wäre. Der Vorsitzende der SPÖ, Dr. Bruno Kreisky, scheint allerdings anderer Meinung zu sein, da er eine Alleinregierung der SPÖ als das wünschenswerte Wahlziel hinstellt.

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Durch Erklärungen prominenter sozialistischer Spitzenpolitiker ist in jüngster Zeit eine Diskussion zur Koalitionsfrage entfacht worden. Bekanntlich haben sich der sozialistische Zentralsekretär Probst und ÖGB-Präsident Benya über eine Koalition der beiden Großparteien in der Weise geäußert, als ob diese zu dem jetzigen Regierungssystem die bessere Alternative wäre. Der Vorsitzende der SPÖ, Dr. Bruno Kreisky, scheint allerdings anderer Meinung zu sein, da er eine Alleinregierung der SPÖ als das wünschenswerte Wahlziel hinstellt.

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Die Koalitionsfrage mußte um so mehr auftauchen, als das jetzige Regierungssystem gegenüber den mehr als zwanzig Jahren Koalition ein Novum darstellt, dessen Bewährung mit gutem Recht zur Debatte gestellt werden kann. So selbstverständlich es nun ist, daß über das künftige Regierungssystem die aus den nächsten Wahlen hervorgehende Kräfteverteilung entscheiden wird, so sehr kann man von den einzelnen Parteien auch verlangen, daß sie selbst von bestimmten Modellvorstellungen ausgehen, die ihnen am zweckmäßigsten erscheinen, und daß sie diese Modellvorstellung dem Wähler deutlich vor Augen stellen, ihm also zur Entscheidung anheimgeben. In diesem Sinn hat die österreichische Volkspartei schon sehr frühzeitig erklärt, sie werde sich wieder um das Vertrauen der Wähler als allein regierende Partei bewerben.

Dieses Wahlziel ist nichts anderes als eine Frucht der Erfahrungen, die wir in den letzten vier Jahren gemacht haben, also kein Wahlziel a priori, sondern ein Wahlziel a posteriori. In ihm drückt sich die auf Grund dieser Erfahrungen gewonnene Erkenntnis aus, daß Österreich mit dem System der Konfrontation von Regierung und Opposition — wobei unter Opposition stillschweigend eine starke Opposition verstanden wird — besser gefahren ist als mit dem ihm vorhergegangenen System der großen Koalition. Ich betone: Wir seihst haben uns diese Erfahrung erst zu eigen machen müssen. Wir haben nämlich bei den Regierungsverhandlungen, die sich an das Wahlergebnis vom 6. März 1966 schlossen, keineswegs das Ziel verfolgt, aus ihnen als alleinregierende Partei hervorzugehen, oder andens gesagt, wir sind in diese Verhandlungen, die ja der Bildung einer neuen Koalitionsregierung gegolten hatten, durchaus nicht mit dem Vorsatz hineingegangen, sie scheitern zu lassen. Gescheitert sind diese Verhandlungen an der Absicht der SPÖ, uns im Besitz der absoluten Mehrheit die gleichen Fesseln anzulegen, die wir uns als relativ stärkste Partei Jahre hindurch gefallen lassen mußten, das heißt, uns weiter an das Votum der SPÖ zu binden. Es ist wohl unbestritten,-daß es sich dabei um eine unzumutbare Forderung gehandelt hat, deren Erfüllung uns bei den eigenen Wählern um jeden Kredit gebracht hätte. Der SPÖ ging es offensichtlich darum, nach ihrer Niederlage vom 6. März aus den Regierungsverhandlungen neuerlich als Sieger hervorzugehen oder eben die Opposition zu wählen, wenn ihr die Verwirklichung dieser Absicht nicht gelingen sollte. Sie hat sich denn auch zu dieser Alternative entschlossen, als sie erkannte, daß wir nicht bereit waren, politischen Selbstmord zu begehen.

Aufgezwungene Alleinverantwortung

So kam es, daß wir für die nächsten vier Jahre die Alleinverantwor- turug auf uns nehmen mußten. Wir halben diese Verantwortung nicht gewählt, sie ist uns vielmehr nach Lage der Dinge aufgezwungen worden. Die SPÖ hat sich dabei den Vorteil zunutze gemacht, sich nach Jahren der Mitverantwortung als Partei wieder regenerieren zu können. Denn selbstverständlich hat es eine Partei in der Opposition, deren führende Funktionäre von jeder Regierungsarbeit entlastet sind, erheblich leichter, sich der reinen Parteiarbeit zu widmen, als eine Regierungspartei, deren beste Kräfte natürlich im Kabinett vertreten sind. Wenn die jüngsten Meinungstests immer wieder das Ergebnis gezeigt halben daß die SPÖ als Partei im Moment besser liegt als die ÖVP, dann ist das nicht zum geringsten Teil auf diesen Unterschied in den Belastungen zurückzuführen, ganz abgesehen davon, daß eine Oppositionspartei für keine Handlungen verantwortlich gemacht werden kann.

Nehmen wir jedoch Dr. Kreisky ruhig beim Wort: Auch er ist der Meinung, daß eine Partei ihre Kräfte besser entfaltet, also für das öffentliche Wohl mehr leisten kann, wenn sie allein die Regierung stellt. Das ist genau die Erfahrung, die wir in den letzten vier Jahren gemacht haben. So gesehen, ist bei beiden Großparteien in diesen vier Jahren in der Frage der Koalition ein bedeutender Meinungsumschwung eingetreten, da heute ÖVP und SPÖ der Auffassung sind, daß eine einzige, von der Opposition zwar kontrollierte, aber in ihren Entscheidungen nicht gehemmte Regierungspartei bessere Arbeit leisten kann als eine Zweiparteienreigerung, in der erst die ideologischen Gegensätze der in ihr vereinigten Parteien ausgetragen werden müssen, bevor sie sich zu einem Entschluß aufraffen kann. Wenn vor dem 6. März 1966 ÖVP und SPÖ nicht müde wurden, Versicherungen ihrer Absicht abzugeben, sie würden neuerlich zusammen regieren, und wenn jetzt beide Großparteien eine absolute Mehrheit als Basis ihrer Alleinregierung anstreben und das auch offen aussprechen, dann ist der Meinungsumschwung, zu dem es hier in den letzten vier Jahren gekommen ist, wohl mit Händen zu greifen.

Das System steht außer Debatte

Tatsächlich ist das die entscheidende Gewissensfrage, mit der sich die Wähler vor dem 1. März 1970 auseinandersetzen müssen: Ob Österreich neuerlich einem unproduktiven Regierungssystem ausgeliefert werden soll, wie es die Koalition in den letzten Jahren ihres Bestandes war (daß die große Koalition bis zum Abschluß des Staatsvertrages unter ganz anderen Voraussetzungen Großes geleistet hat, ist von uns nie bestritten worden), oder ob ihm das jetzige Regierungssystem erhalten bleiben soll, dessen Funktionsfähig keit und Fruchtbarkeit sich in den abgelaufenen Jahren eindeutig erwiesen hat. Der Wähler hat dabei durchaus die Wahl, den Regierungskurs zu ändern. Das Regierungssystem selbst sollte er nicht mehr zur Debatte stellen.

Es sind zwei schwerwiegende Erfahrungen, die gegen eine Änderung des jetzigen Regierungssystems ins Treffen geführt werden können: Die eine ist die schon genannte Erfahrung der größeren Produktivität dieses Systems, die andere besteht in dem Erweis, daß sich der Übergang vom System der Koalition zum jetzigen System völlig reibungslos vollzogen hat. Um nicht pro domo zu sprechen, lasse ich die Richtigkeit der einzelnen von der jetzigen Regierung getroffenen Entscheidungen aus dem Spiel, messe also nicht die Qualität, sondern nur die Quantität dieser Entscheidungen, die per saldo allerdings auch als Qualität zu Buche schlägt: Zunächst hätte die Regierung der jüngsten Rezession nicht so rasch Herr werden können, wäre es vorher zu einem Palaver über die zu ergreifenden Maßnahmen gekommen; ferner wären vermutlich alle Reformen, die entweder eingeleitet oder bereits durchgeführt wurden — Rundfunkreform, Reform der ÖBB und Refonm der verstaatlichten Betriebe — weiterhin auf der Strecke geblieben, nachdem sich mehrere Koalitionsregierungen Jahre hindurch über diese Reform nicht hatten einigen können; die Strukturreform der österreichischen Wirtschaft konnte zwar erst in Angriff genommen werden, aber auch dieser Anfang wäre nicht gemacht worden, hätten die verschiedenen Auffassungen von ÖVP und SPÖ ülber eine solche Reform erst auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden müssen; die bessere Dotierung von Bildung und Forschung setzt eindeutig mit der Etablierung der ÖVP- Alleinregierung ein, die erstmals Politik nach einer bestimmten Rangordnung machen konnte. Es würde zu weit führen, die vielen anderen Maßnahmen anzuführen, zu denen es auf den verschiedensten Gebieten in den letzten vier Jahren gekommen ist. Kurz und gut: An die Stelle des Immobilismus, durch den die Koalition in den letzten Jahren ihres Bestandes gekennzeichnet war, ist die Mobilität eines Systems getreten, das nicht mehr den mühevollen und langwierigen Vorgang hemmt, vor jeder Entscheidung erst Einstimmigkeit zwischen gegensätzlichen Parteien herstellen zu müssen. Wird auch noch nach der Qualität der getroffenen Entscheidungen gefragt, dann kann ich diese Frage mit der durch Statistiken jederzeit zu belegenden Feststellung beantworten, daß sowohl der wirtschaftliche als auch der soziale Erfolg des jetzigen Systems größer ist.

Es gibt keine plausiblen Gründe

Nicht weniger zählt die zweite Erfahrung daß der Übergang zum jet zigen System reibungslos yor sich gegangen ist und daß in all den Jahren, in denen die ÖVP nun die Alleinveranitwortung trägt, von einer Gefährdung der Demokratie nicht die Rede sein konnte. Was wurde denn zugunsten der Aufrechterhaltung der Koalition immer wieder ins Treffen geführt? Vor allem dies, daß es mit der inneren Ruhe in Österreich vorbei sein werde, habe einmal eine Partei allein das Heft in der Hand. Diese Befürchtung hat sich als grundfalsch erwiesen. Weder ist es im Verhältnis zwischen Regierung und Gewerkschaftsbund zu ernstlichen Störungen gekommen, noch hat die SPÖ jemals Grund gehabt, wegen einer Verletzung ihrer Rechte als parlamentarische Oppositionspartei begründeterweise Klage zu führen. Wenn Dr. Kreisky sehr bald nach dem Amtsantritt der jetzigen Regierung erklärt hat, er werde im Parlament, wenn es notwendig sein sollte, Stunden für Stunden Listen von aus dem Staatsdienst wegen mißliebiger politischer Gesinnung entlassenen Personen verlesen, so hat er in Wirklichkeit nicht Gelegenheit gehabt, den Namen auch nur eines einzigen politischen Opfers des jetzigen Regimes im Parlament zu nennen. Es ist gewiß kein Verdienst der jetzigen Regierung, niemanden hinausgeworfen zu haben, weil in einem demokratischen Staat Gesinnungsfreiheit eine Selbstverständlichkeit sein sollte, aber es sollte doch auch nicht übersehen werden, in welchem Maße die Demokratie in den letzten vier Jahren in Österreich dadurch gefestigt worden ist, daß sich die Regierungspartei und die Oppositionsparteien trotz grundlegend geänderter Voraussetzungen strikte an die Spielregeln der Demokratie gehalten haben. Diese Feststellung stammt nicht von mir, sondern von Doktor Kreisky, der sicherlich nicht zugunsten der jetzigen Regierung parteiisch ist. Gewiß ist es im Parlament das eine oder andere Mal zu Radauszenen gekommen. Diese sollten jedoch angesichts der Tatsache, daß das System als solches seine Bewährungsprobe bestanden hat, nicht überbewertet werden.

Was spricht also eigentlich für eine Rückkehr zur großen Koalition? Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der nächsten Jahre, von denen Präsident Benya und Zentralsekretär Proibst gesprochen haben, können kaum größer sein als jeną mit denen die jetzige Regierung nach ihrem Amtsantritt fertigwerden mußte. Sie sind gemeistert worden. Derartige Schwierigkeiten sind aber so ziemlich das einzige Motiv, das bisher für eine Re-Etablierung der großen Koalition herhalten mußte. Tatsächlich bestehen gerade auf wirtschaftlichem Gebiet zwischen ÖVP und SPÖ nach wie vor die größten Gegensältze, über die es daher im Schöße einer Koalitionsregierung neuerlich au endlosen Auseinander-.

Setzungen käme, bevor irgendeine Entscheidung getroffen werden könnte. Aber eben die heutige enge Verzahnung von Staat und Wirtschaft erfordert Regierungen, die zu spontanen Entscheidungen fähig sind. Jedes Land setzt sich daher heute angesichts der rasanten Beschleunigung aller wirtschaftlichen Abläufe einer ungeheuren Gefahr aus, dessen Regierung ständig allen Entscheidungen nachhinkt. Ein solches Nacbhinken ist jedoch mit jeder Koalitionsregierung automatisch verbunden, weil in solchen Regierungen Entscheidungen immer erst in langwierigen Auseinandersetzungen ausgetragen werden müssen, ehe sie gefällt werden können. Es ist also sehr die Frage, ob sich Österreich allein schon aus wirtschaftlichen Erwägungen ein Regierungssystem leisten kann, das die noch immer nicht vollzogene Anpassung an Weltmarktbedingungen neuerlich hinaus- sthieben würde.

Koalition noch schwieriger als früher

Man sollte aber auch nicht vergessen, daß nach der jetzigen Konfrontation von ÖVP und SPÖ als Regierungspartei und Oppositionspartei eine künftige Zusammenarbeit zwischen ihnen nicht leichter, sondern noch schwieriger sein würde. Die Voraussetzungen für das Funktionieren einer solchen Koalition sind daher jetzt noch ungünstiger als in der Vergangenheit. Wir sollten uns also damit vertraut machen, daß der demokratische Ausgleich zwischen den Parteien nicht in einem System des Nebeneinanders, sondern der Konfrontation erfolgt — eben dann, wenn eine Mehrheit der Wähler zur Überzeugung gekommen ist, daß ein Land eine Alternative nötig hat. Wählen kann man schließlich nur zwischen Alternativen. Da die jetzige Regierungspartei mit gutem Grund der Überzeugung sein kann, mit einer im großen und ganzen positiven Bilanz vor die Wähler treten zu können, lehnte sie es ab, mit der Frage Alleinverantwortung oder Koalition ein Versteckenspiel zu treiben.

Aber wie dem auch sei: Am 1. März 1970 wird es so oder so eine klare Alternative geben. Die Entscheidung fällt ausschließlich zwischen einer Alleinregierung der ÖVP oder einer solchen der SPÖ.

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