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Pakt-Proporz-Paralysierung... ?

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„Wer ins Volk hineinhorcht, hört jetzt bereits den Wunsch zur Zusammenarbeit heraus. Eine große Koalition in kritischen Zeiten hat durchaus ihre Berechtigung“, besann sich Professor Fritz Kienner schon in der November-Ausgabe der Ideologiezeitschrift „Zukunft“ auf eine „altmodische Institution, die immerhin in schwerer Zeit den Staatsvertrag errang“. Klenner nannte damals auch die Gründe für seine Nachdenklichkeit: Die für die nächste Legislaturperiode zu erwartende Verschärfung der wirtschaftlichen Situation und

—„wenn man kein Illusionist ist“ — die vage Aussicht für die Sozialisten, im günstigsten Fall eine „dünne Mehrheit“ zu erringen.

In der Tat zeichnet sich nach bloß neunjähriger Dauer ein Ende der Ära wechselnder Alleinregierungen ab (siehe auch „Die ,Absolute' — nur ein Traum?“, FURCHE vom 8. Februar 1975). So wurde auch die Frage nach der zukünftigen Regierungsform wieder aktuell. Dabei hat sich

—nach der kurzen Aufregung über Landeshauptmann Niederls Vorstoß in Richtung Konzentrationsregierung — der Schwerpunkt des Interesses ziemlich bald wieder beim Thema „Große Koalition“ eingependelt. Seither irrlichtert das „Wer mit wem?“ durch die Couloirs des Parlaments, raschelt geheimnisvoll im Blätterwald,, um hier und da etwas deutlicher aufzuflackern. So zum Beispiel, als der ÖVP-General-Sekretär Kohlmaier in einem „Wochenpresse“-Interview namens seiner Partei das feierliche Versprechen ablegte, unabhängig vom Wahlausgang mit der SPÖ in Koalitionsverhandlungen eintreten zu wollen.Bundesparteiobmann

Schleimer drückte sich da schon etwas vorsichtiger aus und sprach vom „neuen Geist der Zusammenarbeit“. Damit bestätigte er aber zumindest die Tendenz der Erklärungen seines „Generals“.

Da es leider nicht möglich ist, sämtliche positiven Seiten verschiedener Regierungssysteme und der durch sie geprägten Perioden zu kombinieren sowie gleichseitig alle negativen Begleiterscheinungen auszuschalten, ist es mit Erklärungen der guten Absicht noch nicht getan. So stellte sich die jüngste Ausgabe der CV-Zeitschrift „Aaademia“ die Frage, wie man jenen drei großen „P“ entgehen könne, welche die große Koalition bis 196B in Verruf gebracht haben: Pakte, Proporz und gegenseitige Paralysierung. Dazu wurden als Alternativen genannt:

• Jederzeitige Kündbarfceit, auch

während einer Legislaturperiode, an

Stelle der früheren Bindung;

•Regierungserklärung über die gemeinsamen Zielvorstellungen (über die „große staatspolitische Aufgabe“ der Koalition) an Stelle der Koalitionspakte;

•als Lösungsmodell für den Fall

der Nichteinigung bietet sich neben der Entscheidung im Parlament (Nachteile: Belastung der Vertrauensbasis der Regierung, die kleine Oppositionspartei würde zum Zünglein an der Waage, ohne selbst Verantwortung zu tragen) auch der Vorschlag Herbert Kohlmaiers an, von der verfassungsmäßig vorgesehenen Einrichtung der Volksabstimmung Gebrauch zu machen. (Ein Koalitionsausschuß als quasi oberstes Entscheidungsorgan sei hingegen mit der demokratischen Verfassung nicht zu vereinbaren);

•zur Hintanhaltung des Ämterproporzes bedürfe es eines rigorosen Ausschreibungsgesetzes. Die „Machtverteilung“ solle sich dagegen ausschließlich auf die Ministerposten beziehen; auf die kontrollierenden“ Staatssekretäre in „feindlichen“ Ministerien müsse von vornherein verzichtet werden.

•Um von der alten Koalitionsgesinnung und der Trägheit ihrer letzten Jahre wegzukommen, sei ferner die Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips im Ministerrat zu erwägen.

Fragen über Fragen, deren Lösung von den Parteien auf die Zeit nach den Wahlen verschoben wurden. Dabei wäre eine öffentliche Diskussion — so der Salzburger Landeshauptmann Lechner — durchaus wünschenswert: „Alle drei Parteien sollen vorher offen sagen, mit wem sie zusammenarbeiten wollen. Das heißt: alle gleichzeitig, nicht einer allein.“ Denn die Gefahr liegt auf der Hand: einseitige Erklärungen, wie Niederl und Kohlmaier sie abgegeben haben, werden sonst als Zeichen der Unsicherheit oder Eingeständnis der Schwäche, interpretiert. Auch das Argument, Spekulationen über die zukünftige Regierungsform seien verfrüht und man müsse zuerst abwarten, wofür sich der Wähler entscheidet, entbehrt ja nicht einer gewissen Unverfrorenheit. Denn der Wähler kann ja allenfalls nur entscheiden, welche der beiden Großparteien über eine regierungsfähige Mehrheit verfügen soll. Das aber will er zu einem Teil gar nicht, da mehr als fünfzig Prozent der Österreicher die Zusammenarbeit wünschen (sei es in Form der Konzentrationsregierung, sei es in jener der großen Koalition), zum anderen kann er es nicht, weil das im Jahr 1971 zementierte Verhältniswahlrecht die Bildung absoluter Mehrheiten geradezu verhindert. In der so geschaffenen Situation struktureller Unentschiedenheit des Wahlausganges können die Parteien, ausgestattet mit dem Blankoscheck ihrer Wählerstimmen, nach dem 5. Oktober um Form und Zusammensetzung der nächsten Regierung pokern. Und hier ist es schon heute keine Frage, daß Kreisky der rot-blauen Variante den Vorzug gibt, während sich die ÖVP — und das ist das Tragische an ihrer derzeitigen Rolle — als Partner einer „runderneuerten“ großen Koalition anbietet.

Damit befinden sich die Freiheitlichen, die mit 5,5 Prozent (auf oder ab) einen verschwindenden Wähleranteil repräsentieren, wieder in jener Schlüsselposition, in welche sie das Wahlrechtsgeschenk der Regierung Kreisky 1 hinaufkatapultiert hat. Hinter Kreiskys Wunsch, sich dieser von ihm zur politischen Übergröße aufgepumpten FPÖ nun auch zu bedienen, scheint eine trügerische Hoffnung zu stecken. Der Dritte Präsident des Nationarates, Otto Probst, hat dies in einem Interview auch unmißverständlich ausgedrückt: „Als großer Partner eine kleine Koalition mit der Absicht einzugehen, mit ihrer Hilfe wieder die absolute Mehrheit zu erreichen.“

Ob das beabsichtigte Aufspringen auf eine Alleinregierungsplattform neuerlich glückt (wie 1971, nach einer Periode der stillen Übereinkunft mit der FPÖ, ist jedoch mehr als fraglich. Sicher ist nur, daß dann „die Suche nach neuen Formen der Zusammenarbeit“ und mit ihr „die große Koalition als beste Ausdrucksform der funktionellen Demokratie“ auf der Strecke bleibt. (So Bruno Kreisky im Jahre 1966.)

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