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Kreisky: Testamentsvollstrecker Olahs

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Die Katze ist jetzt aus dem Sack. Nach dem 20. November 1970 werden die Uhren in der österreichischen Innenpolitik ein wenig anders gehen. Die Zeiger sind blaurot.

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Die Katze ist jetzt aus dem Sack. Nach dem 20. November 1970 werden die Uhren in der österreichischen Innenpolitik ein wenig anders gehen. Die Zeiger sind blaurot.

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Seit dem 20. November stecken SPÖ und FPÖ nunmehr im gleichen Räderwerk. Dr. Kreisky hat das Schicksal seiner Minderheitsregde-rung mit einer Wahlrechtsreform verklammert, die ihm auch im Fall von Neuwahlen keine absolute Mehrheit der SPÖ bringen wird. Koalitionen kann ein Bundeskanzler Kreisky aber ernstlich nur mehr mit der FPÖ eingehen. Die Zustimmung der FPÖ zum ersten sozialistischen Budget ist mehr als ein Schaukelakt: Es ist die Zustimmung der Nationalen zum Arbeitsprogramm der sozialistischen Regierung.

Wer noch im Sommer den Meldungen des „Spdegel“ nicht glauben wollte, daß zwischen SPÖ und FPÖ ein Pakt besteht, weiß es nun schon genauer. Was 1963 und 1964 Franz Olah nicht gelang, ist jetzt (fast) schon perfekt: eine geheime Koalition. Kreisky als Testamentsvollstrecker Olahs...

Die Taktik — zwischen Polstertüren im Hansenbau des Parlaments noch blumenreich umschrieben — zeichnet sich ab:

Die FPÖ soll vorderhand als Schraubenzieher das Gebälk der „schwarzen“ Reichshälfte Österreichs lockern; die FPÖ bringt als Budgeterfolg gerade bürgerlichen Wählergruppen einiges:

• Den Weinbauern das Auslaufen der Weinsteuer, das unter ÖVP-Mindstern nie zu erreichen war;

• den Arrivierteren im Land das Ende der zehnprozentigen Auto-steuer, die auch den Handel jammern ließ;

• allen Bauern einen höheren Dieselpreiisausgledch.

Die „Skandinavisierung“ der ÖVP soll weitergehen. Stück für Stück sollen selbst Stammwähler unsicher werden: schon spricht die SPÖ von der Rückgängigmachung des erhöhten Mietzinses für Geschäftslokale, was weiland tausende Greißler und Handwerker sauer gegen die Volksparted stimmte. Jetzt hat man den katholischen Privatschulen angeboten, was man selbst jahrzehntelang (noch in der Koalition) verweigerte. Und schon hört man von massiven Hilfen für die Bauern, sofern sie aus der Bündephalanx der ÖVP ausscheren.

Ist aber einmal der Wählerblock der Volkspartei an den- Rändern „zerfranst“, dann sucht man sich die Stunde für Neuwahlen gut aus. Die Wahlreform wird die Zahl der FPÖ-Mandate wahrscheinlich fast verdoppeln — der Vorsprung der SPÖ scheint ausbaubar zu sein. Und wann schlägt für Rot und Blau die beste Neuwahlstunde? Dann, wenn die Volkspartei ohne erklärten Führer, geschwächt aus mißlungenen Bun-despräsddentenwahlen und mit leerer Kasse Erholung braucht. Das ist — man nehme den politischen Kalender zur Hand — im späten Frühling der Fall — im Mai oder noch besser sogar im Juni 1971 —, besonders dann, wenn schon die ersten Kolonnen nach Süden fahren...

Der Vorsprung einer rotblaiuen Koalition darf realistischerwedse bei Vermehrung der Natdonalratssitze mit 15 Mandaten veranschlagt werden. Und was Brandt und Scheel im September 1969 wagten, werden mit sicherem Parlamentspolster erst recht Kreisky und Peter tun. Wer könnte sie hindern? Seit dem 20. November sind die Möglichkeiten begrenzt. Die Volkspartei steht noch immer im Out. Auch jene, die mit Fußballregeln unvertraut sind, wissen, daß da Torschüsse nicht möglich sind. Und daß man zurück aufs Spielfeld muß. Spielen aber heißt auch im Fußball Kämpfen.

Wer jetzt noch (wie am Semmerdng während der ÖVP-Klausur) meint, mit den Freiheitlichen ins Gespräch kommen zu können, der hat verschlafen. Es gibt nur mehr eine ÖVP-Chance: absolute und konsequente Oppositionspolitik, kein Schielen nach (alten) Freunden, kein Hoffen auf ein Wunder. Wie es geht, demonstrierte letzten Sonntag der christlich-soziale Gesinnungsfreund Franz Josef Strauß an Isar und oberer Donau. Man wird sich in der Volkspartei zur Härte entschließen müssen: gegen die Regierung, ihre Verbündeten und gegen sich selbst. Das Brot der Opposition ist hart. Man wird im Klub der ÖVP jetzt besser lernen können, wie man Oppositionspolätik macht. Das hat die SPÖ nach 1966 auch gelernt (und die Wunden „Dringlicher Anfragen“ zieren noch heute die Exminister der ÖVP), das hat die FPÖ schon in der Koalition vorgemacht (und wird auch weiterhin genügend Chutzpe besitzen, sich auch jetzt noch als Opposition aufzuspielen).

Die Volkspartei wird Ordnung in ihre Finanzlage bringen müssen: die Wahlgänge der nächsten Zeit werden viel Geld kosten. Sie wird endlich ihre Bünidestruktur auf Wirksamkeit zu überprüfen haben. Seit dem Parteitag im Mai dieses Jahres ist von diesen Versprechungen noch gar nichts realisiert. Auch ohne eigene Zeitung in Ostösterredch wird man sich vom Liebgewordenen trennen und dem Notwendigen den Vorrang einräumen müssen. Denn so dubios sind die Chancen der Volkspartei auch wieder nicht:

• Die SPÖ-Regierung wird Schwächeerscheinungen zeigen, wenn man sie hart attackiert — vor allem in jenen Bereichen, die Dr. Kreisky nicht mit seiner eigenen Person abdecken kann.

• Ein modernes Profil kann der Volkspartei Terraingewinn etwa bei den Angestellten, bei der neuen Klasse der technischen Intelligenz, in den Dienstieästungs-bereichen sichern.

• Und die FPÖ ist unversehens — gerade seit dem 20. November, aufreibbar geworden. „Linke“ FPÖ-Wähler müssen sich ja fragen, warum sie nicht gleich zum ..Schmied“ — sprich SPÖ — gehen sollen, anstatt zum „Schmiedel“ — sprich FPÖ; „Rechte“ FPÖ-Wähler mögen sich fragen, was ihnen die strukturelle Unterstützung der Sozialisten bringt. Und die Prinzip-Oppositdonellen (deren es in der FPÖ bekanntlich sehr viele gibt) dürften sich bald von der Partei eines Vizekanzlers Peter abwenden.

„Die Furche“ hat nicht erst einmal davor gewarnt, das Zusammenspiel von Rot und Blau zu unterstützen. Was jetzt kommt, läßt nichts Gutes ahmen: ein Wahlrecht, mit hauchdünner Mehrheit durch das Parlament geboxt, wird eine arge Belastung der Zukunft werden. Eine vorweggenommene Koalition, die einer Partei mit mehr als zwei Millionen Wählern auf Dauer keine Chanoe gilbt, schafft ungesunde Frustrationen. Frustationen schaffen Spannungen. Man sollte das in der SPÖ zumindest bedenken.

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