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Die Stunde des Bundespräsidenten

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Diese als Richtungsentschei-duog apostrophierte Wahl hat es in sich. Können wir nur mehr auf den Bundespräsidenten hoffen?

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Diese als Richtungsentschei-duog apostrophierte Wahl hat es in sich. Können wir nur mehr auf den Bundespräsidenten hoffen?

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Geradezu euphorisch ist die Stimmung in der Österreichischen Volkspartei. Auch wenn die jüngsten Umfragen wieder einen deutlicheren Abstand zwischen den (noch?) Ersten, der SPÖ, und dem ewigen Zweiten, der ÖVP, signalisieren, ist die von Wahlleid wahrlich schwer heimgesuchte Volkspartei momentan auf einem totalen Hoch. Aus dem Generalsekretariat kommt die Interpretation: „Wenn es nach dieser Stimmung ginge, müßten wir die Absolute schaffen." Ein ehemaliger ÖVP-Obmann meinte diesbezüglich lakonisch zur furche: „Wir kennen das - zuerst himmelhochjauchzend, dann zu Tode betrübt."

Nur ein Ergebnis macht Sinn für all die Anstrengungen des Wahlkampfes, für all die Bekenntnisse zur Notwendigkeit einer Wende in Osterreich, für all das Argumentieren, daß nur ein Blut- und Tränen-Kurs der Schlüssel zur Erneue- ]HI rung unseres Landes ist: daß die ÖVP Erste wird. Alles andere hätte den Aufwand nicht gelohnt: um das zu sagen, muß man durchaus kein OVP-Sympathisant sein. Aber - und dieses Aber ist wichtig: Wird die SPÖ (zumal unter Franz Vranitzky) die von Wolfgang Schüssel schon wahlkampftaktisch angebotene Hand unter diesen Umständen auch ergreifen können? Andererseits wird sie sich bei Ausschlagen der Hand den Vorwurf gefallen lassen -Schüssel hat das schon längst erpresserisch (so sagen manche) vorweggenommen - , nicht staatstragend zu handeln, sondern die von ihr perhor-reszierte Bürgerblockbildung geradezu zu erzwingen? Dann gibt's ja noch den Vorwurf der ÖVP an die Adresse der Sozialdemokraten, es gehe ihnen sowieso nur um den Machterhalt: Also wie soll eine Begierung ausschauen, die von der ÖVP mit einer relativ knappen parlamentarischen Mehrheit geführt wird? Scharren die „vernünftigen" Sozialdemokraten schon in den Startlöchern, begierig, im großen Koalitionsziel in die Arme von Schüssel und Ditz zu laufen? Jörg Haider will den Schüssel-Ditz-Kurs auch nicht mittragen, also bleibt nur - in genanntem Fall - eine ÖVP-Minderheitsregierung? Welche Konsequenzen das hat, beschreibt Manfried We-lan auf Seite 3. Die ÖVP darf sich jedenfalls nichts vormachen - auch das Optimalwahlergebnis für sie hat seine Tücken.

Möglich ist auch ein Ergebnis, bei dem sich der Abstand von SPÖ und ÖVP zwar verringert, die Sozialdemokraten aber immer noch die Nase vorn haben. Nun stünde die ÖVP unter enormem Zugzwang. Immerhin wollte sie die Wahl, wäre auch in diesem Fall gestärkt aus ihr hervorgegangen - also hinein in eine Neuauflage der bisherigen Spielart der großen Koalition, trotz aller deutlichen Ausritte? Würde die ÖVP dann so staatstragend denken und handeln, wie sie es von der SPÖ - im erstgenannten Fall - verlangt? Ein ehemaliger ÖVP-Grande zur furche: „In diesem Fall stünde Schüssel in der Unterhose da."

Was allerdings passiert, sollten die Freiheitlichen Haiders eine der beiden bisherigen Großparteien überholen, kann sich kaum jemand vorstellen. Wird die ÖVP von Haider überholt, könnte dies einen tödlichen Ausgang für die ÖVP nehmen: Spaltung und totale Frustration, moralische Vernichtung. Man müßte den Kranz für die ÖVP bestellen. Eine ungeheure Erschütterung würde auch die SPÖ erfahren, sollte die Plazierung ÖVP, FPÖ, SPÖ lauten: Damit wäre die bisherige SP-Führungsgarnitur weggefegt - aber diese Variante ist sehr unwahrscheinlich.

Bundespräsident Thomas Klestil weiß um diese schwierige Situation -nicht nur durch die Briefe, die er zur Zeit aus der Bevölkerung erhält. Wir stehen vor einer gewissen Unregier-barkeit des Landes. Die beiden Großen können nicht mehr miteinander, ja der eine Große hat mit Bedingungen diese Wahl provoziert, die der andere Große nicht annehmen konnte; mittlerweile hat Schüssel von einigen absolut vorgetragenen Forderung (rigorose und rasche Maßnahmen bei Frühpensionen etwa) längst Abstriche gemacht. Jedenfalls wird der Bundespräsident nach diesen Wahlen in die Pflicht genommen. Denn es gibt anscheinend kein Szenario einer glatten Begierungsbildung.

Hätte Schüssel das nicht wissen müsssen? Müßige Frage: Ein Verbleib in der Koalition hätte ihm auf alle Fälle geschadet.

Was tun, Herr Bundespräsident? Die Budgetprobleme bleiben uns in jedem Fall erhalten. Eine Minderheitsregierung wagen? Oder eine Begierung aus Fachleuten berufen? Uns stehen ganz schwierige Zeiten bevor. Wir beginnen zu ahnen, wofür der Bundespräsident gut ist.

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