"Eine Wahl der Hoffnungen - so wie immer!"

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Warum, wieso, weshalb - nach dem überraschenden Wahlausgang fehlte es nicht an Fragen für Sieglinde RRosenberger, Kurt Scholz und Alfred Pfabigan.

Die Furche: Hat jemand von Ihnen den Wahlausgang vorausgesehen?

Sieglinde Rosenberger: Nein, ich bin sehr überrascht ...

Alfred Pfabigan: Überrascht ist ein zu schwaches Wort - ich bin wirklich so daneben gelegen, wie man nur daneben liegen kann.

Kurt Scholz: Ich auch, ich hätte das nie gedacht.

Die Furche: Wie kann so etwas passieren, dass alle - Meinungsforscher, Journalisten, Politikexperten etc. - falsch liegen?

Scholz: Es hat sich die Faustregel bewahrheitet: Nicht die Opposition gewinnt Wahlen, sondern die Regierung verliert Wahlen. Das ist eingetreten, die Ausmaße der ÖVP-Verluste kann ich mir jedoch nur so erklären, dass sehr viele Kurzentschlossene ihr Kreuzerl dort machten, wo sie etwas mehr soziale Wärme und Beschützt-Sein vermutet haben.

Rosenberger: Die SPÖ hat die Wahl gewonnen, weil die ÖVP sie verloren hat. Und verloren hat die ÖVP, weil sie sich ihrer Sache zu sicher war. Zudem hat Bundeskanzler Schüssel ein Gewinnerimage aufgebaut, obwohl er defacto bei Wahlen fast immer ein Looser gewesen ist: Er hat 1995 verloren, 1999 wieder - die ÖVP ist Dritter geworden; der einzige Sieg war 2002...

Die Furche: Der dafür fulminant...

Rosenberger: Stimmt, aber diese einmalige Fulminanz hat sehr viel überdeckt, auch in der ÖVP intern. Deswegen müssen wir über den Wahlausgang vielleicht gar nicht so überrascht sein.

Pfabigan: Den Verlierer Schüssel sehe ich nicht: Mein Image von Wolfgang Schüssel habe ich sehr stark in seinen "Abschiedserklärungen" am Wahlabend wiedergefunden: Dienen, Demut - da ist so richtig die ÖVP als gute, alte Beamtenpartei, wo man sich in den Dienst Österreichs stellt, zum Vorschein gekommen; und nicht die ÖVP als Lobby für eine bestimmte Gruppe im Land.

Scholz: Die ÖVP als Ganze hat natürlich sehr das Gefühl ausgestrahlt, die "Firma Österreich" zu managen: "Wie wir es machen ist es professionell und gut!" - viele Menschen haben sich dabei emotional nicht wiedergefunden. Es war diese Machtprofessionalität, die Schüssel und seine engsten Mitarbeiter ausstrahlten, etwas, was der ÖVP in diesem Wahlkampf hinderlich war. Die Österreicher zucken zurück, wenn sie das Gefühl bekommen, hier wird Macht allein professionell verwaltet - von den Aufsichtsräten über den ORF bis hin zur Bildungspolitik. Für mich ist diese Wahl ohne Vergleich; wenn, dann kann man am ehesten Parallelen zur Abwahl der sehr professionell arbeitenden Regierung Klaus 1970 ziehen.

Die Furche: In der U-Bahn hat am Montag in der Früh ein Fahrgast gemeint: "Wenn der Schüssel in den letzten Jahren soviel gesagt hätte, wie am Sonntagabend, hätte er die Wahlen nicht verloren" - ist da was dran?

Pfabigan: Das wird Schüssel viel vorgeworfen, dass der Wahlkampf auf ihn zugeschnitten war und er sich in den Medien zu sehr zurückgehalten hat. Man kann das aber auch positiv interpretieren, dass kein Personenkult um ihn betrieben wurde. Die SPÖ hat viel stärker die Person und Figur Alfred Gusenbauer herausgestellt. Bei der ÖVP war das doch mehr teamorientiert.

Die Furche: Schüssel war in seiner Partei unumstritten. Gusenbauer hingegen musste sich jeden Tag vor einer Attacke der SPÖ-Landeshauptleute fürchten und ist letztlich doch immer beu Feind und Freund ein wenig despektierlich der "Gusi" geblieben.

Rosenberger: Es war Strategie aller anderen Parteien, Gusenbauer als "Arbeiterbua" zu präsentieren, um ihn nicht staatsmännisch wirken zu lassen.

Scholz: Dieser Schuss ist nach hinten losgegangen, denn wenn man emotional an Politiker ankoppeln will, verzeiht man eher das Tollpatschige und die Hoppalas.

Pfabigan: Es wird nicht nur verziehen, es hat sogar einen positiven Effekt - das ist doch eine wunderbare Geschichte: Der unbeholfene Bub aus der Provinz mit der falschen Berghose, der an die Spitze kommt. Das ist ja auch die Bill-Clinton-Geschichte: Der verspottete Gouverneur von Arkansas, dem Burgenland der USA, erobert die Spitze.

Rosenberger: Eine weitere Parallele ist der Clinton-Spruch aus den 1990er-Jahren: "A fair share", den die SPÖ mit ihrem Fairness-Wahlkampf kopiert hat. Im Gegensatz zu 2002 war auch Karl-Heinz Grasser dieses Mal kein Vorteil, sondern ein Nachteil: Er hat Kälte und Überheblichkeit signalisiert - jetzt war Schüssel schon woanders, und Grasser war noch mehr abgehoben.

Die Furche: Am Tag nach den Wahlen schreibt der "Presse"-Kolumnist Christian Ortner: "Österreich hat versucht die Wirklichkeit abzuwählen"; andere meinen "Die Reformer wurden bestraft!" - stimmt das?

Scholz: Es werden doch nicht nüchterne Fakten gewählt, sondern Hoffnungen. Und bei der SPÖ gibt es die Hoffnung, dass alles was an Negativem kommt, nicht so wild daher kommt. Das ist eine Wahl der Hoffnung gewesen. Und die Regierung hat auch ihren Teil dazu beigetragen, dass diese Hoffnung stärker geworden ist: Denn den Lebensstil von Finanzminister Grasser liest man gerne in Illustrierten - ich auch -, aber das heißt noch lange nicht, dass man ihn dann auch wählt.

Pfabigan: Der Wahlkampf hat schon ein starkes Element von Verdrängung gehabt. Der SPÖ-Slogan "Wohlstand muss gerecht verteilt werden!" suggeriert ja, dass wir den Wohlstand garantiert haben. Dass wir hingegen in einer flachen, globalisierten Welt leben, und wenn in einer Region der Welt die Wirtschaft wächst, in anderen Gegenden die Gefahr besteht, dass der Wohlstand runtergeht - das wurde nicht eingesehen. Offensichtlich haben die Menschen auch bei kleinen Differenzerlebnissen mehr Sympathie für die Partei, die tröstet und verspricht, das werde nicht mehr passieren, als für jene, die diese Risiken offen zugeben.

Die Furche: Ist Ihre Sicht richtig, dass es sich da um "kleine Differenzerlebnisse" handelt - zeigen nicht die Armutsberichte etwas anderes?

Pfabigan: Solche Sachen muss man sich doch im internationalen Vergleich anschauen - und da liegen wir im normalen Bereich.

Scholz: In diesem Land gibt es mehr arme als reiche Menschen. Und diese armen Menschen hatten das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. Da gibt es Pensionistinnen, die haben zehn oder zwölf Euro Pensionserhöhung gehabt. Die haben natürlich das Gefühl, hier herrscht eine Politik, die sagt: "Den Firmen muss es gut gehen und wenn der Tisch der Firmen voll gedeckt ist, dann werden auch die Brosamen zu euch da drunten hinunterfallen." Und in dieser Situation hat der SPÖ-Slogan die eigene Klientel sehr gut angesprochen - und darum ist es ja letztlich gegangen: Den eigenen Wählerstock zu halten.

Die Furche: Das ist auch FPÖ/BZÖ sehr gut gelungen...

Rosenberger: Dabei finde ich es als das demokratiepolitisch größte Problem, dass im FPÖ/BZÖ-Wahlkampf eine Gruppe herausgenommen wurde, die selber kein Stimmrecht hat, und gegen die argumentiert, ja gehetzt worden ist. Da sehen wir, wie problematisch es ist, wenn Menschen, kein Stimmrecht haben. Wie problematisch es ist, wenn Menschen, die in einer Gesellschaft leben, hier arbeiten, Steuern zahlen, von einer Politik betroffen sind, die sie nicht mitbestimmen können. Das zu ändern, ist für mich eine der größten demokratiepolitischen Herausforderungen.

Pfabigan: Die Ausländerfrage ist zentral, aber die 15 Prozent FPÖ/BZÖ-Wähler haben ein paar Eckpunkte: Europa, der EU-Beitritt der Türkei, strengere Strafen für Sexualtäter... Hier haben wir 15 Prozent, die einfach nicht kompatibel sind mit den Tendenzen der Zeit. Das halte ich für ein Problem, das viel stärker ist als das ohnehin große Ausländerproblem. Das sind einfach 15 Prozent Österreicher, die in einer gewissen Weise Nein sagen zu dieser Zeit, in der wir leben.

Scholz: Das Bedrückende für mich ist, dass offenbar das Schüssel-Konzept, das ich lange Jahre für schlüssig gehalten habe, nicht aufgegangen ist. Nämlich die FPÖ in Verantwortung zu nehmen, und sie damit einem Lackmustest zu unterziehen. Diese Strategie, das rechte Lager dadurch zu dezimieren, hat auf der Funktionärsebene funktioniert, auf der Wählerebene nicht. Das ist bei mir keine habituelle Abneigung gegen Personen. Aber ich meine, man soll auch in Wahlkämpfen klar unterscheiden, wo Fehler gemacht werden, wo ein Lapsus passiert oder wo eine Grenze überschritten wird und die Politik ins Böse abrutscht. Der Schüssel-Sager mit den "Feministinnen, die flach liegen", war ein Lapsus. Aber wenn jemand sagt, eine Gruppe in diesem Land, die hier lebt, keine Gesetze bricht, Steuern und Abgaben zahlt, soll von bestimmten Sozialleistungen ausgeschlossen werden - dann ist das kein Lapsus mehr, dann wird in einer Demokratie die Grenze zum Bösen hin überschritten.

Pfabigan: Das Konzept, man könnte sie entzaubern, war nachvollziehbar und ich habe das auch geglaubt. Aber man konnte halt diese Ideen nicht verzaubern, die sind geblieben.

Die Furche: Am Wahlabend hat FPÖ-Chef Strache beklagt, dass die Ausgrenzungspolitik gegenüber seiner Partei wieder anfängt - erleben wir jetzt die Geschichte der ausgegrenzten und in der Opposition immer stärker werdenden FPÖ ein zweites Mal?

Rosenberger: Das ist nur ein rhetorisches Konstrukt: Die FPÖ ist doch auch früher nicht ausgegrenzt worden. Man hat doch gesehen, was in bestimmten Politikfeldern auf ihren Einfluss hin geschehen ist. Und wir werden in den Koalitionsverhandlungen sehen, was für ein starkes Erpressungspotenzial diese beiden Parteien haben.

Die Furche: Stichwort Koalition - was wird rauskommen?

Rosenberger: Eine Große Koalition ist natürlich die wahrscheinlichste Option, aber die Möglichkeit ÖVP-FPÖ-BZÖ soll man nicht ganz außer Acht lassen. Ich bin auch nicht prinzipiell gegen eine große Koalition. Sie ist besser als das, was wir zuletzt gehabt haben: Für die soziale Situation im Land und für unsere Stellung zu und in Europa. Die Große Koalition bedeutet Konsens auf hohem Niveau - und das ist das Wahlergebnis.

Pfabigan: In einer Phase der Umgestaltung bin ich mir nicht sicher, ob eine Große Koalition wirklich gut ist. Aber was mich eigentlich wundert, da werden alle Optionen angerissen, aber es gibt doch noch eine andere.

Die Furche: Welche?

Pfabigan: Dass sich die zwei Großen wirklich nicht zusammenraufen - wie schaut es dann mit einer rot-grünen Minderheitsregierung aus?

Rosenberger: Ja, aber wenn wir soweit gehen, dann gibt es auch noch eine andere Option: Neuwahlen ...

Das Gespräch moderierte Wolfgang Machreich.

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