Franz Vranitzky  - © Foto: Robert Dengscherz

Franz Vranitzky: "Heute kann ich nur noch lachen"

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Bundeskanzler a. D. Franz Vranitzky über Orange, Jörg Haider und die seinerzeitige "Ausgrenzungspolitik" gegenüber der FPÖ, über die Endphase der Großen Koalition sowie über die Richtungsdebatte innerhalb der europäischen Sozialdemokratie.

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Bundeskanzler a. D. Franz Vranitzky über Orange, Jörg Haider und die seinerzeitige "Ausgrenzungspolitik" gegenüber der FPÖ, über die Endphase der Großen Koalition sowie über die Richtungsdebatte innerhalb der europäischen Sozialdemokratie.

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DIE FURCHE: Was fällt Ihnen zur Farbe Orange ein?

Franz Vranitzky: (räuspert sich) Viktor Juschtschenko.

DIE FURCHE: Und für Österreich?

Vranitzky: Eine innenpolitische Nervositätsblase.

DIE FURCHE: Die platzen könnte?

Vranitzky: Die platzen könnte - und voraussichtlich auch wird.

DIE FURCHE: Erledigt sich jetzt ein Problem, das jahrzehntelang die österreichische Innenpolitik beschäftigt hat, nämlich die FPÖ, quasi von selbst?

Vranitzky: Ich würde gar nicht sagen, dass die FPÖunter Jörg Haider ein wirkliches Problem war. Pluralistische Gesellschaften haben es an sich, dass auch etwas ausgerissene Figuren die Bühne betreten und dass sie unter bestimmten Konstellationen - wie etwa der Großen Koalition - das vorhandene Protestpotenzial im durchaus üblichen Rahmen ausschöpfen. Haider ist eher ein Problem für sich selbst und für seine Partei, weniger für die Republik Österreich. Natürlich hat er mit seinen Positionen dem Image des Landes oft nicht gut getan; aber das Wesen der Republik Österreich ist Haider nicht. Überdies: Wenn man überlegt, was Haider aus dem Vertrauen von bis zu 27 Prozent der Wähler gemacht hat, dann muss man sagen, er war ein erfolgreicher Wahlkämpfer und Stimmenfänger - aber ein erfolgloser Politiker.

Franz Vranitzky

Nicht-Aufreger in aufregenden Zeiten

Der Beginn seiner Kanzlerschaft, 1986, fiel zusammen mit jenem des Aufstiegs von Jörg Haider, akkordiert noch von der Affäre Waldheim. Dazu die eigene Partei, die nach den Glanzjahren der Kreisky-Ära noch nicht wieder richtig Tritt gefasst hatte, wozu auch die drei Jahre unter Fred Sinowatz nichts Wesentliches beitragen konnten. Am Ende, 1997, war die SPÖ unter die 40-Prozent-Marke gesunken, die Große Koalition fast am Ende und Haider knapp vor dem Zenit seiner politischen Laufbahn. Das einfach Franz Vranitzky anzulasten, griffe zu kurz - zu viele, teils auch in anderen Ländern beobachtbare Faktoren spielten hier mit. Ob seine Strategie gegenüber Haider die richtige war, ist indes inner- wie außerhalb der SPÖ stets umstritten gewesen. Große Verdienste hat sich Vranitzky mit seiner Rede vor der Knesset, in der er Österreichs Verhältnis zur NS-Zeit offen ansprach, erworben, ebenso mit seinem klaren EU-Kurs, für den er auch in der eigenen Partei erst Überzeugungsarbeit leisten musste. Entschlossenes Handeln war seine Sache dennoch im Allgemeinen nicht - wenngleich sein damals viel kritisiertes Bekenntnis, er wolle nicht der "Aufreger der Nation" sein, heute, angesichts fortschreitender Hysterisierung in Politik und Medien, schon wieder wohltuend sachlich anmutet.

Der Beginn seiner Kanzlerschaft, 1986, fiel zusammen mit jenem des Aufstiegs von Jörg Haider, akkordiert noch von der Affäre Waldheim. Dazu die eigene Partei, die nach den Glanzjahren der Kreisky-Ära noch nicht wieder richtig Tritt gefasst hatte, wozu auch die drei Jahre unter Fred Sinowatz nichts Wesentliches beitragen konnten. Am Ende, 1997, war die SPÖ unter die 40-Prozent-Marke gesunken, die Große Koalition fast am Ende und Haider knapp vor dem Zenit seiner politischen Laufbahn. Das einfach Franz Vranitzky anzulasten, griffe zu kurz - zu viele, teils auch in anderen Ländern beobachtbare Faktoren spielten hier mit. Ob seine Strategie gegenüber Haider die richtige war, ist indes inner- wie außerhalb der SPÖ stets umstritten gewesen. Große Verdienste hat sich Vranitzky mit seiner Rede vor der Knesset, in der er Österreichs Verhältnis zur NS-Zeit offen ansprach, erworben, ebenso mit seinem klaren EU-Kurs, für den er auch in der eigenen Partei erst Überzeugungsarbeit leisten musste. Entschlossenes Handeln war seine Sache dennoch im Allgemeinen nicht - wenngleich sein damals viel kritisiertes Bekenntnis, er wolle nicht der "Aufreger der Nation" sein, heute, angesichts fortschreitender Hysterisierung in Politik und Medien, schon wieder wohltuend sachlich anmutet.

DIE FURCHE: Hat Haider nicht oft den Finger auf wunde Punkte des politischen Systems in Österreich gelegt, damit die Großparteien zum Handeln gezwungen und so sehr wohl Veränderungen bewirkt?

Vranitzky: Das will ich nicht generell bestreiten. Aber: die Privatisierung der Verstaatlichten haben Sinowatz, Lacina und ich initiiert; Haiders Vorstöße zur Abschaffung der Kammer-Pflichtmitgliedschaften sind nicht nur misslungen, die Pflichtmitgliedschaften sind heute unbestrittener denn je. Kurz: In einzelnen Punkten stimmt schon, was Sie sagen - aber auf lange Sicht bleiben wohl eher seine das Ansehen Österreichs schädigenden "Ausrutscher", oder vielleicht auch die skurrile Freundschaft zu Saddam Hussein.

DIE FURCHE: Sie waren zu Ihrer Zeit als SPÖ-Vorsitzender und Bundeskanzler immer mit dem Vorwurf der "Ausgrenzungspolitik" gegenüber Haider konfrontiert; und der der Haider-Sympathie absolut unverdächtige Hubertus Czernin hat Sie als "Haider-Macher" bezeichnet...

Vranitzky: Czernin hat ein Büchlein herausgebracht: "Was blieb von Haider?" Das Buch hat über 90 Seiten, und alle sind leer - bis auf die letzte, da steht: "Wolfgang Schüssel". Soviel zu Hubertus Czernin. Was die "Ausgrenzung" angeht, so hat diesen Begriff Haider selbst erfunden. Es stimmt, ich habe ihn als Regierungspartner ausgeschlossen. Aber das war, erstens, die Entscheidung dessen, der die stärkste Partei im Nationalrat vertritt. Zweitens hatte ich einen Koalitionspartner, die ÖVP, musste also nicht um die Sympathie eines potenziellen Partners FPÖ kämpfen. Drittens ist in der Politik vieles Taktik, aber nicht alles. Ich bin gegen Grundsatzlosigkeit - und wäre ich gezwungen gewesen, mit Haider eine gemeinsame Regierung zu bilden, wäre ich zurückgetreten. Viertens: Es hat auch in meiner eigenen Partei solche gegeben, die mir über sieben Ecken ausrichten ließen, sie hielten meine "Ausgrenzungspolitik" für falsch. Anfangs haben mich diese Stimmen nachdenklich gemacht, heute kann ich - angesichts des traurigen Bildes, das FPÖ und BZÖ bieten - darüber eigentlich nur noch lachen.

DIE FURCHE: War die Große Koalition Ende der neunziger Jahre nicht derart ausgelaugt, dass sich ein Wechsel nahelegte?

Vranitzky: Ich glaube, dass das Bündnis von SPÖ und ÖVP im Jahr 2000 deshalb auseinander gegangen ist, weil in den Jahren davor Viktor Klima und Wolfgang Schüssel die erforderliche Balance nicht mehr zusammengebracht haben. Sie haben sich nicht nur politisch, sondern auch persönlich auseinander gelebt.

DIE FURCHE: Hat das Auseinanderleben nicht schon zwischen Ihnen und Erhard Busek begonnen? Busek hat später einmal gemeint, er habe es nicht einmal geschafft, mit Ihnen auf ein Bier zu gehen...

Vranitzky: Nein, sicher nicht - mit oder ohne Bier. Wir haben uns, aus meiner Sicht jedenfalls, sogar ziemlich gut verstanden. Es tut mir höchstens Leid, dass wir uns heute noch besser verstehen, als damals, als wir gemeinsam in der Regierung waren. Busek hatte viele Probleme in seiner eigenen Partei. Mein Prinzip war immer, kollegial zu handeln, aber ohne Verhaberung. Das allzu schnelle Du, die Kameraderie sind auch keine Garantie für gedeihliches Zusammenarbeiten. Nach meinem Ausscheiden hat man sich im Ministerrat dann per Vornamen angeredet, wurde mir berichtet - und das Ende ist bekannt.

Wenn man bedenkt, was Haider aus seinen Wahlerfolgen gemacht hat, dann muss man sagen: er war ein erfolgreicher Stimmenfänger, aber ein erfolgloser Politiker.

DIE FURCHE: Sie sind mit dem Etikett "Nadelstreifsozialist" versehen worden. Dahinter steht der Vorwurf des Verrats an sozialdemokratischen Idealen. Genau um diesen Vorwurf dreht sich auch heute die programmatische Debatte innerhalb der Sozialdemokratie, für die in Deutschland etwa Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine stehen.

Vranitzky: Ich habe meine grundsätzliche politische Überzeugung mein Leben lang nicht geändert: Ich halte die Marktwirtschaft für am geeignetsten, um die Lebensgrundlagen der Massen abzusichern. Dazu braucht es aber zwei Dinge: Demokratie und Solidarität. Diese beiden Säulen sind immer wieder zu erneuern und krisenfest zu machen. Und letztlich ist das, was Tony Blair oder Gerhard Schröder machen, nichts anderes als ein Versuch, diese beiden Säulen abzusichern.

DIE FURCHE: Ist aber die politische Agenda von Schröder nicht letztlich die gleiche wie die von christdemokratischen bzw. bürgerlichen Regierungschefs in anderen Ländern?

Vranitzky: Das Problem ist, dass die notwendigen Reformschritte nicht von einem adäquaten Wirtschaftswachstum begleitet werden. Weil es aber an wirtschaftlicher Substanz fehlt, die sich auch in höheren Steuereinnahmen niederschlagen würde, sind die Reformen für den einzelnen Staatsbürger schmerzlich. Die europäischen Staatskanzleien kümmern sich viel zu wenig um Wachstum.

DIE FURCHE: Noch einmal, für Österreich gefragt: Was hätte ein Kanzler Gusenbauer in den letzten fünf Jahren in den großen Linien anders machen können als ein Kanzler Schüssel?

Vranitzky: Ich würde hoffen, dass es ein Kanzler Gusenbauer vor allem viel besser gemacht hätte. Etliche Maßnahmen waren nicht verfassungskonform, einiges hat schlicht nicht funktioniert, in der Gesundheitspolitik sind überhaupt keine Fortschritte erzielt worden. Natürlich hätte auch Gusenbauer Maßnahmen treffen müssen - aber ich denke, es wäre gediegener gemacht worden.

DIE FURCHE: Soll die SPÖ mit Gusenbauer in die nächste Wahlauseinandersetzung gehen?

Vranitzky: Die Partei hat Gusenbauer gewählt - daher hat sie ihn zu unterstützen; und Gusenbauer hat das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen. Solange diese Balance funktioniert, erübrigt sich jede Personaldiskussion. Dass jeder, der eine Funktion übertragen bekommen hat, sich in deren Ausübung verbessern kann und muss, versteht sich von selbst.

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