"Kommerz ist jetzt das Opium des Volkes"

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Die starke kirchliche Sozialisation des designierten SPÖ-Vorsitzenden ist Ausgangspunkt dieses Furche-Gesprächs, in dem Gusenbauer zum Verhältnis von Kirche und Politik, der Fristenlösung und dem arbeitsfreien Sonntag Stellung bezieht.

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Die starke kirchliche Sozialisation des designierten SPÖ-Vorsitzenden ist Ausgangspunkt dieses Furche-Gesprächs, in dem Gusenbauer zum Verhältnis von Kirche und Politik, der Fristenlösung und dem arbeitsfreien Sonntag Stellung bezieht.

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Die Furche: Sie haben in verschiedenen Gesprächen schon des öfteren Ihre katholische Herkunft erwähnt. Welchen Einfluß übt dieser Hintergrund auf Ihre politischen Entscheidungen aus?

Alfred Gusenbauer: Für mich hat Religion und Christentum immer eine große Rolle gespielt. Vor allem was den humanistischen Grundgedanken betrifft. Wenn man heute nach meiner Einordnung in der Kirche fragt, würde ich mich als Linkskatholik bezeichnen.

Meine gesamte Arbeit in der Friedensbewegung war im wesentlichen eine gemeinsame Tätigkeit mit Freunden aus den katholischen Jugendorganisationen. Ich war jahrelang in der Entwicklungszusammenarbeit engagiert, und die besteht in Österreich eben zu einem großen Teil auch wieder aus katholischen Organisationen. In der Arbeiterkammer hatte ich intensiven Kontakt mit der Katholischen Arbeitnehmerbewegung.

Ich bin eigentlich kaum in die Situation gekommen, daß es für mich eine wirkliche Widersprüchlichkeit meines sozialdemokratischen Denkens mit meinen christlichen Wurzeln gegeben hätte.

Die Furche: Den alten Vorwurf, daß Religion nur der Vertröstung auf ein besseres Jenseits dient und davon abhält, in der Gesellschaft etwas zu verändern, finden Sie nicht bestätigt?

Gusenbauer: Heute muß dieser Satz von Karl Marx, wonach Religion Opium des Volkes ist, in dem Sinn, daß Religion von der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Realitäten ablenkt, ganz anders formuliert werden: Kommerz und Massenkultur sind jetzt das Opium des Volkes. Heute hält Religion die Menschen keineswegs davon ab, sich mit den gesellschaftlichen Realitäten auseinanderzusetzen. Man sieht anhand der vielen religiösen Bewegungen in Österreich, Europa, auf der ganzen Welt, daß das genaue Gegenteil stattfindet. Gerade Religion ist oft erst der Anlaß, sich den Herausforderungen zu stellen.

Die Furche: Sie bezeichnen sich als Linkskatholik. Wie kommentieren Sie den teilweise stark konservativen Kurs der katholischen Kirche in Österreich?

Gusenbauer: Der Rechtsruck in der Führung der katholischen Kirche in Österreich ist Teil der Entwicklung der Weltkirche. Wenn ich das Pontifikat des jetzigen Papstes beurteile hat das zwei herausragende Merkmale: In moraltheologischen und hierarchischen Fragen ist es äußerst konservativ bis reaktionär. Und in sozialpolitischen Fragen ist es äußerst progressiv. Wenn man die Sozialenzykliken des Papstes studiert, wird man kaum eine beißendere Kapitalismuskritik finden, als die, die dort formuliert ist. Das hängt für mich damit zusammen, daß die Realität der Weltkirche die ist, daß vor allem in den Ländern der Dritten Welt, wo es sehr viele Katholiken gibt, ohne eine kritische sozialpolitische Botschaft die Kirche keine Glaubwürdigkeit besitzen würde.

Während es in Europa zu einem Rechtsruck vor allem in moraltheologischen und kirchenpolitischen Bereichen gekommen ist, der auch an der österreichischen Kirche nicht spurlos vorbeigegangen ist. Wobei die Führung der Kirche ja nicht identisch ist, mit der großen Breite der Gläubigen. Gerade die Brüche zwischen der Spitze der Kirche und dem, was die Menschen denken, sind ja nicht nur im Kirchenvolksbegehren aber sicher auch dort zum Ausdruck gekommen.

Die Furche: Wie sehen Sie das Wechselspiel zwischen Kirche und Gesellschaft?

Gusenbauer: Man kann spekulieren, war das Zweite Vatikanum der Vorbote des Jahres 1968, und ist Kurt Krenn das Nachvollziehen der konservativen Wende, die in Europa in den Achtzigern stattgefunden hat, und sich derzeit gesellschaftlich schon wieder in einem Ablösungsprozeß befindet? Man könnte sagen, in den 60er Jahren war die Kirche, was ihren progressiven Charakter betrifft, ein zusätzlicher Motor für die gesellschaftliche Entwicklung. Während die letzten Jahre in der österreichischen Kirche eher ein Nachhinken, ein Nachziehen hinter den gesellschaftlichen Entwicklungen darstellen. Deshalb ist momentan der Widerspruch zwischen dem was als modern oder die Zukunft antizipierend gilt, und dem was die aktuelle Kirchenführung vertritt relativ groß.

Die Furche: Die Haltung zur neuen Regierung, die Frage nach der Teilnahme an den Demonstrationen provoziert erneut und wieder einmal die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Politik. Sehen Sie eine Veränderung in diesem Miteinander Platz greifen?

Gusenbauer: Die Kirche ist gut beraten, wenn sie sich nicht von einer Partei vereinnahmen läßt, sondern die Kirche soll und muß für gewisse Werthaltungen stehen. Auf Basis dieser Werte wird sich aufgrund der Politik, die die Parteien betreiben, eine inhaltlich größere oder kleinere Nähe ergeben. Danach sollte die Kirche die Parteien beurteilen. Ich würde nicht verstehen, wenn die Kirche aufgrund einer grundsätzlichen Treue zur ÖVP ihre eigenen Werte relativieren würde, sollten diese durch die Politik der ÖVP in Frage gestellt sein. Eine Kirche muß politisch sein, aber nicht parteipolitisch.

Die Furche: Gehen wir auf zwei konkrete Bereiche näher ein. Zuerst das Thema Fristenlösung, wo die Anschauungen von Kirche und Sozialdemokratie teilweise sehr stark divergieren.

Gusenbauer: Bei der Fristenlösung werden grundsätzliche ethische Fragen angesprochen, wo es höchstwahrscheinlich für jede der beiden Seiten sehr schwer ist, die Position zu verändern. Daher haben wir in Österreich eine Strategie verfolgt, wo gesagt wurde, das Ziel ist, daß es ein familienfreundliches Klima gibt, daß es Bedingungen gibt, wo Kinder gut und sicher aufwachsen können, daß es daneben Aufklärung und Verhütungsmöglichkeiten gibt, um das Ausmaß an Abtreibungen möglichst gering zu halten. Und ich glaube, daß diese Strategie auch erfolgreich war. Was keine Lösung der ethischen Grundfrage ist, aber rein pragmatisch gesehen, doch sehr wirkungsvoll dazu beiträgt, so viele Abtreibungen als möglich zu verhindern.

Die Furche: Zweites Thema: die Frage nach der Sonntagsarbeit. Ein Bereich, wo es so ausschaut, daß sowohl die Kirche als auch die SPÖ und die Gewerkschaften mehr und mehr in eine erfolglose Abwehrposition geraten ...

Gusenbauer: Zur Forderung nach dem arbeitsfreien Sonntag muß man sagen, daß diese Position in der Gesellschaft auch schon sehr durchlöchert ist. Dazu kommt, daß die Grenzziehung, was gesellschaftlich unbedingt erforderlich ist, und was nicht notwendig ist, bisher in keiner klaren Form durchgeführt wurde. Was dann meistens zu der Position führt: Es sollte nicht mehr Sonntagsarbeit geben, als es schon gibt. Pragmatisch ist das akzeptabel, aber sowohl Sozialdemokratie als auch Kirche haben sich bisher um eine grundsätzliche Definition in dieser Frage herumgedrückt. Das bemerke ich kritisch in beide Richtungen.

Die Furche: Muß man da wieder auf eine Einkaufskette warten, die vorprescht und Fakten schafft, wenn sie dieses oder jenes Tabu bricht?

Gusenbauer: Genau in diese Situation kommen wir ja, wenn wir keine grundsätzliche Grenzen ziehen, oder wenn wir nur kasuistisch - von Fall zu Fall - vorgehen. Dann kommt jeweils der Aufschrei, der halt oft zu spät ist. Das ist ja genau die Konsequenz der nicht vorhandenen grundsätzlichen Position. Sinnvoll wäre es, wenn die Kirchen und die Sozialpartner - also Wirtschaft und Gewerkschaft - unter Einschluß der Parlamentsparteien einen Gipfel veranstalten, und sagen, wie ist jetzt wirklich unsere jeweilige Haltung zur Sonntagsarbeit, damit man von diesen kasuistischen Entscheidungen wegkommt.

Die Furche: Im Vorfeld Ihrer Bestellung hat es geheißen, daß der SPÖ ein Flügelkampf zwischen sogenannten Einem- und Schlögl-Anhängern drohte. Ist diese Gefahr mit Ihrer Person gebannt?

Gusenbauer: Das sind Etiketten, die in der Realität der Partei nicht wirklich eine Rolle spielen. Es gibt Personen, die aufgrund ihrer Tätigkeiten verschiedene Schwerpunkte gesetzt haben, aber in den Grundfragen sehe ich keine Flügel in der SPÖ.

Die Furche: Als ihr politisches Vorbild haben Sie Bruno Kreisky genannt. Gab es so ein Vorbild auch kirchlicherseits?

Gusenbauer: Keine Frage, die alles überstrahlende Persönlichkeit war und ist nach wie vor Kardinal König.

Die Furche: Die Gestalt Kreisky hat Sie motiviert, in die Politik zu gehen, warum sind Sie nicht Ihrem Vorbild Kardinal König nachgeeifert?

Gusenbauer: Bevor ich mich für Politik zu interessieren begann, habe ich lange mit dem Gedanken gespielt, in der Kirche auch als Geweihter zu dienen. Aber die dafür essentiellen Voraussetzungen waren für mich nicht gegeben. Ich war der Meinung, sollte es dort einen Platz für mich geben, müßte zumindestens der Zölibat abgeschafft werden.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich ZUR PERSON Ministrant mit Politkarriere Von 1967 bis 1976 war Alfred Gusenbauer Ministrant in der Stadtpfarrkirche Ybbs und im Bezirkspensionistenheim der Stadt. An die 2000 Messen habe er in dieser Zeit mitgefeiert, rechnet er im Furche-Gespräch vor: "Das Umfeld in meiner Kirche war sehr aufgeschlossen und weltanschaulich für mich sehr ansprechend." Außerdem hat er der Großmutter eine Freude gemacht.

Noch als Gymnasiast wurde Gusenbauer Chef der SPÖ-Jugendorganisationen in seinem Bezirk. Wenig später folgte er Josef Cap als nationaler Juso-Vorsitzender um schließlich mit 29 Jahren Vizepräsident der Sozialistischen Internationale und damit Stellvertreter Willy Brandts zu werden.

Nur zwei Wochen Bundesgeschäftsführer stellte ihn die SPÖ am 17. Februar dieses Jahres als designierten Vorsitzenden und achten Nachfolger von Victor Adler an ihre Spitze. Mittlerweile ist Gusenbauer auch Klubobmann. Fehlt noch die Rolle als Kanzlerkandidat.

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