Nach der Wahl_Kurz - © APA/Georg Hochmuth

Erhard Busek: "Zuspitzung auf Kurz ist Chance wie auch Gefahr"

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Die Umwälzungen in der ÖVP rund um Sebastian Kurz zeigen, wie dringend eine Erneuerung ist. Ein Kommentar vom ehemaligen ÖVP-Obmann und Vizekanzler Erhard Busek.

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Die Umwälzungen in der ÖVP rund um Sebastian Kurz zeigen, wie dringend eine Erneuerung ist. Ein Kommentar vom ehemaligen ÖVP-Obmann und Vizekanzler Erhard Busek.

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In den letzten Tagen stand die Entwicklung in der ÖVP im Zentrum der medialen Auseinandersetzung. Was vielfach nur am Rande behandelt wurde, war die allgemeine Entwicklung des Parteienwesens in Österreich, eigentlich in Europa! Die politische Landschaft ist im Hinblick auf Demokratie immer noch von den Entwicklungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts gekennzeichnet, wobei es natürlich eine Anpassung an die jeweilige Situation gab. Heute ist das traditionelle Parteienwesen in Frage gestellt, weil es gegenüber den Problemen unserer Zeit (Globalisierung, Technologie, etc.) offensichtlich nicht mehr die Fähigkeit entwickelt, mit diesen Problemen auch politisch fertig zu werden.

Das äußert sich in Phänomenen wie der sinkenden Wahlbeteiligung bis hin zum Populismus, wobei die Bezeichnungen "rechts-links" eigentlich größtenteils ihre Wertigkeit verloren haben. Natürlich stehen diese Schemata noch immer zur Diskussion, wenngleich es heute schwer geworden ist, eine Verortung vorzunehmen. Ein klassisches Beispiel ist die CDU unter Angela Merkel, der von vielen nachgesagt wird, dass sie längst links von der Mitte angelangt ist, während die SPD durchaus "kapitalistische" Züge hat.

Parteienlose Politiker erfolgreich

Jenseits der Sehnsucht nach Wahlerfolgen ist das der eigentliche Hintergrund der Veränderungen, die nun auch in Österreich greifen. Oft wurde auf den Erfolg von Emmanuel Macron hingewiesen, der eigentlich ohne den Hintergrund einer Partei zum französischen Präsidenten gewählt wurde. Auf eine gewisse Weise war das Geschehen rund um die Bundespräsidentenwahl von ähnlichem Charakter, wobei man auch noch dazusagen muss, dass es mehr von der Ablehnung eines Kandidaten beeinflusst war als von der Zustimmung zum definitiven Gewinner. Am Rande sei bemerkt, dass das allerdings auch eine Mobilisierung erzeugt hat, denn die Wahlbeteiligung ist gestiegen, weil es offensichtlich auch um etwas gegangen ist

Neues System andenken

Zurück zum Wechsel an der Spitze der ÖVP bzw. auch zu den Umständen und Vorgängen darum. Nicht alles ist schon eine Sensation, denn hinsichtlich personeller Fragen hatten auch schon einige Vorgänger durchaus ein Mandat, diese von sich aus zu gestalten. Der eigentliche Hintergrund ist die Qualität der Kandidatenliste, wobei schon seit langer Zeit auch Vorwahlen versucht haben, dem Qualitätsproblem entgegenzusteuern. Was eigentlich fehlt - as sei als Aufgabe für die Zukunft festgehalten - ist eine Änderung des Wahlrechtes. Der direkte Einfluss der Bürger ist nicht gegeben, weil immer noch Parteigremien nationaler, föderaler und regionaler Art die Listen bestimmt haben. Das ist allerdings durch den Kurz-Vorschlag nicht geändert, sondern an diese Stelle tritt die absolute Macht des Parteivorsitzenden, wobei mit Interesse zu verfolgen sein wird, inwieweit das auch in die Wirklichkeit umgesetzt wird.

Verständlich ist auch der Wunsch nach Bestimmung der Ministerliste, wobei auch noch zu sehen sein wird, inwieweit im internen Spiel die Sichtbarkeit der Bundesländer bzw. sozialer Gruppen (Bünde) und Interessen auch für einen neuen Obmann mit einem im Parteistatut verankerten Mandat eine Rolle spielen wird. Erfreulich ist auch die Beeinflussung der Inhalte der Regierungstätigkeit bzw. des Wahlprogrammes, wobei allerdings angemerkt werden muss, dass davon bis zum Zeitpunkt der Verfassung des Artikels noch relativ wenig bekannt ist. Das allerdings wird auch Diskussionen auslösen, denn das allein selig machende Wahlprogramm gibt es schlicht und einfach nicht.

Natürlich wird es einen Einfluss auf die traditionelle Bündestruktur der ÖVP haben, die allerdings in Wirklichkeit schon seit geraumer Zeit in Auflösung begriffen ist. Noch immer werden von beiden Regierungsparteien fantastische Mitgliederzahlen publiziert, die längst schon nicht mehr der Wirklichkeit entsprechen. Politische Arbeit reduziert sich auf den Kern jener, die bereit sind, auch wirklich Arbeit zu leisten, wobei die Entwicklung von neuen sozialen Gruppen in der Gesellschaft eine entscheidende Rolle spielt. Jedem, der Erfolg haben will, wird es zu empfehlen sein, Bewegungen in der Gesellschaft in irgendeiner Weise einzufangen, widerzuspiegeln oder in eine Auseinandersetzung mit ihnen zu treten. Das wird nachhaltig die politische Landschaft beeinflussen, die sich eher in der Auseinandersetzung einer politischen Öffentlichkeit widerspiegelt.

"Do Tanks" statt "Think Tanks"

Damit ist auch das Problem der Öffentlichkeit berührt, denn es ist nicht mehr allein die Medienlandschaft, die diese beeinflusst. Die manchmal verzweifelten Bemühungen von politischen Parteien und Gruppen, Medienlandschaft einzukaufen durch Insertion und andere Vergünstigungen, hat längst ihre Wirksamkeit verloren. Es ist schade um dieses Geld, das man für andere Dinge durchaus verwenden könnte, etwa für die Heranbildung gebildeter politischer Akteure. Die große Rolle von in der Öffentlichkeit etablierten Meinungsforschern (der ORF leistet dazu einen fraglichen Beitrag), löst dieses Problem nicht, denn immer noch kommt es darauf an, dass es nicht mehr "Think Tanks" gibt, sondern wie ich gerne sagen möchte "Do Tanks". In der Bewältigung der Flüchtlingsfrage konnte man das ganz deutlich sehen, weil das zunächst vorhandene gesellschaftliche Engagement zugunsten der Flüchtlinge auch die Meinungen sehr stark beeinflusst hat, was mit Sicherheit in der Zukunft bei wichtigen Fragen genauso sein wird.

Nun kann man mit Recht sagen, dass Sebastian Kurz eine Auflockerung der politischen Landschaft geglückt ist und sich damit mehr und mehr die Art der Politik auf eine Reise in die Zukunft begibt. Wo sie landen wird, ist schwer zu sagen, denn es kommt darauf an, wie das wirklich umgesetzt wird. Eine Chance und gleichzeitig eine Gefahr für Sebastian Kurz ist wohl die Tatsache, dass sich alles auf eine Person zuspitzt, der mit Sicherheit eine Gruppe hinter sich hat, die allerdings nicht die gesamte politische Wirklichkeit abdecken wird. Es darf die Frage nach der Qualität der Demokratie gestellt werden, denn die Zuspitzung auf nur eine Person hat natürlich das Risiko, bei einem "Führerkult" zu landen. Dort sind wir noch nicht, aber es bleibt abzuwarten, wie eine demokratische Meinungsbildung in der Zukunft stattfinden wird.

Es wäre allerdings zu primitiv, diese Entwicklung nur allein auf die Volkspartei zu zentrieren. Auch in der SPÖ hat ein ähnlicher Prozess stattgefunden, der etwa im Plan A des Bundeskanzler Kern sichtbar wurde. Dieser entspricht nicht einer internen SPÖ-Diskussion, sondern dem Gestaltungswillen des Vorsitzenden und seiner Reihe von internationalen Beratern. Dass das Programm auch nicht eine breite Akzeptanz in der gesamten Partei findet, ist inzwischen deutlich geworden. Damit finden auch Verschiebungen im Spektrum statt, denn Kurz und Kern ist es eigen, ein wenig die Landschaft nach rechts verschoben zu haben, was aber nur eine vordergründige Deutung sein kann.

Vielmehr ist es der Populismus, der in diese Richtung führt. Die intellektuelle Qualität der Auseinandersetzung ist im Moment schwer zu erkennen, weil es um kurzfristige Erfolge geht. Das ist im Vorfeld einer Wahl verständlich, denn man will möglichst viele Interessenten einsammeln. Inwieweit damit auch die Landschaft der Sozialpartnerschaft und anderer Lobby-Einrichtungen berührt ist, wird man sehen. Der Sozialpartnerschaft war es einmal eigen, relativ konstruktive Pläne etwa durch diverse Ausschüsse bewirkt zu haben. Diese innovative Kraft ist in der letzten Zeit relativ wenig vertreten. Es bleibt abzuwarten, inwieweit im Bereich der Gewerkschaften, der Wirtschaftskammer, der Arbeiterkammer, der Bauern etc. hier Bewegungen entstehen, die etwas mehr Kreativität zur Lösung der vorhandenen Probleme einbringen, als das gegenwärtig der Fall ist.

Bewegung im Sinne der Demokratie

Zusammenfassend darf ruhig gesagt werden, dass Sebastian Kurz eine bislang recht beeindruckende Erneuerung der Landschaft darstellt, die eine Bewegung losgetreten hat, die der Qualität der Demokratie und der Zukunft der Politik nur guttun kann. Es bleibt allerdings abzuwarten, in welche Ergebnisse die Entwicklungen selber einmünden. Dazu ist der Zeitraum noch zu kurz, um hier definitiv Feststellungen zu treffen. Es kommt zu einem Austausch eines Großteils der gegenwärtigen Politikergeneration, was durchaus von Vorteil sein kann. Ob allerdings die ritualisierten politischen Verhaltensweisen abgelöst werden durch eine offene Demokratie, bleibt abzuwarten.

Wenn man sich schon in primitiven Formen bewegen will, dann kann man sagen, dass es noch offen ist, ob man einmal für diese Zeit feststellen kann: Kurz und gut!

Der Autor ist Vorstandsvorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa und war u. a. ÖVP-Obmann.

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