Kurz - © Foto: picturedesk.com  / Hans Klaus Techt / APA-Archiv

Manfried Welan über Sebastian Kurz: „Sphinx ohne Geheimnis“

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Vor 60 Jahren ist der ehemalige Boku-Rektor und Wiener Stadtpolitiker Manfried Welan der ÖVP beigetreten. Wer, wenn nicht er, kann die alte mit der neuen Volkspartei vergleichen und den erfolgreichen Parteichef zu erklären versuchen.

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Vor 60 Jahren ist der ehemalige Boku-Rektor und Wiener Stadtpolitiker Manfried Welan der ÖVP beigetreten. Wer, wenn nicht er, kann die alte mit der neuen Volkspartei vergleichen und den erfolgreichen Parteichef zu erklären versuchen.

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Der ÖVP-Parteisekretär staunte: Bei seinem Parteieintritt 1961 wollte Manfried Welan keine Wohnung, keine Pragmatisierung, sondern „nur mitarbeiten“. Seinen eigenen Zugang zur Volkspartei hat sich der spätere Boku-Rektor, Stadtpolitiker und Rechtswissenschafter bis zum diamantenen Jubiläum bewahrt.

DIE FURCHE: Herr Professor Welan, wie oft haben Sie in den vergangenen 60 Jahren überlegt, aus der ÖVP auszutreten?

Manfried Welan: Nie! Das ist bei mir mit der Partei genauso wie mit der Kirche. In meiner Familie ist außer mir niemand dabei, aber ich habe da eine gewisse Anhänglichkeit.

DIE FURCHE: Wie geht sich das mit Ihrem Freundeskreis aus? Zu dem gehört das Whoʼs who des liberalen Österreichs. In einer Welan-Festschrift werden Sie als einer „der wenigen Liberalen dieses Landes“ bezeichnet.

Welan: „Leben und leben lassen“ und „Durchs Reden kommen die Leute zusammen“ – beides hat mich mein Vater, ein ÖVP-Funktionär, gelehrt. Das war für mich immer selbstverständlich. Und ich war immer neugierig auf diejenigen, die anderer Auffassung sind, und habe mit denen immer gerne gesprochen. Deswegen ist auch der Heinz Fischer seit Langem mein Freund, obwohl ich als Rektor viele Konflikte mit ihm hatte. An unserer Freundschaft hat das nichts geändert.

DIE FURCHE: Wird politisches „Leben und leben lassen“ heute weniger gelebt – siehe aktuelles Beispiel: der Rücktritt von Gesundheitsminister Anschober?

Welan: Die Begegnungsformen sind rauer und infantiler zugleich geworden. Diese SMS-Nachrichten und diese komischen Anrufe wechselseitig hat es ja früher nicht gegeben. Auch diese Deutlichkeit, die man dabei an den Tag legt, gab es nicht. Man hatte früher mehr Distanz, auch mit Leuten, die man gerne hatte. Man war irgendwie gehemmter oder beherrschter, ganz selten, dass man Dinge ganz deutlich gesagt hat. In der Politik hat man sich früher so verständigt wie in der Diplomatie, so à la Ingeborg Bachmann: „Abstand ist Anstand.“

DIE FURCHE: Und auch im kleinen Kreis ist man nie direkter, derber geworden?

Welan: Nein, man hat viel mehr Wert auf die Formen gelegt. So wie es beim Herrn Karl heißt: „Des warn Herren! Herren und Formen!“ Dieser raue Ton, den man unter den Titeln Amerikanisierung, Demokratisierung und Infantilisierung abhandelt, ist wirklich neu und überrascht mich auch.

DIE FURCHE: Die ÖVP heißt ja jetzt auch Neue Volkspartei – was ist neben den „Herren und Formen“ neu geworden?

Welan: Die Farbe ist neu, ich habe mich gewundert, was alles türkis wurde. Wenn man z. B. in die Politische Akademie geht, ist alles türkis. Das hat sich durchgesetzt.

DIE FURCHE: Sie waren in den 1980er Jahren selbst einer der „bunten Vögel“ in der Wiener ÖVP – war Türkis in der Farbpalette damals schon dabei?

Welan: Nein, überhaupt nicht. Man hat im Gegenteil gewusst, man kann als Schwarzer noch so liberal sein, man wurde von den politischen Gegnern trotzdem immer ganz stur in den katholischen schwarzen Sack gesteckt.

DIE FURCHE: In der katholischen Kirche haben einige Chats zwischen Bundeskanzler Kurz und ÖBAG-Vorstand Schmid zu Verstimmungen geführt – ursprünglicher Anlass für die Kirchenchats war die Kritik der Kirche an der VP-Flüchtlingspolitik. Ist diese Kritik berechtigt?

Welan: Da bin ich auch in dieser Gefangenschaft zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Gesinnungsethiker sind meistens Laien, die von derPraxis relativ wenig Ahnung haben, die Praktiker sind wieder zu stark Verantwortungsethiker. Ich hätte mir jedoch einige symbolische Aktionen erwartet, aber die sind nicht gekommen.

DIE FURCHE: Zu Weihnachten keine Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern aufnehmen – ist das keine symbolische Aktion für bestimmte Wählergruppen?

Welan: Da haben Sie schon recht, deswegen ist es ja so gewesen. Trotzdem muss es auch ein gewisses Zuckerbrot für die braven Leute in der Partei geben.

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