Caspar Einem - © APA-Foto: Roland Schlager

Caspar Einem über "Österreichs wärmere Intelligenz"

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Die Herausforderung wird laut Wissenschaftsminister Caspar Einem (SPÖ) die aktive Ausübung sozialer Intelligenz sein, damit die Gesellschaft nicht auseinanderbricht.

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Die Herausforderung wird laut Wissenschaftsminister Caspar Einem (SPÖ) die aktive Ausübung sozialer Intelligenz sein, damit die Gesellschaft nicht auseinanderbricht.

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DIE FURCHE: Österreichische Intelligenz ist das Thema unseres Gesprächs. Was fällt Ihnen spontan dazu ein?

Caspar Einem: (Lacht) Als erstes fällt mir ein, daß die Österreicher im besonderen Maß über etwas verfügen, was ich soziale Intelligenz nennen würde. Nämlich eine Fähigkeit, nicht nur mit technisch intelligenten Dingen umzugehen, sondern miteinander einen Weg des Zusammenlebens zu finden, der zwar von Matschkern, aber nicht von scharfen Kontroversen bestimmt ist oder davon, daß die Bevölkerung wirklich in Teile zerfällt, die nicht mehr zusammenhalten. Also eine spezifische Form des letztlich miteinander-reden-Könnens. Das halte ich für etwas, was die Österreicher in besonderer Weise auszeichnet.

DIE FURCHE: Könnten Sie den Unterschied zwischen österreichischer und - sagen wir etwa - deutscher Intelligenz noch genauer benennen.

Einem: Bei Pauschalierungen muß man vorsichtig sein, aber da alle meine Verwandten Deutsche sind, wage ich hier ein kritisches Wort. Ich glaube, deutsche Intelligenz ist letztlich eine kältere Form von Intelligenz, nicht eine schärfere. Was klassische Intelligenz betrifft, sind Österreicher nicht schlechter als Deutsche. Wir bringen nur ein zusätzliches Element von Intelligenz mit ein. In vielen Feldern kann die Nutzung genau dieser Dimension sozialer Intelligenz zu einem wesentlichen Wettbewerbsvorteil werden. Wenn es gelingt, aus Know-how mehr zu machen als die bloße Anwendung des gelernten Wissens, macht das einen entscheidenden qualitativen Unterschied aus.

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DIE FURCHE: Soziale Intelligenz, wärmere Intelligenz - wo sehen Sie in diesem Land die Wurzeln dafür?

Einem: Nicht übersehen sollte man, daß es in Österreich eine schon sehr lang dauernde politisch-wirtschaftliche Kultur gibt, in der letztlich alle aufwachsen. Ein Raum, in dem die Art, wie Konflikte ausgetragen werden, wesentlich kulturell mitbestimmt wird. Der Rest ist eine Frage konkreter Erfahrungen, in der Familie, im Kindergarten, in der Schule, gegebenenfalls auf Universitäten. Wobei die ausdrückliche Förderung sozialer Intelligenz in Schulen und Universitäten zu wünschen übrig läßt. Sinnvoll wäre, diese Seite mehr zu betonen. Besonders in schwierigeren Fällen, dort wo es um Kommunikation über Grenzen hinweg mit Fremden und Fremdem geht. Die Konfrontation mit Unbekanntem ist in einer Zeit rascher Veränderungen die Standardherausforderung.

DIE FURCHE: Daran anknüpfend, wenn Sie von Aufgaben der Bildungseinrichtungen sprechen. Wie definieren Sie heute Bildung?

Einem: Bildung sollte helfen, die Menschen zu befähigen, miteinander in einer Gesellschaft zu leben und die Probleme zu lösen, die sich stellen.

DIE FURCHE: In Ihrem neuen Buch lese ich, daß Sie sich gegen eine "hochgestochene großbürgerliche Bildung im Sinne von Hochkultur-Rezeption" verwahren ...

Einem: Naja, denken Sie nur an die geradezu skurril anmutenden Diskussionen um die Frage, was im Burgtheater geschieht. Wir haben in Wien und anderswo in Österreich schon auch bürgerliche Bildungsschichten, die den Stellenwert von Bildung daran bemessen, ob die Kinder in der Schule Griechisch gelernt haben, oder ob sie "Die Glocke" aufsagen können. Das halte ich nicht für den Maßstab. Was ich für das Entscheidende halte, ist sozusagen eine Kombination aus sozialer und allgemeiner Neugier, die es zu fördern und zu entwickeln gilt. Das schließt ein, sich bewußt zu werden, wo man herkommt und welches die kulturellen oder geistigen Fundamente sind. Aber ich halte die Lektüre von Grillparzer dazu nicht für Bedingung.

DIE FURCHE: Kultur, Kunst war in der Vergangenheit ein wichtiger Teil der Identität Ihrer Partei. Heute hat es eher den Anschein als wäre dieser Bereich in der SPÖ nur mehr dem Namen nach Chefsache.

Einem: Ich persönlich halte es für wünschenswert, daß sich die SPÖ weiterhin der Kultur und Kunst annimmt. Die Partei hat ja eine große Tradition darin. Sie war immerhin einmal eine bedeutende Kunst- und Kulturbewegung, wenn ich nur an Dinge wie Arbeitersymphoniekonzerte oder die Haltung der Sozialdemokraten zu moderner Kunst, moderner Architektur denke.

DIE FURCHE: Sie sagen selbst, Ihre Partei war eine Kulturbewegung. Gegenwärtig verlassen die Künstler die SPÖ und ein großer Teil der österreichischen Intelligenz identifiziert sich nicht mit den Sozialdemokraten ...

Einem: Ach so eng würde ich das nicht sehen. Künstlerinnen und Künstler zählen zu jenen, die aus gutem Grunde sehr direkten und unmittelbaren Kontakt mit politisch verantwortlichen Menschen suchen. So gesehen ist es ein Unglück, daß wir in Wien die Verantwortung für Kunst und Kultur nicht mehr auf sozialdemokratischer Seite haben Im übrigen haben wir mit Stadtrat Marboe einen in diesem Feld sehr begabten Herausforderer gefunden. Das sind Dinge, die passieren. Glücklich bin ich darüber nicht.

Einem Minister muss es gelingen, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Schwingen zu bringen. Sonst wird es ihm nicht gelingen, etwas zu verändern.

Caspar Einem

DIE FURCHE: Sind Sie der Meinung, daß wir unter Österreichs Politikern auch einen beachtlichen Teil österreichischer Intelligenz finden?

Einem: In dem Sinne wie ich es definiert habe, denke ich letztendlich schon. Ja, unter österreichischen Politikern und Politikerinnen gibt es durchaus wesentliche Qualitäten österreichischer Intelligenz. Das heißt nicht nur instrumenteller Intelligenz sondern auch sozialer Intelligenz. Das macht zum Teil das Funktionieren dieses Staates aus.

DIE FURCHE: Haben Politiker heute überhaupt noch Zeit, sich einmal hinzusetzen und nachzudenken?

Einem: Die Dynamik - daß man einerseits relativ große Aufgaben zu bewältigen hat und es andererseits eine Eigenlogik gibt, die dazu zwingt, genügend in der Öffentlichkeit aufzutreten - führt dazu, daß einfach sehr wenig Zeit überbleibt für dritte und vierte Aktivitäten. Ob das jetzt Nachdenken ist oder ob das angemessene Kommunikation mit den Menschen ist, die man liebt oder ob es bloß ist, daß man Bücher liest. Wenn ich spät heimkomme, schaff ich nur mehr, zwei, drei Seiten zu lesen. Das ist blöd, aber es ist so.

DIE FURCHE: Stichwort: "blöd". Finden Sie es intelligent, wie in unserem Land Wahlkampf betrieben wird? Fördert das die Intelligenz im Land, wenn Politiker gebetsmühlenartig ständig die gleichen Leerformeln und Worthülsen wiederholen?

Einem: Man kann im Urteil da schon auch etwas behutsamer sein. Ich selbst habe, als ich in die Bundesregierung kam, nie eine Rede zweimal gehalten, weil mich das selbst gelangweilt hat. Man hat mir dann vermittelt, daß der Kreis der Leute zu denen ich spreche, in der Regel nicht derselbe ist. Wenn man eine geeignete Form gefunden hat, ist daher nichts dabei, dieselbe Botschaft öfters zu senden. Aber neben diesen Kurzformen braucht es eine differenziertere Form der Kommunikation, will man mehr erreichen als bloß im Ohr haften zu bleiben. Um ein anderes Beispiel zu nennen: als ich mit dem Auto im Stau gestanden bin, haben mir Mehrere "Schiene statt Verkehrslawine" zugerufen. Das zeigt, daß solche Dinge durchaus intelligente Phantasien zulassen. Ein prägnanter Slogan ist kein Torpedo gegen Intelligenz, sondern kann geeignet sein, weiterreichende, differenzierte und intelligente Assoziation auszulösen.

DIE FURCHE: Wer Sie im Stau sieht, assoziiert Forderungen, die Sie propagieren. Was sind daneben noch Aufgaben, die ein Minister erfüllen sollte?

Einem: Der Minister ist Bindeglied zwischen Gesellschaft und jeweiligem Aufgabenfeld. Es geht darum, die programmatische Seite, für die dieser Politiker gewählt ist, in dem Bereich zu vermitteln, für den er Verantwortung übernommen hat. Es muß gelingen, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ins Schwingen zu bringen. Das Wesentliche ist der Übertragungseffekt an andere Menschen. Die muß man gewinnen, daß sie bereit sind, das Spiel mitzuspielen. Daß sie selbständig letztlich das tun, was das Ziel der legitimierten Politik ist. Wenn einem das nicht gelingt, kann man nichts verändern. Wichtig ist, relativ rasch zu begreifen, was die konkreten Herausforderungen des jeweiligen Feldes sind. Das ist vor allem mit der Fähigkeit verbunden, dumme Fragen zu stellen, um draufzukommen, was dort läuft.

DIE FURCHE: Sind Sie schon draufgekommen, was im Wechselspiel zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, falsch läuft? Wie kann die Forschung zu größerer Akzeptanz kommen?

Einem: Wir müssen an exemplarischen Beispielen zeigen, daß Wissenschaft konkreten Nutzen zur Lösung von Problemen stiftet. In manchen Bereichen, etwa der medizinischen Forschung, ist das relativ unbestritten. Insgesamt aber ist der Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu gering. Da wend ich mich kritisch sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Die Gesellschaft hat sich zuwenig darum bemüht, und die Wissenschaftler haben sich hauptsächlich mit ihrem Bereich beschäftigt. So ist der Dialog an der Schnittstelle verkümmert. Auch aus Gründen der demokratischen Legitimation muß Forschungspolitik letztlich deutlicher machen, wofür Forschung gut ist. Also, warum der Staat Steuermittel hineinstecken soll, und für welche Zwecke das geschieht. Das ist nicht nur eine Kommunikationsfrage, sondern eine Frage der Orientierung von Forschung an gesellschaftlichen Bedürfnissen.

DIE FURCHE: Was sind die größten Herausforderungen für die österreichische Intelligenz in der Zukunft?

Einem: Mit der dramatischen Wohlstandsentwicklung der letzten Jahrzehnte, mit dem Zerfall der Bindungswirkung durch traditionelle Institutionen, von Kirche über Familie bis zum Staat, bekommt eine Frage dramatische Bedeutung: Wie wollen wir sicherstellen, daß diese Gesellschaft in der Lage ist, friedlich zusammenzuleben? Wie wollen wir das, was ich anfangs als soziale Intelligenz beschrieben habe, systematischer pflegen und dazu einen aktiven Beitrag leisten, um sicher zu sein, daß diese Gesellschaft auch in Zukunft nicht auseinanderbricht. Wenn die, denen es einigermaßen gut geht, sagen: Uns ist es eigentlich wurscht, wenn es einem Viertel, einem Drittel nicht so gut geht. Wir leben ja woanders, als die, und wir spüren es dann gar nicht, wenn irgendwer irgendwo herumsandelt. Das stellt uns vor Herausforderungen, wo ich den Eindruck habe, daß wir noch zuwenig dazu beitragen, diese Probleme zu lösen.

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