duernberger - © Foto: picturedesk.com / Franz Neumayr

Theologie: „Viel Wissen sättigt die Seele nicht“

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Die Theologie versteht sich seit alters als Schnittstelle zwischen Glauben und Wissen(schaft). Herausforderungen für die Wissensgesellschaft treffen sie in besonderem Maß.

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Die Theologie versteht sich seit alters als Schnittstelle zwischen Glauben und Wissen(schaft). Herausforderungen für die Wissensgesellschaft treffen sie in besonderem Maß.

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Während sich die Welt radikal verändert, steht auch die Theologie vor einer Zeitenwende. Martin Dürnberger, Theologe und Obmann der Salzburger Hochschulwochen, ruft zu einem realistischen Blick auf und sagt, dass Zukunft Mut ebenso braucht wie radikalen Verzicht.

DIE FURCHE: Informationen waren noch nie so leicht und für so viele Menschen zugänglich wie heute. Wie passen Gott Vater, Gott Sohn und der Heilige Geist in unsere Wissensgesellschaft?

Martin Dürnberger: Grundsätzlich sind Glauben und Wissen keine Konkurrenten – sie haben zwar Berührungspunkte, stehen aber doch für unterschiedliche Ebenen. Ignatius von Loyola macht dazu eine interessante Beobachtung: „Nicht das Vielwissen sättigt die Seele und befriedigt sie, sondern das Verkosten und Verschmecken der Dinge von innen her.“ Das ist nicht wissenschaftsfeindlich gemeint, im Gegenteil. Aber es ist doch nüchtern. Man kann offenkundig über viel Wissen verfügen – und doch Orientierungsbedarf haben. Selbst die detaillierteste Karte nimmt mir die Navigation und Reise nicht ab, sozusagen. Genau das ist auch eine Beobachtung in unseren Gesellschaften. Viele Daten nehmen uns nicht die Aufgabe ab zu klären, wie wir leben wollen, was uns wichtig ist oder was zu tun ist. Glaube ist nicht zuletzt hier angesiedelt. Es geht um Orientierung in existenziellen Fragen.

DIE FURCHE: Viel zu wissen, heißt nicht, dass andere Menschen gewonnenen Erkenntnissen auch Gehör schenken.

Dürnberger: Ein Beispiel dafür liefert die Klimaforschung. Viele Klimaforscher meinten ursprünglich, das viele Wissen um den Klimawandel würde quasi für sich sprechen – und wäre so überzeugend, dass es wie von selbst zu Veränderungen führen würde. Weit gefehlt.

DIE FURCHE: Ist die Theologie Glauben- soder Wissenssache?

Dürnberger: Natürlich beides. In den wegweisenden Texten der katholischen Tradition stehen „fides et ratio“, also „Glaube und Vernunft“, stets nebeneinander. Man muss beide berücksichtigen.

DIE FURCHE: Die Welt verändert sich radikal, so auch die Theologie. Zeichnen sich inhaltliche Erdbeben ab?

Dürnberger: Ein Thema, das kirchlich wie gesellschaftlich präsenter wird, ist Reduktion. Bisher waren wir als Gesellschaft in einem Mindset unterwegs, in dem Komparative wie „höher, schneller, weiter“ zählten. Jetzt merken wir, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. So kann es nicht weitergehen. Wir werden uns auf Formen des Verzichts einstellen müssen. Vieles an sichtbarem Wohlstand war nur möglich, weil hinter den Kulissen jede Menge Arbeit und Kosten externalisiert wurden – billige Arbeitskräfte, billige Transportkosten, billige Vernutzung von Natur. Reduktion betrifft auch die Kirche. Große gewachsene pastorale Strukturen, die im 19. Jahrhundert funktioniert haben, lassen sich so nicht weiterführen. Diese Zeit war allerdings sehr prägend für den Katholizismus und manche glauben, dass alles in der Kirche schon immer exakt so war. Natürlich stimmt das nicht. Und nun müssen wir realisieren, dass es eine Form von „anders“ geben muss. Ich mag den Werbespruch „Reduce to the Max” – die Reduktion auf das Entscheidende bringt mich zum Wesentlichen. Auch in der Kirche.

DIE FURCHE: Die Salzburger Hochschulwochen widmen sich den neuen Vorgaben, mit denen umgegangen werden muss. Der Wille zum Wandel ist für die ganze Gesellschaft angesagt. Wie gehen Sie diesen Prozess in Ihrem Bereich an?

Dürnberger: An der Universität experimentiere mit neuen Formaten, versuche Videos und Podcasts, um die Studierenden zu erreichen und mit meinen Themen abzuholen. Auch wenn das alles etwas hemdsärmelig ist, ich will nicht wie ein analoger Hase vor der digitalen Schlange sitzen und vor Angst umkommen – sondern etwas probieren. Natürlich ist auch der digitale Schub ambivalent, aber es geht für mich darum, die Chancen-Seite der Wirklichkeit zu sehen. Und das Gute zu behalten.

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