"Die andere Zeitung"

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FURCHE-Geschäftsführerin Gerda Schaffelhofer und die beiden Herausgeber, Heinz Nußbaumer und Wilfried Stadler, im Gespräch mit Chefredakteur Rudolf Mitlöhner über siebzig und weitere FURCHE-Jahre. | Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner

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FURCHE-Geschäftsführerin Gerda Schaffelhofer und die beiden Herausgeber, Heinz Nußbaumer und Wilfried Stadler, im Gespräch mit Chefredakteur Rudolf Mitlöhner über siebzig und weitere FURCHE-Jahre. | Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner

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Streitgespräch ist es keines, eher ein Tripel-Editorial in Form eines lockeren Gedankenaustauschs: über die Geschichte und Zukunft dieser Zeitung, ihre Tradition und daraus zu entwickelnde Perspektiven, ihre Unverwechselbarkeit in der österreichischen Medienlandschaft. Kurz: ein dreifaches nachdenkliches Ad-multos-annos.

DIe Furche: Ein siebzigster Geburtstag ist ein Anlass für Glückwünsche, aber auch zu kritischer Selbstreflexion. Wie geht es der FURCHE zu ihrem Siebziger?

heinz Nußbaumer: Es geht ihr besser, als es gemäß den Kassandrarufen aus der Medienwelt zu erwarten wäre. Aber sie muss viel nachdenken. Nichts wird in der Medienlandschaft so bleiben, wie es im Augenblick ist. Ich glaube, dank einer sehr kreativen Geschäftsführung und Redaktion wird man gut darauf reagieren können. Zudem gibt es - nicht zuletzt angesichts dieser unfassbaren Flut aus der digitalen Welt - eine zunehmende Sehnsucht nach Orientierung, Relevanz und Glaubwürdigkeit. Und dieser Sehnsucht können wir in einem hohen Ausmaß Rechnung tragen.

Wilfried Stadler: Die FURCHE ist eines der wenigen Medien, wo Diskussionen und Gespräche über aktuelle Themen so geführt werden, dass sie nicht nur an der Oberfläche bleiben. Da wird nicht nur da und dort Orientierung gegeben, sondern man wird auch dazu gebracht, die richtigen Fragen zu stellen. Die Vielzahl an Kolumnistinnen und Kolumnisten wie auch der anderen Gastautoren trägt wesentlich zur großen inhaltlichen Bandbreite bei, welche die FURCHE auszeichnet - und dennoch gibt es einen gemeinsamen Nenner. Das ist das Menschenbild, das jene haben, die an ihr und für sie arbeiten. Deswegen gibt es diese Zeitung nach wie vor, und ich glaube daran, dass sie eine noch kraftvollere Zukunft vor sich haben wird.

Gerda Schaffelhofer: Die FURCHE hat diese letzten siebzig Jahre sehr lebendig überstanden. Zwischendurch werde ich ja auch immer wieder gefragt: Gibt es die denn noch, und druckt ihr immer noch auf Papier? Das ist für viele offenbar unvorstellbar. Aber dieses kleine Team bringt jene Kreativität und Ausdauer auf, die notwendig sind, um sich auf dem Markt zu bewähren. Viele andere Zeitungen sind in der Zwischenzeit gegründet worden und manche auch wieder vom Markt verschwunden - die FURCHE gibt es immer noch. Ich denke, da muss schon etwas Besonderes dahinter sein. Neben der Redaktion sind es wohl auch unsere Leserinnen und Leser, die ein besonderes Medium konsumieren. Ich würde die FURCHE als "die andere Zeitung" bezeichnen. Es strömt eine Vielfalt an Eindrücken auf uns ein, wir werden mit Wissen vollgestopft wie nie zuvor. Aber das Wissen muss sich auch im Herzen festsetzen. Wenn es nicht im Herzen Wurzeln schlägt und von da zu einer veränderten "Gangart" führt, bleibt es hohl. Da bietet die FURCHE etwas, das andere nicht haben. Sie transportiert Wissen, das auch die Herzen der Menschen erreicht. Die Zukunft der FURCHE wird daher eine große sein. Denn das, was die FURCHE bietet, braucht unsere Gesellschaft.

DIe Furche: Friedrich Funder, der Gründer der FURCHE, hat in seinem Testament geschrieben, die FURCHE möge "ein katholisches Blatt für die Weltleute und nicht ein religiöses Blatt im Sinne eines Kirchenblattes sein". Wie ließe sich das in unsere Zeit übersetzen?

Nußbaumer: Die FURCHE bietet ihren Lesern Versuche von Antworten auf existenzielle Fragen. Sie widmet sich in besonderer Weise der Religion - einem Thema, das in anderen Medien stark unterbelichtet bleibt. Von dem wir Tag für Tag erleben, wie unglaublich stark es in unsere Gesellschaft zurückkommt. Das viele oft auch am falschen Fuß erwischt, weil sie geglaubt haben, Religion ist überwunden. Gerade hier hat die FURCHE in den letzten Jahren einen enormen Sprung vorwärts gemacht. Sie hat sich, wohl ihres katholischen Fundaments bewusst, dem weiteren Horizont der unterschiedlichen Konfessionen und Religionen geöffnet. Da haben wir eine Form von Zeitgemäßheit, mit der wir den anderen überlegen sind.

Stadler: Ich wage mich da jetzt ein wenig hinaus und möchte sagen: Die FURCHE ist eine Zeitung für "Kantholiken". Das ist eine Wortschöpfung von Heinrich Schmidinger, dem Rektor der Salzburger Universität. Er hat es im Zusammenhang mit Karl Rahner verwendet, der Aufklärung und Glaube miteinander versöhnt hat. Anders gesagt: Ich glaube, dass die FURCHE auch für jene, welcher der Sphäre des Religiösen fernstehen, aber dennoch überzeugt sind, dass die Wertorientierung nicht alleine aus uns selbst heraus gefunden werden kann, ein Angebot darstellt. Dazu passt die schöne Aussage von Martin Walser, der sagte "Ich glaube nicht, aber ich knie". Auch Menschen, die nicht religiös im engeren Sinn sind, aber um die Gefährdung des Humanums wissen, können sich der FURCHE verbunden fühlen.

Schaffelhofer: In Zeiten wie diesen, in denen wir mit anderen Kulturen und Religionen mehr in Berührung kommen als je zuvor, steht die eigene religiöse Bildung verstärkt auf dem Prüfstand. Ängste kommen zum Teil auch davon, dass wir in Argumentationsnot geraten. Wir haben nicht gelernt, uns mit der eigenen Religion auseinanderzusetzen. Das heißt, wir sind erst recht überfordert, wenn wir uns mit anderen Religionen auseinandersetzen müssen. Gerade jetzt stehen wir vor einer völlig neuen Herausforderung. Religion und religiöse Bildung in einem weltoffenen Sinn sind ein Gebot der Stunde. Es geht um eine Haltung, für die zum Beispiel Kardinal König gestanden ist. Dazu braucht es Mut, der darin wurzelt, dass man sich auf den eigenen Glauben und Gott verlassen kann. Es braucht aber auch eine gewisse Bildung, um nicht überfordert zu sein, wenn man mit anderen Religionen ins Gespräch kommt. Und hier sehe ich auch ein ganz wesentliches Aufgabengebiet für die FURCHE.

Die Furche: Die FURCHE hat immer sehr hohe Ansprüche an sich selbst gestellt; Friedrich Funder sprach von einem "hohen geistigen Forum", auf dem die Zeitfragen zu verhandeln seien. Nun muss man aber auch sehen, dass dieser hohe Anspruch und auch die bekundete Wertschätzung für diese Zeitung in einem Missverhältnis zu ihrer tatsächlichen Position auf dem Medienmarkt steht. Woran könnte das liegen?

Schaffelhofer: Man unterscheidet in der Branche zwischen "lean forward-"und "lean back-media". Das eine sind die Medien, wo man, quasi nach vorn gebeugt, immer am Puls der Zeit ist, der Aktualität hinterherhechelt. Das liegt zur Zeit im Trend. Die FURCHE zählt zweifellos zur zweiten Kategorie. Man lehnt sich zurück, atmet durch, ist bereit, sich differenziert und tiefer gehend mit Themen auseinanderzusetzen. Damit aber hat unsere derzeitige Stressgesellschaft ein Problem. Mir sagen immer wieder Leute: Die FURCHE - super, aber ich hab dafür keine Zeit. Das muss man realistisch sehen. Zeit ist das kostbarste Gut, das wir haben. Der Arbeitsstress wird vom Freizeitstress abgelöst. Da passen lean-back-Medien wie die FURCHE, die Zeit fordern, die ein Sich-Einlassen fordern, schwer hinein. Die Probleme hängen also mit unserer schnelllebigen Gesellschaft zusammen, die auch medial zu Banalitäten und Oberflächlichkeiten neigt. Wobei ich glaube, dass die Zeit für uns arbeitet, denn in dieser Turbohektik kann es nicht weitergehen.

Nußbaumer: Es ist ein vielgestaltiges Phänomen, mit dem wir kämpfen. Wir leben in einem Land mit hoher Medienkonzentration, in dem die großen Medien viel Macht haben. Mit einem Medium wie der FURCHE macht man keine Geschäfte, das ist einfach so. Da kann man noch so jammern, wir werden von denen, die Geschäfte vermitteln, nicht wirklich wahrgenommen. Dann gibt es eine Ängstlichkeit vor der Tiefe unter den potenziellen Lesern - und oft auch völlig falsche Vorstellungen von dem, was die FURCHE überhaupt ist. Ein dritter Punkt: Neben dem Digitalen, das auf die Menschen einströmt, haben viele noch eine Regionalzeitung, vielleicht auch eine überregionale Tageszeitung. Dann ist die FURCHE nur noch die Drittzeitung. Und diesen Schritt zur Drittzeitung, den machen viele nicht.

Die Furche: Viel wurde immer diskutiert, wofür diese Zeitung eigentlich steht. Den Konservativen war sie zu links, den Linken zu rechts, Katholiken zu liberal, Areligiösen zu katholisch

Schaffelhofer: Wir können jedenfalls klar sagen, was die FURCHE nicht ist: Sie ist nicht konservativ, nicht fundamentalistisch und nicht atheistisch. Ich bin dankbar, dass sie keinen Einheitsbrei darstellt und dass es dieses breite Spektrum an Meinungen gibt. Aber in bestimmten Fragen - wie der Würde des Menschen oder dem Wert des menschlichen Lebens vom Anfang bis zum Ende - gibt es sehr wohl eine klare Linie. Dort, wo es um Wertschätzung gegenüber anderen Religionen geht, um Demokratie und Menschenrechte, da gibt es keine Bandbreite, sondern eine klare Blattlinie.

Stadler: Ich hoffe, dass die Leser die Spannung, die aus dieser Bandbreite resultiert, aushalten; dass sie es schätzen, dass diese Zeitung nicht kampagnisiert, dass es keine unfairen, aggressiven, womöglich noch schlecht recherchierten Artikel gibt, nur um die Quote zu steigern. Die FURCHE verzichtet einfach bewusst auf manche Instrumente des Journalismus, wie sie in bestimmten Medien quotensteigernd eingesetzt werden, um dem Gebot der Fairness und den Kriterien eines charaktervollen Journalismus' entsprechen zu können. Diese Art von Qualitätsjournalismus muss sich die FURCHE auf alle Fälle erhalten - einschließlich ihrer Tiefe. Da wird es dann auch nie fad.

Die Furche: Die Tageszeitungen sind vielfach zu täglich erscheinenden Wochenzeitungen mutiert: von Nachrichten- zu Erklärmedien, wie es oft heißt. Wie können die Wochenzeitungen auf diesen Wandel reagieren?

Nußbaumer: Ich denke, die Wochenzeitung hat mehr Zeit, auch im internen Disput der Redaktion, auf Themen einzugehen. Das bietet die Möglichkeit zu mehr Tiefe. Die Tageszeitung ist immer noch an den tagesaktuellen Rhythmus gebunden und steckt eigentlich in einem viel größeren Dilemma als wir. Wir können aber auch mehr Breite bieten. Mir scheint, dass wir trotz oder gerade wegen der Globalisierung in unserer Wahrnehmung der Welt immer enger werden. Ich erinnere mich noch an meine eigene Zeit als Journalist - damals gab es zigteilige Serien wie "So sah ich Afrika, Vietnam, China, Lateinamerika " Vieles davon ist im Zeichen der Globalisierung und der aktuellen Dramen aus dem Fokus geraten. Gerade in unserem Land geht die Sonne allzu schnell über unseren Schrebergärten unter. Die FURCHE hat hier die Chance und Aufgabe, uns eine gewisse Breite des Blicks auf die Welt zu erhalten oder wiederzugewinnen.

Stadler: Eine Antwort könnte auch darin bestehen, gelegentlich noch mehr in die Breite und Tiefe bei einem Thema zu gehen. Es wäre denkbar, von Zeit zu Zeit aus guten Gründen die sehr harmonische innere Ordnung, die die Zeitung hat, aufzubrechen. Die FURCHE könnte dann, vielleicht einmal pro Monat, zu einer einzigen erstklassigen Sondernummer zu einem bestimmten essenziellen Thema werden. Das wäre dann etwas, was "man" gelesen haben muss, wenn man bei dem Thema mitreden will.

Schaffelhofer: Ich sehe die Einmaligkeit der FURCHE vor allem in der Perspektive. Ich glaube, sie könnte sich einen Dreh-und Angelpunkt suchen, den es so in anderen Medien nicht gibt. Ich denke an ein christliches Weltbild in einem ganz weiten, allumfassenden Sinn - wie es uns auch von Papst Franziskus vorgelebt wird. Der punktet interessanterweise ja weltweit, auch bei Nichtchristen, bei Atheisten. Da kommt so viel Input, wie wir es seit Ewigkeiten aus Rom nicht mehr gewöhnt waren. Wenn wir vom Erklärmedium reden: Von welchem Standpunkt aus ich erkläre, ist entscheidend - und hier hätte die FURCHE ein Alleinstellungsmerkmal.

Die Furche: Zum Schluss noch ein allgemeiner Blick in die Zukunft - der Zeitung im allgemeinen und der FURCHE im Speziellen

Schaffelhofer: Generell bin ich überzeugt, dass es die Zeitung in Papierform weiter geben wird, wie es auch das Radio, das Fernsehen weiter gibt - allen Unkenrufen zum Trotz. Und ich glaube, dass es in dieser Medienlandschaft für die FURCHE, wenn sie sich inhaltlich weiter profilieren kann, immer einen Platz geben wird. Eine zusätzliche Aufgabe für die FURCHE sehe ich in einer größeren öffentlichen Präsenz. Ich würde mir wünschen, dass wir Diskussionen veranstalten, mehr hinausgehen; es könnte eine Art FURCHE-Academy geben, welche die Gesellschaft im Diskurs mitprägt.

Nußbaumer: Feste sind immer auch ein Anlass zur Dankbarkeit und so möchte ich sagen, dass wir in diesen siebzig Jahren das Glück gehabt haben, dass unsere Eigentümer uns stets den nötigen Freiraum zur Verfügung gestellt haben - ohne einen verengten Blick nur auf das Kommerzielle. Die uns diese Möglichkeiten geboten haben, weil ihnen die FURCHE ein Anliegen ist. Und dass wir eine Redaktion haben, die diese Freiräume entsprechend nützt.

Heinz Nußbaumer

Der Publizist und Buchautor, geb. 1943 in Bad Reichenhall, leitete von 1971 bis 1989 das Außenpolitik-Ressort des Kurier; von 1989 bis 1999 war er Sprecher der Bundespräsidenten Kurt Waldheim und Thomas Klestil. Seit 2003 ist er Herausgeber der FURCHE.

Gerda Schaffelhofer

Die Geschäftsführerin der FURCHE (seit 2002) und der Verlagsgruppe Styria (seit 2006), geb. 1955 in Wien, war von 1990 bis 1995 Generalsekretärin der Aktion Leben, danach Geschäftsführerin von "Zeitung in der Schule" und ist Präsidentin der KAÖ.

Wilfried Stadler

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Investkredit (2002-2009), geb. 1951 in Salzburg, ist heute als Unternehmensberater, Wirtschaftspublizist und Honorarprofessor an der WU Wien tätig. Seit 2003 ist er Herausgeber der FURCHE.

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