"Es geht eigentlich um nichts"

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Die Regierungskrise lähmt und nervt das Land. Wann kommen Neuwahlen, scheint die einzig wichtige Frage zu sein. Eine Debatte dreier Politik-Beobachter über mögliche Auswege aus dem Stillstand.

Die Furche: Wie soll es mit der dahinsiechenden Großen Koalition weitergehen?

Sibylle Hamann: Ich würde sagen: Lasst einfach einmal jemanden anderen probieren. Die handelnden Personen, allein wenn man ihre Körpersprache beobachtet, haben eine so lange Geschichte miteinander verbracht, haben gelernt, einander zu hassen, sich zu misstrauen, gönnen sich kein noch so kleines Erfolgserlebnis, sodass ich fürchte, dass mit diesen Personen nicht mehr viel Bewegung möglich sein wird; wenn man Bewegung will. Man könnte jetzt sagen: Das Land ist eh gut verwaltet, man muss ja nicht regieren.

Michael Frank: Das erste, das einem Menschen auffällt, der aus einem anderen Land kommt, ist: Es geht eigentlich um nichts. Bei uns in der Bundesrepublik gibt es in der Großen Koalition erhebliche Verwerfungen, wo es um sehr viel geht, um ideologische und sachliche Auseinandersetzungen. Hier geht es nicht wirklich um etwas, sondern um den Kontrast, es geht darum, sich gegeneinander abzusetzen.

Die Furche: Was schlagen Sie vor?

Frank: Ich fände es an der Zeit, einmal wieder über die österreichischen Verfassungsverhältnisse eine Debatte zu führen. Weil eigentlich wäre das die Stunde des Bundespräsidenten. Der Bundespräsident in Österreich ist ein unglaublich mächtiger Mann, nur die Österreicher glauben ihm das nicht. Es wäre an der Zeit, dass sich der Bundespräsident von der Realverfassung verabschiedet und die Verfassung zur Hand nimmt. Dort steht drinnen, dass er unglaubliche Kompetenzen hätte, zum Beispiel: das Personal auszuwechseln, die Regierung neu zu bilden. Das Problem ist, dass die Spitzenpolitiker einander gut vertraut sind. Diese Kindergartenmentalität, die entsteht, wenn man von Geburt an gleichsam im selben Sandkasten sitzt, kultiviert auf Dauer eine Form der Auseinandersetzung, die Inhalte gar nicht mehr bedeutsam findet. Da geht es dann um Renommiergehabe. Daher wäre eine neue Personalzusammenstellung sinnvoll, vielleicht von Gesichtern, die in diesem Sumpf nicht schon lange als Sumpfblüten obenauf schwimmen.

Regina Jankowitsch: Ich wünsche mir nicht so sehr, dass die Personen gewechselt werden. Ich glaube, das allein würde wenig Wesentliches ändern. Es hapert an der Einstellung. Das sind meine Erfahrungen mit Politikern und Politikerinnen aus verschiedenen Fraktionen. Ich wünschte mir, dass sich beide derzeit am Ruder befindlichen Parteien ein bisschen an die Zeit kurz vor der Abstimmung über den Beitritt zur EU erinnern, wo sie sich zusammengerauft haben, wo sie nicht partei-, sondern staatspolitisch agiert haben. Nur derzeit ist es für mich negativ faszinierend, dass die führenden Politiker tatsächlich glauben, dass sie den Wählern imponieren, indem sie nichts zusammenbringen.

Hamann: Wenn Sie sagen, mit neuem Personal wäre es nicht getan, spricht das schon das Grundproblem an: Wo würden denn neue Leute herkommen? In Österreich ist es doch leider so, dass man in einem bestimmten Umfeld sozialisiert sein muss und sich in diesem Jungscharlager jahrzehntelang bewegen muss, um überhaupt die Chance zu haben, nach oben zu kommen. Das Wort Quereinsteiger ist ein sehr verrufenes. Und das System macht sich einen Spaß daraus, jeden, der es von außen einmal versucht, anrennen zu lassen. Ein gutes Beispiel ist die Bildungspolitik. Das wäre ein klassisches Feld, wo man ideologisch schön streiten könnte, sich positionieren, aber auch irgendwie - mit ein bisschen Verstand, Expertenwissen und dem Willen, eine Lösung zu finden - etwas zusammenbringen müsste. Ich fürchte aber, im konkreten Fall war das so: Da gab es eine Ministerin, der wollte keiner den Erfolg gönnen. Das ist wirklich ein destruktives Element in der österreichischen Politik: diese Schadenfreude.

Frank: Das alles illustriert sehr schön, was ich damit meinte: Es geht um nichts. Und dort, wo es wirklich um was geht, wie zum Beispiel in der Bildungspolitik, hat man sich ja doch geeinigt, allerdings auf einen faulen Kompromiss. Hiesige Politiker scheinen mir zur Zeit überwiegend, ich möchte aber nicht generalisieren, in einem Teufelskreis gefangen zu sein. Es geht nur darum, einander zu übertrumpfen, aber auf Kosten wessen, ist völlig egal. Zum Beispiel die Steuerreformdebatte, das ist keine wirkliche Debatte um Inhalte, sondern es ist wieder eine Debatte, wer obsiegt.

Die Furche: Es hapert also vor allem an der Art und Weise, wie Politik betrieben wird, zum Beispiel am Kommunikationsstil.

Jankowitsch: Ich glaube nicht, dass es nur an einem Faktor hapert, es gibt daher auch mehrere Chancen, wo man etwas verbessern kann. Soll mir keiner erzählen, das ist halt so in der Politik. Ich möchte das Stichwort Professionalität einwerfen. Abgesehen von der von mir schon angesprochenen Einstellung möchte ich auch von der Kompetenz sprechen. Manche Politiker können das Handwerk nicht. Ich erlaube mir das wirklich festzuhalten. Wenn solche Leute dann zu jemanden, wie ich es bin, kommen, und ich sage, "machen wir gleich die Probe aufs Exempel: weshalb soll ich Sie wählen?" - und dann kommt nichts, dann haben wir da ein Grundproblem! Darüber hinaus möchte ich den Faktor der Überforderung ansprechen. Im Deutschen Bundestag ist es doch so, dass jeder Abgeordnete drei Mitarbeiter hat, bei uns haben sie einen. Die Leute sind daher zum Teil ausgepowert - in einem wesentlich höheren und schnelleren Ausmaß, als ich es von Wirtschaftsmanagern kenne.

Hamann: Mich hat im Zuge der jüngsten E-Mail-Affäre um den früheren Innenminister Ernst Strasser erschüttert zu erfahren, was diese Politiker eigentlich den ganzen Tag tun. Jetzt mag man mich naiv schimpfen, dass ich das nicht von vornherein annehme.

Frank: Aber das ist das Problem: Ich glaube, der Herr Strasser hat das für Politik gehalten. Das ist das, was Sie, Frau Jankowitsch, (mangelnde) Professionalität, das ist das, was ich auch Überforderung nennen würde. Wenn ein niederösterreichischer Parteifuzzi Innenminister wird, darf man sich nicht wundern, wenn so etwas passiert, es ist eine grundsätzliche Überforderung. Es ist auch eine Überforderung bei jenen, die die Sache wohl begreifen, weil so viel auf Politiker einstürmt. Die österreichische Ministerialbürokratie ist eigentlich unglaublich qualifiziert. Die haben es sogar geschafft, einen politischen Hansdampf wie Karl-Heinz Grasser durch lange Jahre zu tragen und ihn noch relativ gut aussehen zu lassen, ganz entgegen seinen Qualifikationen. Diese Leute werden aber ständig genötigt, übereilt Dinge zu tun.

Die Furche: Da spielen auch die Medien eine große Rolle.

Frank: Natürlich.

Jankowitsch: Darf ich auf den "Gesudere"-Sager von Kanzler Gusenbauer zu sprechen kommen. Ich wurde vom ORF gefragt, ob er sich entschuldigen sollte. Meines Erachtens ist das unabdingbar. Jetzt kenne ich Journalistenkollegen, die sagen: Das geht nicht, dass sich ein Politiker entschuldigt, da schreiben wir dann gleich schlecht: Er ist ein Versager. Aber die Diskussion, haben die Medien bestimmte Erwartungen und deswegen sind die Politiker so oder vice versa, bringt uns nicht weiter.

Hamann: Wenn Gusenbauer ein guter Politiker wäre, dann würde er sich von Journalisten nichts diktieren lassen. Dann hätte er das Gefühl dafür, was jetzt sein muss. Dann würde es ihm um seine Parteifunktionäre gehen. Sich da treiben zu lassen, ist Zeichen seiner Unprofessionalität als Politiker.

Frank: Mit Verlaub, das ist auch typisch österreichisch. Weil sich in diesem Aspekt wieder erweist, dass es um die Form und nicht um den Inhalt geht. Es ist ein Irrwitz, immer formale Akte zu verlangen, anstatt, wie Frau Hamann sagt, klar zu machen, was ihnen bedeutsam ist oder nicht.

Die Furche: Wie schätzen Sie die Kompetenz und Professionalität unserer Spitzenpolitiker ein?

Hamann: Ein Wort fällt mir ein: feige. Wenn jemand weiß, wie mühsam es war da raufzukommen, und wie dünn die Qualifikation eigentlich ist, auf der viele Leute stehen, haben sie ja wirklich was zu verlieren, wenn sie diese Ämter nicht mehr haben. Und diese Feigheit merkt man ihnen an.

Die Furche: Also kein Staatsmann/keine Staatsfrau auf weiter Flur?

Hamann: Das ist ein heikles Thema. Man stellt sich dann meist vor, da kommt jemand mit einer riesigen Vision und krempelt das Land um. Das muss man nicht als Maßstab nehmen, ich halte das teilweise sogar für gefährlich, immer darauf zu vertrauen, da kommt die große Lichtgestalt, die alle in ihren Bann zieht, so diese Barack-Obama-Manie im derzeitigen US-Präsidentschaftswahlkampf. Das entspricht einer starken Sehnsucht, die ich über weite Strecken sympathisch finde. Aber wenn es uns gelänge, pragmatisch gut zu regieren, wo das Land am Ende besser da steht als vorher, kann ich auf eine ganz große Vision und Rhetorik auch gerne verzichten.

Jankowitsch: Rhetorik und Inhalt widersprechen sich nicht, deshalb wünsche ich mir schon beides. Es muss nicht jeder Politiker eine Lichtgestalt sein. Political leadership heißt nicht, da kommt die starke Frau oder der starke Mann und sagt: "Hurra, mir nach!" Political leadership bedeutet, ich weiß, wohin ich möchte und schare eine kritische Gruppe um mich, die mit mir gemeinsam ein Ding vorantreibt, also praktisches Projektmanagement, sonst bleibt man auf der Strecke, und in der Politik schneller als in anderen Bereichen. Ich bin auch dafür, dass Politik nur eine Phase im Leben sein soll, mit einem Ein- und Ausgang, und nicht von der Wiege bis zur Bahre. Man stumpft sonst leicht ab.

Frank: Das meine ich mit Sumpfbiotop: viele Politiker verlieren von einer gewissen Ebene an die Erdung, nämlich insofern, als sie das, was sie als Aura um sich schaffen, für die Wirklichkeit halten. Damit entsteht eine Verfremdung von der eigentlichen Aufgabe, nämlich Interessen zu vertreten. Auf der anderen Seite ist es eine unglaubliche Entfremdung von der eigentlichen Aufgabe, wenn man sich mit denen, die die Erdung noch haben oder haben sollten, nicht wirklich auseinandersetzt: nämlich den Parlamentariern. Der Parlamentarismus ist in Österreich in einem erbärmlichen, um nicht zu sagen, grauenhaften Zustand. Ich glaube, ich greife nicht zu hoch zu sagen, dass von 100 Gesetzesinitiativen 99 aus der Regierung kommen, eine einzige aus dem Parlament. Das heißt, der Parlamentarismus als Gesetzgeber, als gestaltende Kraft, fällt aus.

Die Furche: Was läuft anders in Deutschland? Die Berliner Koalition war und ist auch keine Liebesheirat.

Frank: Manchmal ist Masse auch Qualität. Das ewige Biotop, wo sich alle kennen, ist nicht so vorhanden wie hier. Eines würde ich den Berliner Politikern zugestehen, sie sind oft glühend, manchmal zu glühend, dahinter her, bestimmte Dinge durchsetzen; Wahlen wollen sie natürlich auch gewinnen. Aber hier vermisse ich oft das Motiv des Handelns; die vordergründige Existenz des Politikers per se hat für mich ein gespenstisches Ausmaß angenommen.

Hamann: Ich möchte ein konkretes Beispiel aus Deutschland nennen, wo sich Vernunft und Leadership gepaart und etwas verändert haben: die neue Familienpolitik. Da hat in den letzten Jahren ein völliges Umdenken stattgefunden. Das Interessante ist, dass es genau aus der Ecke kommt, wo man es nicht vermutet hätte. Es hat wahrscheinlich eine CDU-Kanzlerin aus dem Osten gebraucht, um die ideologisch verfahrenen Lager in Westdeutschland aufzubrechen.

Die Furche: Wie könnte man bei uns die verfahrenen Lager aufbrechen?

Jankowitsch: Zunächst könnte man strukturell einiges tun: in puncto Ausbildung, Fortbildung von Politikern und Beschränkung der Legislaturperiode, um die Durchlässigkeit und Lebendigkeit zu erhalten. Das allein reicht aber nicht. Ich wünsche mir eine Gruppe von Menschen, die parteiübergreifend, pragmatisch und professionell sagen, da gibt es Themen, die liegen vor uns und die Österreicher haben das Recht, dass sie gelöst werden. Aber Politiker fallen nicht vom Himmel, sie kommen ja aus dem Volk. Und da stelle ich auch eine große Unfähigkeit zur konstruktiven Konfliktlösung und Kritik fest.

Frank: Es ist sowieso neu, dass man einigermaßen zu streiten beginnt, insofern ist das ja ein Zeichen des neuen Selbstbewusstseins Österreichs. Dass man nicht mehr in der Wagenburg-Mentalität sagt: wir sind so klein und schwach, wir müssen zusammenhalten, damit überhaupt niemand uns was anhaben kann, sondern dass man anfängt, wirklich lebhaft zu werden. Aber Streitkultur gibt es noch keine, denn hier wird entweder eingeschleimt, oft mit widerwärtigen, falschen Komplimenten, oder es wird geschimpft und gezetert. Die Zwischenlage, der Diskurs, fehlt, also das, wo es konstruktiv wird, wo man sagen würde, der Einwurf ist von Bedeutung, das ist ein Argument, das müssen wir ausstreiten; Streiten kann eine große Qualität sein. Das hat keine Tradition. Und daran krankt die ganze Geschichte.

Das Gespräch moderierte Regine Bogensberger.

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