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Digital In Arbeit

Windhauch einer Personaldebatte

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Ist die ÖVP zu wenig liberal? Johannes Ditz hat so diagnostiziert. Eine „Plattform für offene Politik” mahnt Liberalität ein.

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Ist die ÖVP zu wenig liberal? Johannes Ditz hat so diagnostiziert. Eine „Plattform für offene Politik” mahnt Liberalität ein.

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In der ÖVP hat sich also eine „Plattform für offene Politik” gebildet. Praktizierte Enge und mangelnde Liberalität des Führungsduos Schüssel-Khol (oder müßte man die Reihenfolge gar schon umdrehen?) sind die erkennbaren Feindbilder der noch jugendlichen Gründer, die zweifellos sympathische Frische an den Tag legen und Tugenden einfordern, die eigentlich außer Streit stehen sollten.

Kann der neue „Flügel” in der ÖVP, der sich einer zahlreichen und nicht mehr überschaubaren Reihe solcher Gründungen anschließt (welche sich leider zu oft als Totgeburten erweisen) zur notwendigen Erneuerung wirklich etwas beitragen? Es ist sehr zu befürchten, daß dies mißlingen wird. Nicht, weil den Akteuren guter Wille oder Schwung fehlten, sondern einfach deswegen, weil der Ansatzpunkt ein falscher sein dürfte.

Boris Marte, einer der Initiatoren, wird mit dem Ausspruch zitiert, er vermisse etwa bei einer schon bestehenden und ähnlichen Gruppierung, nämlich der sogenannten „nächsten Generation”, Inhalte und Wettbewerb um die besseren Ideen. Dennoch hat man den Eindruck, daß der nun sichtbar gewordene Konflikt nicht wirklich Inhalte der Politik betrifft, sondern Stilfragen. Es scheint den Plattformgründern um Verhaltensweisen und vor allem um das innerparteiliche Klima zu gehen, welches durch eine rigide Form der Führung belastet werde, also - wie sie selbst sagen - um die Beseitigung von Stillstand, geistiger Enge oder gar Angst. Die Frage ist nur, was das mit Liberalismus zu tun hat, also einer doch klar umschriebenen Bichtung, die historisch gesehen notwendig und verdienstvoll war, aber kaum mehr im Gegensatz zur heute praktizierten Politik zu bringen ist?

Gerade Marte, der die Neufassung des Grundsatzprogrammes seiner Partei koordinierte, muß wissen, wie prominent liberales Gedankengut hier aufscheint. Nein, es geht um die Praxis der Parteiführung, der es immerhin gelang, eine hochgradig verunsicherte, von Bichtungsstreit geplagte und sogar in ihrer Existenz bedrohte ehemalige Großpartei wieder zu konsolidieren. Mag sein, daß derzeit die Tugend der Disziplin übertrieben wird. Notwendige Korrekturen sollten aber doch eigentlich in den Gremien diskutiert werden, wo ja nicht willenlose Befehlsempfänger sitzen, sondern eine Vielzahl von Menschen, die demokratisch durch ein subtiles Wahlsystem ihrer Gemeinschaft legitimiert wurden.

Probleme der ÖVP nur vergrößert

Kann das Bemühen um Finden und eben auch Korrigieren einer politischen Linie wirklich jetzt schon als so weit gescheitert betrachtet werden, daß öffentlich gegen die Spitze aufgetreten und Distanz bezogen werden muß? Man wird also nachdenklich, wenn man nach den eigentlichen Beweggründen der Plattformgründer forscht und das um so mehr, als sie die Notwendigkeit der Abgrenzung von den Freiheitlichen so sehr betonen. Der erste Windhauch einer neuerlichen Richtungs- und Personaldiskussion? Ohne es zu wollen und zu wissen, vergrößern die Initiatoren der Plattform jene Probleme der ÖVP, die heute nicht nur sie, sondern alle Parteien so sehr belasten und sie gerade bei den Jugendlichen unglaubwürdig machen. Bedenken wir: Österreich und Europa stehen zur Zeit vor den größten Problemen seit dem Wiederaufbau nach dem Weltkrieg. Geld und Arbeit gehen uns aus. Sozialer Friede und politische Stabiliät sind ernsthaft gefährdet. Die Wirtschaft braucht Beformen, die keinen Stein auf dem anderen lassen. Neue Perspektiven des Berufs-, Arbeits- und Familienlebens müssen gewonnen werden.

Nicht ohne Grund befürchten verantwortungsvolle Menschen, daß nun unser parlamentarisches System unter Druck gerät und sogar in Frage gestellt wird. Dabei wirkt als Hauptvorwurf, daß die Parteifunktionäre viel zu wenig an das Gemeinwohl denken, sondern mehr an sich, ihre Ämter und Vorteile. Gerade junge Menschen sehen die Politik auf einer Spielwiese, wo sie sich weit entfernt von dem bewegt, was die Menschen „draußen” empfinden und brauchen.

Was denkt eigentlich ein junger Mensch, der keine Ausbildungs- oder Arbeitsstätte findet und der sich keine Wohnung leisten kann, über Facetten des politischen Liberalismus? Welche Sorge bereitet die Wahl

Brauneders zum Nationalratspräsidenten einem überschuldeten Familienvater oder seiner Frau, die keine Betreuungsstätte für ihr Kleinkind findet? Und schließlich: Macht der „Lauschangriff” einem Bauarbeiter Kummer, der fünfzig Jahre alt ist, keine schweren Lasten mehr tragen kann und auf die Straße gesetzt wurde? Damit soll die Wichtigkeit der Themen, die Befindlichkeit und Qualität unserer Demokratie betreffen, keineswegs herabgesetzt werden, aber in der Politik tritt uns derzeit dramatisch die Forderung nach dem „primo vivere deinde philosophari” entgegen. Auch in der Demokratie geht es jetzt - das sollten wir uns vor Augen halten - wirklich ums Leben und Überleben.

Von allen guten Geistern verlassen

Den besten Dienst leisten heute jene, die alle Anstrengung der Lösung der anstehenden Probleme widmen. Wie man neue Unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, das Sozialsystem leistungsfähig erhalten und wie man Frustration, Drogengefährdung und Gewalt begegnen kann. Junge politisch engagierte Menschen können und müssen hier viel einbringen. Es ist zu bezweifeln, ob in Zeiten wie diesen die Leute an Hof berichterstattung über die ÖVP übermäßig interessiert sind. Wenn man feststellt, daß eine rosafarbene Qualitätszeitung sage und schreibe vier Artikel den Wünschen der neuen Plattform widmet, muß man sich schon fragen, ob nicht Politik und Medien derzeit von allen guten Geistern verlassen sind. Lassen wir den Politikern ihr notwendiges Bemühen um gute Spielregeln im eigenen Haus und um ihr Wohlbefinden im eigenen Kreis.

Nimmt dessen Betrachtung aber so hochstilisierte Formen an, wie es derzeit geschieht, deutet das darauf hin, daß man eigentlich über etwas anderes unglücklich ist: Über einen Stillstand in der Politik, den es tatsächlich gibt und der nicht durch Fehlen von „Liberalität”, sondern einen Mangel an Phantasie, Kompetenz und Mut in Sachfragen gekennzeichnet ist.

Hier den Parteien weiterzuhelfen, sind alle aufgerufen, die guten Willens sind - und das wollen wir ja gerade bei den sympathischen Leuten der „Plattform für offene Politik” annehmen.

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