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Die profilierte Meinung ...

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Aus einem anderen Grund glaube ich auch nicht an einen Konformitätsdruck: er könnte bestenfalls Verhaltensweisen beinhalten, sicherlich sich nicht auf die viel fundamentalere Meinungsfreiheit auswirken. Denn wer hat schon eine profilierte Meinung in diesem Lande? Die Parteien? Die bei Meinungsforschungsinstituten die Wünsche ihrer Wähler erfragen und sich wundern, daß auch die offensichtlich keine haben? Deren hervorstechendste Gemeinsamkeit ihre Ideenlosigkeit ist? Die alle Ideen aufgreifen, wenn sie nur welche erhalten?

Keine disziplinierte Gruppierung kenne ich, die sich nicht Nonkoriformisten in wachsender Zahl leistet. Keine von ihnen ist mehr imstande, einen ernsten Druck auf die Meinungsfreiheit auszuüben. Daß die Unterlegenen in Machtkämpfen jeweils von Unterdrückung der Meinungsfreiheit reden und damit ihre Widersacher unpopulär machen, sei als Indiz genannt.

Mangels profilierter Ideen können alle diese Gruppen keinen Meinungsdruck mehr ausüben und bestenfalls, wie mir scheint dies mit Recht, gewisse Verhaltensweisen fordern: daß man, wenn man im eigenen Kreis Karriere machen will, hierfür nicht jene zu Hilfe rufen darf, mit denen man in Wettbewerb steht.

Spricht man in Österreich über die Chancen junger Menschen, so meinen alle Gesprächsteilnehmer meist — ohne es ausdrücklich zu vereinbaren — die Chancen in der Politik. Auch dies unterscheidet uns von unseren Nachbarn im Westen. Was als Konformitätsdruck ausgegeben wird, ist vielleicht das Unbehagen darüber, daß die Politik zu mächtig ist: es gibt kaum Berufslaufbahnen. die nicht über die Politik führen, sobald man über die untere Ebene hinausstrebt.

Es wäre, glaube ich, falsch, wollte man daraus schließen, daß es also doch Konformitätsdruck gebe, insofern, als große Aufgaben nur die bekommen, die sich einer Partei — und sei es auch nur formell — anschließen. Nirgends westlich des Eisernen Vorhangs wird von Führungskräften in der Wirtschaft verlangt, daß sie ihre „demokratische Einstellung“ — sprich Parteibuch — nachweisen müssen. Außerhalb der eigentlichen Parteipolitik gilt als Kriterium einzig die Leistung, vielleicht auch sehr stark persönliche unmeßbare Unabwägbarkeiten, die aber sicher nichts mit parteipolitischer Einstellung zu tun haben.

Ich meine: Daß man bei uns die Politik so dominieren lassen kann, kommt daher, daß man einfach darauf verzichtet, wirklich große Unternehmungen in Angriff zu nehmen, sondern nur solche, wo es nicht um Erfolg als Kriterium geht. Dem nur dann kann man sich leisten, die Zugehörigkeit zu Gruppierungen zum vornehmlichen Auswahlgesichtspunkt zu machen. Derni wer das Große will, muß die Besten berufen, beruft er die ihm Sympathischen, gehen die Besten zur Konkurrenz und verhelfen ihr zum Erfolg: Österreich ist längst der größte Lieferant an hochqualifizierten Wissenschaftlern und Technikern der Welt geworden.

Nicht der Konformitätsdruck lastet auf der nachwachsenden Generation, sondern der Mangel an wirklich großen Aufgaben, der allgemeine Verzicht auf wirtschaftlichen Erfolg, auf echten Wettbewerb. Daß auf erstaunliche Weise, hierzulande anderwärts längst selbstverständliche Erkenntnisse einfach negiert werden, daß — aus der Distanz betrachtet — vieles, was hier geschieht, geradezu musealen Charakter hat.

Das, meine ich, ist das eigentlich Deprimierende an unserer Situation. Das aber ist kein Konformitätsdruck. Auch wer sich konform gibt, erhält keine solchen Chancen. Was zur Verteilung steht, erhalten diese freilich ungewöhnlich schnell, schneller als anderswo. Aber was gilt das dem, der seine Maßstäbe nicht am Bestehenden gewinnen will? Die anderen beklagen sich sicher nicht über Konformitätsdruck.

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