6903925-1980_38_01.jpg
Digital In Arbeit

Die Chancen der Krise"

Werbung
Werbung
Werbung

Uberraschend viele Leute hatten schon bisher vermutet, daß in weiten Bereichen des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens äußerst zweifelhafte Praktiken überhand genommen hätten. Das Ausmaß der Enthüllungen in der Affäre rund um das Allgemeine Krankenhaus Wien aber macht es nun offenkundig: Hier handelt es sich nicht um eine zufällige Panne in einem grundsätzlich gut funktionierenden System.

Nicht nur entartete einzelne oder verirrte Gruppen haben ein falsches Verhalten an den Tag gelegt. Vielmehr wird ein Fehlverhalten sichtbar, das uns alle betrifft, mehr oder weniger stark.

Wir haben es doch alle geschehen lassen, daß Fragen der Ethik und der Moral zum Hobby von Religionslehrern und zum belächelten Traum nostalgischer Schwärmer von einer guten alten Zeit geworden sind!

Wer Erfolg haben wollte, mußte nun einmal mit den „Realitäten des Alltags" umgehen können, ohne Sentimentalitäten. Und wie sich jetzt zeigt, waren diese Realitäten zum Teil widerrechtliche Usancen.

Die Personen, die bisher verhaftet worden sind, und die vielen anderen, die ihre Angelegenheiten in ähnlicher Art abgewickelt haben wie die Beschuldigten, sind sich zum Teil des Umfanges ihrer Schuld gar nicht bewußt. Das ist eine weitere notwendige, wenn auch bittere Erkenntnis.

Schließlich gilt es doch als erstrebenswert, die eigene Karriere voranzutreiben. Dabei muß man sich aber an die geltenden Spielregeln halten. Und im Rahmen etwa der geschäftlichen Spielregeln werden eben Provisionen gezahlt, auch wenn sie manchmal de facto Bestechungsgelder sind. Wer nicht mitspielt, verliert.

Es müßten also mehr Leute gegen den Strom schwimmen, nicht mitmachen. Dazu braucht man aber Kraft, und die gibt einem der „Realismus" allein nicht!

Ich habe mit mehreren, ihrem eigenen und dem allgemeinen Verständnis nach sehr ehrenhaften Personen gesprochen. Sie haben mit der größten Selbstverständlichkeit von der Geschäftsabwicklung mit Schmiergeldzahlungen berichtet: Anders ginge es einfach nicht.

Daß sich hiebei einige auf Kosten der breiten Allgemeinheit ohne Gegenleistung bereichern, widerspricht unserer Grundvorstellung. Es trägt sicher auch zu den Ineffizienzen bei, die Österreich im internationalen Vergleich aufweist.

Wir haben jetzt die Chance, dies zu erkennen und zu ändern. Das beste System funktioniert nicht, wenn sich die Menschen, die das System tragen, nicht nach gemeinsam anerkannten und die Gemeinschaft fordernden Werten ausrichten. Diese Werte müssen auch gelebt werden.

In Zukunft sollte nicht ethische Ausrichtung gegen Realitätsbezogenheit ausgespielt werden. Wir sollten uns daher alle bemühen, Realisten, die sich einem ethischen Leitbild verpflichtet fühlen, zu werden.

Ich sehe eine weitere Chance in der derzeitigen Krise: Es wird deutlich erkennbar, daß das Heil nicht von der politischen Führung ausgeht.

Gerade die lächerliche Art, in der sich die ganze Affäre um den Finanzminister entwickelt hat, macht doch offenkundig, wie wenig die politische Führung zu einer Selbstreinigung imstande ist. Auch die eher unglückliche Rolle der Opposition zeigt, wie gering die Chancen sind, daß von dort in absehbarer Zeit eine Erneuerung ausgehen wird.

Die AKH-Affäre hat unsere Politiker bloßgestellt: Sie beziehen heute eine Position, die sie morgen widerrufen werden. Ohne irgendwelche Gewissensbisse. Wer sollte sich wirklich nach ihnen ausrichten?

Das zu erkennen, birgt meiner Meinung nach ebenfalls eine Chance : Wir reden doch immer davon, daß unser politisches System mündige Bürger brauche. Jetzt hätten wir einen Anstoß bekommen, solche mündige Bürger zu werden. Sind wir nicht allzu sehr gegängelt? Von denen oben? Von denen, die etwas davon verstehen? Von der Mode in den Medien?

Jetzt, da offenkundig wird, daß dort gar nicht so vertrauenswürdige Führer sind, könnten wir endlich den Mut zur eigenen Meinung schöpfen.

Zunächst sollten wir uns der Frage stellen, inwiefern die derzeit überall angeprangerten Verfehlungen nicht Teil unseres eigenen Tuns sind.

Wieviele laufen doch wegen jeder Kleinigkeit um eine Intervention zu einer Partei? Unter Berufung auf jahrzehntelange Mitgliedschaft erwartet man sich besondere Vergünstigungen, denn: „Schließlich will man ja auch etwas von der Mitgliedschaft haben!"

Wie wäre es, wenn wir dazu übergingen, in Zukunft keine Abhängigkeiten zu schaffen, die zentrale Apparate mächtig machen: nicht mehr einer Partei nur beitreten, um eine Wohnung zu bekommen, um einer Zinsenbegünstigung willen, um eher einen freiwerdenden Posten zu erlangen!

Trauen wir uns doch auch zu, die Politiker stärker mit ihrer Verantwortung zu konfrontieren! Derzeit erwarten sie sich alles Heil von ihrem Image in den Massenmedien. Dauerndes Interviewen und fortwährende Wiederholung von nichtssagenden Banalitäten ist die Folge dieser Publicitysucht.

Ziehen wir doch die Politiker zur Rechenschaft! Am besten wird dies sicher auf lokaler Ebene gehen, kann aber von dort auf die höheren Ebenen ausstrahlen.

Das typisch österreichische Wahlmotto des „kleineren Übels" begünstigt das Entstehen von Pfründendenken. Kein Wunder, wenn dann mit den Ämtern auch so umgegangen wird.

Ich bin überzeugt davon, daß weder heilige noch scheinheilige Entrüstung über das Ausmaß des Skandals, das „die da oben" zu verantworten haben, noch Schadenfreude, daß es ihnen endlich einmal an den Kragen geht, noch Verzagtheit, daß „bei uns in Bagdad" sowieso nichts zu wollen ist, uns helfen können. Wir könnten aber erkennen, daß wir alle in der Krise stecken.

Diese Krise wird dann den Ausweg in eine bessere Zukunft eröffnen, wenn wir alle zur Umkehr bereit sind, zu einem Umdenken, das darin besteht, unser gesamtes Tun nach seiner tiefsten Sinnhaftigkeit auszurichten und zu überprüfen.

Ethos wäre dann nicht nur als Begriff „in", sondern würde auch im Alltag gelebt werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung