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Wir „Partisanen“

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Der Titel „Wir Partisanen“ ist nicht von mir. Die Redaktion der „Furche“ hat ihn vorgeschlagen, und ich habe ihn unter der Bedingung akzeptiert, daß er unter Anführungszeichen gesetzt wird. Man nennt uns von der anderen Seite her gern scherzhaft und ein wenig miß

trauisch „schwarze Partisanen", uns, die wir hauptberuflich oder in festem Mitarbeitsverhältnis an jener Presse mitwirken, die man die indifferente, neutrale oder auch die akatholische nennen kann. Man sieht in uns gern die Vertrauensleute oder Emissäre irgendwelcher kirchlicher oder gar „klerikaler“ Zentralen. Wir sind es nicht. Wenn ich „wir“ sage, so spreche ich nicht nur von meinem eigenen Bewußtsein, son- lern von dem zahlreicher Kollegen in ähnlicher Situation, mit denen ich seit Jahren vertrauensvoll befreundet bin, von Kollegen aus Oesterreich und Deutschland. (Unerörtert l leibt in

diesem Rahmen freilich das so schwierige und komplexe Problem jener katholischen Journalisten, die aus diesem oder jenem Grund in der Presse kommunistischer Staaten mitwirken, ohne Kollaboranten der Systeme, Apostaten und Verräter zu sein. Das „Gesetz, nach dem sie angetreten“, ist ein ganz besonders, das sich aber mit den Gegebenheiten der freien oder relativ freien Welt des Westens nicht vergleichen läßt.)

Jeder katholische Christ, der es mit seinem Glauben und Bekenntnis in allen Dimensionen des Lebens ernst nimmt, ist ein Bürger zweier Welten. Er ist echter Staatsbürger (also keinesfalls „ultramontan“ im fragwürdigen Sinne

dieses überholten politischen Begriffes), zugleich aber auch echter Bürger der übernationalen Gemeinschaft der Kirche, echter Interessenvertreter für seinen Stand und seine berufliche Arbeits- und Lebensgemeinschaft, zugleich aber auch durchdrungen von der brüderlichen Versöhnungsaufgabe jenseits des Freund-Feind-Verhältnisses im Klassenkampf. In einem ganz ähnlichen, besonders ausgeprägten Verhältnis gilt dies auch für den Journalisten, der in einem loyalen Arbeitsverhältnis zu einer Zeitung oder Zeitschrift steht, die nicht katholisch, vielleicht auch nicht allgemein-christlich ist. Zwei Fehlhaltungen sind in einer solchen Situation möglich, von denen wir gleichermaßen hoffen können, daß sie im Aussterben begriffen sind. Die eine ist die der Aufgabe des eigenen Gesichts, des charakterlosen Mitläufertums. Hinter ihr steht die Auffassung von der angeblichen „Inferiorität“ des Katholischen, die gewissen Epochen des vorigen Jahrhunderts eigen war. Ein solcher Journalist gibt seine Bürgerschaft in jener Kirche auf, deren vom Herrn vorausgesagtes Zeichen eben einmal für alle Zeiten das des Kreuzes und des Aergernisses, der Torheit

und der Verfolgung ist. Er versucht, einer Welt gleichförmig zu werden, mit der er an einem bestimmten Punkt doch in Konflikt geraten muß, will er sich nicht völlig aufgeben und damit auch seinen für den Journalistenberuf letzten Endes doch unerläßlichen Persönlichkeitswert vernichten. Ebenso verfehlt ist es aber auch, diesen Inferioritätskomplex zu überkompensieren, die Berufsarbeit allein unter dem Gesichtspunkt des geheimen (gewöhnlich aber höchst aufdringlichen und geltungssüchtigen) „Apostolats“ zu sehen, sich zum Zensor und Sittenapostel aufzuwerfen oder aber gar eine Stellen- und Intrigenpolitik zu betreiben, für die man selbst den romantisch klingenden, aber recht geschmacklosen Namen von der „katholischen Freimaurerei“ erfunden hat.

Wir wollen nicht behaupten, daß es solche traurige und bedauerliche, weil letzten Endes unkatholische, moralisch wie dogmatisch falsche Haltungen nicht heute noch da und dort gäbe. Aber sie sind, gottlob, nicht mehr die Regel. Und das ist schon viel wert. Die Haltung des katholischen Journalisten in der für gewöhnlich freiwillig aufgesuchten Berufsumwelt der indifferenten oder akatholischen Presse ist durch die schon erwähnte Bürgerschaft in beiden Welten bestimmt. Durch sein festes, eindeutiges Verankertsein im Glauben und in der lebendigen Gemeinschaft seiner Kirche, zugleich aber auch im echten, gottgewollten Weltdienst eines loyal und gewissenhaft erfüllten Berufes. Diese Berufspflicht schließt die Treue und Kollegialität gegenüber einem Unternehmen oder einer Redaktionsgemeinschaft ein, mit der man zur Erreichung eines natürlich guten Zieles — eben der Erstellung eines seriösen Blattes — zusammenarbeitet. Selbstverständlich bedingt diese Haltung, die man überdies von einem Katholiken heutzutage gerade auch in andersdenkenden Kreisen erwartet, zuweilen ein ruhiges, klares Nein. In der Mehrzahl der Fälle aber besteht das eigentliche Apostolat in einer sachlichen Aufklärung, einer überlegten und fundierten Stellungnahme. Die kann aber nur der beisteuern, der fest in seinem Glaubenswissen steht. Gerade das wird ihn am besten vor einem unsicher tastenden Indifferentismus wie vor einem ebenso unsicheren, auftrumpfenden Rigorismus bewahren.

Die echte Anerkennung beider Bürgerschaften ist eine allgemeingültige Faustregel. Die Wirklichkeit ist aber kein moraltheologisches Lehrbuch. Sie ist gerade heute sehr different. Viele Wunsch- und Schreckbilder der unmittelbaren Vergangenheit sind heute ungültig geworden. Ja es wäre gefährlich, sich von solchen Kulissen den Blick auf die Wirklichkeit trüben zu lassen. Man kann die pressemäßige Berufsumwelt des katholischen Christen außerhalb des rein kirchlichen oder erklärt weltanschaulichen Bereichs am deutlichsten nach dem System konzentrischer Kreise darstellen. Sie sind geistige Ordnungsbereiche, in denen sich das Handeln — immer unter der Wahrung der eingangs vorangestellten „Doppelbürgerschaft“, die nie preisgegeben werden darf — verschieden an der Wirklichkeit zü orientieren hat. Sie mögen hier kurz skizziert erscheinen.

In der Gemeinschaft des Glaubens

Es gibt heute — vor allem in Deutschland, aber trotz der prozentuell andersgelagerten Gewichtsverhältnisse auch in Oesterreich — sehr viele Redaktionen, in denen Christen verschiedenen Bekenntnisses, für gewöhnlich katholische und evangelische, Zusammenarbeiten. Gewiß haben für den, der wirklich in seinem Bekenntnis lebt, die Einzelerscheinungen des Lebens, zu denen eine Zeitung Stellung zu nehmen hat, verschiedene Aspekte. Gottlob sind die Beschwichtigungshofräte fast ausgestorben, die diese bittere und ernste christliche Wahrheit durch beschönigende Phrasen wegleugnen wollen. Es zeigt sich aber in der Praxis, daß dort die Zusammenarbeit am fruchtbarsten ist, wo sich jeder am reinsten und unverfälschtesten zu seinem glaubenmäßigen Eigensein in aufgeschlossener Liebe zum anderen bekennt. Die Erfahrungen, die wir in solchen Redaktionen seit 1945 machen konnten, sind in der Regel gut. Einige Ausnahmen bestätigen die Regel. Man muß hier noch hinzufügen, daß es in der Gemeinschaft des Glaubens sehr gut auch eine Zusammenarbeit mit Menschen nichtchristlichen Bekenntnisses geben kann. Das Einende besteht aber auch hier nicht in der Verwischung und Verkleisterung der Verschiedenheiten, sondern in ihrem sachlichen, fundierten Bekenntnis. Dies gilt besonders auch gegenüber jüdischen Kollegen, deren Denken heute, soweit sich dies von außen her übersehen läßt, in einem spezifischen Sinn religiöser geworden ist, als es in den Tagen des Allerweltsliberalismus war.

In der Gemeinschaft der Zehn Gebote

Ob ausgesprochen oder unausgesprochen: Die naturrechtlich-gottesgläubige Basis ist heute fast

allen ernst zu nehmenden Zeitungep und Zeitschriften im freien Teil Europas gemeinsam. Die Akzente werden verschieden gesetzt, überkommene weltanschauliche Bindungen machen sich sehr oft auch aus Rücksicht auf einen bestimmten Leserstamm in der Art von Ressentiments bemerkbar. Dem eigentlich Religiösen und schon gar dem erklärt Christkatholischen gegenüber pflegt man in solchen Redaktionen eine Taktik des sorgsamen Ilmschweigens. Hier verlangt die Situation vom katholischen Journalisten ein Zweifaches: Ein Schweigen dort, wo das Wort vermeidbare Zwietracht stiften könnte, wo der Inhalt auch unter Verzicht auf eine bestimmte Form vermittelt werden kann, ein klares Sprechen, notfalls auch höchst deutlicher Art, aber dort, wo ein Verschweigen böswillige Trägheit bedeuten würde. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Ein Bekenntnis zum natürlich Guten in einem Leitartikel muß nicht unbedingt katholisch punziert sein. Man kann eine politische Zielsetzung, eine wirtschaftliche Maßnahme, eine kulturelle Leistung ob ihres inneren Gehalts würdigen, ohne aufdringlich zu betonen, daß es sich um eine katholische Leistung handelt (vielleicht noch gar in abschätzigem Vergleich mit den Leistungen Andersgläubiger). Man kann aus einer Ansprache des Papstes jene Sätze und Gedanken hervorheben, die an die ganze Welt gerichtet sind und muß nicht jene für einen kleineren aszetischen Kreis

bestimmte Stellungnahme und Ermahnung dem breiten Leserpublikum verkünden. (Auch der Herr wahrte eine Arkandisziplin, indem Er einmal zu den Scharen der Juden, ein andermal zu Seinen Jüngern sprach.) Der katholische Journalist muß aber gerade im geistigen Raum einer Presse, die sich zur naturrechtlichen Fundierung unserer Gesellschaft bekennt, sehr laut und ohne Rücksicht auf etwaige Mißliebigkeiten seine Stimme erheben, wenn er das Gefühl hat, daß hier Dinge vertuscht, verschwiegen und beschönigt werden sollen, die an den Pranger gehören. Man hat in den letzten Jahren von einer „Verschwörung des Schweigens“ gegenüber der andauernden Verfolgung der Christen in den kommunistischen Ländern gesprochen. Das Wort Verschwörung ist vielleicht zu kraß gewählt, aber etwas Wahres ist daran. Hier wäre ein Mitschweigen des katholischen Journalisten, in welcher Redaktion immer er sich befindet, Mitschuld.

Im Raume des Tages

Wer die Wirklichkeit von heute illusionslos betrachtet, weiß, daß die vorangestellten Probleme nur in einem immer kleiner werdenden Bereich der Presse gelten, daß es Zeitungen und Zeitschriften in Hülle und Fülle gibt, die sich bewußt wertneutral geben, die dem Tagesbedürfnis oft in höchst primitiver Art dienen wollen und jedes weltanschauliche Bekenntnis vermeiden. Es wäre dennoch falsch und pharisäisch,

sie darob zu verdammen. Wer als Katholik in solchen Redaktionen arbeitet, muß wissen, daß er sich trotz allem nicht in einem Niemandsland befindet. Hier gibt es wohl kaum mehr den ausgewogenen Kommentar, den durchdachten Leitartikel. Hier kommt es darauf an, der stets wechselnden Aktualität gerecht zu werden, eine Nachricht auszuwählen, auf ein Minimum zurechtzukürzen. zugunsten einer anderen zurück- zustellen, einen Scheinwerfer aufzublenden oder auch abzublenden: eine nervenaufreibende Arbeit, die alles andere als indifferent ist. Hier entscheidet nicht der, der die besten religionsphilosophischen oder moralisierenden Ansichten bei der kurzen Redaktionskonferenz vertritt, sondern der, der am sichersten und wirksamsten das auszudrücken vermag, was er sagen will und vom Gewissen her muß. In dieser Art von Presse liegt vielleicht die wichtigste Aufgabe für den katholischen Journalisten von morgen. Ein unwirtliches, gefahrenreiches Land, aber vielleicht eben jenes Wirkungsfeld, das die Vorsehung vielen von uns, die aus ihren Gartenlauben aufgescheucht wurden, zuweisen, wird.

Was wir in der Hand haben, ist ein Kompaß, keine Karte und schon gar keine vorgezeichnete Marschroute. Gerade wir, die wir im freien Gelände zu operieren haben, lernen von Tag zu Tag mehr, uns nach der Sonne zu orientieren. Und da diese für gewöhnlich auch fehlt, nach dem Polarstern am nachtdunklen Himmel.

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