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Preis der Freiheit

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Wenn Sie diese „Furche“ in der Hand haben, haben Sie eine Überraschung hinter sich. Die neue-„Furche“ kostet vier Schilling. Das Vierteljahrsabonnement achtundvierzig Schilling. Diese Erhöhung entspricht im Vierteljahr dem Gegenwert von vier Wiener Straßenbahnfahrscheinen und etwa einem “Kinobesuch.

Wir haben angesichts der Tatsache, daß wir oft und oft gegen unberechtigte oder leichtfertige Preiserhöhungen in Industrie und Handel Stellung genommen haben und weiter Stellung nehmen werden, reiflich überlegt, ob wir die eigene Preiserhöhung vor unserem Gewissen und unseren Lesern gegenüber verantworten können.

Die treue Leserschaft der „Furche“, darüber hinaus die österreichische Öffentlichkeit, hat ein Recht darauf, Rechenschaft von uns zu fordern, von den Männern, die Verantwortung tragen für diese einzige unabhängige kulturpolitische Wochenschrift Österreichs.

Sprechen wir also offen von den Tatsachen.

Wir stehen in diesem frühen März des Jahres 1962. Das sind 24 Jahre nach dem Zusammenbruch Österreichs im März 1938. Das sind 17 Jahre nach 1945, sind noch nicht sieben Jahre seit dem Abschluß des Staatsvertrages. Das ist das Jahr 1962, in dem Österreich in eine neue schwere Belastungsprobe eintritt, in eine Periode, die unseren politischen Charakter und unseren Willen zur Freiheit und Selbstbehauptung prüfen wird.

Die Zeit der Illusionen ist vorbei: die Zeit der „schönen Worte“, der Phrasen. Man wird in Ost und West, in Süd und Nord Österreich in seiner schwierigen Position nur gelten lassen und anerkennen, wenn wir energisch, offen, tatkräftig uns unserer Haut erwehren — und gleichzeitig mit dem Einsatz unserer besten Kräfte überall dort mitarbeiten, wo es um Erhaltung und Ausbau der Freiheit und um Überwindung von Hunger und Not geht.

Die Zeit der Fassadenbildungen ist vorbei, sie ist verflossen mit der Zeit der „schönen Sprüche“. Möglich, daß es auch heute noch nicht alle unter uns merken — um so schlimmer...

Nichts gegen den Fasching! Nichts gegen Spiele und Festspiele! Nichts gegen den Charme und den schönen Zauber von Zelebritäten und Festivitäten: Das alles mag seinen Platz und seine Zeit haben und mag gut sein, wenn darneben das andere da ist: der beharrliche, auf lange Sicht hin arbeitende konstruktive Aufbau unserer kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Positionen in einer Welt, die nur die Leistung anerkennt.

Diese Leistung hat Österreich zu erbringen: in der Zeit, die vor uns steht. ,

Es bedarf keiner künstlich erzeugten Aschermittwochstimmung, um zu sehen, was zu sehen ist: Das Von-der-Hand-in-den-Mund-Leben, die leicht-

sinnige und überhebliche Art, mit vollen Backen bei Cocktails von Österreichs Kultur und Weltgeltung zu sprechen, (jat nur uns selbst dümmer gemacht, den Blick für die Wirklichkeit getrübt.

Die Welt um uns sieht, was bei uns zu sehen ist: zurückgebliebene Hochschulen, die nur schwer imstande sind, in Kapazität und in freien Räumen jenen beträchtlichen Teil der studierenden Jugend der Entwicklungsländer aufzunehmen, die wir aufnehmen müßten. Die Welt sieht eine österreichische Wirtschaft, die tief unsicher ist und die weder in eigenen Forschungsanstalten noch in anderen Zurüstungen dem Ringen auf den Weltmärkten genügend gewachsen, hinreichend vorbereitet ist. Die Welt, das heißt, die vielen Menschen aus West und Ost, Nord und Süd, die in Wien durchkommen, sehen erstaunt und betroffen, daß dieses Österreich, das sich gerne und sogar mit einem gewissen Recht als eine eigenständige Position einer freieren Hemisphäre vorstellt, streng genommen kaum Zeitungen von weltgültigem Format besitzt. Dieser Ausfall allein bedeutet einen immensen Schaden für uns. Wer es da gar noch wagt, wenige Kilometer von der ungarischen und tschechischen Grenze entfernt, den österreichischen Rundfunk einzuschalten, vernimmt selten eine Dokumentation, die durch Sach-Ixhkeit, Materialfülle, durch eine innerlich weiträumige u.sd großrtigige Gestaltung Zeugnis ablegt von einer freien Stimme, die nicht überhört werden kann; der Hörer nimmt Kümmerformen wahr.

Wir sind anders, als wir scheinen wollen.

Was hat diese Betrachtung mit der Preiserhöhung der „Furche“ zu tun, direkt und indirekt?

Wir haben gerade seit 195 5, seit dem Abschluß des Staatsvertrages, allzu leichtfertig nicht eingesehen, daß der Preis der Freiheit hoch ist. Daß der Preis der Freiheit in harter Währung zu zahlen ist: in Leistung, in Einsatz, in unermüdlicher Arbeit. Ja, auch in Opfern. Wer in guter, sehr guter Stunde nicht freiwillig kleine, verhältnismäßig kleine Opfer auf sich nehmen will, muß in unguter, schlechter Stunde wesentlich größere, sehr gToße Opfer auf sich nehmen.

Sehen Sie, liebe Leser, liebe Freunde, den Zusammenhang?

Den Zusammenhang zwischen unseren unterentwickelten Schulen, Hochschulen, kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen, zwischen dem Ausfall einer weltgültigen publizistischen Dokumentation Österreichs in Presse, Funk, Fernsehen — und eben der Tatsache, daß eine unabhängige kulturpolitische Wochenschrift um ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen muß?

„Die Furche“ hat sich in West und Ost, Nord und Süd, nicht zuletzt in beiden Amerika, einen geachteten, manchmal fast gefürchteten Namen als die Stimme eines freien Österreich erworben. Getreu dem Grundkonzept ihres .Gründers Dr. Friedrich Funder: „Zeitaufgeschlossen, auf das aktuelle Geschehen gerichtet, parteimäßig nicht gebunden, eine gesunde Demokratie bejahend, durch katholische Grundsätze bestimmt“, hat „Die Furche“ einen hohen Preis für ihre Freiheit bezahlt:

Wfr haben dem Druck dieser und jener mächtigen Gruppe, die sich unser bedienen wollte, Widerstand geleistet und nicht nachgegeben. Wir haben Inserate, teuer bezahlte Inserate, sowohl volksdemokratischer Provenienz wie von inländischen Interessentengruppen, die uns als unvereinbar mit unserer Freiheit erscheinen,

immer wieder abgelehnt. Und werden sie weiter ablehnen.

Untersuchungen unabhängiger Unternehmungen der Marktforschung haben ergeben, daß uns allein in Österreich pro Ausgabe rund 107.000 Leser lesen. Wir verkaufen nun rund 20.000 Exemplare. Diese außerordentlich hohe Relation von 1:5, wo also auf ein verkauftes Exemplar fünf Leser kommen, bezeugt uns beides: die Bedeutung der „Furche“, ihre Hochschätzung nicht nur bei den Verantwortlichen und kleinen Gruppen repräsentativer Persönlichkeiten, sondern auch bei einer breiten Leserschicht — und auch das andere: „man“ liest „Die Furche“, man beachtet sie sehr, aber man kauft sie zuwenig.

Also appellieren wir an unsere Leser: Helfen Sie mit, „Die Furche“ zu erhalten und auszubauen. Sie bezahlen in dem Preis für die Freiheit und Unabhängigkeit der „Furche“ etwas von dem weit höheren Preis, den wir alle für Österreichs Freiheit und Unabhängigkeit bezahlen müssen, wenn wir dies ernst nehmen.

Wir wollen festhalten: Österreichs Unabhängigkeit kostet mehr als vier Schilling in der Woche, mehr als achtundvierzig Schilling im Vierteljahr. „Die Furche“ kaufen und unterstützen ist nicht genug. Im selben Atemzug aber wollen wir bekunden: Zu dem Österreich, das seit 1945 im Aufbau und immer noch in Schwierigkeiten des Anfangs und vir immer neuen Bewährungsproben steht, gehört untrennbar „Die Furche“. Mit ihrer Preisgabe würde eine Preisgabe von österreichjscher Freiheit verbunden sein.

Ja, es ist so, und mit uns sind, wie wir wissen, einige der besten Österreicher überzeugt: Im kleinen Preis jeder ..Furche“ ist etwas von dem Preis mit enthalten. Jen Österreichs Freiheit kostet.

Es ist üblich, Preiserhöhungen publizistischer Organe mit Versprechungen zu verbinden. Ob und wie diese dann eingelöst werden, ist eine andere Frage.

Was verspricht Ihnen, lieber Leser, „Die Furche“ in diesem März 1962?

Als erstes versprechen wir, frei und unabhängig und ein waches staatspolitisches Gewissen zu bleiben. Als zweites nehmen wir uns vor: Angesichts der großen Enge, der Enge der Gesichtspunkte, der Perspektiven, der Berichterstattung über wichtige Vorgänge und Probleme in und um Öster-

reich, wollen wir die gewissenhafteste, bestmögliche Berichterstattung über Vorgänge in Ost und West, nicht zuletzt über jene Vorgänge, die in unserer Tagespresse verschwiegen, übersehen werden oder aus vielen Gründen zu kurz kommen, weiter ausbauen. Manche Ereignisse in den letzten Monaten und Jahren zeigen, wie in einer beklemmenden Weise internationale Entwicklungen, die auch Österreichs Zukunft angehen, schief dargestellt oder rasch abgetan wurden.

Zum dritten: Wir wollen die Berichterstattung über die Einwurzelung des Christen in einer neuwerdenden Welt, über Fragen des Katholizismus und der Ökumene sowie über Fragen der Spiritualität — deutsch: wie lebt der Christenmensch heute und morgen? — weiter ausbauen. Auch dies ohne falsche Scheu vor heißen Eisen, ohne Sentimentalität und Ichverliebtheit. Katholizität, Weite des frommen Blickes, Kraft des Geistes und Herzens werden morgen und übermorgen auch in Österreich wachsen müssen.

Aus unserer Vergangenheit, die wir bejahen, wollen wir lernen — und das heißt für uns: Wir wollen in Österreich mit ein Klima schaffen, das gegenwartsoffen und zukunftsfreundlich ist. Genug des Hasses, der Denunzia' tionen, des von Tag zu Tag zunehmenden Neides, eines engstirnigen Parteigeistes. Es ist hohe Zeit, die Österreicher zu sammeln, denen dieses Land mehr ist als Futterkrippe und Tummelplatz undurchsichtiger Interessen.

Diese Aufgabe stellen wir Ihnen und uns vor in diesem März 1962. Arbeiten Sie mit! Helfen Sie, der Stimme der Freiheit und des Freimuts in Österreich jenen nötigen Widerhall zu schaffen, den wir brauchen, wenn wir nicht alle eines Tages in Angst und Elend aufwachen wollen.

Vermächtnis und Auftrag „Ich empfehle, die programma-1 fische und taktische Richtung auch hinfort beizubehalten: Klare katholische Gesinnung, auf die Zusammenarbeit der gläubigen Chrisfeh in liebevoller Haltung auch gegenüber den getrennten christlichen Brüdern bedacht, aufgeschlossen den seelischen und leiblichen Bedürfnissen und berechtigtsten Lebensansprüchen der arbeitenden und zumal proletarischen Volksschichten, mutig - stets za einem freien Wort bereitstehen, wo es gilt. Träge, Kurzsichtige, in den eigenen Reihen zu Aktivität und Vorwärtsschreiten anzuspornen — nicht zuletzt in strenger Unabhängigkeit von Jeder politischen Partei, und die eigene Fähigkeit, unbehindert durch Parfeischranken, der Gerechtigkeit und der christlichen Liebe zu dienen. „Die Furche“ möge einer furchtlosen Sämannsarbeit gewidmet sein, und immer sei die Furcht am grollten, die christliche Liebe zu verletzen und auch nur im entferntesten jenem Geist zu dienen, der so unsägliches Leid über die Menschheit gebracht hat.“

Friedrich Funder

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