Das Gespräch um die Orden bleibt in der Kirche immer lebendig. Weil sich mit ihnen die Vorstellung einer Elite verbindet, geht dieses Gespräch gern auf Anliegen der E r- neuerung. Namentlich dann, wenn der Katholizismus in dem betreffenden Lande weiß oder spürt, daß er selber höhergespannte Erwartungen zu erfüllen hätte, aber nicht recht zuzufassen versteht. In solchen Zwischenphasen vor wirkkräftiger Aktivität entwickelt sich leicht ein gelinder innerkirchlicher Antiklerikalismus voll Ungeduld und Kritiksucht, der sich in seinem Mißmut oft den Orden zuwendet. Aufmerksamen Beobachtern mag zwar Vorkommen, daß dieser innerkirchliche Antiklerikalismus im Österreich der Nachkriegszeit die Orden ziemlich verschont und sich dafür heftiger an andere Kreise wendet; es darf jedoch nicht übersehen werden, daß manche Schlagworte gegen das Ordenswesen aus den letzten Jahren des Kulturkampfes noch immer nachwirken. Die massiven Verleumdungen politischer Propaganda liefen zwar schon bei der Begegnung mit den geistlichen Schwestern in den Lazaretten und mit den männlichen Ordensleuten im Militärdienst leer — im Unterbewußtsein flackern sie zerstäubt wieder auf, wenn sich Anlaß dazu ergibt.
P. Lombardi hat mit seinem Artikel „Rinnovamento dei Religiosi“ in der „Ci- viltä Cattolica“ vom 19. März 1949 (vgl. „Furche“ Nr. 15 vom 9. April 1949) wieder einmal das Stichwort gegeben, das sofort in vielen Ländern aufgegriffen wurde, zumal bewußt der Eindruck erweckt wurde, daß es sich hier um eine Initiative mit Förderung des Hl. Stuhles handle. Gleichwohl darf gesagt werden, daß seine Ausführungen zunächst auf italienische Verhältnisse abgestimmt sind. Dort blieben die Orden vom Krieg und Kulturkampf relativ unberührt, ihr Nachwuchsproblem ist — ähnlich wie etwa in Irland und Polen — anders gelagert als bei uns, ihre Tätigkeit ist vielfältig mit staatlichen Behörden als Anstellungs- und Führungsinstanzen verknüpft, wie ja überhaupt der Geselligkeitstrieb der Romanen mehr Linien zum weltlichen Bereich in Gang haben mag. Jedenfalls haben bei uns die Kulturkämpfe der letzten 30 Jahre wie in der Seelsorge so auch bei den Orden manches Problem längst aufgerollt und vorweg gelöst, das anderswo erst noch aufzugreifen wäre. Disziplin und Zusammengehörigkeit strafften sich in der Bedrängnis, Unberufene schieden aus, wirtschaftliche Ablenkungen fielen weg, die intensive Arbeitsbeanspruchung konzentrierte das Standesbewußtsein und weckte eine neue Sehnsucht nach Verinnerlichung. Es wäre aber eine gefährlicheSelbst- täuschung und ein unfruchtbarer Pharisäismus, wenn sich die Ordensgenossenschaften Österreichs von vornherein aus einer Debatte ausschalten wollten, die offensichtlich mit Billigung des Hl. Stuhles eröffnet wurde. Man weiß zudem, daß die Religiosen- kongregation in den letzten Jahren wiederholt sehr initiativ vorgegangen ist, auf die Bestellung der Ordensführungen Einfluß nahm und Arbeitszuweisungen regelte. Vielleicht ist auch die Constitutio „Provida“ zugunsten der Institutą Saecularia vorerst weniger in der Bedeutung organisatorischer Wirklichkeit ernst zu nehmen als in der Formulierung einer These, die zum Nachdenken anregen soll.
Tatsächlich haben sich die Leitungen der wichtigsten Schwesterngenossenschaften gelegentlich des Kurses, den das Institut für Caritaswissenschaft Ende April in Lambach für Generaloberinnen veranstaltete, bereits eingehend mit der Frage der Ordensreform befaßt. Der bei derselben Gelegenheit auf Grund des Beschlusses der Salzburger Ordenstagung (Oktober 1947) vorbereitete „O r- densrat“ wird das Anliegen gewiß im Auge behalten. Analog dazu bemühen sich die männlichen Orden um die Reaktivierung ihrer S u p e r i o r e n k on f e r e n z für Österreich, die sich bald vor dasselbe Problem gestellt sehen wird, soweit es gemeinsam erörtert werden kann. P. Lombardi betonte ja mit Recht die Bedeutung der Zusammenarbeit, sogar der „Blockbildung“, um dringliche Aufgaben größerer Reichweite bewältigen zu können. Der Besonderheit und Eigengesetzlichkeit der verschiedenen Ordenstypen bleibt dabei der nötige Spielraum zweifellos gesichert. Die Genossenschaften diözesanen Rechtes, denen in Österreich über die Hälfte der weiblichen und ein kleiner Teil der männlichen Ordensleute angehört, sind diesbezüglich auch weitgehend auf die Richtlinien angewiesen, die von den bischöflichen Behörden ausgegeben werden. Dabei handelt es sich vorwiegend um interne Anliegen, die in diesem Stadium wohl kaum vor eine nicht zuständige Öffentlichkeit gehören. Auf einige Wünsche der innerkirchlichen Diskussion soll hier aber doch kurz eingegangen werden.
Äußerlichkeiten
Manche dieser Wünsche beziehen sich konstant auf Äußerlichkeiten, wie die Ordenstracht, den Lebensstil, gewisse Verkehrsformen, namentlich der Schwestern usw. Ihr Ansatzpunkt ist aber problematisch, weil äußere Veränderungen, wenn sie wirklich durchgeführt würden, nur dann sinnhaft und wertvoll sind, wenn ihr eine innere Umstellung entspricht. Es steht indes als geschichtliche Eigenerfahrung fest, daß der besondere Lebensstil der Ordensleute und besonders die Ordenstracht während des letzten Kulturkampfes eine spürbare Kraft erwies. Der klösterliche Habit blieb inmitten des tollen Wirbels von Uniformen und Auszeichnungen das einzige wertbeständige Ehrenkleid, und die klösterliche Lebensform tat seit je gut daran, sich von oberflächlichem Gehabe nicht zu schnell beirren zu lassen. Zudem mag das Drängen auf Ablegen oder Vereinfachen der Tracht gerade bei Autoritätsberufen — wie in der Krankenpflege und Pädagogik — oft verfehlt sein, so daß selbst weltliche Sozialberufe nach einer Berufstracht oder wenigstens nach einem Abzeidien streben. Es ist- auch nicht durchweg wahr, daß das Ordenskleidreine Kluft zum Betreuten hin schafft und daß das eigene Ordensleben das Verstehen anderer Not erschwert; an Lebensnahe und Volksverbundenheit stehen die Ordensleute heutzutage wahrhaftig breitesten Schichten nicht nach.
Damit soll aber nicht brüsk abgewiesen werden, was wirklich beherzigenswert ist. Für die Schwesterntracht zum Beispiel, die zweifellos noch manche Elemente der bürgerlichen und bäuerlichen Frauenmode des 16. Jahrhunderts konserviert, sollten die Gesichtspunkte der Gesundheit und Brauchbarkeit wie der Schönheit und Weihe ernsthafter berücksichtigt werden, wobei die Lösung sicherlich im Doppelkleid, in der Unterscheidung zwischen Chortracht und Arbeitsgewand zu verwirklichen sein wird. Schwieriger ist die Frage der Auflockerung der Klausur als Wohn- und Denkform, zumal die meisten Ordenspersonen heute ohnehin in zu großer Isolierung diasporamäßig auf vorgeschobenen Posten stehen, so daß ihre Heimsehnsucht und ihr Gemeinschaftswille nur noch stärker werden. Wenn schließlich die Pflege der natürlichen Tugenden, der Allgemeinbildung und Umgangsformen, der An- sprechbarkeit und Fröhlichkeit gefordert wird, so darf nicht übersehen werden, daß unsere Schwestern seit Jahren unerhört überlastet, überarbeitet und auch gepeinigt sind; es braucht Zeit, solche Schockierungen abklingen zu lassen.
Sozialleistung
In der Zeitschrift „Caritas“ (1/3 vom März 1948) wurde ein Artikel aus Deutschland von Paulus Sladek über „Kloster und Massenelend“ abgedruckt, der den Orden neue und besondere Sozialleistungen abverlangt. Nun sind die caritativen Genossenschaften in Österreich aber wirtschaftlich bedeutend leistungsschwacher als anderswo; das rührt daher, daß Österreich allgemein ein ärmeres Land ist,-daß die Caritasorden bei uns durchweg jüngeren Datums sind und daß sie ihre Mitglieder vorwiegend in den Dienst von Staat und Gemeinde stellten, die ihnen seit je zu geringe Lohnvergütungen geben. Dann kam der Klostersturm, der 1938 bis 1940 über 2 00 Niederlassungen raubte, und der Kriegsschaden, der allein bei 30 befragten Schwesternschaften zirka 50 Millionen ausmacht. Die Orden haben seit 1945 eine ungeheure Sozialleistung vollbracht, indem sie einige hundert Heime und Arbeitsstellen instand setzten, die halbzerstört und — vielfach von der einheimischen Bevölkerung — bis auf den Bretterboden ausgeplündert waren. Was der Staat vor zehn Jahren durch die Gestapo binnen weniger Stunden rücksichtslos raubte, darum müssen nun jahrelang zermürbende Verhandlungen kämpfen, die bis heute nur erst zu einem kleinen Teil grün d bücherlicher Rückeignung geführt haben. Auch der Wille der Ordens leitun gen, die Siedlungsbewegung durch Bodenüberlassung möglichst zu unterstützen, stößt oft auf anormaleHindernisse bürokratischer Natur. Schließlich darf nicht übersehen werden, daß die österreichischen Ordensgenossenschaften über keine zusätzlichen Einnahmequellen und nutzbringenden Auslandsbeziehungen verfügen. Im Inland können sie keine Sammeltätigkeit entfalten, und das spontane Almosen kommt den kirchlichen Kollekten zugute. Das alles wiegt um so schwerer, als die Mutterhäuser gerade in diesen Jahren — neben dem Wiederaufbau und den Steuer- Listen — ungewöhnlichen Fürsorgepflichten für ihre invalid gewordenen Mitglieder zu bewältigen haben.
Schwerkriegsversehrte kämpfen um ihre Existenz, und Totalausgebombte können nicht aus vollen Vorratskammern schöpfen. Gewiß mag man nun unterscheiden wollen zwischen schwerringenden Armenhäusern und den Großklöstern, Abteien und Stiften. Manche derselben brauchen wohl etwas Zeit, um ihre wiedergewonnenen Räume nach unvorstellbarer Verwüstung wieder benutzbar zu machen und in einen Plan zur Behebung der Massennot und Zeitaufgaben hineinzurücken. Vielleicht stehen sie dabei vor einer ähnlich revolutionierenden Aufgabe wir vor 170 Jahren, wo kühne Entschlüsse gefaßt werden mußten, um das Ganze zu retten. Sie werden dazu um so eher imstande 6ein, je mehr sich tatenfrohe Jugendliche bereit finden, die alten Banner wagemutig in die neue Zeit zu tragen. Wir wissen ja: ein Bau bedeutet für die Nothilfe noch nicht viel, es braucht vielmehr immer wieder die lebendigen Menschen; die werden unter Umständen — wenn es not tut — auch einen Bau finden oder ganz neu errichten.
Persönliche Liebestat
Nun verweist man darauf, daß die Armutspraxis in den Orden vielfach institutionell geworden ist und die persönliche Liebestätigkeit der einzelnen Ordensleute einschränkt. Das gilt aber nur für die äußere Gabe und nicht für die persönliche Leistung und Hingabe, auf die es heutzutage um so mehr ankommt, als für das Finanzielle stets mehr die Behörden und Sozialversicherungsinstitute — schon auf Grund ihrer ungeheuren Einnahmen in Steuern und Beiträgen — herangezogen werden müssen. Immerhin haben die Orden ihren Mitgliedern während des Kulturkampfes die Freizügigkeit im Rahmen des Armutsgelübdes etwas gelockert, aber damit keine guten Erfahrungen gemacht; die persönliche Ausgabenpolitik hat sich meist — auch in der Wirkung — verzettelt, und es wird der Nothilfe nur zugute kommen, wenn dieses individuelle Tun wieder stärker im die Generallinie der Gemeinschaft fällt. Der persönliche Beitrag der Ordensleute kann sich nicht so sehr in unübersichtlichen Kleinspenden dartun, sondern in der aufopfernden Leistung und deren ethischer Vertiefung durch Liebe, Lauterkeit, Opfermut, Unbestechlichkeit, Unparteilichkeit und Geduld. Der Nothilfe ist ein ungeheurer Dienst getan, wenn sie hier ein Mitarbeiterkorps hat, das keine besonderen Ansprüche stellt, absolut verläßlich ist und bei der Arbeit bleibt, so daß die Erfahrungen mit ihren Einsichten und Einsparungen dem Ganzen auch wirklich gesichert bleiben.
Natürlich muß dieses Korps auch in der Lage sein, seine Aufgaben zu erfüllen, und es ist zum Beispiel kaum anzunehmen, daß — aufs Große gesehen — eine Caritastat von Dauer durchgesetzt wurde, wenn man etwa in das Refektorium einer kleinen Niederlassung um jeden Preis eine Wohnpartei setzte; daraus kann sich vielmehr — gerade auch bei Frauen und im engen Raum — leicht eine nervenzermürbende Angelegenheit entwickeln, die allenthalben mehr schadet als nützt. Vielleicht empfiehlt es sich eher, caritative Arbeitsstellen zueinanderzulegen und dadurch frei werdende Objekte für Wohnungssuchende zur Verfügung zu stellen, als gänzlich auseinanderstrebende Interessengruppen unter ein ohnehin zu enges Dach zu zwängen. Das Ethos — der ehrliche, opferbereite Wille zur größeren Liebe und zum noch besseren Helfen — muß natürlich auch unter schwierigen äußeren Verhältnissen durchgehalten werden. In dem Buch „Die Liebe höret nimmer auf (vom Wirken unserer Ordensschwestern für Kranke, Arme und Kinder)“, das ich 1948 bei Herder, Wien, herausgab, haben die größten karitativen Genossenschaften unseres Landes ein ergreifendes Zeugnis dafür abgelegt, daß sie den Geist dienender Liebe aud i durch die Stürme der letzten Jahre zu tragen versuchten. Jede einzelne Ordensperson hat eine schwere Verantwortung für dieses Zeugnis und darf es weder durch ungute Praktiken noch durch grobe Unterlassungen, weder durch Enge noch durch Verständnislosigkeit gegenüber dem Gegenwartsmenschen unwirksam machen.
Innenleben
Außenstehenden mag so manches gerade am Innenleben der Orden fremd und unverständlich, sogar reformbedürftig Vorkommen. Wir Ordensleute dürfen auch gar nicht daran denken, unsere reguläre Arkan- disziplin zu durchbrechen und mit unseren Eigenproblemen auf den Markt der Öffentlichkeit zu gehen; am allerwenigsten, um Propaganda zu treiben oder gar extreme Vota einzuholen. Das beißt nicht, daß wir allerlei schamhaft zu verbergen oder zu vertuschen hätten, sondern es spricht daraus der Wille zur Selbstbewahrung und — wo nötig — auch zur Eigenreform. Dieses zuversichtliche Selbstbewußtsein ist in der schweren Belastungsprobe der jüngsten Vergangenheit, die glänzend bestanden wurde, gestärkt worden; die Orden sind dabei trotz aller Bedrängnis in ihrer Substanz intakt geblieben, sie haben sich als krisenfest erwiesen und ihre Mitglieder psychologisch heil aus der Verfolgung herausgebracht. Dieser menschliche Erfolg beruhte weniger auf Taktik oder Pädagogik, noch viel weniger auf Beziehungen oder Diplomatie, sondern auf den Prinzipien des Ordenslebens selber und auf den im Ordensstand wirksamen Gnadenkräften.
Gleichwohl wird verständlich, daß sich nach 1945 gewisse Reaktionserscheinungen auf die ungeheure seelische Beanspruchung der Kriegsjahre zeigten, zumal diese Gesamtbeanspruchung nach Kriegsschluß pausenlos und mit neuen Anforderungen weiterging. Die Erschöpfungserscheinungen häufen sieb, desgleichen die Zusammenbrüche der Gesundheit und Leistungsfähigkeit, die Übermüdung wirkt sich auch in seelischer, sogar religiöser Beziehung aus. Wir stehen hier vor Vorgängen, die sich teilweise ja auch im Gesamtvolk und gerade innerhalb der Frauenwelt als Nachkriegsschäden sehr empfindlich bemerkbar machen. Sie mögen sich bei den Schwestern aus den genannten Gründen noch stärker auswirken,( zumal sich die anregenden und ausgleichenden Folgen der neuen Blutzufuhr jungen Nachwuchses bei ihnen vorläufig langsamer und spärlicher einstellen. Dafür haben sie den unschätzbaren Vorteil der geistigen Kontinuität und Selbstsicherheit; das in der Verfolgung bestärkte Kraftbewußtsein und die unerschütterte Gewißheit, auf dem rechten Wege zu sein, verschieben die Fragen der Psychologie und Pädagogik hinüber zum Objektiven und sogar Übernatürlichen, wo ihnen eine gültigere Lösung zuteil werden kann. Weil uns aber auch hierin „mit dem Maß zugemessen wird, mit dem wir zugemessen haben“, wächst die Verantwortung der Ordensobern und Seelenführer durch diesen Hinweis nur noch mehr — auch gegenüber dem Anliegen etwa notwendiger Reformen. Deren Gesetzlichkeiten bestimmen sich dann allerdings weniger nach Wünschen, die von draußen herangetragen werden, sondern aus Leitsätzen, die der Heiligen Schrift und den Weisungen der Kirche zu entnehmen sind.