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Aufstand hinter Klostermauern

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DIE EHRWÜRDIGE MUTTER, aufgeschlossene Oberin des Mutterhauses von Sacre Coeur in Rom, trug ihr neues Ordenskleid erst seit Dezember 1966. Nach Jahrzehnten ihres Klosterlebens in der seit über einem Jahrhundert unveränderten Ordenstracht, einem weitrockigen, schwarzen Pellerinenkleid mit weiß plissiertem Kinnhäubchen, hatten die Damen von Sacre Cceur vor kurzem in Rom das alte Habit gegen ein schlichtes, bequemeres eingetauscht: praktisch und leichter im Stoff, enger, ohne die „bischöfliche“ Pellerine, die luftige Schleierhaube ohne die gesteiften Seitenrüschen, die beim Autofahren störten. Noch nicht alle Nonnen des bekannten Schulordens tragen den New Look. Während in Rom bereits manche Mutter ihre Mühe kennt, um 5.30 Uhr, wenn der Wecker schrillt, 'ihr widerspenstiges Haar unter die ungewohnt kleine Haube zu bringen, rattern in anderen Häusern des Ordens noch Nähmaschinen, die die 14.000 neuen Kleider hausintern produzieren; nach einem belgischen Modell, das jedem der 200 weltweiten Klosterhäuser als Nähvorlage dient.

DAS MODISCHE EXPERIMENT, das sich außer der Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu, die Ursuli-nerinnen, die Vinzentinerinnen und viele andere Orden leisten, entspringt nicht eigener Initiative und nur zum Teil dem Wunsch der Klosterfrauen selbst. Aus ihren Klausen hallte eher Widerspruch gegen die neuen, nivellierenden Krankenschwestertrachten, die ihren geistlichen Stand nicht mehr erkennbar von der Welt abheben.

Die modische Auffrischung der weiblichen Klosterwelt, symbolisches Attribut einer verschwiegenen Revolution, die sich seit dem Konzil still hinter Klostermauern vollzieht, ward den Töchtern der Kirche von ihren Vätern vielmehr geheißen. „Die Tracht muß einfach, bescheiden, attraktiv sein, darf anderseits der Gesundheit nicht schaden und soll den modernen zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten angepaßt sein“, legte das Zweite Vatikanische Konzil in der „Perfectae Caritatis“ fest.

Dieses Empfehlungsschreiben der Konzilsväter an die Adresse der 1,12 Millionen in der Welt rollt die Crux der Nonnenexistenz auf. Das Konzil hatte die Kirche zum Dialog mit der Welt verpflichtet. Die Nonnen, von den Konzilsmännern zwar als tragende Säulen der „Chiesä“ anerkannt, leben im Dialog mit Gott. Heute suchen sie ein Verhältnis zur säkularisierten Welt.

Das Dekret der Kirche läßt keinen Zweifel imehr zu. Auch hinter Klostermauern sollen die letzten 50 Jahre Entwicklungsgeschichte der Frau nicht länger spurlos vorübergehen, auch dort sollen in Zukunft moderne, aktive junge Frauen mit Bildung, Verstand und Vernunft heranwachsen.

Die Bedingungen der neuen Möglichkeiten der Ordensgemeinschaften und der größeren persönlichen Freiheit der Schwestern formuliert das Dekret konkreter: Dezentralisation der klösterlichen Hierarchie. Die Generaloberin überläßt ihren Provinzhäusern größere Selbständigkeit, die finanzielle Autonomie jedes Klosterhauses wird zum Wohle der ärmeren Häuser des Ordens aufgehoben. Der Alltag wird von veralteten Traditionen entschlackt. Aus gesundheitlichen Gründen unterbleiben nächtliche Bußgebete.

Jeder Nonne werden Zeit und Mittel geboten, sich in ihrem Beruf laufend fortzubilden. Ihr stehen Zeitungen und andere Kommunikationsmittel zur Verfügung, damit sie über das, was die Kirche beschäftigt, unterrichtet ist. Soziale Unterschiede nach Herkunft und Milieu, nach denen die Klöster bisher ihre Madres im privilegierten schwarzen Schleier hinter den Katheder, ihre Schwestern im weißen Schleier in die Küche schickten, sind aufzuheben.

DIE PROBLEME DIESER ABRUPTEN GLEICHHEIT, der schwarze oder weiße Schleier für alle» bündelt Mutter Xavier: „Wir müssen mehr denn je unter unseren Postulantinnen sieben und auf eine gründliche berufliche Ausbildung vor dem Noviziat bedacht sein. Unsere Missionshäuser können jetzt keine eingeborenen Mädchen mehr einkleiden, die zwar tief religiös, aber ohne jede Bildung waren. Das schafft zusätzliche Spannungen im sozialen Zusammenleben.“

Auch das Konzilsgebot hat zunächst mehr „die Qualität als die Quantität“ bei der Erneuerung der Ordenswelt im Sinn. Es kommt für die erzieherisch tätigen Orden darauf an, daß sie ihren Schülerinnen außer Kochrezepten und guten Manieren ein Wissen vermitteln, ließen die Konzilsväter durchblicken. Unverhohlener dann: Die erforderliche humanistische und literarische Ausbildung, wird den Horizont der Nonnen weiten, wird sie robuster machen.

Indes der fortschrittliche Ratschlag brachte dem Vatikan inzwischen das eigene Nachsehen. Während auch er sich mit ernsten Dienstbotenproblemen herumschlägt, treue Haushälterinnen unter den Ordensfrauen nur noch für den Papst und die Kurienkardinäle aufzutreiben sind, denen zu dienen Sozialprestige abwirft, manche Klosteroberin zuweilen schon selbst hinter dem Herd steht, strömen Novizinnen in Scharen in die kircheneigenen Schulen und Universitäten.

JEDER ORDEN ENTSCHEIDET SELBSTÄNDIG über seine neue Hausordnung, wird auf seinem ordentlichen oder außerordentlichen Generalkapitel (vom Oktober 1966 bis 1969) Fragen neu diskutieren, welchen Familienkontakt die Nonne zu ihren Verwandten pflegen, welche Informations- (ob Radio, Fernsehen, welche Zeitungen), welche Verkehrsmittel sie benützen darf, zu welchem Anlaß sie Klosterausgang hat und welcher Arbeit sich das Kloster widmen wird.

Die Regie über die Reform des Klosteralltags führt jeder Orden selbst, dennoch hält die Heilige Kurienkongregation für religiöse Orden in dieser entscheidenden Phase die Zügel straff in der Hand, bremst unmißverständlich dort, wo der geweckte Freisinn überbordet, drückt dort ihre Worte in die Tat durch, wo das „aggiornamento“ sonst im passiven Widerstand erstickte.

Mit dem einen wie mit dem anderen hat der Vatikan zu rechnen. Gegen das betonte Postulat klösterlicher Armut wehren sich beispielsweise die Schulorden, die in der Regel finanziell gut situiert sind. Ihre stattlichen Sitze, Parks und Ländereien, die in Rom an der Via Nomentana und Via Aurelia antiqua wie prächtige Villen aufgereiht liegen, macht ihnen die Kirche zum Vorwurf. „Wir aber können nicht in Lumpen herumlaufen, in Baracken wohnen, wenn wir als moderne Erzieher anspruchsvoller Kinder überzeugend wirken sollen. Wir können nur noch mit modern geplanten Schulen und Internaten bestehen“, murrt man in ihren Kreisen gegen das „theoretische“ Kirchendiktat.

Amerikas Karmeliterinnen gar rebellieren, wünschen von Rom die Aufhebung ihres Achtstundenbet-tages, plädieren für eine radikale Abschaffung der Klausur, damit sie sich einem praktischen apostolischen Bekenntnis widmen könnten. Die Santa Congregazione indes ist allenfalls dazu bereit, den rein kontemplativen Orden (wie dem Karmel, den Dominikanerinnen, Benediktinerinnen, Augustinerinnen) die schweren, schwarzen Klostertore für einen Gang zur Urne oder zum Arzt oder eine Dienstreise nach Rom aufzuschließen.

DIE KLAUSUR FÜR DIE NONNEN bleibt in Kraft, denn an erster Stelle steht die Erneuerung des Charisma. Änderungen gibt es daher nicht im Geist des apostolischen Bekenntnisses der kontemplativen Orden, sondern nur in den praktischen Mitteln. Diese Umstellung aber schon allein ist für die Nonnen ungeheuerlich genug, denn sie fordert ihnen die äußerste Anstrengung ab. Erfolgreich mühen sich vor allem die kleinen Klausurorden (manchmal weniger als 20 Schwestern in einem Haus) mit der Erneuerung ab, und so kommt es, daß zuweilen die frömmsten, treuesten Gottesdienerinnen zugleich auch der Kirche größte Sorgenkinder sind.

Für Klausurorden wie etwa den Karmel, der noch 1941 nur Postulantinnen mit einer vierstelligen Mitgift den Schleier gab, läutete in den letzten Jahren häufig das „Hunger -glöckchen“. Die nackte Existenz blieb vielen Klausurklöstern ein unbewältigtes Problem und steckte der Kirche in ihren eigenen Reihen ein neues Missionsgebiet ab. Weil ihre zuverlässigen Gönner von einst nicht mehr leben, der Krieg ihre Häuser zerstörte oder aber nur die Zeit ihren Besitz verschlang, und weil den Nonnen selbst in ihrer bewußten Abkehr von der Welt die Orientierung für eine kluge heilende Investition abhanden kam, zerrann ihnen ihr Reichtum unter den eigenen Händen.

Der italienische Nonnenverband („Unione Superiore Maggiori d'Ita-lia) zählt in seinem Rechenschaftsbericht 1964/65 noch etliche Klöster auf, denen sanitäre Anlagen ebenso wie die notwendigste Wäsche, Kleider, Schuhe und Bettücher fehlten. Andere Häuser lebten ohne Strom, weil sie die Lichtrechnung nicht mehr bezahlen konnten. Bei den „Suore Ciarisse“ in Fiesole bei Florenz fand die Inspektorin 14 von 16 Nonnen krank. Ihnen hatte es an den notwendigen Medikamenten gemangelt.

Pius XII. hatte diesen Notstand früh erkannt und hat sich daher wie kein anderer Pontifex mit den Sorgen und Nöten der weiblichen Ordenswelt auseinandergesetzt. In seiner „Sponsa Christi“ sprach er 1950 von dem Hunger und Elend der Klöster und ordnete Erste Hilfe an. Acht Jahre später jedoch sah er sie wegen der „Ignoranz“ der Nonnen selbst gescheitert. In jener denkwürdigen Radiobotschaft vom Juli 1958, zu der er eigens die 78.000 Klausurschwestern der Welt vor das Radio zitiert hatte, erteilte der Papst den 3200 Klausurklöstern harte Lektionen: „Ihr müßt endlich begreifen, wer ihr seid und was Ihr wollt.“ In der zweiten Fortsetzung der auf drei Samstagnachmittage verteilten Botschaft drang sein entscheidendes Wort „ora et laborä“, betet, arbeitet und haltet euch selbst am Leben, über den Lautsprecher auch in die kleinste Zelle.

VON EINER HANDARBEIT ZWISCHEN den Gebetszeiten aber wird auch ein Kloster nicht satt, selbst wenn es den täglichen Pensionspreis pro Nonne nicht höher als 15 Schilling kalkuliert (ärztliche Behandlung, Bekleidung inbegriffen). Da die Ordensfrauen mit den Gelübden im Kloster für immer eingeschlossen sind, wird in Erfüllung des päpstlichen Wortes der Arbeitsplatz notgedrungen in die Klöster verlegt. Großwäschereien, Nähereien, Molkereien, Stickateliers für die feinste Damenwäsche, Kopier- und Übersetzungsbüros, Photolabors, das sind einige der Betriebe, die sich die Klöster mühsam aufgebaut haben und in denen sich die Schwestern ihr tägliches Brot verdienen. Den Dominikanerinnen in Rom installierte die italienische Parfumindustrie in einem Haus ein Labor, wo die Nonnen die feinen Düfte destillieren. Ein anderes Kloster, das der Krieg stark zerstört hatte, rackerte sich aus dem Nichts zu einem bedeutenden Spe-zialatelier der Mailänder Handschuhindustrie auf.

Andere Klöster haben sich zu unersetzlichen Zweigbetrieben der

Schuh- oder Textilindustrie innerhalb ihrer Mauern emporgearbeitet.

Die Karriere im Kloster aber ist härter als anderswo. Und die aufgezählten Beispiele sind leuchtende Vorbilder eines zähen, zermürbenden Existenzkampfes, der die meisten Klöster unvorbereitet traf. Jäh aus ihrem Leben der Anbetung Gottes gerissen, sahen sie sich über Nacht mit den härtesten Gesetzen des weltlichen Lebens konfrontiert. Begriffe wie Wettbewerb, Angebot, Nachfrage, Marktkenntnis, Lohnforderung mußten sie in ihrem einfachen klösterlichen Frieden erschrecken. Je größer die klösterliche Gemeinschaft, je größer der Ausstoß ihrer Produktion, um - so schärfer aber auch die Kalkulation — wie aber dabei noch verdienen? Das volkswirtschaftliche Abc zerfiel für sie immer wieder in eine apostolische Rechenaufgabe: zuerst arbeiten und dann beten zu Gott, damit sich Kunden finden ließen oder die Rundschreiben der Oberin nicht im Papierkorb landeten. Das Wohlfahrtsamt des Vatikans („Segretariato di assistenza per le monache e le religiöse inferme“), das seit Pius XII. den notleidenden Klöstern mit Rat und Tat zur Seite steht, bezahlte den Nonnen von 1953 bis 1960 an laufenden Rechnungen zirka 2 Millionen Schilling aus, flickte Dächer, baute sanitäre Anlagen zum Teil auch gegen den Willen der Klöster selbst aus, schickte kranke Nonnen zum Arzt oder zur Kur und rüstete die Bedürftigsten mit den wichtigsten Startwerkzeugen für den Arbeitsmarkt aus, verschenkte Wasch-, Näh- und Schreibmaschinen im Werte von rund 600.000 Schilling.

DIE KLÖSTER WIRTSCHAFTLICH AUS der Rolle des Handwerkers in die Position des Managers gedrängt, die Nonnen aus der Kapelle in die lärmerfüllte Werkstatt gerufen, diesen radikalen Umbruch bewältigten nicht alle Nonnen. In der ständigen Anspannung des kontinuierlichen Wechsels von religiöser Vertiefung und materieller Konzentration, verlangen sie nach mehr Zeit für das geistliche Leben. Wenn sie sich müde nach der Arbeit zum Chorgebet versammeln, fühlen sich die Bräute Christi wie gehetzte berufstätige Hausfrauen.

„NEUE BERUFUNGEN“, gesteht mir die Mutter einer prominenten römischen Klosterschule in der holzgetäfelten Besuchshalle des weltoffenen Klosters, „kennt unser Orden trotz seiner Freiheit nur noch in Spanien und vereinzelt in Frankreich. — Unsere Kinder sind zu reich und haben nicht die Kraft, dem Leben zu entsagen, selbst wenn sie religiös sind.“ Ohne Stocken mit festem Blick fügt die. junge Nonne unbeschwert, überzeugend hinzu: „Ich persönlich glaube, das Nachwuchsproblem der Ordenswelt ist unsere eigene Schuld. Wir haben der Welt draußen immer nur unsere Mauern, unseren Ernst, unsere Dunkelheit dokumentiert, wir haben ihr aber nie gezeigt, wie glücklich wir sind.“

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