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Besuch in Ebendorf

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12-UHR-MENSA. Unter dem Motto „Strömt herbei, ihr Völkerscharen“, kommen sie — Studenten aller Fakultäten, Sprachen, Rassen, Religionen, den Kopf angefüllt mit Leibnizschen Monaden, dem Verfassungsrecht der Ersten Republik, szenischen Problemen des mittelalterlichen Theaters, grammatikalischen Formen des Altfranzösischen — und den Mageij leer — kein Wunder. Wohlige Düfte ziehen ihnen entgegen. 4.50 Schilling an der Kasse, 3.66 Schilling im Abonnement, dafür den „Berechtigungsschein“ für ein ganzes Mittagessen. Irgendwo finden sie dann auch alle Platz. Zwölf Mädchen, Studentinnen, servieren, dafür gibt es dann ein Gratisessen. 1200 hungrige Mägen werden in der Mensa der Katholischen Hochschulgemeinde täglich gefüllt. Im letzten Studienjahr wurde mittags die beachtliche Zahl von 154.870 und abends 25.209 Portionen ausgegeben.

15 Uhr: „Sei mir nicht böse, aber da bin ich ganz und gar nicht deiner Meinung“ — hier geht, es darum, ob Sartre als ein religiöser Mensch bezeichnet werden kann —, nein, um Himmels willen, nicht im Sinne einer Konfession. — „Kinder, ich hab's“ — ein Seufzer der Erleichterung aus der Ecke hinter der Bücherwand —, die Lösung einer Differentialgleichung steht nun-' mehr endgültig fest. Zwei Medizinstudentinnen prüfen mit heißen Wangen ihr Wissen über den anatomischen Aufbau des Homo sapiens.

Der Eintritt in das Musikzimmer ist Nichtbeschäftigten verboten. — „Bandaufnahme — bitte um Ruhe!“ — „Das wird die Bühnenmusik 'für unser nächstes Stück“, belehrt mich eine Stimme aus dem Hintergrund. „Zwölf Töne sind auf jeden Fall um vier zuviel“, murmelt ein „Welthändler“ und geht Pingpongspielen.

19 Uhr: Da sitzen in einem hellgrau gemalten Raum, hinter zitronengelben Vorhängen, auf modernen Stühlen Mädchen in Hosen und Schottenröcken, Burschen in Schnürlsamthosen und Pullovern und proben die „Matthäuspassion“ des um 1700 lebenden Komponisten Kühnhauser.

„All nations club“ M bunte Fähnchen aller Nationen wehen von der Theke der Bar, In blauen Dunst gehüllt, sitzen sie um kleine Tischchen, hören Musik, diskutieren, spielen. Trotz der verschiedenen Sprachen, die sie sprechen, verstehen sie einander, denn schließlich ist ihnen allen eines gemeinsam: die Jugend, der Wille zur Arbeit und zur Verständigung und einem positiven Leben.

Seit'rund zwei Jahren besteht der Großteil der hundert Ausländer, die in diesem Klub zusammenkommen, aus Angehörigen aller vorderasiatischen Völker. Sie müssen nun nicht gleich denken, daß die katholischen Studenten nun Bekehrungsversuche unternehmen. Nein, dem Stil des Hauses entsprechend, herrscht auch hier das Prinzip der Freiheit und der Achtung vor der religiösen Ueberzeugung des Nächsten vor.

Täglich von 9 bis 14 Uhr: Arbeits- und Wohnungsvermittlung. „Kollegin, bitte, meine Englisch-, Latein- und Mathematikkenntnisse sind so, daß ich mir einbilde, anderen etwas davon abgeben zu können, und — ja wissen Sie, meine Brieftasche hat ein Loch“, solche und ähnliche Angebote laufend dauernd ein. Studenten aller Gesellschaftsschichten und väterlicher Verdienstklassen wollen, das heißt meistens, müssen arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt oder ein Taschengeld zu verdienen. Die größte Nachfrage besteht nach Nachhilfestunden, Büroarbeiten, Babysitting und sämtlichen Hijfsarbeiten. „Oder wollen Sie vielleicht Kreuztragen im Zentralfriedhof?“ — „Makabre Beschäftigung, meinen Sie, da mögen Sie recht haben, besonders bei schlechtem Wetter, aber ganz einträglich — neun Schilling pro Begräbnis. Gutes Nerventraining für angehende Mediziner!“

Die Zimmersuche ist ein anderes heikles Kapitel, heikel darum, weil es erstens zuwenig LInterkünfte gibt, und zweitens die Preise in dauerndem Ansteigen begriffen sind. Die Ausländer können freilich mehr bezahlen, aber wie soll ein armer österreichischer Student 500 und mehr Schilling für ein Zimmer bezahlen können. Aber dafür haben die Vermietenden meist wenig Verständnis.

Krankenfürsorge ist auch eine jener Aufgaben, denen sich die Studentinnen aus „Ebendorf“ gerne unterziehen. Sie besuchen kranke Kollegen auf der Baumgartner Höhe oder im Lungenpavillon des Lainzer Krankenhauses, damit diese den Kontakt mit der Hochschule nicht ganz verlieren. Auch der Madrigalchor findet zu den verschiedensten Anlässen ebenfalls immer wieder den Weg in die Klankenzimmei, um ein wenig Freude zu bringen.

DIESE BLITZLICHTER mögen einen kleinen Einblick geben in die äußere Arbeit einer Institution, deren Anfänge im Krieg und am Rande des „Untergrunds“ zu finden sind. •

Freilich, „Hochschulseelsorge“ hat es immer gegeben, bis 193 8 waren die christlichen Organisationen und Vereine mit der Aufgabe betraut, den jungen Menschen in der Zeit beizustehen, in der man sich für gewöhnlich über seine Weltanschauung klar wird. Nach jenem 13. März jedoch wurden alle diese Vereine verboten, und man war gezwungen, neue Wege zu suchen. Kardinal Innitzer machte die Peterskirche zur Studentenpfarre, und dort begann man nun, den Studenten — anfangs war es nur ein kleiner Kreis — jene Einheit des christlichen Lebens deutlich zu machen, die sich zusammensetzt aus dem Kult, der Verkündigung der christlichen Botschaft und der brüderlichen Gemeinschaft. Kirche, Sakristei und die Wohnung des damaligen Kuraten Dr. Karl Strobl, mehr stand ihnen nicht zur Verfügung. Doch entfaltete sich dort bald ein reges Leben, immer unter dem Damoklesschwert des nationalsozialistischen Regimes. Die Tätigkeit der mit dieser schwierigen Aufgabe betrauten Priester, Dr. Erwin Hesse, Dr. Karl Strobl und Dr. H. Diego Goetz, reichte vom rein kirchlich sakramentalen Bereich über alle fürsorglichen Fragen bis zu den gesellschaftlichen Zusammenkünften und Wanderungen, welche mit dem Titel „Kunststättenfahrten“ getarnt waren.

Sie feierten die heilige Messe, veranstalteten Bibelrunden, suchten den Kontakt mit jenen aufrechtzuerhalten, die an der Front standen, spielten Theater und diskutierten. Es gelang ihnen dann, dem immer größeren Andrang gerecht werdend, eine größere Wohnung im Pfarrhaus zu bekommen, in der zwar außer ein paar dürftigen Tischen und Stühlen nur der gute Wille und eine tiefe Begeisterung beheimatet waren.Die alte, schon etwas morsche und abgetretene Wendeltreppe wurde mit einem Male Zeuge eines dauernden Auf und Ab.

1939 wurde Dr. Hesse verhaftet. 1941 bekam .P. H. Diego Goetz „Ostmarkverbot“. Alle anderen Mitarbeiter standen mit einem Fuß im KZ. Und doch war dies pulsierende christliche Leben nicht zu unterdrücken, und als das Großdeutsche Reich in Trümmer sank und Wien von den vier Alliierten beherrscht wurde, fing der verbliebene Kern der Gemeinde an, weiterzubauen und weiterzuarbeiten. 1945 wurde dann auch der Name „Katholische Hochschulgemeinde“ geprägt, der bis heute nicht nur die äußere Gestaltung, sondern auch für die Konstitution bezeichnend ist, denn es wuchs in Wahrheit eine Gemeinde, eine moderne christliche' Gemeinde junger Menschen heran.

Zwei Tage nach dem Einmarsch der Russen verhandelte Dr. Schubert über die Freigabe der Universität. Ergebnis: positiv Bei den Aufräumarbeiten und der Errichtung einer ersten, den Verhältnissen angemessenen, noch sehr bescheidenen Mensa waren die katholischen Studenten wesentlich beteiligt. Man mietete eine Großwohnung in der Ebendorferstraße, vorerst auf Nummer sechs. Erst 1950 konnte man in das Haus Nummer acht umziehen und' dort jenes Werk beginnen, das heute nach allen Erfordernissen eines modernen Lebens eingerichtet ist.

1948 wurde die „Marchfeldaktipn“ ins Leben gerufen. Jeden Herbst wandern etwa hundert Studenten im Raum von zwei Dekanaten von Hof zu Hof, um für die Studentenmensa zu sammeln. An einem Samstag wird notiert, was jeder Bauer zu geben bereit ist. und am kommenden Wochenende fahren dann ungefähr zehn Lastautos hinaus, um die Spenden abzuholen. Vergangenes Jahr belief sich das Ergebnis der Aktion auf fünfzig Tonnen Kartoffeln, sechs Tonnen Mehl, verschiedenste andere Lebensmittel und einen ansehnlichen Geldbetrag, welcher dazu verwendet wurde, mittellosen Studenten Freiplätze oder Ermäßigungen in der Mensa zu gewären.

Heute wie damals, im dunklen Pfarrhof der Peterskirche, ist der innerste Kern der Gemeinde , jedoch der Gottesdienst und das Ziel, die christlichen Glaubenssätze auch wirklich zu leben. Die rund fünfhundert Mitglieder der Katholischen Hochschuljugend Oesterreichs, die nicht erfaßbare Zahl jener, die in ungebundenem Kontakt mit der Gemeinde stehen — das Haus Ebendorferstraße 8 ist für alle da, welcher Nation und Religion sie immer sein mögen —, kommen zusammen„ um zu beten, zu arbeiten, zu essen, zu diskutieren und ihre- Freizeit sinnvoll zu gestalten. Jedem Talent, jeder Aktivität .'ist freier Raum gewährt. Die Mensa, welche von 11,30 Uhr bis 14 Uhr geöffnet ist. bietet auf einmal zirka 150 Menschen Platz. Für -die Diskussion — man sucht dem Gespräch wieder zu seinem Recht zu verhelfen — und die Arbeit stehen eine Reihe modern eingerichteter Räume zur Verfügung, in welchen auch Tanzkurse abgehalten werden, sich Gleichgesinnte zusammenfinden, um zu musizieren und zu spielen. Ein Studentenheim, welches jetzt 20, bald aber 60 Studenten beherbergen wird, trägt dazu bei, die Gemeinschaft noch enger zu knüpfen. Auf meine Frage, wie denn dies alles finanziert wird, antwortete man mir mit einem leisen Lächeln: „Wissen Sie, hier hat sich schon hundertmal die wunderbare Fügung. Gottes bewahrheitet. Es kommt immer wieder zur rechten Zeit Hilfe. Die Studenten selbst sind im Rahmen ihrer Möglichkeit zur Selbsthilfe bereit, und wenn dies nicht mehr ausreicht, so greifen uns Freunde unter die Arme, welchen das Wohl und das Gedeihen unserer Gemeinschaft am Herzen liegt. Unsere Kontonummer lautet übrigens 183.362, aber das nur so nebenbei!“

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