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„Studentenbude“ Anno 1964

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WENN MAN EINMAL DEN OFTGENANNTEN Sozialstaat Österreich auf der Suche nach seiner Berechtigung von den Studenten her beleuchtet, so drängt sich bald der leise Zweifel auf, daß hier nicht jedes Licht der Errungenschaften auf dem gleichen Leuchter sitzt. Im Pendelschwung der Zeit- und Geldfrage, der Sozialversicherung und Altersversorgung scheint das Problem der Studierenden, der sozial erst Werdenden etwas weiter in den Hintergrund gerutscht zu sein. Zumindest auf das Nebengeleis einer Nebenher-Behandlung. Denn dem Studentenstand wird heute sehr oft unter vielen Geldverdienern und Steuerzahlern aller Grade und Einkommensstufen seine Produktivität oder produktive Berechtigung im Lande abgesprochen.

„Der Herr Student verdient nichts, er hat nichts, er bildet sich sogar noch was drauf ein und wir müssen ihn schließlich erhalten“ — oft genug gehörter Satz in der Straßenbahn, auf der Straße, gemurmelt von Handwerkern, die an den Mauern der „Alma Mater Rudolphina“ herumhantieren.

Wenn man nun solche einseitig erhobenen Vorwürfe gegen den studentischen Schlendrian und dessen Unproduktivität ausklammert, so bleibt ein weites Feld von Fragen offen, die sich über diese Vorwürfe schieben:

Hat der Student eine soziale Gleichberechtigung, hat er an allen sozialen Wohlfahrtsgenüssen Anteil, die jeder arbeitende Staatsbürger erhält? Ist die Studentenkrankenkasse bis zu den Grenzen ihrer Finanz- und Leistungsfähigkeit im Einsatz? Diese Frage sollte ebenfalls ausgeklammert werden. Fachleute werden hier solche und solche Schlüsse ziehen.

Dann bleibt hier noch das vordringlichste Problem: Die Nahrungsund die Wohnungsfrage. Die Nahrungsfrage wurde durch die verschiedenen Hochschulmensen weitestgehend gelöst. Wer hat, der kann ja ohnehin ins Gasthaus gehen. Wer nicht hat oder weniger hat, der findet in der Mensa ein genügendes Auslangen.

Die Wohnungsfrage allerdings gibt nun die absolute Berechtigung zum Vorwurf seitens der Studenten, daß hier das soziale Ausgleichspendel des Staates weitgehend darüber hinweg schwingt.

Denn wenn durch die jüngst in- stitutionierten Auszahlungen von staatlich gewährten Studienbeihilfen — man nennt sie heute schon „Studentenpensionen“ oder „Jünglingsrenten“ — auch einem weiten Kreis von Minderbemittelten der „Hochschulmarkt“ erschlossen wurde, wenn ihnen seit einem halben Jahr bereits sehr tatkräftig unter die Arme gegriffen wird, so hat der staatliche Geldgeber anderseits weniger Rücksicht- und Anteilnahme in den anderen Belangen des studentischen Lebens aufgebracht. Hier übersieht man die studentischen Nöte.

ES FEHLT CHRONISCH an Unterbringungsmöglichkeiten, in denen der Student ein neues und eigenes zu Hause finden kann. Der akademische Start wurde erleichtert, die Erreichung des Zieles ist jedoch nach wie vor schwer. Schwerer sogar als früher. Man reibt sich auf an den Kleinlichkeiten und Kleinigkeiten der Wohnungssuche. Nach wie vor.

In anderen Ländern und Wohlfahrtsstaaten hat man längst auch diese Seite der studentischen Nöte erkannt und das soziale Unterstützungspedal zu treten begonnen. Schweden, Deutschland und Frankreich sind beispielgebend im Bau von Unterbringungsmöglichkeiten. Studentinnen- und Studentenheime, große Wohnbezirke wurden geschaffen, in denen das Leben der Studierenden über die „Uni“-Grenzen und Vorlesungsstunden hinaus ablaufen kann, Einklang finden soll. Die Pariser „Cite Universitaire“ steht als berühmtes Beispiel da. Schweden hat auch b reits für Studenten-Ehenaare seine staatlichen Unterstützungskanäle geöffnet. Dort wird gefördert, was hier noch strikte abgelehnt oder in eine ferne Zukunft hinüberverwiesen wird, mit der man heute pocb nichts zu Um haben will.

Und schließlich noch ein großer Punkt der Anderwertigkeit in einigen europäischen Nachbarländern: Die Vergebung von Studentenbehausungen hängt nicht von weltanschaulichen Richtlinien, sondern einzig und allein von der Bedürftigkeit ab.

Alltagssorgen und Fragen nach der sozialen Einordnung im Staate einerseits und innerhalb seines eigenen Standes anderseits hat es beim Studenten immer gegeben. Ob man nun in Deutschland, in Schweden oder -in Österreich selbst herumschaut.

Im letzteren Lande beginnt sich jedoch seit nunmehr fünf Jahren die erfreuliche Tätigkeit einer Institution bemerkbar zu machen, die über allen Ausklammerungen und Vorschriften hier wie dort, dem Volk der werdenden Akademiker einen neuen und bemerkenswerten Weg der Hilfe auszubauen begann, der sich von Jahr zu Jahr zu erweitern beginnt.

Zum richtungsweisenden Wegbauer in eine vorwurfsfreie und sprichwörtlich gut etablierte Studentenzukunft hat sich nun eine Organisation aufgeschwungen, die erst im Jahr 1958 ins Leben gerufen wurde. Initiatoren waren die Studenten selbst, die Österreichische Hochschülerschaft. Mit dem alleinigen Blickpunkt „Studentenwohnheimbau in Österreich“ war damals die „Österreichische Studentenförderungsstiftung" geschaffen worden, eine Stiftung also, deren Wirkungsbereich sich auf das gesamte bundesrepublikanische Gebiet erstreckt.

Geldgeber hatten sich gefunden, um einmal gründlich der oftgehörten Klage der sozialen studentischen Vernachlässigung entgegenzutreten. Daß die Entkräftigung dieser Klagen nicht von heute auf morgen ging, ist klar. Daß über die „Studentenförderungsstiftung“ hinaus für den Bau von Wohnplätzen unter alleiniger, ganz alleiniger Berücksichtigung der Bedürftigkeit bei der späteren Vergabe noch viel mehr getan werden muß, ist ebenfalls klar. Die gesamten studentischen Bedürfnisse sind noch lange nicht gedeckt und aus dem Feld der Klagen herausgeführt.

EIN STATISTISCHER ZAHLENVERMERK soll über die Fingerzeige hinweg auf den Stand der konkreten Tatsachen verweisen:

In Österreich bestehen derzeit 57 Studentenwohnheime mit 5098 Plätzen. Wien als größte Hochschul- stadt hält mit 2932 Heimplätzen die Spitze. Es folgen Graz mit 1068, Innsbruck mit 621, Leoben mit 392 und Salzburg mit 185 Heimplätzen. Einige Projekte sind noch im Bau. Nach ihrer Fertigstellung wird Österreich über rund 5700 Heimplatze verfügen.

Damit können etwa zehn Prozent aller Studenten Österreichs in Heimen wohnen. Der Rest aller „auswärtigen“ Studenten lebt in den vielen und trotzdem ständig raren, oft sehr teuren Untermietszimmern, in denen ein Hausherr den absoluten Ton angibt.

46 Prozent aller österreichischen Studenten leiden unter sozialer Bedürftigkeit. Sie sollten für einen Heimplatz zunächst in Betracht kommen, aber das Sieb der Auswahl ist eng und die Löcher sind nicht immer nach den Normen der Bedürftigkeit gestanzt.

Außerdem studieren an öster reichischen Hochschulen noch etwa

10.000 Ausländer. Sie sind meist „reicher“ als das Gros der Inländer. Deshalb können auch nur 15 Prozent von ihnen in einem Wohnheimbauprogramm berücksichtigt werden.

Fazit dieser Rechnung, ohne das noch für die nächsten Jahre zu erwartende Ansteigen der Hörerzahlen zu berücksichtigen: es fehlen schon jetzt annähernd 5000 Plätze. Es fehlen 400 Millionen Schilling. Denn ein Platz kostet rund 80.000 Schilling ohne Grundbeschallungskosten.

DER HEIMBESTAND WIRD VON EINIGEN großen Organisationen verwaltet: Caritas der Erzdiözese Wien, Internationale Studentenhausgesellschaft Innsbruck, Studentenunterstützungsverein Akademikerhilfe und Österreichische Studentenförderungsstiftung.

Diese vier größten Institutionen arbeiten nicht alle nach gleichen Richtlinien. Der neue Wohnbau und die moderne Planung werden hier vor allem von der jungen „Studentenförderungsstiftung“ vorangetragen. Weltanschauung wurde umgeschrieben auf Bedürfnisfragen. Und dieser Organisation ist schließlich auch der „innere“ Aufbruch in der modernen Wohnbaugestaltung zu danken, wie er etwa in dem berühmtgewordenen Studentenheim im Grazer Hafnerriegel zum Ausdruck kommt. Ebenso in den neuen Plänen und Prospekten. „Heller, schöner, individueller“ heißt das Motto. Der Kasernencharakter soll der Uniform überlassen bleiben. Keine Wohn- trakte mit reihenlangen Zimmerfluchten mehr. Wohneinheiten, sozusagen Wohnungen im großen Stil sollen geschaffen werden, in denen fürderhin nur noch bis zu 15 Studenten in einer Gemeinschaft hausen.

Hier war die Stiftung in Österreich richtungsweisend, denn der Gedanke der Wohnungsgemeinschaft fand seine Erfüllung. Am Grazer Hafnerriegel wohnen jeweils fünf Studenten zusammen in einem Stockwerk. Zusammen in einer großen Wohnung. Dort haben sie ein eigenes zu Hause. Mit allem Drum und Dran.

Zurück zum Jahr 1958, dem Gründungsjahr der Stiftung.

In den ersten Referaten, und Besprechungen der Hochschülerschaft war bereits das große Wohnungsmanko zum Ausdruck gekommen: „Man baut zu kleine Zimmer. Man baut Kasernen, in denen von einem inneren Wohlfühlen der Studenten kaum mehr die Rede sein kann. Man baut fast nur .weltanschaulich“. Man baut trotz allem zu langsam und zu wenig. Man hat zu wenig Geld.“ Daher beschloß die Stiftung ebenfalls zu bauen und neue Maßstäbe anzulegen: „Es sollen keine Häuser mit Zimmerfluchten, keine Hotels mehr gebaut werden. Es soll nicht nur gebaut werden, damit Studenten billiger wohnen können; es soll die Lösung eines Erziehungs- und Bildungsprinzips überhaupt gefunden werden.“

Nach diesen wörtlichen Direktiven begann man auch vorzugehen. Eine vorhergehende Bestandaufnahme hatte gezeigt, daß viele Gelder, die vom Staat für Studentenwohnbauzwecke abgegeben wurden, symbolisch bloß in einen sozialen Abflußkanal gewandert waren, denn in den großen Studentenkasernen konnte und kann das eminent wichtige Erziehungs- und Freizeitproblem des jungen Studenten nicht gelöst werden. Zimmerverbot für Heimfremde. Mädchenflirts, denen man nur auf Bänken im Park nachgehen kann... eine Basis der Koedukation in studentischen Gemeinschaftsräumen muß gefunden werden. Die „Studentenförderungsstiftung“ will auch hier den richtungsweisenden Weg gehen. Man geht sogar so weit, in absehbarer Zukunft einmal an die Errichtung eines Wohnheimes für Studentenehepaare zu denken; die mancherorts bespöttelte „Jünglingsrente“ hat ja dieser Entwicklung eine neue Richtung gegeben. Man wird hier noch abwarten müssen, ob durch die großzügigen Studienbeihilfen die Studentenehen in Österreich anstei- gen werden.

DIE STIFTUNG VOLLENDETE BEREITS im Sommer 1960 den Bau ihres ersten Studentenheimes in der Führichgasse im I. Bezirk. 40 Studenten bezogen das neue Haus. Neue

Projekte folgten. Von der österreichischen Hochschülerschaft wurden kurz darauf als nächstes zwei in fremde Häuser eingemietete Heime übernommen; eines davon, das Haus in der Boltzmanngasse im IX. Wiener Gemeindebezirk, wurde ausschließlich für Studentinnen etabliert.

Das Unternehmen lief erfolgreich weiter und die Geldgeber — das Bundesministerium für Unterricht, die Industriellenvereinigung, die Bundeskammer der Gewerblichen Wirtschaft, das Studentenförderungswerk der Land- und Forstwirtschaft, die einzelnen Bundesländer und einzelne Firmen — griffen den Planern finanzkräftig unter die Arme.

Heute besitzt die Stiftung insgesamt sechs fertige Heime; zwei sind im Bau und zwei befinden sich in Planung. Bei einem im Bau befindlichen Grazer Heim wurde bereits die studentische Koedukation eingeplant. Burschen und Mädchen werden in einem gemeinsamen Heim wohnen.

In den Stiftungsheimen wohnen heute bereits 785 junge Menschen. Nach der Fertigstellung der beiden im Bau befindlichen Heime werden abermals 225 neue Plätze hinzukommen. Der Zimmerpreis beträgt im Durchschnitt 200 Schilling.

Stellt man zu den Leistungsfakten noch die finanzielle „Wertschätzung“ dazu: Die jährliche Stiftungsgebarung beläuft sich zur Zeit auf etwa 34 Millionen Schilling. In die fertigen Heime wurden bisher rund 23 Millionen Schilling hineingesteckt.

Die „Soziale Anhebung“ des Studentenstandes durch die Stiftung erfolgte bisher auf der breiten Basis von Subventionen und Spenden; sie wird angeführt von zwei Stiftungsorganen, die laut Signum und Abstimmungsbeschluß des Zentralausschusses der österreichischen Hochschülerschaft vom 6. Mai 1958 geschaffen wurden: es sind dies Kuratorium und Geschäftsführung.

DAS KURATORIUM BESTEHT

AUS drei Hochschulprofessoren, acht Vertretern des Zentralausschusses der österreichischen Hochschülerschaft und dessen Vorsitzenden selbst, ferner aus vier Vertretern des „Wahlblocks Österreichischer Akademiker“, zwei Vertretern des „Ringes Freiheitlicher Studenten“ und einem Vertreter des „Verbandes

Sozialistischer Studenten“. Letztlich haben sich auch noch vier Vertreter von Vereinen, die sich im Sinne des Stiftungszweckes betätigen im Kuratorium konstituiert.

Aus der Konstellation dieses

Kuratoriums ist am deutlichsten zu ersehen, daß hier alle politischen und weltanschaulichen Richtungen und Studentenstände den Hut einer gemeinsamen Sache, einer gemeinsamen Aufgabe tragen. Die Blickrichtung läßt hier kaum noch einseitige Orientierungswege zu.

Ein erfreuliches Gremium aus allen Lagern hat sich aufgemacht, um den Studenten zu helfen. Und es ist beispielgebend geworden. Denn es ist darangegangen, das soziale Ausgleichspendel auch für die Studenten in Schwung zu setzen.

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