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Zum Bummeln gezwungen?

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Der Student steht bekanntlich bei vielen Leuten in dem Ruf, zum Bummeln und Verbummeln zu neigen, worunter man versteht, daß er alles mögliche tut, nur nicht das, was er tun soll — ■ nämlich studieren. Tatsächlich erreichen 60 Prozent aller österreichischen Erstinskribenten nicht ihr Studienziel — sie verbummeln sich und bleiben früher oder später auf der Strecke.

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Der Student steht bekanntlich bei vielen Leuten in dem Ruf, zum Bummeln und Verbummeln zu neigen, worunter man versteht, daß er alles mögliche tut, nur nicht das, was er tun soll — ■ nämlich studieren. Tatsächlich erreichen 60 Prozent aller österreichischen Erstinskribenten nicht ihr Studienziel — sie verbummeln sich und bleiben früher oder später auf der Strecke.

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Ein umfangreiches, vom Zentralausschuß der österreichischen Hochschülerschaft vorgelegtes Material macht allerdings wieder einmal darauf aufmerksam, daß offenbar viele Studenten keineswegs freiwillig, sondern unter dem Zwang der Verhältnisse nicht das tun, was sie tun sollen, nämlich studieren — sondern das, was sie tun müssen. Nämlich arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Es ist ein offenes Geheimnis, daß der klassische Werkstudent, nämlich der Studierende mit fester Stellung, an den Hochschulen oft keine sehr wohlgelittene Erscheinung ist. Hier wird ein gewisser schichtenspezifischer Abstoßungsmechanismus sichtbar, der die gesellschaftlich noch immer mehr oder weniger homogene Schichte der Akademiker vor allzuvielen Eindringlingen „von unten“ schützt. Auf der anderen Seite aber, und dies ist die harte Realität, müssen 40 Prozent der österreichischen Studenten mehr oder weniger ständig und 55 Prozent während der Ferien arbeiten, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Denn laut Novelle 1971 zum Studienförderungsgesetz kann ein österreichischer Student vom Staat im günstigsten Fall (als Vollwaise oder wenn die Eltern völlig erwerbslos sind) 1900 Schilling monatlich erhalten.

Allerdings sind 50 Prozent aller Arbeitsangebote für Studenten Mädchen vorbehalten, die aber nur 28 Prozent der Studierenden aus-

machen. (Mädchen sind nämlich billiger — und mitunter auch williger, sich noch ein bißchen mehr „ausbeuten“ zu lassen?)

Der staatlichen Maximalförderung von 1900 Schilling monatlich (die privaten Stipendien sollen kaum ins Gewicht fallen) stehen Lebenshaltungskosten gegenüber, die für Studenten wesentlich schneller steigen als für den Rest der Bevölkerung. Selbst unter Annahme von nur 840 Schilling Wohnungsaufwand (inklusive Beheizung und Beleuchtung) gibt ein Student heute (laut Statistik der Hochschülerschaft) mindestens 3606 Schilling im Monat aus. Viele Studenten zahlen für ihr Zimmer mehr. Zum Teil wesentlich mehr. Vor allem Ausländer, aber auch Österreicher.

Offenbar dämpft der steigende Lebensstandard die Bereitschaft der österreichischen Stadtbevölkerung, Zimmer abzugeben. Das Privatzimmerangebot ist gegenüber Herbst 1972 alarmierend zurückgegangen — um 25 Prozent. Dabei sind 65 Prozent aller zur Verfügung stehenden Privatzimmer Studentinnen vorbehalten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Mädchen müssen sich rigoroseren Hausordnungen fügen, vor allem aber das Zimmer — bei gleichem Preis — selbst in Ordnung halten.

Die österreichische Hochschülerschaft stellt daher Forderungen, die teils bescheiden, teils unbescheiden sind, stieß dabei aber bisher zum Teil auch mit mehr als bescheidenen

Bitten auf wenig Gegenliebe. So würde der geforderte verstärkte Bau von Studentenheimen Einsatz erheblicher zusätzlicher Budgetmittel erfordern — die Hochschülerschaft hält als Endziel an der Unterbringung von 30 Prozent aller Studierenden in Studentenheimen fest. (Derzeit können pro Jahr nur 350 Heimplätze neu errichtet werden.)

Bisher wurden auch noch nicht die Hausordnungen der bestehenden Heime der überfälligen „Modernisierung“ unterzogen — aber auch die ersehnten Preisstützungen, die die meisten europäischen Länder ihren Studenten für das Essen in der Mensa gewähren, kommen zwar den Ministerialkantinen, nicht aber Mensen zugute. Der Zentralausschuß der Hochschülerschaft konnte nicht einmal den Mensenpool verwirklichen, da das Wissenschaftsministerium bezüglich der organisatori-

schen Zusammenschließung der Studentenküchen, die billigeren Einkauf ermöglichen würde, sich „nach wie vor säumig“ zeigt.

Viele Dinge, die den Schülern zugutekommen, obwohl sie sie nicht brauchen, werden Österreichs Studenten — obwohl sie sie bitter benötigen — vorenthalten. Gratisbücher zum Beispiel. Während in den USA 30 bis 40 Prozent der Studierenden Plätze in den Hochschulbibliotheken zur Verfügung stehen, sind es in Wien 2,5 Prozent. Die ÖH fordert: Entleihung von Lehrbüchern („Schülerladen“) für die Studenten.

Die Tarifverbilligung auf den öffentlichen Verkehrsmitteln wurde sogar wieder abgeschafft und führte, als Stein des Anstoßes, zu einer neuen Aufrollung des Gesamtkomplexes studentischer Lebensprobleme. Dazu gehören auch Mängel im studentischen Gesundheitswesen, die Frau Minister Leodolter auf den Plan rufen sollten, wenn sich schon Häuser schwerhörig zeigt. Heute steht nicht einmal an jeder Hochschule ein Turnsaal für die Studierenden zur Verfügung.

Gefordert wird eine neuerliche Novellierung der 29. ASVG-Novelle, die den Studenten eine freiwillige Selbstversicherung bei einem monatlichen Beitragssatz von 46.80 Schilling ermöglicht, wobei aber „wegen verschiedener Prinzipien des österreichischen Sozialversdche-rungsrechtes“ vom Sozialministerium die einzig taugliche Pflichtversicherung abgelehnt wurde. Auch eine Reihe von Härtefällen blieb unberücksichtigt. So können alle jene Studenten, die ein dauerndes Leiden haben, diese — gerade für sie wichtige — Selbstversicherung nicht abschließen.

Für sie ist die Hochschülerschaft gezwungen, im Wirtschaftsreferat eine eigene Selbsthilfeeinriohtung weiterbestehen zu lassen und damit das bisherige, abgeschaffte Vorsorgesystem in verkleinerter und zweifellos äußerst unrationeller Form weiterzuführen.

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