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Die fremden Hörer

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EINE SOEBEN AUS FINNLAND in Wien eingetroffene Architekturstudentin, Pirkko S., erklärt in einem deutsch-französischen Sprachengemisch dem Referenten des Osterreichischen Auslandsstudentendienstes, daß sie drin-gendst eine Unterkunft suche. Ein Taxi brachte die Studentin mit all ihrem Gepäck direkt in die Führichgasse. (Der Broschüre „Studium in Osterreich“, welche sie über die Botschaft erhielt, hatte sie die Adresse entnommen.) Nun steht sie also hier, allein in einer völlig unbekannten Millionenstadt, zwar mit einem wartenden Taxi vor dem Haus, aber ohne Quartier.

Die Maschinerie beginnt zu laufen, auf besonders raschen Touren sogar. Die Karteikarten mit den freien Zimmern werden durchgeblättert, wobei immer auf den in Blockschrift notierten Vermerk: „nur Westeuropäer“ geachtet wird. Denn fast jede Vermieterin, die hier ein freies Zimmer anmeldet, hat ihre besonderen Wünsche, wie beispielsweise: nur Deutsche, nur Orientalen, keine Südeuropäer, möglichst Engländerin usw., je nachdem, welche Erfahrungen sie schon gemacht hat.

Die für die Studentin in Betracht kommende Anzahl an Zimmern ist gering. Eine immer wiederkehrende Feststellung: die Nachfrage nach Zimmern ist mehr als doppelt so groß als das Angebot.

Aber der junge Mann hinter dem Pult, selbst Student, hilft gerade deshalb, so gut er kann. Er telephoniert mit etlichen Vermieterinnen, betont dabei immer wieder die Notwendigkeit einer sofortigen Besichtigung, bis er schließlich Glück hat. Ein anderer Kollege begleitet nun die junge Dame, um das Zimmer ebenfalls anzusehen und festzustellen, ob der dafür geforderte Preis angemessen sei. Dies ist eine Neueinführung, um die ausländischen Studenten, die. anfangs oft mit großen Sprachschwierigkeiten zu kämpfen haben, vor einem unbegründeten Preiswucher zu schützen.

Der gebotene „Komfort“ steht nämlich meist in keinem Verhältnis zu den hohen Zimmerpreisen.

Sichtlich erleichtert, daß sie die erste Hürde genommen hat, verläßt die finnische Studentin — ein Fall von hunderten, ja tausenden — die Zimmervermittlung.

Den ausländischen Studenten bei der Quartierbeschaffüng behilflich zu sein, ist aber nur eine der vielen Aufgaben, die sich der Österreichische Auslandstudentendienst gestellt hat.

ÖSTERREICH STEHT AN DER SPITZE jener Länder, die ausländische Studenten ausbilden. Rund 50.000 Hörer waren im Wintersemester 1962/63 an allen österreichischen Hochschulen und Kunstakademien inskribiert, davon ungefähr 13.000 Ausländer. Der Anteil der aus den sogenannten Entwicklungsländern, aus Griechenland und der Türkei Kommenden beträgt dabei mit mehr als 6000 in ganz Österreich rund die Hälfte. Man kann also sagen, daß jeder vierte Studierende in Österreich ein Ausländer ist. Die Aufgaben, die dadurch dem Staat und den Hochschulen sowohl in betreuungsmäßiger als auch in finanzieller Hinsicht gestellt werden, sind groß.

Abgesehen davon, daß jeder Student, ob In- oder Ausländer, den österreichischen Staat jährlich 20.000 Schilling kostet und der Beitrag zur Entwicklungshilfe daher indirekt 120 Millionen Schilling beträgt, wurden zentral gelenkte Maßnahmen zur Betreuung ausländischer Studenten immer notwendiger.

Man erkannte bald, wie wichtig es ist, dem ausländischen Hochschüler bei seiner Ankunft im Gastland die Möglichkeit zu bieten, sich an eine seine Interessen vertretende Stelle wenden zu können. So beschloß die Rektorenkonferenz vom 16. Oktober 1961, den Österreichischen Auslandsstudenten-'die'nst (ÖAD) zu gründen. Ihm sind sämtliche österreichische Hochschulen und Kunstakademien sowie die Österreichische Hochschülerschaft beigetreten.

So wie die Österreichische Hochschülerschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Interessen der inländischen Studenten vertritt, ist nun seit Herbst 1962 für die studienmäßige Betreuung der Ausländer der ÖAD zuständig. Geschäftsstellen wurden in sämtlichen Hochschulorten Österreichs eingerichtet; Auskünfte und Informationen im Ausland erteilen die Botschaften und zahlreiche Interessenvertretungen.

AUS ALLER WELT treffen monatlich 200 schriftliche Anfragen in der Wiener Geschäftsstelle in der Führichgasse ein. So schreibt ein Ghanese: „Zu welchem Studium können Sie mir raten? Ich möchte in Wien studieren und in drei Jahren ein Diplom erhalten.“ Diesem Mann werden daraufhin entsprechende Vorinformationen über Studien- und Lebensbedingungen sowie Informatiortsbroschüren, die verschiedenen Studienrichtungen betreffend, zugesandt.

Er wird darauf aufmerksam gemacht, daß er sich laut Bestimmungen vor der Inskription einer Deutschprüfung zu unterziehen hat. Eine Vorschrift, die für alle Ausländer gilt. Aber man legt dem zukünftigen Studenten nahe, sich auf alle Fälle vorerst einmal für ein bestimmtes Fachstudium zu entscheiden.

Sind die Studenten erst einmal hier, so tauchen wieder unzählige Probleme und Fragen für sie auf.

Die erste Hürde ist die Inskription. Damit aber nicht so mancher ausländische Hörer resigniert vor den zahlreichen Formalitäten kapituliert, richtete der Österreichische Auslandsstudentendienst an der Universität und Technischen Hochschule in Wien, wo die größte Zahl aller Ausländer studieren, aber auch in anderen Hochschulorten, einen eigenen Inskriptions-Beratungsdienst ein. Auskünfte werden sowohl in englischer, französischer und spanischer Sprache, als auch in Arabisch, Türkisch, Persisch und Griechisch erteilt. Als Berater helfen ausländische Kollegen höherer Semester, die in allen einschlägigen Fragen gut informiert sind. Diese Einrichtung erfreut sich besonders großer Beliebtheit.

IN DER VORDERBRÜHL, knappe zwei Kilometer von Mödling entfernt, steht ein modernes Studentenheim. Einst ein Hotel, dann für Ungarnflüchtlinge umgebaut, werden hier seit Oktober 1962 vom Österreichischen Auslandsstudentendienst die Vorstudienlehrgänge, eine Einrichtung der Rektorenkonferenz, abgehalten.

Was heißt nun Vorstudienlehrgang? Auf Grund der seit Herbst 1962 geltenden neuen Aufnahmebestimmungen an den österreichischen Hochschulen können Studienwerber aus Ländern mit einem andersartigen Schulsystem als bei uns nur dann zum Hochschulstudium zugelassen werden, wenn sie entweder in ihrem Heimatland an einer höheren Schule, die mit Hochschulreife abschließt, besonders gute Noten erworben oder in Österreich einen Vorstudienlehrgang mit Erfolg absolviert haben.

Der Rektor oder der jeweils zuständige Dekan entscheidet auf Grund des vorgelegten Reifezeugnisses, ob der ausländische Student einen Vorstudienlehrgang besuchen muß oder nicht.

Diese Bestimmungen sollen eine gewisse Auslese ermöglichen.

Vorstudienlehrgänge gibt es bereits seit einigen Jahren in der Schweiz und in Deutschland. In Österreich wurde erstmals im Vorjahr an der Montanistischen Hochschule in Leoben ein derartiger Lehrgang durchgeführt, allerdings in einem relativ bescheidenen Rahmen. Dann folgte Mödling mit derzeit 90 internatsmäßig untergebrachten Teilnehmern.

Mittelschulprofessoren bereiten nach Art des College-Systems die in der Zwischenzeit als außerordentliche Hörer geführten Studenten auf eine Art „Ergänzungsreifeprüfung“ vor.

Prof. Dr. Berger, Direktor des Heimes und von seiner Sprachkurstätigkeit in England und an der Wiener Universität her an den Umgang mit ausländischen Studenten gewöhnt, erklärt die Kompliziertheit des Stundenplans. Es wird Mathematik — für Techniker fünf Wochenstunden, drei Wochenstunden für Mediziner —, Physik, Chemie, Naturgeschichte und Europakünde unterrichtet. Aber vor allem viel Deutsch.

Vorerst gibt es einen Elementardeutschkurs, dann werden die einzelnen Hörer individuell verschieden, je nach der Richtung ihres künftigen Studiums — und Direktor Berger spricht in diesem Zusammenhang mit Recht von „seiner Miniaturhochschule“ —, in einem bestimmten Fachdeutsch unterwiesen. Dieser besonders intensive Deutschkurs umfaßt bis zu 22 Wochenstunden.

„DER AUTO“ UND „DAS GARTEN“ heißt es noch öfter, doch holpert trotzdem die deutsche Konversation schon recht beachtlich voran.

Sechzehn junge Menschen aus Griechenland, Ceylon, Jordanien, Äthiopien, dem Irak und Persien, darunter zwei junge Damen — übrigens die einzigen im Heim — lernen erstmals seit Oktober hier Deutsch. Frau Doktor P., die Deutschprofessorin, hält die Äthiopier für besonders intelligent. Sie findet, „daß die Hörer sehr aufmerksam und leicht lenkbar sind. Sie kommen mit viel Vertrauen zu uns“.

Und was halten die Studenten von der Idee dieser Vorstudienlehrgänge? Makki M-Hamani (21), Medizinstudent aus dem Irak, war anfangs enttäuscht, als er erfuhr, daß er auf Grund seiner Zeugnisse vorerst noch diesen Kurs zu absolvieren hätte. Jetzt ist er aber davon überzeugt, daß „der Student, der in Österreich sein Studium termingemäß beenden will, hier nicht Zeit verliert, sondern gewinnt“. Nicht selten nämlich „vertrödeln“ ausländische Hörer auf Grund mangelnder Sprachund Fachvorkenntnisse vier und noch mehr Semester.

Das System des Heimlebens und der dazugehörigen Heimordnung imponiert ihm allerdings nicht. Er glaubt, zu wenig Freiheit zu haben, um mit deutschsprechenden Mitmenschen Kontakte aufnehmen zu können. Und derselben Ansicht sind manche seiner Kollegen. „Aber“, so argumentiert die Heimleitung, „Kurse auf freier Hochschulbasis würden nicht den erforderlichen Erfolg bringen. Eine gewisse Disziplin in der Zeit- und Lerneinteilung ist unerläßlich.“

Wenn es hier in der Vorderbrühl auch nicht das mit bestimmten Vor-

Photo: Polani

Stellungen verbundene Leben „in der Großstadt“ gibt, so gibt es doch kein Zimmer-, Beheizungs- oder Wäscheproblem zu meistern. Die Studenten essen im Hause, es gibt Filmabende und sogar eine kleine Bar. Eine Bar ohne alkoholische Getränke zwar, da den Mohammedanern Alkohol nicht erlaubt ist, genausowenig wie Schweinefleisch. Daß es immer wieder Rindfleisch gäbe, wie böse Zungen behaupten, ist daher eine religiös bedingte Folgeerscheinung.

Einen für uns ungewohnten Anblick bietet der Gebetsraum. Man darf ihn nur — so wie es mohammedanischer Sitte entspricht — ohne Schuhe betreten. Es ist ein völlig leerer Raum, der während der Gebetszeremonie mit Teppichen ausgelegt wird.

ABER ZURÜCK NACH WIEN. Was macht der ausländische Student in seiner Freizeit? Er zerschlägt nicht nur Kaffeehausmobilar; das ist nämlich einerseits nur eine negative Ausnahme, anderseits die etwas aufgebauschte Freude an der Sensationsmeldung. Fast alle diese jungen Menschen sind sehr an unserem Kulturleben interessiert. Der ÖAD bemüht sich daher auch um die gesellschaftliche Eingliederung am Hochschulort durch Kontaktvermittlung zu den bestehenden Betreuungsorganisationen.

Dem politisch Interessierten wird die „Akademische Vereinigung für Außenpolitik“ empfohlen; Diskussionen, Vorträge, Tanzparties, Exkursionen, Theaterabende wiederum veranstaltet sowohl der Commonwealth-Club, die Hammer-Purgstall-Gesell-schaft, das Institute for European Stu-dies, der All Nations Club oder der Internationale Studentenklub, um nur einige zu nennen.

Wie man sieht: es läßt sich studieren und — leben in Wien.

SOLL WÄHREND DES STUDIUMS die an den ausländischen Studenten kostenlos abgegebene Informationszeitschrift NOTA BENE den Studierenden über aktuelle Probleme und Fragen unterrichten, so ist für die ausländischen Absolventen einer österreichischen Hochschule als Nachkon-taktzeitung der „BRIEF AUS ÖSTERREICH“ gedacht.

Denn wer — egal ob Inder, Amerikaner, Afrikaner oder unsere zimmersuchende Finnin — denkt nicht gerne an seine Studienzeit zurück ...

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