Aufbruch ins Ungewisse

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FURCHE-Report über europäische Jungakademiker auf der Suche nach einer besseren beruflichen Zukunft in Europa - und was sie im Ausland erwartet.

Ioana führt ihr Leben in Etappen. Zwei Jahre hat sie in England studiert, zwei weitere in Spanien, drei Monate lang war sie für ein Praktikum in Deutschland und ab Jänner wird sie wieder zurück nach England gehen, um zu arbeiten. Wo sie in drei Jahren leben wird, das kann sie heute noch nicht sagen. Die 23-Jährige stammt aus dem rumänischen Galati. Schon früh sei ihr klar gewesen, dass sie in Rumänien weder ihr Studium noch ihre Karriere ihren Wünschen gemäß gestalten könne.

Ein Lebenslauf wie der Ioanas ist unter jungen Europäern heute nicht mehr selten. Das Master-Diplom bereits in der Tasche, wollen sie sich keine Gedanken über EZB und Rettungsfonds machen. Doch Jugendarbeitslosigkeit von teils über 50 Prozent und stark reglementierte Arbeitsmärkte gestalten den Ausblick in die Zukunft wenig rosig. Frustration, Enttäuschung oder schlichtweg bessere Chancen oder Neugier veranlassen heutige Mittzwanziger dazu, ihr Glück andernorts zu suchen.

Migration in Zeiten der Krise

Doch die Soziologin Stefanie Smoliner vom Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) in Wien stellt lediglich einen Prozentsatz von 3 Prozent an arbeitsfähigen EU-Bürgern fest, die in einem anderen EU-Land leben. Aus Drittstaaten sind es 5 Prozent. Häufig werden heute Ziele außerhalb des unsicheren Wirtschaftsraumes der EU gesucht. Der amerikanische Kontinent oder Australien sind aus Gründen der geringeren Sprachbarrieren mitunter attraktiver als die Tiroler Kleinstadt. Zudem wies die OECD bereits 2010 darauf hin, dass Migrationsbewegungen in Krisenzeiten tendenziell rückläufig sind: Die Binnenmigration sank in den Jahren von 2007 bis 2010 um ein Drittel in den europäischen OECD-Ländern. Differenziert sind die Ergebnisse aus den Zuwanderungen der am stärksten durch die Krise gezeichneten Länder. 6,3 Prozent mehr Auswanderer verzeichnete Italien zwischen 2009 und 2011. Durch seine Anwerbepolitik ist beispielsweise Deutschland ein attraktives Migrationsziel. Die Zahl der Italiener und Portugiesen, die nach Deutschland emigrierten, ist in der ersten Hälfte des Jahres 2011 im Vergleich zum Vorjahr um ca. 20 Prozent gestiegen, der Anteil der Spanier um 50 Prozent und der der Griechen um 80 Prozent. Auch für Ioana sind Deutschland und Österreich denkbare Ziele: "Mir scheint, dass in diesen Ländern alles besser funktioniert und man der Person und ihren Leistungen mehr Respekt entgegenbringt.“

Die Ergebnisse der Zuwanderungen für Österreich zeigen etwas weniger intensive, jedoch ähnliche Entwicklungen wie in Deutschland. Was auf den ersten Blick horrend wirkt, betrifft konkret, bereinigt durch die Wegzüge, 449 in Österreich lebende Griechen und 890 Italiener (Stand 2011). Akademiker machen das Gros dieser Zuwanderer aus. Und genau das kann für die Herkunftsländer zum Verlust werden.

Die begrenzte Logik des Humankaptials

Dabei ist Migration genau das, was der EU fehlt. Denn zum Ausgleich mangelnder Ärzte oder Fachkräfte und zum Auffüllen leerer Pensionskassen reicht unsere eigene Reproduktionskraft nicht aus. Spezielle Programme wurden entwickelt, um gezielt Migranten in die jeweiligen Länder zu holen. Das Problem ist nur, dass die Menschen nicht so wandern, wie das die Europäische Kommission gerne hätte. "Man stößt sehr bald an die Grenzen der Humankapital-Logik“, meint Elisabeth Scheibelhofer vom Institut für Soziologie an der Universität Wien. "Menschen arbeiten nicht nur, sie haben ein soziales Netzwerk und sind bei der Wahl des Lebensmittelpunktes nicht allein von der Aussicht auf eine Fixanstellung geleitet.“ Auch für Elena stellt sich die Frage nach einem Leben im Ausland nicht. Die 26-jährige Madrilenin studierte Pharmazie und ist mit ihrer Stelle in einer Apotheke nicht auf ihrem Wunschposten gelandet. Sie hofft auf Veränderung: "Frei in der Entscheidungsgewalt über meine Zukunft fühle ich mich nicht. Aber weggehen, das könnte ich nicht. Ich hätte zu viel Angst. Andere Sprachen spreche ich nicht und ein Leben ohne meine Familie und meinen Freund ist für mich unvorstellbar.“ Sie schätzt sich glücklich, überhaupt Arbeit gefunden zu haben. Doch auch Elena ist überzeugt: Im Ausland gibt es mehr berufliche Möglichkeiten.

"Besonders in der EU sind nationale Grenzen oft weniger die maßgebliche Barriere im komplexen Prozess der Entscheidung über Migration“, so Scheibelhofer. Gesellschaftliche Klassen manifestieren sich natürlich grenzübergreifend, Migration erfordert finanzielles Kapital. Das fördert die Elitenbildung. Zudem bedürfe es auch Wissen um Sprache, Organisation und soziale sowie kulturelle Belange. Simple Dinge -wie die Wohnungssuche oder gesellschaftliche Regeln im Zielland - können zu limitierenden Faktoren werden. Auch die soziale Situation ist ausschlaggebend: Familiäre Unterstützung in der Heimat oder Einsamkeit im Zielland sind maßgeblich.

Leben als Tauschhandel

Einsam fühlt sich auch Marco, 28. Vor zwei Jahren kam der Italiener nach Wien um seinen Doktor am Zentrum für Molekulare Medizin zu machen. "Je schwerer die Ausbildung wird, umso mehr vermisse ich meine Freunde in Italien“, gesteht er. "Am Anfang ist alles neu und spannend. Alle sagen mir, dass es das Beste für mich war, ins Ausland zu gehen. Aber es kommen Zeiten in denen nicht alles so glatt läuft und dann fehlen dir die wirklich guten Freunde.“ Auch der 28-jährige Klaus sieht im Sozialen das größte Opfer. Nachdem er insgesamt schon vier Mal kurz- bis mittelfristig im Ausland studiert und gearbeitet hat, wird er die nächsten Jahre an seinem Doktorat in der Schweiz arbeiten. "Bei allen Vorteilen und Erfahrungen, die man aus dem Auslandsaufenthalt gewinnt, letztendlich ist es doch immer ein Trade-off: Du tauschst dein soziales Umfeld gegen die Erfahrung. Natürlich erleichtern elektronische Hilfsmittel den Kontakt, aber man ist einfach nicht mehr wirklich dabei.“ Das wird oft zur Belastung. "Viele würden sicher lieber zu Hause bleiben, fühlen aus Karrieregründen aber eine Obligation zum Ortswechsel“, gibt der Niederösterreicher zu bedenken.

Der Verlust sozialer Bande betrifft nicht nur den privaten Bereich. Auch hinsichtlich Karriere können die Netzwerkkosten sehr hoch werden. Hat man beispielsweise vor nur für drei Jahre ins Ausland zu gehen, können sich zwischenzeitlich berufliche Türen in der Heimat schließen - mangels Kontakten.

Die Frage, nach einer Zukunft in der Heimat können weder Marco noch Klaus beantworten. Er frage sich das selbst jeden Tag, aber planen könne man das momentan ohnehin nicht, meint Marco. Für Ioana ist eine Rückkehr ausgeschlossen: "Was mich beunruhigt, ist, dass man nie wissen kann, was passieren wird. Vor allem meine Familie macht mir Sorgen. Aber ich bin sehr flexibel und glaube, dass ich immer wieder irgendwo neu anfangen kann.“ Die Zukunft abschätzen, können sie alle nicht, doch in der Gewissheit um die eigene Adaptionsfähigkeit findet sich eine kontroverse Sicherheit. Die Sicherheit in der Ungewissheit. Sowohl der Aufbruch ins Ausland als auch das Verbleiben im eigenen Land bedeuten für alle jungen Europäer Ungewissheit. Mitunter vergibt man dabei seine Heimat, im Trade-off gegen eine - vielleicht - bessere Zukunft.

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