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Zuwenig Idealismus!

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Gruppe B beschreibt in dieser Altersstufe ebenfalls den Aufschwung nach dem Krieg, den Lebensstandard und das österreichische Regierungssystem: „Wir haben einen geordneten Staat, in dem sich die Menschen wohlfühlen können.” Ein Mädchen schreibt: „Jeder hat das Recht, zu wählen und seine Meinung zu sagen, zu Zeiten Metternichs und Hitlers waren die Rechte eingeschränkt.” Auch der Gedanke, daß es manchen Menschen schon zu gut geht, tritt hier wieder auf; ein Mädchen erwähnt die Bildungsmöglich-

Mädchen schreibt: „Je besser es den Menschen geht, desto unzufriedener sind sie.” Kritisch erwähnt werden politische Krisen und Wohnungsnot, aber die Kritik ist auch hier im allgemeinen positiv gestimmt: „Ich finde das Leben gut. Natürlich gibt es noch Hunger, Wohnungsnot und Elend, aber wo gibt es dies nicht, und außerdem bemüht sich Österreich auch, die Not zu lindern.”

keiten, die heute in Österreich jedem offenstehen.

Kritisch erwähnt wird zweimal das Finanzwesen, einmal wird festgestellt, daß manche Gesetze reformiert werden sollten und daß das Leben zu unruhig und zu hastig ist.

Die Sechzehn- bis Siebzehnjährigen der Gruppe A schreiben viermal, daß der Lebensstandard so hoch ist wie noch nie, sie finden, daß es dem Österreicher materiell gut geht; auch hier erwähnt wieder ein Mädchen ausdrücklich, daß es glücklich ist, in Österreich geboren zu sein. Ein anderes schreibt: „Österreich ist ein kleines Land, aber krisenfrei.” Im Gegensatz zur nächsten Gruppe äußert diese fast keine Kritik.

Auch die Gleichaltrigen der Gruppe B erwähnen (siebenmal) den hohen Lebensstandard und (viermal) die Fortschritte, die in Österreich gemacht wurden. Drei Mädchen meinen, es könne nicht besser sein. Einige vergleichen Österreich mit anderen Ländern, wobei Österreich immer gut abschneidet; das Leben ist hier, finden sie, ruhiger, und es gibt weniger Krisen. Auch hier finden wir das Motiv von der unnötigen Unzufriedenheit: „Ich finde den Lebensstandard im Vergleich zu anderen Ländern hoch. Viele Menschen wissen wenig über die frühere Zeit und auch über die heurige in anderen Ländern. Wir sollten zufriedener sein!”

Die kritischen Stimmen sind hier am zahlreichsten, wenn auch noch immer stark in der Minderheit. Drei Mädchen schreiben, es könnte, ganz allgemein, manches noch besser sein, je einmal wird erwähnt, daß noch immer der richtige Begriff von Neutralität fehlt, daß man den Menschen nur nach dem Äußeren beurteilt und daß die Menschen zuwenig Idealismus haben. Während jedoch in den anderen Gruppen Kritische Anmerkungen im allgemeinen nur im Rahmen positiver Stellungnahmen aufscheinen, handelt es sich hier vorwiegend um rein kritische Stellungnahmen. Die Mehrzahl bemängelt allerdings nicht materielle, sondern geistige Zustände. Eine Siebzehnjährige schreibt: „Ich denke, daß die heutige Jugend viel zuwenig über die poltische und wirtschaftliche Lage weiß!”

Wir sehen, so wie — besonders deutlich — in den Antworten auf die Frage „Was weißt du und wie denkst du über die politischen Verhältnisse in Österreich zwischen 1938 und 1945?” (Furche 41 1961), auch hier wieder den Wunsch nach ausführlicheren Informationen; überhaupt zeigen die Antworten auf die vierzehn Fragen, die hier nur zum kleinsten Teil ausgewertet werden konnten, alles andere als die vielzitierte „Interesselosigkeit” und „Unwissenheit” der Jugend. Nicht zuletzt Österreichs Gegenwart und jüngere Vergangenheit würde diese Jugend allem Anschein nach sogar sehr interessieren — unsere Aufgabe wäre es, ihr die Informationen, die sie haben will, zu gehen. Ein Aufgabengebiet, auf dem bekanntlich noch sehr, sehr viel getan werden sollte.

Zurück ins Biedermeier

Die nächste und letzte Frage war als Kontrollfrage zur vorhergehenden gedacht, außerdem wollte ich feststellen, wie weit die Mädchen der Umwelt, angepaßt sind und wohin ihre Wünsche tendieren. Die Frage lautete:

Möchtest du lieber in einer anderen Zeit leben oder in einem anderen Land? ln welcher Zeit, in welchem Land? Und warum?’

In der Gruppe A beantworten die Vierzehnjährigen die Frage kurz mit nein oder schreiben, daß sie die Landschaft in der Heimat, wobei teils Wien und teils Österreich als Heimat aufscheint, schön finden — manche stellen fest, daß man das Land, in dem man aufwächst, liebt. Ein Mädchen möchte auf kurze Zeit wegfahren, um andere Gegenden kennenzulernen — dieser Wunsch findet sich in allen Gruppen. Auch unsere Zeit wird akzeptiert. Ein Mädchen schreibt, daß es gerne in Indien leben möchte — „weil man dort so schön braun wird!” Eines fühlt sich durch die Technisierung an unserer Zeit irre gemacht, eines möchte im Biedermeier leben, „weil da die Männer schöner waren und die Zeit schöner!” Das Biedermeier als Wunschziel wird noch ein zweitesmal erwähnt.

Auch die Fünfzehn- bis Sechzehnjährigen der Gruppe A möchten in Österreich bleiben und geben dafür vorwiegend ideelle und patriotische Gründe an. Ein einziges Mädchen möchte ins Ausland gehen — allerdings, weil die Eltern dort einen Besitz haben. Die Zeit möchte keine dieser Schülerinnen vertauschen. Einige geben auch den Grund dafür an: den Wohlstand, die Zufriedenheit und, in einem Fall, die Tatsache, daß „die Frau früher dem Mann untertan war”.

Im letzten Jahrgang der Gruppe A möchte ein Mädchen in Italien leben und eines im Rokoko.

Auch in der Gruppe B ist die untere Altersstufe (15 bis 16 Jahre) vorwiegend mit Zeit und Ort ihres Lebens zufrieden, ohne besonders ausführlich zu motivieren. Sie führen die schöne Landschaft an, schreiben, daß sie glücklich sind und deklarieren weniger ihre patriotischen Gefühle. Ein einziges Mädchen möchte gerne zeitweise anderswo leben, um fremde Sitten und andere Menschen kennenzulernen.

Lieber im Jahr 3000!

Immerhin werden drei originelle Veränderungswünsche, die Zeit betreffend. angegeben: Eine Schülerin wünscht sich in das „Ungarn des vorigen Jahrhunderts”, und zwar „wegen der Zigeunerromantik”, eine würde gerne in der Umgebung Wallensteins sein, und ein einziges Mädchen aller Gruppen und Altersstufen wünscht sich in die Zukunft: „Ich möchte gerne ungefähr 1000 Jahre später leben, aber in Amerika. Ich will den Fortschritt der Technik erleben, überhaupt interessiert mich die Zeit um 3000!”

Die meisten Veränderungswünsche werden in der höheren Altersstufe der Gruppe B geäußert — Ziel der Träume: das Rom des Altertums, die Renaissance in Italien und „eine glückliche Insel im Süden”.

Die etwas stereotypen Begründungen, die zu den Antworten auf diese Frage gegeben wurden, müssen nicht darauf hinweisen, daß die Frage nicht interessiert hat — es war die letzte auf dem Bogen, und ein Teil der Antworten wurde bereits in Eile geschrieben.

Es ist bemerkenswert, daß kein einziger Wunsch, irgendwo anders zu leben, mit materiellen Gründen motiviert wurde. Ein gutes Zeichen für das Lebens- und Sicherheitsgefühl im heutigen Österreich, für Angepaßtheit und seelische Gesundheit dieser Generation.

Es ist schade, daß nicht vor zehn oder fünfzehn Jahren jungen Mädchen diese beiden Fragen vorgelegt wurden — ein Vergleich zwischen den Antworten damals und den Antworten heute wäre sicherlich äußerst interessant ausgefallen!

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