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Unter dem schwatzen 7schar schaff

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Neulich fiel mir eine türkische Propagandabroschüre in die Hand, die erklärte, daß sich die moderne Türkin hinsichtlich Kleidung und Lebensart auch in jeder westeuropäischen Großstadt sehen lassen könne. Kurze Zeit darnach sah ich auf der Straße, wie sich ein andenkenlüsterner Photograph oder ausländischer Journalist auf eine nicht mehr ganz junge Frau stürzte, die dicht vermummt war und ihr Gesicht verbarg. Fast fühlte man sich versucht, nach alter Schablone zu erklären, daß die Wahrheit in der Mitte liegen müsse — aber Schablonen passen oft schlecht, und hier ganz besonders.

Wenn ich an die türkischen Frauen denke, dann fällt mir ein kleines Städtchen an der Südwestecke der Türkei ein, Bodrum, das antike Halikarnassos, das ich im vergangenen Sommer besuchte. Ein Autobus mit Studenten und Studentinnen aus Ankara war eben eingetroffen, dem mehrere leichtgeschürzte und kurzbehoste Damen entstiegen. Den biederen Männern in den Straßencafes fiel fast die Zigarette aus dem Mund, sie schüttelten unmerklich den Kopf und rückten die Sessel, um sich das seltsame Schauspiel nicht entgehen zu lassen. Man sah ja an sich kaum Frauen auf der Straße, und so etwas hatte man erst recht nicht gesehen. Was wollte denn eine Frau auf der Straße, in der Oeffent-lichkeit? Selbst einkaufen kann — nach türkischer Ueberzeugung — ein Mann in der Regel weit besser, wiewohl man derlei an sich auch der Frau überlassen dürfte. Auch eine Freundin könnte sie besuchen, aber ein Cafe betreten? Der Gedanke war bis jetzt noch nie gedacht worden.

Erst abends sah man die Frauen von Hali-karnaß, weite, dunkle Schatten, die undeutlich in der Finsternis näherkamen und sich am Kai niederließen, um, auf dem Boden kauernd, noch mit der Nachbarin einige Tagesneuigkeiten auszutauschen. Kleine Gruppen bildeten sich so, von denen gedämpfte Wortfetzen herüberklangen, Gruppen, die ausschließlich aus Frauen bestanden. Und währenddessen promenierten die jungen Damen aus Ankara vorbei, die Zigarette im Mundwinkel und fast ein wenig zu forsch, indes die Frauen sich enger in ihre schwarzen Umhängetücher hüllten, wenn ein unachtsamer Spaziergänger sich auf weniger als vielleicht zehn Meter näherte.

Es scheint zwar zur internationalen Mode geworden zu sein, jedes Land, ganz gleich welches, zu einem „Land der Gegensätze“ zu stempeln, aber fast scheint das Wort hier tatsächlich zu stimmen.

Um den bestehenden Verhältnissen gerecht zu werden, ist jedoch ein ebenso bestechender wie oberflächlicher Vergleich zwischen der Türkei und irgendeinem europäischen Land nicht ohne weiteres zulässig. Zwar sind es seltsamerweise meist die Türken selbst, welche solche Parallelen ziehen wollen, dann aber entrüstet den Rückzug antreten, wenn sie bemerken, daß ihre Kenntnis der europäischen Verhältnisse äußerst mangelhaften Informationen entspringt.

Wenn man bedenkt, in welche Sklavenrolle der Islam die Frau gedrängt hatte, dann wird man mit Verwunderung feststellen müssen, wie sehr Atatürk die Lage verändert hat. Der Koran gestattete da jedem Mann vier Ehefrauen sowie eine beliebige Anzahl von „Sklavinnen“, also Freundinnen. In den Städten sah dies freilich anders aus. Nur die wenigsten Städter waren rein finanziell in der Lage gewesen, einen derartigen Aufwand zu treiben. Da lebte auch der größte Teil der Türken früher schon monogam. Auf dem Lande aber lag die Sache anders. Der Bauer heiratete etwa im Alter von achtzehn Jahren eine Vierzehn- oder Fünfzehnjährige, die ihm die Wirtschaft führte und die Arbeit möglichst abzunehmen hatte. Wenn er dann nach einigen Jahren das erste Schwinden ihrer Schönheit wahrnahm, dann trat die zweite Frau auf den Plan, und er hatte dermaßen nicht nur eine junge Frau, sondern auch eine zweite Arbeitskraft erworben. So entstand allmählich sein Harem, jene bei uns so märchenumwitterte Institution, und so wurde er erweitert. Der Harem war für alle männlichen Fremden strenge gesperrt, die Frau auf der Straße dazu verhalten, einen Schleier zu tragen und einen meist schwarzen Urnhang, der ihre Gestalt verbarg. Heute ist der Harem gesetzlich verboten. Frauen haben die Möglichkeit, Aerztinnen, Advokaten und Abgeordnete zu werden und nützen diese neugeschaffenen Möglichkeiten nach Kräften. Mit Stolz kann der „Türkische Frauenbund“ Statistiken vorweisen, aus denen de- Anteil der Frauen im öffentlichen Leben hervorgeht, und schon die Ansagerin im Radio beweist allein durch ihre Existenz, daß sich die Verhältnisse geändert haben.

Vielleicht sollte man damit zufrieden sein, vielleicht gar nicht festzustellen suchen, wie es mit der Breitenwirkung der geschilderten Phänomene aussieht. Denn da ist das Ergebnis weit weniger ermutigend. An den geschilderten Errungenschaften haben tatsächlich nur einige ganz wenige Prozent der weiblichen Bevölkerung Anteil, der bei weitem überwiegende Rest lebt trotz der neuen äußeren Form nach alter Weise weiter.

Auch in den Städten nimmt der älteste Sohn eine Stellung in der Familie ein, welche seine Mutter nicht entfernt erreicht. Die Mutter bedient ihn und erkennt seine Vormachtstellung ohne weiteres an. Auch erwachsene Töchter dürfen das Haus nicht verlassen und ausgehen, wie sie wollen, selbst wenn sie berufstätig sind.

Die Töchter werden weiterhin nach alter Sitte verheiratet (von selbstverständlichen Ausnahmen abgesehen), indem man sie einem Mann aus guter Familie einfach in die Ehe.gibt, ohne sie viel zu befragen oder sie ihren zukünftigen Mann kennenlernen zu lassen. Den absoluten Vorrang hat in allen Beziehungen der Mann. Ihn begrüßt man zuerst, ihm wird (auch im Gasthaus) zuerst serviert und er allein ist es, der überhaupt zählt. In die Kaffeehäuser hat keine Frau Zutritt, weil es sich eben nicht schickt, und auch sonst dominiert der Mann im ganzen Straßenbild. Wenn Frauen zu sehen sind, dann meist nicht allein, sondern zu zweit oder zu dritt. Ein Mann, der mit seiner Frau eingehängt geht, wird — von wenigen Ausnahmen abgesehen — ein Ausländer sein.

Der Frau ist, trotz aller Aerztinnen und weiblicher Rechtsanwälte, das Haus zugewiesen, sie hat ihren Mann glücklich zu machen, und weiter nichts. Wenn ein Mann seine Frau schlägt, weil sie, ohne um Erlaubnis zu fragen, irgendwohin gegangen ist, so fällt das nicht aus dem Rahmen. Aber, so kann man sich trösten, wenigstens ist die Zeit des Harems vorbei, und die Ehefrau braucht die Liebe ihres Mannes mit niemandem zu teilen. Leider aber stimmt auch das nicht ganz. Freilich ist der Harem verboten, freilich werden ab und zu mohammedanische Geistliche verurteilt, weil sie jemanden mit einer zweiten oder dritten Frau getraut haben, aber der größte Teil dieser Vorgänge spielt sich unter der Oberfläche ab. Man kann einem reichen Großgrundbesitzer, der mit dem Landeshauptmann eng befreundet ist und mehrere Dörfer zu seinem Besitz zählt, ja nur schwer nachweisen, daß er nun schon die dritte oder vierte Frau geheiratet hat. Wenn davon etwas an die Oeffentlichkeit dringt, dann fast nur durch Zufall, wie etwa eine Zuschrift beweist, die ein junger Bursch aus einem Dorf bei Sivas (Mittelanatolien) an die Tageszeitung „Cumhuriyet“ richtete. Der Brief, den die Zeitung noch einige Zeit vor Inkrafttreten des neuen Pressegesetzes abdruckte, lautet im Auszug:

„Efendim, wegen der noch immer herrschenden Sitte, mehr als eine Frau zu heiraten, finden wir jungen Burschen in den Dörfern kein Mädchen zum heiraten. Obwohl eine gewisse Schicht von Reichen zwei- oder auch dreimal heiratet, bleibt für uns wenig Begüterte kein Mädchen übrig. Die Väter verlangen ja nicht nur einen entsprechenden Schwiegersohn, sondern auch eine entsprechende Geldsumme. Das ist der Grund, weshalb unsere Mädchen auf dem Schwarzen Markt zu entsprechenden Preisen verhandelt werden . ..

Schükrü Kotsch, Sohn des Osman aus dem Dorfe Devekse bei Sivas.“

Man versucht vergeblich, sich derartige Verhältnisse in Oesterreich oder einem anderen europäischen Land vorzustellen. Das betreffende Mädchen würde sich sofort an die Behörden wenden und dort Schutz suchen und — finden. Hier liegen die Verhältnisse anders. Denn erstens wäre jeder derartige Prozeß, den man gegen einen solchen Aga“ anstrengt, schon vor Beginn der Erhebungen verloren, und dann finden es die Mädchen selbstverständlich und fühlen sich keineswegs unbehaglich. Nicht umsonst wurde ja die türkische Frau von klein auf seit Jahrhunderten auf den Mann, der sie einmal in sein Haus nehmen würde, förmlich dressiert. Dies ist auch jetzt bei dem größten Teil der Bevölkerung noch so. Zunächst erwähnt man die Mädchen bei der Angabe der Kinderzahl gar nicht. Es kann ruhig sein, daß jemand, der sich als kinderlos ausgibt, drei Töchter hat. Die zählen nicht. Dann werden durch die Tatsache, daß Frauen überhaupt nicht — auch nicht als Frau des Hauses, als Gastgeberin — mit Männern in Berührung kommen, bereits die kleinen Mädchen in einer rein weiblichen Umwelt von Tanten und Nachbarinnnen groß, die sich bei ihren häufigen Zusammenkünften derart frei über eheliche Probleme und Vorfälle aussprechen, daß das Kind in seinen künftigen sexuellen Beziehungen zum Ehemann den einzigen Inhalt des Daseins sieht.

So wachsen sie, frühwissend und in jeder “gerstig^Tr^ittwickrttngr^ehetnmt, heran, ohne eine kameradschaftliche Bindung zu Buben oder Burschen zu kennen, bis sie in eine Ehe treten, in welcher der Mann zu ihnen in eine bloß körperliche Beziehung tritt. Andere Gemeinschaft hat er mit seiner Frau nur in seltenen Fällen. Darauf vorbereitet wird die junge Braut durch das sogenannte „gelin hamami“, das „Brautbad“. Zu diesem Zwecke wird ein türkisches Bad gemietet, in dem die Frau den ganzen Tag mit allen weiblichen Verwandten und Bekannten verbringt und also auf ihre Ehe vorbereitet wird.

Tagsüber sind die Frauen zum arbeiten da, sonst zählen sie nur als Sexualwesen. Und sie müssen hart und viel arbeiten. Die ganze Teppichindustrie und ein großer Teil der Landwirtschaft — die Türkei ist zum überwiegenden Teil Agrarstaat — liegt in ihren Händen, während die Männer den ganzen Tag im Kaffeehaus sitzen. Auch Kinder — kleine Mädchen — sieht man an Teppichwebstühlen mit flinken Fingern Knoten ziehen; ganze 1.60 Schilling erhält so eine Knüpferin für 1000 Knoten, was für den Tag je nach Tempo und Eifer 10 bis 20 Schilling ergibt. Ohne Urlaubsanspruch und Krankenversicherung.

Die Frauen sind billige und gute Arbeitskräfte. Bevor sie das Haus verlassen, legen sie den schwarzen Tscharschaff (Umhang) an, der von der Stirn bis weit über die Hüften reicht, und stehen hilflos und verschreckt jedem Problem gegenüber, das an sie herantritt. Sie sind zufrieden mit ihrer Lage und kennen nichts anderes, das ihnen erstrebenswert schiene.

Als der Frauenbund und einige andere Stellen neulich versuchten, wenigstens das schwarze Umhängetuch zu verbieten, unter dem die anatolischen Frauen besonders im Sommer furchtbar leiden müssen, stießen sie auf geschlossenen Widerstand. Und zwar bei den Frauen selbst. So kommt es, daß das besagte Tuch, dessen Verwendung schon eine Zeitlang seltener geworden war, im letzten Jahr wieder vom größten Teil der Frauen aus der Schublade hervorgeholt wurde. Nicht nur auf dem Lande, auch in den Städten, auch in Istanbul.

Man findet sie überall, die Frauen von Hali-karnaß. Ihr Leben ist Arbeit und Dunkelheit, während eine kleine Gruppe das längst verlorene Gleichgewicht dadurch herzustellen sucht, daß sie Gesellschaften im Badeanzug veranstaltet und auch sonst „modern“ sein will. Nötigenfalls bis zum Exzeß.

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