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Marschallstab — und Ehering im Tornister

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Ueber eineinhalb Prozent der amerikanischen Bevölkerung gehen alljährlich durch Hochschulen. Etwa zwei Drittel beenden die vier-oder fünfjährigen Kurse. Bald werden 20 bis 25 Prozent des Volkes auf ein Hochschulstudium zurückblicken können. Was erwartet die Studenten am Ende des Studiums?

In den letzten Wochen des Sommersemesters erscheinen auf den meist reizvollen „Campus“ eine Anzahl von Herren und Damen, die Zeugnisse . studieren, Informationen sammeln, Besprechungen abhalten und eine richtige Werbetätigkeit unter den Absolventen entfalten: Das sind „talent scouts“, die von großen Unternehmungen und von kleineren der Umgebung entsendet werden, um die tüchtigsten und aussichtsreichsten Studenten anzuwerben. Ein fähiger Student der gesuchtesten Fächer, wie Chemie, Technik, Physik, aber auch ein Buchprüfer, Statistiker oder Marktexperte bekommt im Durchschnitt drei bis fünf Anbote mit den verschiedensten Verlockungen, unter denen er nur auszusuchen braucht. In New York wird er mitunter schon ein Jahr vor Vollendung des Studiums angeworben. Die Anfangsgehälter bewegen sich von 375 bis 525 Dollar monatlich für Ingenieure und Chemiker, über 300 bis 400 für Juristen, 275 bis 450 für Buchprüfer bis zur untersten Kategorie: 235 bis 265 für Lehrer.

Diese Ziffern geben aber kein volles Bild, weil sie durch zahlreiche und verschiedenartige „fringe benefits“, wie Pensionen, Versicherungen, subventionierte Wohnungen, Urlaube und Nebenverdienste bis zu 50 Prozent aufgebessert erscheinen.

Es lohnt sich also, zu studieren. Man kann damit rechnen, daß gute Noten sich prompt in Banknoten verwandeln. Die erheblichen Opfer, die Eltern aller Stände bringen, um das Studieren ihrer Kinder beider Geschlechter zu ermöglichen, die sie mitunter schon bei der Geburt für die Kosten des Hochschulstudiums versichern, sind eine gute Kapitalsanlage. Nach der Versicherungsstatistik hat der Absolvent eines College oder einer University im Durchschnitt die Aussicht, in seinem künftigen Leben 300.000 Dollar zu verdienen, der einer Mittelschule 200.000, der einer Volksschule kaum 100.000. Vor sechs Jahren waren die Ziffern noch 268.000, 165.000 und 70.000 Dollar, sind also unten mehr gestiegen als oben.

Wer aber das Anfangskapital nicht aufbringen kann, ist keineswegs vom Studium ausgeschlossen. Zahlreiche Stipendien, sichere Aussicht auf Arbeit während des Studiums — die von den Hochschulen organisiert und im Stundenplan berücksichtigt wird —, öffnen auch dem Vermögenslosen den Weg durch die Hochschule, er ist nur steiler und länger. Wenn es aber von einem Arbeiter oder einem Kellner heißt: „er - oder sie - ist ein Arbeitsstudent“, öffnen sich alle Herzen und Hände.

Das Studium ist nicht billig und wird, dank der steigenden Lohnforderungen des mechanischen und Bedienungspersonals, immer teurer. Von Jahreskosten von etwa 800 Dollar an den staatlichen Hochschulen bis zu 2500 Dollar an den berühmten Universitäten, wie Columbia, Harvard, Yale, oder den exklusiven Mädchencolleges, wie Wellesley und Barnard, findet man alle Varianten. Auch diese Preise können nur gehalten werden, weil fast alle Hochschulen über mehr oder weniger, oft sehr reiche Fonds verfügen, deren Erträgnisse einen großen Teil der

Betriebskosten decken. Aus Spenden von Absolventen, ,,alumni“, entstanden, die sich ihr Leben lang mit „ihrer“ Hochschule verbunden fühlen, durch geschickte Verwaltung vermehrt, haben sie bereits für die gesamten Vereinigten Staaten die Summe von sieben Milliarden Dollar erreicht. Die Anlage dieser gewaltigen Vermögen in Liegenschafts- und dem noch günstigeren Wertpapierbesitz ist, mit anderen „festen Händen“ ähnlicher Art, wie Versicherungsgesellschaften, Trusts, Unions und deren Versicherungsfonds, eine der wesentlichen Ursachen der Effektenhausse, die dadurch ein Element der Stetigkeit erhält.

Eine besondere Rolle spielt das katholische Unterrichtswesen, das mit seinen Spitzenschulen, wie Fordham und Notre-Dame, in die höchste Klasse der Universitäten hinauf- und durch seine zahlreichen Colleges und Mittelschulen sehr tief in die Volksbildung hineinreicht. Die Katholiken, mit 30 Prozent der amerikanischen Bevölkerung die zahlreichste aller Konfessionen, haben im Unterrichtswesen etwa einen um 5,0 Prozent größeren Einfluß als ihrer Zahl entspricht. Das ist typisch. In Indien z. B. machen die Katholiken weniger als fünf Prozent der Bevölkerung aus, bilden aber gegen 50 Prozent aller im Lande „Studierten“ aus. In den Vereinigten Staaten ist der Erfolg des katholischen Bildungswesens, der sich keineswegs auf die Katholiken beschränkt, unter anderem zwei Umständen zuzuschreiben: der ausgeglichenen und universellen Atmosphäre in den Klassenräumen, wo die Anwesenheit eines gewissen Prozentsatzes anderer Rassen und anderer Konfessionen gegenseitiges Verständnis und vorurteilsfreies Zusammenleben lehrt, und der relativen Billigkeit des Schulgeldes, das den Zutritt erleichtert. Das wird oft durch eine bescheidenere Entlohnung des Lehrkörpers ermöglicht, in dem sich zahlreiche Geistliche und Ordensbrüder befinden.

Wer mit Erfolg eine Hochschule absolviert hat, hat den Marschallstab im Tornister. Kommt er bei einer der großen Gesellschaften oder Anwaltsfirmen unter, so sind seinem Aufstieg und seinem künftigen Einkommen keine Grenzen gesetzt, auch die höchsten Beamtenposten winken ihm. Erreicht er aber auch keine dieser Spitzen, wofür eine Wahrscheinlichkeit von etwa 50 zu 1 spricht, so hat er nach menschlicher Voraussicht eine gesicherte Zukunft, ein stattliches bürgerliches Einkommen und eine gehobene soziale Stellung vor sich.

Das gibt der ganzen Atmosphäre am Campus eine Stimmung der Zuversicht und ist gleichzeitig ein Anreiz zu eifrigem Studium, von dem die ersten Schritte auf der Berufsleiter unmittelbar bestimmt werden. Ein Kennzeichen des Amerikaners ist ohnehin Mut und Zuversicht, die sich vor „trial und error“ — Versuch und Irrtum — nicht scheuen. Er oder sie weiß, daß man das Leben nie vorausberechnen kann, daß es von unvorhergesehenen Umständen bestimmt wird, deren günstiger Prozentsatz in diesem Lande größer ist als irgendwo, und springt daher Hals über Kopf in einen Beruf, in ein Geschäft — und in die Ehe.

Die Beziehungen zum anderen Geschlecht, sowohl an gemeinsamen wie an getrennten Hochschulen, spielen eine ebenso große Rolle wie das Studium. Nirgends wieder gibt es eine Gelegenheit, mit so vielen Personen des anderen Geschlechts ungezwungen, in Arbeit und Spiel, zusammenzukommen, sich gegenseitig kennenzulernen und alle Skalen der Freundschaft und Liebe auszukosten. Das wirkt mit, um der Studienzeit den verklärenden Glanz zu geben, von dem sie durchs ganze Leben umgeben sein wird.

Die Berufsaussichten der Studentin sind, von wenigen Berufen abgesehen, ebenso gut wie die des Studenten. Auch sie kann eine Anstellung mit ausreichendem Gehalt bekommen und, wenn ihr Haushalt und Kinder Zeit dazu lassen werden, in gleichem, fast gleichem, mitunter sogar höherem Maße zu den Lebenskosten beitragen ,als der Mann. Die Amerikanerin ist Meisterin darin, Kinderpflege, Beruf von 9 bis 17 Uhr, Haushalt und Hauspflege zu vereinigen, wird darin allerdings vom Manne als Partner in Küche und Heim unterstützt. Mitgift ist unbekannt, obwohl Verbindungen und Beziehungen eines einflußreichen Schwiegervaters, auf beiden Seiten, nicht unbeachtlich sind. Die finanzielle Basis von Student und Studentin ist gesichert, das befreit ihre Beziehungen von wirtschaftlichen Momenten. Es gibt wenige Länder, in denen die Ehen weniger von materiellen Fragen beeinflußt werden.

Dagegen spielen andere Momente mit. Vor allem eine „sportliche“ Einstellung, ohne die man das Geschäftsleben, das Gerichtswesen, aber auch das Geschlechtsleben der Vereinigten Staaten nicht verstehen kann. Einen Burschen oder ein Mädchen bald an sich fesseln, womöglich einen oder eine, die „populär“, das heißt beliebt ist, um den oder die man sich reißt; nicht herumflirten, sondern „steady“ gehen; sich bald, womöglich noch während der Studienzeit, verloben oder gar heiraten, das alles ist Sport. Warum solche Ehen, wie die amerikanischen Ehen im allgemeinen, die oft mit groteskem Leichtsinn geschlossen werden, doch relativ so gut halten, gehört in ein anderes Kapitel, das tief in die Psyche und die Gewohnheiten des Durchschnittsamerikaners eindringen müßte.

Die Beziehungen zum anderen Geschlechte auf den Hochschulen haben sich zu einer Art Sport herausgebildet und folgen dessen Regeln. Dessen Probleme werden öffentlich mit verblüffender Offenheit erörtert. Es gibt Diskussionsabende darüber, wieweit man beim ersten oder einem späteren „date“, Rendezvous, gehen soll; ob es recht sei, den Mann alle Kosten dieser mitunter ganz kostspieligen Zusammenkünfte — von der Blumenspende bis zum letzten Cocktail — tragen zu lassen oder ob man sie teilen sollte, obwohl das Mädchen doch größere Auslagen für Toilette und Aufmachung habe und dergleichen. Warum also, da es auf der Hochschule doch nicht mehr kostet und nachher die Zukunft gesichert erscheint, nicht gleich heiraten? Der modernste Sport ist, besonders für die Mädchen, nicht unverheiratet das College zu verlassen, womöglich verheiratet gemeinsam weiterzustudieren. Das wird von manchen

College-Leitungen durch Gewährung verschie- s dener Erleichterungen für studierende Ehepaare, vor allem anziehende, billige Wohnungen, unterstützt. Man hat herausgefunden, daß verheiratete Studenten, gar solche mit Kindern, eifriger und ernster studieren, weil sie nicht soviel Zeit mit „dates“ verlieren und früher die Verantwortung für Familie und Beruf fühlen.

Kinder von Hochschulehen sind Gegenstand der Hochschulfürsorge geworden. Die eine Universität rühmt sich ihres „Baby-sitter “-Systems, das den jungen Eltern die Teilnahme an Studium und sozialem Leben erleichtert, die andere weist auf ihren ausgezeichneten Kindergarten hin, die dritte warnt, daß ihre reguläre Krankenversicherung nicht Entbindungskosten umfasse. Während noch vor einigen Jahren eine Studentin, die sich verheiratete oder gar ein Kind erwartete, unerbittlich vom Studium an manchen Colleges ausgeschlossen wurde, wurde kürzlich eine 18jährige Studentin, die mit Mann und Kind zum ersten Jahrgang einrückte, freudig und festlich empfangen.

Die Anzahl der verheirateten Studenten hat an manchen Hochschulen, wie der University of Georgia, schon 19 Prozent erreicht und sinkt an keiner der gemischten Hochschulen unter eineinhalb Prozent. Die University of California, die heute 15 Prozent zählt, ist darauf gefaßt, den Prozentsatz in zehn Jahren auf 50 bis 75 Prozent steigen zu sehen. Dabei ist das niedrige Durchschnittsalter des amerikanischen Studenten zu berücksichtigen.

An manchen Hochschulen besteht die Uebung, die Studentinnen bei der Abschiedsfeier in drei Gruppen vorzustellen: die Verlobten, die „pinned“, das heißt die die Burschenschaftsnadel eines Studenten tragen, also potentielle Verlobte, und die „Freien“. Heute ist die letzte Gruppe zusammengeschmolzen, und man mußte drei neue Gruppen der Verheirateten anreihen: die „nur“ Verheirateten, die Schwangeren und die Mütter.

Ob der bevorstehende Militärdienst, der bis nach Beendigung des Studiums aufgeschoben werden kann, einen beschleunigenden oder hemmenden Einfluß auf den Eheentschluß hat, hängt von der Einstellung der Partner zum Leben ab. Jedenfalls erleichtert es den Entschluß, wenn die Frau dank ihres Studiums eine selbständige Erwerbsmöglichkeit hat.

Nicht nur vom Charakter der Ehepartner, sondern auch von den Lebensgewohnheiten eines Landes hängt es ab, ob gemeinsame Arbeit oder gemeinsames Vergnügen den festeren Kitt einer Ehe darstellt. Beides ist in den Vereinigten Staaten mehr als in manchen anderen Ländern Band der Ehe; gemeinsame berufliche und Erholungsinteressen sind häufiger als anderswo, weil die Lebensgewohnheiten und -ziele von Mann und Frau sich hier weniger unterscheiden.

Blickt man auf zurückgebliebene Länder, vor allem Ost- und Westasiens, und auch Lateinamerikas, so erkennt man, daß das ein Maßstab für die Zivilisation — unabhängig von der Kultur — eines Landes ist. Je weniger entwickelt die Zivilisation ist, desto verschiedener, desto weniger austauschbar ist die Arbeit von Mann und Frau. Die angelsächsischen und die skandinavischen Länder, in erster Linie aber die Vereinigten Staaten, sind darin den anderen Ländern voran, und in den Vereinigten Staaten ist es die Studentenschaft, in der die Gleichstellung der Geschlechter in Arbeit und Heim den höchsten Grad erreicht hat.

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