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Zuwenig Platz in „Oxbridge“

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In weiten Kreisen haben die Eltern die Meinung: entweder geht mein Sohn (oder Tochter) auf eine der Universitäten von Oxford oder Cambridge, oder auf überhaupt keine Universität. Daraus ergibt sich fast ein Sozialkomplex jener Studenten, die keinen Platz in „Oxbridge“ — so werden Oxford und Cambridge kurz genannt — erhalten haben. An diesen beiden Universitäten kann nur jemand studieren, der von einem der Colleges angenon*-men worden ist. In den im gotischen oder Renaissancestil gehaltenen Gebäuden wohnen heute allerdings nur rund ein Drittel der Gesamtanzahl von etwa 16.000 Studenten, der Rest wohnt in Untermietzimmern. Da es in England und Wales zur Zeit rund 105.000 Studenten gibt (ungefähr fünf Prozent der entsprechenden Altersgruppe), herrscht ein großer Wettbewerb um Plätze in Oxbridge.

Diese Lage wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen. John Vaizey schätzt in seinem Buch „Educa-tion for Tomorrow“ (Penguinbooks, 1962), daß die Zahl der Universitäts-Studenten, einschließlich technischer Disziplinen, bis Ende der sechziger Jahre auf 180.000 angewachsen sein wird. (In Lehrerbildungs- und mittleren technischen Lehranstalten werden weitere 110.000 junge Leute ihre Ausbildung erfahren.) Jährlich nimmt der Strom von Gymnasiasten aus den dichtbevölkerten Industriegebieten des Nordwestens in die Universitäten zu. Der Anteil von Studenten aus Arbeiter- und niedrig bezahlten Angestelltenfamilien steigt rasch. Die Universität ist nicht mehr ein Privileg der oberen Klasse, wie es noch vor dem zweiten Weltkrieg überwiegend der Fall war. Der studierende Sohn eines Volksschullehrers, der ein Jahreseinkommen von 1500 Pfund (etwa 107.000 österreichische Schilling) bezieht, erhält pro Trimester rund 90 Pfund (6400 Schilling), wenn er nicht zu Hause wohnt. Dieses Stipendium ist allerdings an einen zumindest durchschnittlichen Fortschritt im Studium gebunden. (Selbstverständlich bezahlt der Staat auch die verhältnismäßig hohen Studiengebühren, ungefähr 3 500 Schilling jährlich.)

Obwohl die Plätze knapp sind, arbeiten die Regierung und der British Council mit den Universitäten zusammen, um Ausländern, vor allem aus dem Commonwealth und den Entwicklungsländern, ein Stipendium in Großbritannien zu ermöglichen. Tatsächlich sind mehr als zehn Prozent jener Studenten Ausländer, die in Universitätsinstituten tätig sind und die höheren akademischen Grade eines „Masters“ oder „PhD“ erwerben wollen (Magisters oder Doktors der Philosophie); die überwiegende Mehrzahl der britischen Studenten verläßt die Hochschule mit dem „Bachelor“-Grad. Für die Betreuung und finanzielle Unterstützung der ausländischen Stipendiaten gibt allein der British Council jährlich rund 500 Millionen Schilling aus. Man ist überzeugt, damit den unterentwickelten Ländern mehr zu helfen als mit dem Bau eines Stahlwerkes. (Es soll aber nicht verschwiegen werden, daß die Kommunisten in England keine Kosten und Mühen scheuen, die afrikanischen und asiatischen1 SAfdenten mit der leninistisch-marxistischen Lehre zu infizieren; den größten Widerhall finden sie bei den Arabern, während Inder im allgemeinen immun gegen die östliche Propaganda sind.)

In Oxford und Cambridge haben die Söhne und Töchter wohlhabender Eltern noch Vorrang gegenüber begabten Kindern von Arbeitern. Denn rund drei Viertel der „undergraduates“ haben eine Public Schoo! besucht. Es sind jedoch Anzeichen einer Änderung vorhanden. Immer mehr entwickeln sich diese beiden alten Universitäten zu Bildiuwgsanstalten für die geistige Elite des Landes und des Commonwealth. Die Colleges stellen an die Intelligenz und das Wissen der Bewerber immer höhere Anforderungen. Die Public Schools wissen dem zu begegnen; ihre Leiter haben erkannt, daß Oxford und Cambridge nicht mehr die Tummelplätze junger „gentle-men“ sind, die auf ihre Unwissenheit noch stolz sind. Dem ehemaligen Studenten einer „Ziegeluniversität“ haftet heute noch unleugbar das Kennzeichen der Zweitklassigkeit an. Eine Ausnahme bilden nur die Techniker, da die Universitäten der Provinz auf diesem Gebiet einen hohen Standard erreicht haben. In den anderen Disziplinen konnten die Universitäten Manchester, Liverpool, London und Birmingham die Kluft zum Teil verkleinern, haben aber immer damit zu rechnen, daß ihre besten Kräfte nach Oxbridge abwandern. Verschärfend wirkt hier, daß es in englischen Universitäten kein Habilitationsverfahren gibt. Die Posten von Dozenten und Professoren werden laufend in der „Times“ öffentlich ausgeschrieben.

Der Unterschied in der Rangordnung der Universitäten macht sich auch in der Bezahlung ihrer Absolventen in der Wirtschaft bemerkbar. Ein Oxford- oder Cambridge-Mann erhält in der Regel ein um 10 bis 1 5 Prozent höheres Gehalt. Dies rechte fertigt sich wohl zum Teil allein durch das längere Studium in Oxbridge, wo es vier Jahre dauert, in den übrigen Universitäten dagegen bloß drei Jahre. (Die Mediziner müssen einheitlich im ganzen Land mindestens sechs Jahre studieren.) Teilweise läßt es sich aber doch nicht verleugnen, daß nach Oxford und Cambridge wirklich die Begabteren gehen. So sagte ein Student der Technik in Manchester, der von einer Public School kommt, auf die Frage des Verfassers, warum er nicht nach Oxbridge ging: „I haven't got the brains!“ („Dazu reicht mein Verstand nichtf“)

Mr. Hartley, ein Dozent für Elektrotechnik an der Universität Manchester und Vizewarden des einzigen katholischen Wohnheimes für Studenten in Großbritannien, kennt die Probleme der höheren Erziehung in England genau. Solange die überholte Rangordnung nicht überwunden ist, sei ein weiterer Fortschritt ernstlich gefährdet, meint der junge Wissenschaftler. Die Frage, was er von den vorgeschlagenen „Sandwichkursen“ halte, beantwortet er erst nach einigem Zögern. „Ich kenne diese Vorschläge; man glaubt, den Ansturm auf die Universitäten in den nächstem 15 Jahren lösen zu können, indem man das Studium durch ein zweijähriges Praktikum unterbricht und während dieser Zeit die Studenten mit Lehrbriefen füttert. Ich halte dies nur für einen allerletzten Ausweg, da der Standard unvermeidlich sinken würde. Die Ansicht Kardinal Newmans, die Universität sei bloß' eine'“höhete Lehranstalt, gilt heute als überwunden. Wir glauben vielmehr, daß Professor und Student Freunde sind, so wie im Mittelalter, die sich gegenseitig geistig anregen und unterstützen sollen. Deshalb verteidigen die Universitäten auch ihren Anspruch, sich ihre Studenten aussuchen zu können.“

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