6821592-1973_40_04.jpg
Digital In Arbeit

Gebremste Nachbarschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Nicht nur in den Dienststellen der österreichischen Universitäten liefen am Wochenende die Telephone heiß. So mancher deutsche Student, der dem Numerus Clausus im Heimatland ausgewichen und nach Österreich geflüchtet war, sah sich um eine Hoffnung ärmer — auch hier ging der Vorhang nieder. Wer in Frankfurt und München, in Tübingen und Göttingen keine Aussicht hat, zum Studium zugelassen zu werden, wird auch in Wien und Innsbruck nicht zu akademischen Ehren kommen können. Traurig, aber nicht anders zu machen.

40 Prozent der Erstinskribenten mancher Fächer wären mit deutschen Paß in die Hörsäle eingezogen, wenn nicht zugesperrt worden wäre. Bei aller Offenheit, bei allem Bekenntnis zur europäischen Einheit, zur Freizügigkeit der Studenten — Österreich kann nicht bereitstellen, wozu die weitaus reichere Bundesrepublik nicht in der Lage ist: Studienplätze für Tausende von Studenten, die studieren möchten, aber von überfüllten Universitäten abgewiesen werden. Auch die zentrale Verteilung der Studienplätze hat nur teilweise abhelfen können. Auch intensivierter Hochschulbau kann nur allmählich mildern — sofern nicht der Zudrang aus vollgepumpten hö-

heren Schulen noch rascher ansteigt.

So schließen sich nun endgültig die österreichischen Hochschultore für Studenten der Architektur, der Biologie und Chemie, der Psychologie und der Geographie, der Medizin und Veterinärmedizin, der Pharmazie und der Leibesübungen. Bisher galt dies schon für Mediziner, Pharmazeuten und Architekten. Möglicherweise werden im nächsten Jahr noch weitere Bereiche daran glauben müssen — im selben Ausmaß, als die BRD ihre Hochschulen sperrt. Nicht nur die Studienanfänger sind betroffen. Auch wer schon einige Semester nachweisen kann, wird abgewiesen. Selbst der Umweg, zuerst eine andere Studienrichtung zu belegen, um dann auf die eigentlich gewünschte umzusteigen, bleibt verschlossen. Der Computer wird darauf programmiert, die veränderte Kennzahl auszusortieren.

Für Österreich gilt der Grundsatz, daß jeder Staatsbürger das Recht haben soll, bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen ein Hochschulstudium zu absolvieren. Österreich hat aber auch die Konvention des Europarates unterzeichnet, die die gegenseitige Anerkennung der Studien, die Gleichstellung der Staatsbürger ausspricht. Wie stimmt dies mit der jetzt verhängten Sperre

überein? Darüber zerbrachen sich schon vor mehr als einem Jahr Delegierte aus ganz Europa den Kopf — denn Österreich ist eines der allerletzten Länder, die zu diesen Notmaßnahmen greifen müssen.

Die Konvention spricht nur von einer Zulassung zum Hochschulstudium, nicht vom Recht auf eine bestimmte Studienrichtung. Wieweit im Einzelfall Beschränkungen eingeführt werden müssen, hängt von der Verfügbarkeit von Studienplätzen ab. Medizinstudenten müssen an der Leiche ausgebildet werden, Chemiker am Reagenzglas — die Arbeitsplätze in Anatomie und Labor bestimmen die Größenverhältnisse. Wenn aber Mangel an Studienplätzen herrscht, und dieser Mangel nicht kurzfristig behoben werden kann, dann müssen eben doch zuerst die eigenen Studenten berücksichtigt werden, und mit ihnen jene, die durch besondere Abkommen ihnen gleichgestellt wurden.

Österreich hat lange gezögert — nun geht es nicht mehr anders. Alle anderen Nachbarstaaten der Bundesrepublik — Belgien, die Niederlande, die Schweiz —, aber auch Italien, haben schon früher zu ähnlichen Maßnahmen gegriffen. In Dortmund, wo die zentrale Verteilung der Studienplätze in den beschränkten Studienfächern erfolgt, hatten sich etwa für die Fächer Veterinärmedizin, Biologie, Psychologie und Architektur mehr als 13.000 Anwärter gemeldet — aber nur 4600 Studienplätze waren im weiten Bereich bundesdeutscher Universitäten vergebbar. Von den Abgewiesenen meldeten 4000 ihren Wunsch an, nach Österreich zu gehen — wo aber sollen sie hier unterkommen? Wenn man diese Zahlen auf alle zugangsgeregelten Fächer überschlägt, müßten mehr als 10.000 Deutsche nach Österreich strömen — mehr als Linz und Salzburg zusammen an Studenten aufweisen, mehr als bisher die Gesamtzahl der Ausländer in Österreich ausmachte. Rund dreimal so viel, als die Zahl der deutschen Studierenden in Österreich betrug, als noch keinerlei Beschränkungen notwendig waren.

Daß dies unmöglich ist, muß klar sein. Wenn Österreichs Steuerzahler schon dafür aufkommen müssen, jedem eigenen Landeskind ein freies Studium zu gewährleisten — auch noch jene aufzufangen, die das reichere Nachbarland nicht unterbringen kann, ist ihnen nicht zuzumuten. Das ginge weit über ihre Leistungsfähigkeit hinaus.

Aber auch im Inland wird darüber nachgedacht werden müssen, ob der Zudrang zu jenen Fächern, in denen heute schon Sperrmaßnahmen gegen Ausländer nötig werden, auch jenen Größenordnungen entspricht, die später auf dem Arbeitsmarkt untergebracht werden können. In anderen meldet die Wirtschaft ausgesprochene Mangelerscheinungen an. Hier wird vor allem eine intensive Aufklärung und Beratung einsetzen müssen, um das Interesse dorthin zu lenken, wo auch der Bedarf besteht. Zwangsmaßnahmen wie im Osten sollten dazu überflüssig sein.

Für die Ausländer aber werden die Tore erst dann wieder geöffnet werden können, wenn die Herkunftsländer — also vor allem die BRD — von sich aus mithelfen, die von ihnen zu den Nachbarn rollenden Probleme auch bei diesen zu lösen. Auf welchem Weg, wird man sich überlegen müssen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung